Wirtschaft
Dienstag, 26.03.2019
Dienstag, 26.03.2019

Altmaier opfert Start-ups im Urheberrecht

Das neue Urheberrecht wird kleine Unternehmen strapazieren. Die Regierung hat auf wichtige Ausnahmen verzichtet – für Gas aus Russland?

Wird es für sie bald schwieriger? Start-ups in Deutschland

hw. BERLIN, 25. März. Unmittelbar vor der Abstimmung über die Reform des Urheberrechts an diesem Dienstag im EU-Parlament sind Details ans Licht gekommen, welche die Haltung der Bundesregierung in ein neues Licht rücken. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat die Belange der Gründer im Gesetzgebungsverfahren der EU-Urheberrechtsrichtlinie demnach abrupt fallengelassen – und zwar kaum einen Tag, nachdem er die Start-ups noch seines Rückhalts versichert hatte. Das geht aus Unterlagen hervor, die die F.A.Z. einsehen konnte. Zudem finden sich Hinweise für ein in Berliner Digitalkreisen schon lange debattiertes Gerücht: Demnach soll Deutschland auch deshalb den Kompromiss mittragen, weil diese Haltung mit einem vollkommen anderen Projekt verknüpft wurde, nämlich mit einem Zugeständnis Frankreichs im Streit um die Nord-Stream-2-Gaspipeline. So schätzt es jedenfalls ein mit der Sache befasster Beamter ein.

Die Kritik an der Reform ist in Deutschland lauter als in jedem anderen EU-Land. Vergangenen Samstag protestierten Zehntausende Demonstranten in etlichen Städten gegen das Vorhaben. Sie empfinden die neuen Regeln als bedrohlich, weil sie Plattformen wie Youtube zur Verwendung fehleranfälliger Inhaltefilter animieren könnten. Herzstück der Urheberrechtsreform ist einerseits eine Regelung, die Plattformen wie Youtube dazu bewegen soll, für Musik höhere Tarife zu zahlen – der berühmte „Artikel 13“. Das Google-Tochterunternehmen sträubt sich nämlich dagegen, weil es kein reiner Musikdienst wie Spotify ist, sondern als Plattform für nutzergenerierte Inhalte aller Art dient. Der andere wesentliche Teil ist das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Es soll Zeitungen erleichtern, die Nutzung von Artikelausschnitten in Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren zu unterbinden. Es ist seit über zehn Jahren vor allem ein Projekt des Medienkonzerns Axel Springer, auch diese Zeitung hat sich dafür eingesetzt. Die deutsche Variante wurde im Jahr 2012 Gesetz, funktioniert aber nicht. Die Regeln des neuen Urheberrechts sind in der Start-up-Szene gefürchtet. Ausnahmen zu Filterpflichten gibt es jetzt zwar, allerdings schwächer als ehemals angedacht – und sie greifen nur für Gründer in den ersten drei Jahren.

Ursprünglich gab es Überlegungen, eine pauschale Ausnahme für Unternehmen bis zu 20 Millionen Euro Umsatz im Jahr zu schaffen. Sogar die Franzosen hätten sich zu dem Zeitpunkt offen für eine solche Lösung gezeigt, behauptet ein Beamter im Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin bestätigt dies auch offiziell: Diese Annahme sei „nicht fernliegend“ gewesen.

Doch am 22. Januar kippte für die Gründer plötzlich alles. Noch am Vortag hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sich auf der DLD-Konferenz scheinbar vor die Start-ups gestellt: Er werde sich „mit seinem ganzen politischen Gewicht“ für junge Unternehmen einsetzen, sagte der Minister, der gerne Witze über seine Körperfülle macht. Doch am Morgen des 22. Januars, keine 24 Stunden nach diesem Auftritt vor den Gründern, ließ er alle Forderungen nach der Ausnahme für kleine und mittlere Unternehmen fallen.

Was ist der Grund? In Berliner Regierungskreisen gehen manche davon aus, dass Altmaier um jeden Preis das Leistungsschutzrecht durchsetzen wollte. Vertreter der Verlagsindustrie, namentlich der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner, verfügen über direkte Zugänge auch zum Wirtschaftsminister. Auch mit Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte Döpfner telefoniert und für das Projekt geworben, wie die F.A.Z. erfuhr. Dass das Justizministerium noch davon ausgeht, die Franzosen würden eine Ausnahme für kleine Unternehmen mittragen, wischte man in Altmaiers Haus nun unwirsch beiseite. Von „Rumgehampel“ soll sogar die Rede gewesen sein.

Das Justizministerium von Katarina Barley (SPD) steht vor allem bei Kulturpolitikern im Ruf, vom Leistungsschutzrecht nicht sonderlich angetan zu sein. Beamte in der Bundesregierung behaupten gegenüber der F.A.Z., Frankreich habe sogar vorzeitig mitbekommen, dass Deutschland seine Wünsche für eine Gründer-Ausnahme ohnehin aufgeben würde. Das Bundesjustizministerium wendete sich deshalb zwischenzeitlich mit einem eigenen Kompromissvorschlag direkt an die Kommission, an Frankreich vorbei. In anderen Ministerien sorgt das für Empörung.

Die Lage verschlechterte sich für kleine Unternehmen und Start-ups jedoch am 30. Januar: Frankreich sträubte sich damals, bei der für den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 wichtigen EU-Gasrichtlinie auf die Wünsche Deutschlands einzugehen. Das zeitliche Zusammenfallen mit dem Urheberrecht bot nun neue Möglichkeiten, den Knoten zu durchschlagen. Die Franzosen gehören in der EU traditionell zu den Befürwortern eines sehr strengen Urheberrechts. So ist es in Frankreich sogar verboten, Bilder mit Graffiti oder den beleuchteten Eiffelturm auf Foto-Plattformen hochzuladen. Beides wäre in Deutschland wegen der urheberrechtlichen „Panoramafreiheit“ erlaubt. Die Gasrichtlinie spielte Frankreich nun einen Trumpf zu: In Brüssel erwähnte ein Vertreter Frankreichs diese nützliche Koinzidenz ganz offen, erfuhr diese Zeitung. Im Wirtschaftsministerium geht man von einer Verknüpfung der beiden Themen aus. Auf Anfrage sagte die Pressestelle des Ministeriums dieser Zeitung lediglich eine Antwort für Dienstag zu. Ob ein Kuhhandel geschlossen wurde, ist nicht sicher – aber es wurde darüber innerhalb der Bundesregierung gesprochen. Sicher ist: Am 8. Februar schlossen Deutschland und Frankreich einen Kompromiss im Streit um die wichtige Gasröhre Nord Stream 2. Auflagen bleiben möglich, aber sie sollen nicht die Zukunft der Pipeline in Frage stellen. Damit war Frankreich auf Deutschland zugegangen.

Im Bundesjustizministerium war man Mitte Februar trotzdem noch frohen Mutes: Barleys Beamte drangen da nach F.A.Z.-Informationen sogar noch auf eine Streichung von Artikel 13 und regten eine Verschiebung an. Kanzleramtschef Braun war zu diesem Zeitpunkt aber nicht einmal mehr zu einem Telefonat bereit – stattdessen gab es die Anweisung per SMS ans Bundesjustizministerium: Die Richtlinie soll kommen, so, wie sie zu dem Zeitpunkt war. An Deutschland sollte es nicht scheitern, lautete die Devise. Diese Vorgänge will die Ministeriumssprecherin nicht kommentieren.

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Dieser Artikel kommt aus der F.A.Z.

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