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Autohändler Ausgebremst auf dem Boulevard

Deutschlands schillerndster Autoverkäufer ist pleite. Während der Insolvenzverwalter die Bücher prüft, wähnt sich Helmut Becker schon wieder auf der Überholspur.

Eigentlich wollte Antonio Zurera am vergangenen Mittwoch mit seinen Kollegen feiern. Es war sein Dienstjubiläum. Seit 30 Jahren arbeitet er bei "Auto Becker" in Düsseldorf. Doch der Mechaniker sagte den Umtrunk ab. Sollte er darauf anstoßen, dass er seit zwei Wochen keinen Lohn mehr bekommen hat und vielleicht bald seinen Job verliert? "Wir haben die Firma mit nach oben gebracht. Aber der Chef träumt immer noch." Der Chef heißt Helmut Becker, 59, ist Inhaber des angeblich größten deutschen Autohauses und hat große Pläne. Er möchte eine "Becker World" bauen ­ eine Auto-Erlebniswelt, die "viermal so groß ist wie das alles hier". Er will ein Buch schreiben, das erklären soll, "wie viel ich für den Fall der Mauer getan habe". Momentan klärt ihn erst mal der Insolvenzverwalter Frank Kebekus auf. Becker darf keinen Schraubenzieher mehr auf Firmenkosten kaufen, wenn Kebekus es nicht vorher genehmigt hat. "Ich habe ihm auch geraten, von Interviews und Fotos im Boulevard-Bereich abzusehen", sagt Kebekus. Nur ein paar Tage zuvor saß der Autohändler für ein "Bunte"-Interview im Kölner "Dom Hotel". An seiner Seite: Tatjana Gsell, 31. Beide sind verheiratet, nur nicht miteinander. Becker verdankt Gsell eine Menge Schlagzeilen. Gsell verdankt ihrem Mann, einem Nürnberger Schönheitschirurgen, eine kosmetische Runderneuerung und viele Neureichen-Accessoires. "Luxus und Lifestyle", sinnierte Becker, sicherten "die Arbeitsplätze von morgen". Während er sich Lachstartar und Rindercarpaccio schmecken ließ, verkauften und reparierten seine unbezahlten Mitarbeiter weiter, damit wenigstens ein bisschen Geld in die leere Kasse kam. Wer Becker fragt, wovor er jetzt Angst habe, dem antwortet er nicht: "Davor, dass alles hier den Bach runtergeht", sondern: "Dass mein Bild in der Öffentlichkeit beschädigt wird". Wenige haben sich darum so gesorgt wie er. Er inszenierte Ferrari-Corsos auf der Königsallee und hielt sich einen eigenen Rennstall. Hyperaktiv gründete er eine Unternehmerinitiative nach der anderen, kandidierte erfolglos für den Bundestag und kramte dann, als alles nicht mehr zog, seine Wochenendbeziehung zu dem Chirurgie-Wunder Gsell hervor. Im Hinterkopf schwirrte Becker bei solchen Eskapaden immer der PR-Erfolg seines Vaters herum. Doch gegen dessen Nachkriegskarriere war er chancenlos. Der Bauernsohn Wilhelm Becker hatte 1947 in einer Düsseldorfer Bretterbude eine Tauschzentrale für gebrauchte Autoteile eröffnet. Ein paar Jahre später zog er auf das Gelände einer alten Papierfabrik. Einer der Grundsätze von Becker senior: "Auf gutem Fuß mit der Presse leben". In seitenlangen Elogen wurde "der Mann mit dem Vornamen Auto" zum "Vierradkönig" oder "Ritter von der zweiten Hand" stilisiert. Nur vor drei Dingen hatte der alte Becker Angst: "Krankheit, Krieg und Kommunismus". Der Dreisatz zog im Wirtschaftswunderland. Aus dem kleinen Gebrauchtwagenhandel wurde ein Autowunderhaus. Als einer der Ersten importierte Becker Bentley und Ferrari und verkaufte sie an Prominente wie den Künstler Joseph Beuys oder den Fußballer Günter Netzer. Seinen Sohn ließ der Alte erst in die Firma, nachdem der sich zur "Charakterläuterung" bei der Bundeswehr verpflichtet hatte. Vor Dienstbeginn sprintete der Junior mitunter barfuß über das 20 000 Quadratmeter große Firmengelände, auf dem nur eines zählte: der Wille des Alten. Peter Egerer, Geschäftsführer der IG Metall in Düsseldorf, winkt beim Thema "Auto Becker" resigniert ab. Von den 200 Beschäftigten seien nur 3 in der Gewerkschaft gewesen. "Der Betriebsratsvorsitzende ist ein Duz-Freund von Becker und hat jede Betriebsversammlung verhindert." Nun besannen sich einige Angestellte und sammelten innerhalb eines Tages 70 Unterschriften für seine Absetzung. Aus seinem Büro in der einstigen Pförtnerloge schaut Becker zu, wie Aston-Martin-Sportwagen auf einen Laster geladen werden. Mit den Autos im Hof ist es fast wie mit seiner verheirateten Freundin ­ sie stehen unter "Eigentumsvorbehalt". Auf Zetteln weist die Nissan Bank darauf hin, dass jedes "Berühren" untersagt ist. Vom defizitären Geschäft mit Opel und Nissan wolle er sich trennen, sagt Becker. Was er nicht sagt: Anfang vergangener Woche trennte Nissan sich von ihm und kündigte den Händlervertrag. "Ich habe zu viel für die Traumwagen gemacht, die ganzen Galas und so." Vor allem und so. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt bereits seit Januar wegen Bilanzfälschung und Betrugs. Es wird geprüft, ob Becker die Umsätze der vergangenen Jahre manipuliert hat. Becker dementiert mit großer Geste und glaubt, aus der Sache "wie ein Phönix aus der Asche" klettern zu können. Warum seine neue Freundin in so einer Situation nicht bei ihm ist? "Das ist nicht das Konzept der Beziehung", sagt Becker. Das Konzept scheinen PR-Termine zu sein, wo beide betonen, wie lieb sie sich und ihre jeweiligen Ehepartner haben und dass man "gemeinsame Projekte im Auto- und Beautybereich" plane. Soll Becker unten Autos verkaufen, während sie oben in Kosmetik macht? "Ja, etwa so", sagt Frau Gsell zu Hause in Nürnberg. Genaues weiß sie nicht, denn mit ihrem Autohändler ist momentan alles ein bisschen verfahren. NILS KLAWITTER