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Foto: IMAGO / Panthermedia

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Tech

So einfach ist es, mit gekauften Diplomen Karriere zu machen

Wer nicht jahrelang im Hörsaal hocken will, kann seinen Bachelor oder Master-Abschluss auch einfach bei einer Titelmühle kaufen. Sogar bei einem Mitarbeiter eines NASA-Projekts ist der Schwindel nicht aufgeflogen.

Es ist nur ein Papier, aber es stehen magische Buchstaben darauf. Mit „Bachelor" oder „Master" sind die Zertifikate bedruckt, es sind Türöffner in die Arbeitswelt. Der Weg dahin ist mit Kaffeebechern und Skripten gepflastert, durchgelernte Nächte und tausende Euro Studiengebühren gehören auch dazu. Doch es gibt eine ganze Reihe an Leuten, die sich den Stress eines langjährigen Studiums ersparen. Schon ab 300 US-Dollar kann man sich einen Abschluss kaufen.

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Der gewünschte Titel wird online bestellt, und zehn Tage nach der Überweisung ist das Zertifikat im Haus. Das Geschäft mit falschen Abschlüssen ist lukrativ. Der ehemalige FBI-Ermittler Allen Ezell schätzt den Erlös aus dem weltweiten Verkauf falscher Titel für das Jahr 2011 auf etwa 300 Millionen US-Dollar, womöglich sogar noch mehr. In seinem Buch über die sogenannten Degree Mills geht er davon aus, dass etwa die Hälfte der Leute, die in den USA angeben, einen PhD-Titel zu besitzen, diesen gekauft haben. Auch in der Wissenschafts- und Tech-Welt finden sich erstaunlich viele falsche Titelabschlüsse.

Als wir uns auf die Suche begeben, dauert es nicht lange und wir werden auf LinkedIn und Xing fündig. Aber auch unsere Recherche auf Facebook fördert User zu Tage, die ihre Profile mit Abschlüssen von Fake-Universitäten schmücken. Schließlich stoßen wir sogar auf einen NASA-Contractor, der einen Informatik-Master einer „Titelmühle" in seinem Lebenslauf auflistet—laut eigenen Angaben hat er über mehrere Jahre bereits an diversen Mars-Expeditionen mitgewirkt.

Fünf Jahre als Tellerwäscher in einen Bachelor umwandeln? Mit 599 Dollar kein Problem.

Tausende von Profilen listen die Namen solcher Titelmühlen als Stationen in ihren Lebensläufen auf. Die meisten finden sich in den USA, aber auch in Europa, Asien, im arabischsprachigem Raum und afrikanischen Ländern werden wir fündig.

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Die Ausbreitung der Mühlen

Eine Frau, die angibt, bei einer großen Online-Handelsplattform im Bereich Compliance zu arbeiten, ein Spezialist für drahtlose Verbindungstechnik, der laut seinem Profil bei einer US-Behörde tätig ist, und ein vermeintlicher Flugzeugingenieur in Belgien: Sie alle haben scheinbar an Schein-Universitäten „studiert". Ein ägyptischer Reporter, der ehemals für einen großen internationalen Fernsehsender gearbeitet hat, schmückt sich ebenfalls mit einem Bachelor of Arts-Abschluss von einer Titelmühle. Auch bei großen internationalen Softwareherstellern scheinen sich Angestellte mit aufgehübschten Lebensläufen eingeschlichen zu haben.

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Natürlich ist auch Deutschland keine Ausnahme, wenn es um falsche Zertifikate geht: Es findet sich ein Sicherheitsberaters, der behauptet, für eine große Firma, die Drucker herstellt, zu arbeiten. Ein Mann, der angeblich im Business Development für einen Gamer-Fachhandel tätig ist, und ein Vertriebsleiter eines Lackier-Unternehmens in Baden-Württemberg. Und auch in Berlin findet sich jemand mit einem PhD von einer Schein-Universität. All diese Beispiele öffentlicher Profilangaben zeigen zumindest, wie wenig Sorgen sich selbsterklärte Absolventen teilweise machen, aufzufliegen.

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Die meisten der sogenannten „Degree Mills" kommen aus den USA. Abschlüsse in Medizin, Steuer- oder Ingenieurwesen sind alle erhältlich. Mit Namen wie Breyer State University oder Windsor University lesen sich die Institutionen gut im Lebenslauf. Auf den ersten Blick erwecken die Webseiten der Fake-Universitäten den Anschein von Online- oder Fern-Unis, sie wollen sich seriös und diskret geben. Das Angebot reicht über Abschlüsse für Bachelor und Master bis hin zum Doktortitel.

Multiple Choice für den Schein

Doch laut den Ermittlungen der amerikanischen Federal Trade Commission, der Handelskommission, stellen die Titelmühlen häufig minimale Anforderungen. In der Regel wird lediglich eine gewisse Summe als Studiengebühr verlangt; manchmal (aber längst nicht nicht immer) müssen die Anwärter zusätzlich noch ihr angebliches Vorwissen ausbreiten, dass sie sich für ihren Wunschabschluss qualifiziere—der Hinweis, für ein paar Jahre einen Haushalt geführt zu haben, kann aber schon genügen, um einen BWL-Bachelor zu bekommen.

Um den Schein zu wahren, muss abschließend außerdem noch ein Multiple Choice Tests bestanden werden. Doch häufig wird ein solcher Test nicht mal verlangt. Das Zertifikat wird direkt nach der Zahlung ausgestellt und kommt bequem mit der Post nach Hause, ohne dass der „Student" je eine Universität von innen gesehen hat.

