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Fahrverbot droht in Frankfurt Wie Merkels Hessen-Manöver zum Eigentor wurde

Angela Merkel will Frankfurt vor Fahrverboten retten - und Parteifreund Volker Bouffier vor einem Wahldebakel. Doch der weiß gar nichts von seinem Glück und torpediert die Pläne der Kanzlerin - unfreiwillig.
Autoverkehr in Frankfurt am Main

Autoverkehr in Frankfurt am Main

Foto: Silas Stein/ dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsste sich ziemlich gut auskennen mit einem Gesetz, dessen Name ein echter Zungenbrecher ist: BImSchG. Das steht für Bundesimmissionsschutzgesetz. Als ehemalige Bundesumweltministerin weiß sie, dass diese 73 Paragraphen so ziemlich das beste sind, was der Gesundheit von 80 Millionen Bürgern passieren konnte. Darin geregelt sind Grenzwerte für den Ausstoß giftiger Stoffe, aus Fabrikschloten, Kraftwerken - aber auch aus dem Auspuff von Autos.

Doch ihr Wissen schützt die Kanzlerin offenbar nicht vor einer peinlichen Panne bei dem Versuch, ein Fahrverbot in Frankfurt am Main zu verhindern. Die Bundesregierung will das Bundesimmissionsschutzgesetz ändern. So sollen Dieselfahrer weiterhin Zugang zur Innenstadt der Bankenmetropole haben. Auf diese Weise will Merkel zugleich eine Wahlschlappe ihres Parteikollegen Volker Bouffier bei der hessischen Landtagswahl am kommenden Sonntag vermeiden. Doch es ist alles andere als sicher, ob die Rechnung aufgeht.

Bouffier ist in großer Not - und beging einen Fehler

Am Sonntag war die Kanzlerin vorgeprescht. In Städten mit einer Stickoxidkonzentration unter 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wäre es "unverhältnismäßig", wenn Diesel bis zur Schadstoffnorm Euro 5 ausgesperrt würden. Der Kanzlerin ist angesichts des nahendes Wahltags offensichtlich egal, dass die in der BImSchG niedergeschriebenen Vorschriften 40 Mikrogramm vorsehen.

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Hohe Abgasbelastung: In diesen Städten gelten die Diesel-Rabatte

Foto: Ralph Orlowski/ Getty Images

Bouffier ist wegen des drohenden Fahrverbots in großer Not. Die Maßnahme hatten Verwaltungsrichter im vergangenen Monat für die Mainmetropole angeordnet. Das Land geht juristisch dagegen vor. Der höchste in Frankfurt gemessene Wert, so glaubte die Fachwelt bislang, sei 47 Mikrogramm gewesen - an der Friedberger Landstraße -, also unterhalb der von Kanzlerin Merkel neu definierten Obergrenze. Alles in Ordnung also, könnte man für die fast 300.000 Dieselfahrer denken, die in der Stadt wohnen und jene 300.000, die jeden Tag in die Bankenstadt pendeln. Frankfurt liegt drunter, und die Diesel dürfen weiter einfahren.

Peinliches Eigentor von Merkel und dem Ministerpräsidenten

Doch weit gefehlt. Bundeskanzlerin Merkel hat ein peinliches Eigentor geschossen, mit tatkräftiger Unterstützung von Volker Bouffier selbst.

Denn der höchste in Frankfurt festgestellte Stickoxidwert für 2017 beträgt inzwischen offiziell 54 Mikrogramm. Ausgewiesen wurde er von den hessischen Landesbehörden für eine Kreuzung am Börneplatz. Nachzulesen ist diese Zahl ausgerechnet in einem Brief, den Wahlkämpfer Bouffier am 10. Oktober an die Bundesminister Svenja Schulze (Umwelt, SPD), Andreas Scheuer (Verkehr, CSU) und Helge Braun (Kanzleramt, CDU) geschrieben hat.

Darin verfolgt Bouffier noch eine andere Strategie: Er bettelt geradezu, Frankfurt in den Kreis jener Städte aufzunehmen, die wegen der Fahrverbote großzügige Umtauschprämien der Autohersteller und Nachrüstungen an Dieselfahrzeugen mit Stickoxid-Katalysatoren bekommen sollen und nennt deshalb den hohen Abgaswert. Bisher will die Regierung dies nur so genannten "Intensivstädten" und deren umgrenzenden Landkreisen zubilligen. Wer mehr als 50 Mikrogramm Stickoxide nachweisen kann, qualifiziert sich für diesen zweifelhaften Titel.

Frankfurt als Abgas-Intensivstadt

Bouffier wollte Frankfurter Dieselfahrern mit seinem Hinweis auf die 54 Mikrogramm vom Börneplatz eigentlich helfen: "Die Hessische Landesregierung geht fest davon aus, dass auch für Frankfurt das erweiterte Angebot - inklusive Hardware-Nachrüstungen für private Dieselbesitzer - gemacht wird", schreibt er unmissverständlich an Merkels Haus. Während die Umweltbeamten der Stadt Frankfurt ihre Gemeinde also lange Zeit besser dastehen lassen wollten, wollte der Ministerpräsident die Stadt schlecht dastehen lassen - in der Hoffnung auf Umtauschprämien und Diesel-Nachrüstungen.

Offensichtlich haben sich die Spitzenpolitiker der CDU nicht recht abgestimmt in ihrer Strategie, die Dieselfahrer (und Wähler) in Frankfurt zu beruhigen. Während die Kanzlerin Frankfurt mit ihrer BImSchG-Änderung vor Fahrverboten retten wollte, hat Bouffier die Stadt mit seiner unvorsichtig in seinem Brief erwähnten Messstation am Börneplatz in den Kreis der Fahrverbotsstädte hineinkatapultiert, gewissermaßen mit Brief und Siegel. Das Umweltbundesamt bestätigte gegenüber dem SPIEGEL, dass für Frankfurt nun offiziell 54 Mikrogramm und nicht mehr 47 gelten. Ein Fahrverbot dürfte nun kaum noch zu verhindern sein.

Kanzlerin und Landesvater stehen jetzt blamiert da. Die Dieselfahrer zürnen über eine Politik, die sie und ihre von Wertverlusten betroffenen Wagen im Regen stehen lassen.