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Meinung „Unterwegs“

Warum so viele Flüchtlinge keinen Pass haben

Irakische Pässe Irakische Pässe
Irakische Pässe
Quelle: Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance
Für viele ist der Ausweis das Wertvollste, das sie besitzen. Um keinen Preis darf man auf der Welt ohne Papiere sein. Flüchtlinge aber sind keine Reisenden. Sie werfen ihre alte Identität fort. Warum?

Erstaunlich: Im Januar kamen 77 Prozent der Flüchtlinge ohne Pass zu uns. Ich bin in vielen Weltgegenden gewesen, und das Allerwichtigste, das ich bei mir trug, waren immer meine Notizen und mein Pass – sie zu verlieren, war meine größte Sorge.

Ich habe viel dafür getan, meine Notizhefte von unterwegs heil heimzuschicken, einmal sogar heimlich mit Diplomatenpost, was ich gar nicht durfte.

Die Notizen lassen wir mal beiseite, ein Flüchtling ist kein reisender Autor. Ihn treibt nicht Abenteuerlust, ihn treibt die Not, das kann man nicht vergleichen. Aber das mit dem Pass kann man schon vergleichen. Für mich war er das Wertvollste, das ich besaß. Ohne Pass hätte man mich über keine einzige Grenze gelassen.

Hätte ich unterwegs meine Kleidung verloren – egal, ich hätte mir neue besorgt. Oder mein Geld – blöd, aber irgendwer hätte mir hoffentlich fürs erste etwas geliehen, dann hätte man mir von daheim neues Geld geschickt. Kreditkarte weg?

Nicht ohne meinen Pass

Auch nicht der Weltuntergang, im Himalaya oder in weißrussischen Einöden fand sich sowieso kein Schlitz, in den ich meine Visacard hätte stecken können. Alles, alles durfte verloren gehen – nur nicht mein Pass. Es hätte das Ende meiner Reise bedeutet und vielleicht Schlimmeres. Ich kenne genügend Staaten, die nicht lange fackeln, wenn sie einen Fremden ohne Pass aufgreifen.

Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand, der auf eine so schicksalhafte Reise geht wie eine Flucht, aus Dusseligkeit seinen Pass daheim auf dem Küchentisch liegen lässt. Sicher, bei einer Flucht kommt manches abhanden – aber der Pass? Den trage ich doch am Körper, mit drei, vier weiteren Dingen, an denen ich hänge.

Nein, wenn so viele ohne Pass kommen, dann heißt das, er ist ihnen nicht so wichtig. Ich kann das verstehen. Wer hofft, woanders ein besseres Leben zu finden, der wirft seine alte Identität eher fort als einer, der wieder heim will.

Aber verrückt ist es doch: Ich kämpfe gerade um einen neuen Reisepass. Es gibt keine Termine dafür in Berlin, die Ämter sind heillos überlastet. Während ich von Bürgeramt zu Bürgeramt fahre und um einen Termin bettele, also um meinen Pass, passieren Zehntausende Grenze um Grenze ganz ohne einen solchen. Regierung, erklär mir das.

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