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Die digitalen 20er-Jahre Was Künstliche Intelligenz verändert? Alles!

Hallo! Der "freundliche" Roboter ist nur ein Stereotyp von Künstlicher Intelligenz. KI hat das Zeug, in alle Lebensbereiche einzugreifen, und die Gesellschaft wird dann auch ganz grundlegende Fragen beantworten müssen.

Hallo! Der "freundliche" Roboter ist nur ein Stereotyp von Künstlicher Intelligenz. KI hat das Zeug, in alle Lebensbereiche einzugreifen, und die Gesellschaft wird dann auch ganz grundlegende Fragen beantworten müssen.

Foto: DPA

Über Künstliche Intelligenz (KI) ist schon viel geschrieben worden und je nach Betrachtungswinkel standen hierbei die Chancen und Möglichkeiten oder die Gefahren und Risiken im Fokus. Von datenbasierten Früherkennungssystemen in der Medizin bis hin zu gesichtsbasierten Überwachungsszenarien war so ziemlich alles dabei, was man sich ausmalen konnte. Aber während wir im abgelaufenen Jahrzehnt noch weitgehend über die Entwicklungen der KI-Systeme spekuliert haben, steht jetzt die Umsetzung und deren Einsatz auf dem Programm. Warum? Weil nach der Informationssammlung und -übertragung nun die Informationsverarbeitung im Mittelpunkt stehen wird. Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz beginnt jetzt.

Tobias Kollmann

Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Schwerpunkte sind Digital Business und Digital Entrepreneurship.

KI als Bedürfnismanager

In den kommenden Jahren wird die Künstliche Intelligenz ihren Siegeszug erst richtig antreten. Warum? Weil nach Big Data die Big Intelligence zur Auswertung der Datenflut kommen muss! Nur KI-Systeme können Unternehmen helfen, aus der Fülle mehr oder weniger strukturierter Datenmengen die Markttrends und Geschäftspotenziale herauszufiltern, die im Mittelpunkt des Digital Business stehen werden. Wer diese Trends und Potenziale als Erster erkennt, wird in der Lage sein, als Erster ein passendes Angebot zu machen.

Und damit nicht genug: Dank KI wird sich auch das Customer Relationship Management zu einer Predictive Customer Relationship (PCR) wandeln, also zu einer Vorhersage künftigen Kundenverhaltens. Das heißt, dass nicht nur die bisherige Kaufhistorie durch multivariate Analyseverfahren betrachtet wird, sondern auch zu erwartende Kaufwahrscheinlichkeiten durch KI-Algorithmen berechnet werden. Im optimalen Fall werden dem Kunden dann Produkte geliefert, die er gar nicht bestellt hat - aber wegen der richtigen Bedürfnisprognose trotzdem behält und nicht zurücksendet.

Aber E-Business wird damit nicht nur zu einer Disziplin der Wahrscheinlichkeitsrechnung, sondern sich mittels KI auch zu einem Instrument für eine Bedürfnislenkung entwickeln. Das daraus resultierende Prescriptive E-Business (PEB) wird nicht nur die zukünftigen Bedürfnisse und Kaufentscheidungen des Kunden prognostizieren, sondern auch versuchen, den Kunden aktiv in diese Richtung zu lenken. Damit wäre es auch möglich, die Aufmerksamkeit des Kunden im Hinblick auf unterbewusste Bedürfnisse zu steuern oder sogar gänzlich neue Bedürfnisse zu wecken. Natürlich immer mit dem Ziel, ihn dann zum richtigen Zeitpunkt mit einem passenden Produkt bedienen zu können.

KI als Hoffnungsträger

Neben dieser wirtschaftlichen Perspektive werden durch die sich entwickelnden KI-Systeme aber noch Veränderungen in ganz anderen Dimensionen auf uns zukommen. Diese werden bestimmt sein durch das eigenständige Lernen der Algorithmen, die es ermöglichen, Probleme in relevanten Themenfeldern selbstständig zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen dabei die drei zentralen gesellschaftlichen Probleme: Ressourcen, Ökologie und Gesundheit. Wie nutzen wir die Digitalisierung und die zugehörigen Daten, um unsere humanen, organisatorischen, physischen, finanziellen und technologische Ressourcen optimal weiterzuentwickeln und damit den gesellschaftlichen Wohlstand für alle Menschen zu erhalten und weiter auszubauen? Wie nutzen wir die Digitalisierung und die zugehörigen Daten, um unseren Lebensraum zu sichern und noch lebenswerter zu machen sowie die zentralen Fragen von Klimakrise, Naturerhalt, Energiewende und Mobilität für alle Menschen zu beantworten? Wie nutzen wir die Digitalisierung und die zugehörigen Daten, um unsere Lebenserwartung und -qualität zu steigern und unser Gesundheitssystem so zu verbessern, dass Vorbeugung und Versorgung für alle Menschen eine Selbstverständlichkeit werden und bleiben?

