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  4. Diet Prada zeigt übergriffige Fotografen - Ein Model über ihre Erfahrungen

Mode Sexuelle Belästigung von Models

„Kerzen sind nicht das einzige, was man blasen kann“

| Lesedauer: 7 Minuten
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Traumberuf Model?
Quelle: AFP/Getty Images/JOAQUIN SARMIENTO
Unsere Autorin arbeitet seit ihrem 14. Lebensjahr als Model. Deshalb überrascht es sie nicht, dass gerade zwei weitere Fotografen dafür angeprangert werden, Frauen belästigt zu haben. Auch sie erlebte schon Verstörendes.

Spätestens seit dem unrühmlichen Ausscheiden des ehemaligen Star-Fotografen Terry Richardson ist auch außerhalb der Fashion-Bubble bekannt: Übergriffige Fotografen, die mit einem vermeintlichen Karriere-Boost winken und junge Models zu Nacktbildern oder Beischlaf überreden wollen, gibt es nicht nur in schummrigen Hinterzimmern von Vorstadt-Modelagenturen oder dubiosen Internet-Chats. Fotografen, Männer, die ihre Machtposition in bester Harvey-Weinstein-Manier zu ihrer sexuellen Befriedigung ausnutzen, gibt es in der Branche auch auf „Vogue“-Niveau. Sex gegen Karriere. Ein Klassiker.

Ging es bei Richardson oder seinen Kollegen Mario Testino oder Bruce Webber (beide wurden ebenfalls von zahlreichen Models und Mitarbeitern der sexuellen Nötigung beschuldigt) um die „Vogue“, stellen Fotografen aus kleinen Vorstädten ihren Opfern Bilder in der Lokalzeitung oder Laufsteg-Jobs in der nächsten großen Stadt in Aussicht. Das übt auf junge Mädchen, deren großer Traum ist, einmal bei „Germany‘s Next Topmodel“ dabei sein zu dürfen, einen ähnlichen Reiz aus wie für New Yorker Nachwuchsmodels die Option „Vogue“. Jobbezeichnungen wie Rechtsanwalt, Arzt oder Klempner darf man nur verwenden, wenn man die entsprechende Qualifikation vorweisen kann, Fotograf darf sich erstmal jeder nennen. Ein paar im Internet geklaute Fashion-Bilder hochgeladen und schon hat man eine Reputation, eine Vita – und eine Legitimation für aggressive Akquise bei Model-Aspirantinnen.

Irgendwo zwischen Vorstadt und „Vogue“ liegt der deutsche Fotograf Timur Emek. Ihn und seinen Kollegen Marcus Hyde hat der in der Modebranche sehr bekannte Instagram-Account „Diet Prada“ aktuell mit Screenshots ihrer Nachrichten an junge Models konfrontiert. Hyde arbeitete schon mit Kim Kardashian oder Ariana Grande, Timur Emek wurde im Netz damit bekannt, bereits diverse Victoria‘s-Secret-Models und Stefanie Giesinger vor der Linse gehabt zu haben. Das schien ihm Erlaubnis genug zu sein, jungen Mädchen auf Instagram für ein Shooting mit ihm zwei Varianten anzubieten: Entweder 2000 Dollar Honorar für ihn – oder Nacktfotos, die es dann aber honorarfrei gäbe.

Diese Screenshots veröffentlichte "Diet Prada" zu Timur Emek

Giesinger äußerte sich umgehend und stellte sich unmissverständlich auf die Seite der Opfer, auch wenn sie selber solche Erlebnisse nicht bestätigen konnte.

Nun ist es nicht unüblich, dass Fotografen und Models honorarfreie Projekte zusammen arrangieren. TFP heißt das in der Branche dann zumeist: Time for Print. Beide Seiten investieren ihre Zeit, keiner bekommt Geld, dafür haben beide hinterher neue Fotos. Models brauchen möglichst viele Bilder in möglichst vielen Varianten, die möglichst viele Facetten von ihnen zeigen, um ihre Sedcard und ihr Modelbuch zu füllen und aufzuwerten. Umgekehrt wollen Fotografen ihre Vielfältigkeit zeigen, dass sie viel beschäftigt sind und mit sehr guten Models zusammenarbeiten. In der richtigen Konstellation eine Win-Win-Situation.