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Zum Schein noch ein Multiple Choice Test, dann kommt der Abschluss mit der Post.

Ein besonders dreistes Beispiel für den Handel mit akademischen Titeln ist die Almeda University aus dem US-Bundesstaat Idaho. Drei Jahre Berufs- oder Lebenserfahrung lassen sich dort in einen Abschluss ummünzen. Die Fachrichtung kann der Kunde mitbestimmen. Der Journalist Henk van Ess hat den Test gemacht und mit den Machern der Almeda University gechattet. Henk will fünf Jahre als Tellerwäscher in der Küche eines Gefängnisses in einen Bachelor-Titel umwandeln lassen. Kein Problem mit der Almeda University, für 599 US Dollar lässt sich das einrichten.

Ob das alles legal sei, sich einen Titel zu kaufen? Ja, alles legal, versichert man Henk im Chat. Das Gegenteil ist wahr. Im US-Bundesstaat Texas wurde die Verwendung eines Titels von der Almeda University beispielsweise schon 2008 als illegal eingestuft. Eine offizielle Akkreditierung durch staatliche Behörden oder Ministerien besaß die Almeda University nie. (Die Almeda University, deren Website nicht mehr erreichbar ist und die nicht mehr im Geschäft zu sein scheint, konnte für Rückfragen nicht erreicht werden.)

Deutsche Hürden bei gekauften Titeln

In Deutschland ist das System der Schein-Universitäten nicht so einfach umzusetzen. Die Begriffe Hochschule und Universität sind geschützt und müssen schon vor der Verwendung vom Wissenschaftsministerium anerkannt werden. Das Tragen falscher akademischer Titel ist in Deutschland verboten und wird entweder mit Gefängnis oder hohen Geldzahlungen bestraft. Im Jahr 2011 wurde ein 49-Jähriger mit einem falschen Doktortitel in Baden-Württemberg vom Gericht zu mehr als einem Jahr auf Bewährung und einer Geldstrafe von 2.500 € verurteilt.

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Das dreiste Treiben der Almeda University hat auch die Behörden in den USA auf den Plan gerufen—seit diesem Sommer ist die Seite aus dem Netz verschwunden. Über die Wayback-Machine von Archive.org kann der Web-Auftritt mitsamt dem Angebot noch heute eingesehen werden.

Menschenhandel 2.0: Das Geschäft der Facebook-Schleuser

Doch auch wenn die „Universität" nicht mehr im Internet zu finden ist—die Zertifikate der Almeda University sind weiterhin weltweit verbreitet. Bei LinkedIn finden sich noch immer mehr als 4.000 Personen, die angeben, bei der Almeda University studiert zu haben.

Mit Fake-Abschluss bei der NASA

Mitunter fliegen Almeda-„Absolventen" sogar als Mitarbeiter an NASA-Projekten nicht auf. Wir stoßen bei unserer Recherche auf einen NASA-Contractor, der laut eigenen Angabe seinen Bachelor und Master of Science von der Almeda University erhalten hat. Als wir ihn telefonisch erreichen, erklärt er, dass er die Almeda-Abschlüsse erst nach seinem Arbeitsbeginn bei der NASA gemacht habe.

Bei der Almeda habe er sich angemeldet, weil er eine Hochschulbildung haben wollte, sich diese aber auf anderem Wege nicht leisten konnte. Nach einigen Online-Kursen habe er von der Almeda insgesamt zwei Abschlüsse erhalten; allerdings habe er erst später gemerkt, dass die Almeda eine Degree Mill sei, wie er Motherboard schilderte.

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Die NASA bestätigte Motherboard gegenüber, dass der mutmaßlicher Almeda-Absolvent nicht direkt, sondern als Contractor für sie tätig sei. Der NASA-Sprecher konnte jedoch nicht genauer erklären, wie es dazu kam, dass der falsche Abschluss bei der Anstellung als externer „senior field researcher" nicht bemerkt wurde.

Um das betrügerische System der Schein-Universitäten bloßzustellen, hat die Nonprofit-Organisation Better Business Bureau ein besonders Bildungsexperiment ausprobiert. Sie ließen eine Katze bei einer Degree Mill registrieren. Und siehe da, die schwarze Katze mit den weißen Pfoten hatte fast nur erstklassige Noten im Online-Test und erhielt für 200 US-Dollar einen Abschluss an einer High School. Das machte sie zur wahrscheinlich ersten Katze mit einem akademischen Titel.

Die tödlichen Folgen der Titelmühle

Der Fall akademischer Katzen mag unterhaltsam scheinen, aber das Geschäft der Degree Mills kann drastische Folgen haben. In Ländern mit hohen Bildungskosten nutzt das System gerade diejenigen aus, die sich eine echte Ausbildung schlicht nicht leisten können—und die nach einem günstigen Diplomkauf doch nur mit einem wertlosen Abschluss darstehen. Und auch die Arbeitgeber werden getäuscht und stellen im schlimmsten Unqualifizierte Mitarbeiter oder Schwindler ein.

Besonders problematisch sind falsche Abschlüsse im medizinischen oder pharmazeutisch Bereich. Ein achtjähriges Mädchen, das an Diabetes litt, starb 2003 nachdem ihre Mutter dem Rat eines angeblichen Arztes in North Carolina gefolgt war. Die zahlreichen medizinischen Zertifikate des Mannes waren allesamt gekauft.

Redaktionelle Mitarbeit: Clinton Nguyen.