Der Weltklimarat IPCC hat ein entschlossenes Handeln angemahnt, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Notwendig seien "schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen", heißt es in einem Sonderbericht des IPCC, der im südkoreanischen Incheon veröffentlicht wurde. Sollte dieses 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden, drohen den Wissenschaftlern zufolge dramatische Folgen für das Leben auf der Erde.

In ihrem Bericht – eine der maßgeblichen wissenschaftlichen Grundlage für die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris – gehen die 91 Autorinnen und Autoren davon aus, dass bereits heute eine Erwärmung von etwa einem Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu verzeichnen ist – mit erheblichen Folgen wie häufigerem Extremwetter, steigendem Meeresspiegel und dem Verschwinden arktischen Meereises. Demnach könnte die 1,5-Grad-Marke bereits 2030 erreicht werden. "Die kommenden Jahre sind vermutlich die wichtigsten in der Menschheitsgeschichte", warnte die IPCC-Wissenschaftlerin Debra Roberts.

Umbau des Energiesektors, weniger Fleischkonsum

Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie ausführen, gibt es Zweifel daran, ob das einstige Ziel, die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad, noch ausreicht. "Jede weitere Erwärmung, besonders über 1,5 Grad hinaus, vergrößert die Gefahr lang anhaltender oder nicht mehr umkehrbarer Veränderungen wie etwa dem Verlust von Ökosystemen", sagte der Kieler Klimaforscher Hans-Otto Pörtner, der an dem IPCC-Bericht mitgearbeitet hat. Pörtner und die anderen Autoren fordern deshalb ein radikales Umdenken, vor allem im Energiesektor, bei Verkehr und Landwirtschaft.

Als konkrete Maßnahmen mahnen die IPCC-Expertinnen an, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Wert von 2010 zu reduzieren. Zur Jahrhundertmitte müsse der Ausstoß dann bei null liegen. Zudem müsse der Anteil erneuerbarer Energieträger bis zur Mitte des Jahrhunderts von derzeit etwa 20 Prozent auf mindestens 70 bis 85 Prozent gesteigert werden. Der Anteil der Kohle müsste möglichst auf null sinken. Die Kosten allein für diesen Umbau des Energiesektors dürften laut IPCC bis 2035 etwa 2,1 Billionen Euro betragen.

Insgesamt halten die IPCC-Experten das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels "technisch und wirtschaftlich für möglich" und entwerfen dazu vier Szenarien mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Neben der drastischen Reduzierung des Energieverbrauchs gehören dazu auch erhebliche Verhaltensänderungen wie eine Verringerung des Fleischkonsums oder der Abschied vom Verbrennungsmotor bei Autos. Für unverzichtbar halten die Autorinnen und Autoren negative Emissionen durch sogenannte CDR-Verfahren (carbon dioxide removal), durch die der Atmosphäre Kohlendioxid in großen Mengen entzogen wird.

"Ein klares Signal an die Politik"

"Die Geschichte zeigt, dass Technologiewandel in so kurzer Zeit möglich ist", sagte Professor Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zu Journalistinnen und Journalisten des deutschen Science Media Center (SMC). Derzeit würde global schon mehr in erneuerbare Energien investiert werden als in die konventionellen Energien. "Diese Dynamik muss die Politik beschleunigen", sagte Latif. "Notwendig wäre nicht weniger als eine technologische Revolution: weg von den fossilen Energieträgern hin zu den erneuerbaren Energien, und das innerhalb weniger Jahrzehnte." Ansonsten drohten Flüchtlingsbewegungen bisher ungekannten Ausmaßes und eine extreme Verschlechterung der Sicherheitslage auf der Erde.

Zur Eile mahnt auch Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute und Professor für Klimaschutz, von der Universität Wageningen in den Niederlanden: "Der Sonderbericht sendet ein klares Signal an die Politik: Jetzt handeln, es ist fast schon zu spät", sagte er im Science Media Centre. "Vielen in der Politik war vielleicht noch nicht klar, worauf sie sich eingelassen haben, als sie 2015 in Paris dem Ziel zugestimmt haben, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen." Nun habe einer der aufwendigsten wissenschaftlichen Überprüfungsprozesse klargestellt: Eine Begrenzung auf 1,5 Grad sei nötig, um wichtige Ökosysteme zu schützen. Diese Begrenzung sei "technisch und ökonomisch machbar", sagte Höhne, und richtig umgesetzt könne sie zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. "Das alles aber nur, wenn alle an einem Strang ziehen."

"Es gibt keine Entschuldigung für Deutschland"

Grünenfraktionschef Anton Hofreiter forderte die Bundesregierung auf, Konsequenzen zu ziehen und schnellstmöglich aus dem Kohlestrom auszusteigen. "Hitzesommer, Extremwetter, Ernteausfälle – alle Alarmzeichen stehen auf Rot", sagte er der Nachrichtenagentur AFP und fügte mit Blick auf die Bundesregierung zu: "Verdrängung ist keine politische Kategorie."

Konkreter wurde die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die die große Koalition zu einem Ausstieg aus der Kohle aufgefordert hat. "Die Zeit dazu ist knapp und der politische Auftrag für die Bundesregierung glasklar", sagte Greenpeace-Experte Benjamin Stephan. "Es gibt keine Entschuldigung für ein reiches Industrieland wie Deutschland, seine CO2-Bilanz weiterhin mit alten, schmutzigen Kohlekraftwerken zu ruinieren."