Wenn beide Seiten ihre Leistung gratis zur Verfügung stellen, ist es auch nicht unüblich, dass beide Seiten ihre individuellen Vorstellungen umsetzen möchten. Da darf auch nach Nacktbildern gefragt werden. Ein kurzes Nein des Models sollte dann aber reichen, um das Thema unmissverständlich zu beenden. Unangenehm und unprofessionell wird es, wenn trotzdem Abhängigkeiten, Forderungen oder sogar explizite Angebote auf das junge Model einprasseln, das unter Druck gesetzt womöglich eine falsche Entscheidung trifft.

Auch Marcus Hyde schickte Frauen eindeutige Nachrichten

Solchen Fotografen das Handwerk zu legen, ist schwierig. Die Beweislage ist, wie leider so häufig bei Vergewaltigungen oder sexueller Nötigung, oft interpretierbar oder es steht Aussage gegen Aussage. Aber auch „Diet Prada“ ist seinerseits umstritten. Die Blogger von „Dandy‘s Diary“ bezeichneten die Macher des Instagram-Accounts mal als „Mode-Polizei“. Sie attestierten: „Die Moralkeule gehört zum wichtigsten, alltäglichen Tool von ‚Diet Prada‘, was unumgänglich zur Maßlosigkeit führt.“

Natürlich ist es jedem freigestellt, was er über die Vorgehensweise von „Diet Prada“ denkt. Manche feiern sie als mutig, andere hinterfragen die Motive dahinter. Unabhängig davon und dem aktuellen Fall, ist aber fraglos erwiesen, dass ohne Entwicklungen wie #MeToo viele verstörende Vorfälle im Verborgenen geblieben wären und viele Täter weiterhin unbescholten ihr unsägliches Spiel weitergetrieben hätten.

Denn eines ist klar: Models werden sehr viel öfter mit zweifelhaften Projekten konfrontiert, als man denkt. Jedes Model hat das schon erlebt. Vom Fotograf, der am Abend nach dem Shooting noch schnell was essen gehen möchte und dann beginnt, deine unbeschreibliche Schönheit zu loben, nicht ohne dabei ganz flüchtig zunächst dein Bein, dann deinen Rücken und irgendwann dein Gesicht zu berühren, bis hin zu dem Angebot, mal für zwei Wochen in ein 5-Sterne-Hotel nach Dubai zu reisen, um dort den ganzen Tag am Strand auszuspannen und für 2.000 Dollar Gage pro Abend jede Nacht in einem exklusiven Club zu feiern - was in den allermeisten Fällen mit Hintergedanken verbunden ist.

Ich kenne kein Model, das noch nicht belästigt wurde

Besonders jungen Mädchen, die neu in der Branche sind, werden häufig zweideutige Angebote unterbreitet. Umso wichtiger ist es, sich früh eine sehr gute Agentur zu suchen. Mein Glück war, dass ich bereits mit 14 Jahren zu einer der besten deutschen Agenturen kam, die sich stets vorbildlich gekümmert hat. Freizügige Aufnahmen von Minderjährigen? Ein no go. Genau wie Nacktbilder ohne explizite Einwilligung des Models. Fotografen, die diese Regeln nicht einhalten, werden schnell aus dem Netzwerk entfernt. Leider hat nicht jedes Mädchen eine hochprofessionelle, schützende Agentur-Hand über sich. Und die Angebote kommen von überall. Facebook, Instagram, Mail – aber auch von Angesicht zu Angesicht nach Shootings, auf Partys, auf Modenschauen.