Um diese Fragen zu beantworten wird es zum einen das überwachte Lernen der KI- Algorithmen geben, bei dem ein Output mittels vorgegebener Inputs berechnet wird, um dadurch Ergebnisse abzuleiten oder Vorhersagen zu treffen. Zum anderen wird es das unüberwachte Lernen geben, bei dem versteckte Muster im Datensatz entschlüsselt werden, ohne dass zuvor eine konkrete Zielsetzung formuliert wurde. So könnte eine erfolgreiche Krebstherapie beziehungsweise proaktive Krebsbehandlung aus den Milliarden von Datensätzen von betroffenen und nicht betroffenen Menschen anhand von Ess- oder Lebensgewohnheiten herausgefunden werden.

KI als Angstmacher

Wo Licht ist, ist auch Schatten, und das wird auch im KI-Zeitalter (leider) nicht anders sein. Automatische Waffensysteme, die als KI-gesteuerte Angriffsdrohnen mittels Gesichtserkennung auf einzelne Menschen oder bestimmte Menschengruppen angesetzt werden, kann niemand ernsthaft gut finden. Da es bislang kein weltweites Verbot dieser Waffengattung gibt, ist damit zu rechnen, dass diese entwickelt werden. Und natürlich ist es von der Gesichtserkennung nur ein kleiner Schritt zu Szenarien der totalen Überwachung, bei der menschliches Verhalten erfasst, durch KI- Algorithmen ausgewertet und in Belohnung oder Bestrafung umgerechnet wird, wie wir es in China bereits erleben.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass wir einen Ethikkatalog für das KI-Zeitalter brauchen. Und noch ein anderes Problem gilt es zu lösen: KI-Systeme sind echte Stromfresser und hinterlassen damit einen erheblichen CO2-Fußabdruck. Allein beim Trainieren einer Künstlichen Intelligenz zur Spracherkennung fällt fünfmal so viel CO2 an, wie ein Auto während seiner gesamten Lebensdauer ausstößt. Das haben Forscher der University of Massachusetts berechnet. In Sachen Klimaschutz müssen KI-Systeme daher in unseren CO2-Haushalt einberechnet werden.

KI als Investment

Wo spannende Perspektiven und Megatrends zu finden sind, sind die Kapitalspekulationen und Investmentchancen natürlich nicht weit. Daher werden verstärkt spezielle KI-Fonds entstehen, die in diese Systeme und die zugehörigen Unternehmen investieren - und zwar unabhängig davon, ob es sich um bereits börsennotierte Unicorns oder noch nicht börsennotierte Start-ups handelt. Schon heute wächst der Anteil von KI-Start-ups im Verhältnis zu allen anderen Newcomern stetig. 2018 basierten immerhin schon acht Prozent aller Neugründungen eine KI-Geschäftsidee. Der Wert eines Unternehmens wird in Zukunft über die Leistungsfähigkeit seines KI- Algorithmus bestimmt werden, der als moderne Coca-Cola-Formel in den virtuellen Safes der Firmen liegen wird. Hinzu kommen eine finanztechnische Infrastruktur mit einem KI-Segment, ein KI-Index an der Börse sowie umfassende Analysen zu den weiteren Kursverläufen - natürlich auf Basis von KI-Systemen, die die Entwicklung von KI-Unternehmen bewerten werden.

KI als Weltanschauung

An KI-Systemen werden sich die Geister scheiden, es wird Anhänger und Gegner geben. Dabei gilt es wie bei den meisten Technologien die Frage zu beantworten, wer wann, wo und unter welchen Rahmenbedingungen KI-Systeme einsetzen wird. Daran anschließend stellt sich die vielleicht noch wichtigere Frage: Wird es die hinter den intelligenten computergesteuerten Systemen befindliche menschliche Hand mit dem KI-Einsatz gut oder schlecht mit uns meinen? Auf die Spitze getrieben bedeutet das: Werden wir uns einen Abschaltknopf für die Algorithmen erhalten - und das Recht, ihn zu drücken? Auch diese Fragen werden wir im angebrochenen Jahrzehnt beantworten müssen, damit die digitalen 20er-Jahre als positives KI-Zeitalter in die Geschichte eingehen. Und nicht als Alptraum.

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft (BJDW) im Bundeswirtschaftsministerium. Kollmann ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.