Ich kenne Hunderte von Model-Kolleginnen jeden Alters aus allen Ecken der Welt. Ich kenne aber keine, die noch nie von einem eigentlich seriös wirkenden Fotografen nach Dingen gefragt wurde, auf die sie keine Lust hatte. Der älteste Trick der Welt - „Schlaf mit mir und du wirst berufliche Vorteile haben“ - funktioniert in einer Branche, in der es letztendlich nur um das Präsentieren von Schönheit geht, vermutlich noch besser als in den meisten anderen Branchen. Da steht man eben schon halbnackt im Studio oder veröffentlicht selber freizügige Bilder von sich auf Instagram. Offensichtlich gilt das oftmals schon als Freifahrtschein. Alle, von „Diet Prada“ über die Agenturen und Kunden, bis hin zu der großen Mehrheit der tadellosen Fotografen müssen da die Augen immer offen halten. Kaum etwas kann ein junges Mädchen mehr verstören als sexuelle Nötigung.

Luxuskonzerne gehen gegen die unwürdige Behandlung von Models vor

Nach diesem Plädoyer für eine Allianz der Beschützer möchte ich noch meine Lieblingsgeschichte zu diesem Thema erzählen. Ich konnte mich bislang aus allen zweifelhaften Situationen problemlos befreien. Viele habe ich schon vergessen, andere bleiben in Erinnerung. An einen Apriltag in Berlin erinnere ich mich aber bis heute sehr gut. Auch, weil es mein Geburtstag war. Abseits von meinen Freunden in Hamburg und Paris war ich bei einem Job. Das Team saß wie jeden Abend in einem Restaurant zusammen und ließ den Tag ausklingen. Obwohl kaum jemand wusste, dass ich Geburtstag hatte, empfingen mich pünktlich um Mitternacht eine Torte, viele Kerzen und Happy-Birthday-Gesang. Ich war wirklich gerührt und sehr froh.

Wie es das offizielle Geburtstags-Drehbuch vorschreibt, pustete ich mit viel Elan die 19 Kerzen aus und ließ mich feiern. Einer der Fotografen folgte mir kurz danach Richtung Toilette. Im Gang zwischen Bar und WC fing er mich ab, legte seine Hand auf meinen Po und tat mit verschmitztem Grinsen kund: „Kerzen sind nicht das einzige, was man blasen kann.“ Gerne würde ich berichten, dass ich mit einem: „Das stimmt, dein Lebenslicht kann man zum Beispiel auch ausblasen“ oder so geantwortet hätte. Die Wahrheit ist aber, dass ich einige Momente brauchte, um einzuordnen, ob das jetzt „nur“ ein Witz oder tatsächlich eine billige Anmache war. Der nächste Satz brachte Klarheit: „Mal im Ernst, wollen wir deinen Geburtstag nicht in etwas kleinerer Runde feiern? Nur du und ich und eine besondere Kerze, die ich für dich habe.“ Perplex wie ich war, bekam ich nur ein „Heute mal lieber nicht“ heraus.

Auch diese sieben Models haben Erfahrungen mit sexueller Belästigung

Solche Dinge sind mir immer wieder passiert. Diese Situation blieb mir auch im Gedächtnis, weil ein Barkeeper alles mitbekam. Ich war noch nicht ganz zurück am Tisch, als er den Fotografen am Arm festhielt und ihm – gut hörbar für das gesamte Lokal – mitteilte, dass sein bisheriger Verzehr aufs Haus ginge, er aber von seinem Hausrecht Gebrauch machen würde und ihm ein sofortiges Hausverbot erteile. Unangebrachtes Verhalten gegenüber Frauen wäre eine rote Linie, deren Überschreitung eindeutig nicht zur Philosophie des Hauses passe.

Ich war verblüfft und irritiert, der Fotograf schnappte seine Tasche und verließ fluchend das Restaurant. In meiner Erinnerung begrüßten alle anderen Team-Mitglieder den Rauswurf, besonders empört über das Verhalten des Fotografen war aber keiner. Wahrscheinlich war es für sie nichts Neues.

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Quelle: Sophia Noelle

Marie von den Benken ist als @Regendelfin auf Twitter unterwegs, Hamburgerin, Model und Autorin.

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