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Gründerszene vor dem Corona-Kollaps Rettet die Start-ups!

Viele Fragen offen: Viele Start-ups geraten durch Corona in Existenznot

Viele Fragen offen: Viele Start-ups geraten durch Corona in Existenznot

Foto: Anya Berkut/ iStockphoto/ Getty Images

Wir alle stehen unter dem Eindruck der massiven Auswirkungen des Coronavirus auf Wirtschaft und Gesellschaft. Nichts ist wichtiger als die Gesundheit der Menschen, deswegen sind alle Maßnahmen, die dazu beitragen, diese zu schützen, uneingeschränkt zu begrüßen und notwendig. In der Folge wird es jedoch zu einer erheblichen Beschädigung der Wirtschaft kommen - und Start-ups werden besonders in Mitleidenschaft gezogen, weil Ihnen die Substanz und damit das wirtschaftliche Immunsystem fehlt, die Auswirkungen der Beeinträchtigung zu überstehen.

Tobias Kollmann

Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Schwerpunkte sind Digital Business und Digital Entrepreneurship.

Start-ups verändern etablierte Branchen oder entwickeln vollkommen neue Geschäftsmodelle. Viele Angebote, die wir heute selbstverständlich nutzen, gab es vor wenigen Jahren noch gar nicht. So sind Gründerinnen und Gründer wichtige Treiber der Weiterentwicklung einer Volkswirtschaft. Durch ihre innovativen Produkte, Services und Geschäftsmodelle schaffen sie wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sowie Arbeitsplätze in attraktiven Bereichen und Branchen. Start-ups sind ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor, und zwar nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland.

Corona bedroht eine ganze Generation junger Unternehmen

Doch sie sind eben oft auch kleine, noch nicht fest etablierte Unternehmen. Sie stecken noch in der Wachstumsphase und sind auf dieses Wachstum angewiesen, um sich im Markt zu entwickeln und zu behaupten. Das ist in normalen Zeiten schon schwierig genug, in der aktuellen Corona-Krise wird es zu einer Existenzbedrohung für die jungen Unternehmen:

• Rückgang im operativen Geschäft: Bei einigen Start-ups sind Umsatz und Wachstum durch den wirtschaftlichen Lockdown und die eingebrechende Nachfrage stark zurückgegangen, teilweise bis auf null.

• Stillstand im strategischen Geschäft: Entscheidungen über Kooperationen, Budgets und neue Aufträge werden verschoben, eingefroren oder gänzlich abgesagt.

• Rückzug von Investoren: Entscheidungen über Erst- oder Folgeinvestments werden verschoben oder ausgesetzt.

In der Folge droht vielen Start-ups nicht nur ein gravierender kurzfristiger Liquiditätsengpass, sondern das Ende der mittel- und langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten. Viele verzeichneten schon nach wenigen Tagen massive Umsatzeinbrüche, die ersten haben Kurzarbeit angemeldet, wie manager magazin in einem Start-up-Report berichtete . Das alles hat zur Folge, dass eine ganze Generation junger, innovativer Unternehmen nicht nur weit zurückgeworfen wird, sondern vielerorts sogar eingehen könnte. Die Folgen wären der Verlust von vielen Arbeitsplätzen, ein enormer Rückgang unserer Innovationsfähigkeit und der Vernichtung von sehr viel internem und externen Kapital.

Warum es die Gründer doppelt trifft: Das Corona-Beben in der deutschen Start-up-Szene 

Staatliche Hilfsprogramme helfen kaum

Die Bundesregierung angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise ein umfassendes Unterstützungsprogramm auf den Weg gebracht, welches vielen etablierten Unternehmen sicher helfen wird, die Krise abzufedern. Mit Blick auf die Start-ups jedoch dürfte die Staatshilfe ihre Wirkung oftmals verfehlen, wie die Aussagen einiger Gründer belegen:

• "Banken verstehen nicht, was die Bundesregierung mit den Unterstützungsprogrammen umsetzen will. Gründer werden zur Besicherung des KfW-Kredits aufgefordert, ihre eigene Lebensversicherung zur Verfügung zu stellen."

• "Eine Gründerin wurde aufgefordert, auf eigene Kosten ein Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beizubringen, um zu belegen, dass der Liquiditätsengpass durch die Corona-Krise verursacht wird."

• "Meine Hausbank hat die Weiterleitung meines Kreditantrags an die KfW verweigert, weil es sich um eine Verlustfinanzierung handeln würde. Dabei hatte ich bei einem Umsatz von 4,7 Millionen Euro 2019 gerade die Gewinnschwelle erreicht. Für eine weitere Prüfung hat meine Bank sechs Wochen veranschlagt. Diese Zeit habe ich nicht."

Für viele Start-ups scheinen die aktuellen Hilfsprogramme der Bundesregierung also nicht zu wirken. Das liegt zum einen daran, dass viele junge Unternehmen im Sinne der Programme nicht "bankable" sind oder zum Teil gar keine Hausbanken haben. Auch andere Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld führen in dieser Unternehmensgattung nicht unbedingt zum Ziel, denn obwohl dadurch die Löhne für die Mitarbeiter abgewälzt werden könnten, kommt dadurch die dringend notwendige weitere Entwicklungs- und Aufbauarbeit ins Stocken.

Krediten, Darlehen oder Wandeldarlehen entfalten ebenfalls kaum Wirkung, sondern führen vielmehr zu einer Belastung der Bilanz und verzögern das Erreichen der Gewinnschwelle. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Finanzierungsprozesse und Beteiligungsattraktivität der Start-ups. Auch die jüngste Anpassung des Rettungsschirms, unter den nun auch systemkritische Start-ups mit einer Mindestbewertung von 50 Millionen Euro aus der letzten Finanzierungrunde schlüpfen könnten, wird in der Breite kaum etwas bringen. Schätzungen zufolge treffen diese Kriterien auf mehr als 90 Prozent der deutschen Start-ups nicht zu.

Entsprechend müssten für jungen Unternehmen andere Möglichkeiten der Unterstützung jenseits kurzfristiger Liquiditätshilfen gefunden werden. Natürlich ist es schwierig, ein einheitliches Set an Empfehlungen aufzustellen, das auf alle Fälle passt. Der Beirat für junge Digitale Wirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium hat dennoch einige Anregungen entwickelt, in welche Richtungen man denken sollte:

Beschäftigung statt Kurzarbeit

Start-ups müssen sich auch während der Corona-Krise weiterentwickeln können. Deswegen ist es wichtig, Vollzeitkräfte nicht in Kurzarbeit zu schicken, damit sie die Entwicklung weiter vorantreiben können. Gerade in Digitalunternehmen werden die IT-Fachkräfte (zum Beispiel Developer) weiterhin in Vollzeit benötigt, um das Produkt, den Service und das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Arbeit ist (noch) ausreichend da, nur reichen in vielen Fällen die finanziellen Mittel nicht mehr, um den Mitarbeitern ihren vollen Lohn zu bezahlen. Kurzarbeit löst vielleicht das Lohn-, nicht aber das Entwicklungsproblem.

Die Bundesregierung sollte daher Mittel bereitstellen, mit denen die volle Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern bei Start-ups ermöglicht wird. Das Geld könnte über einen Beschäftigungsfonds, über zweckgebundene Lohnzuschüsse oder zinslose Beschäftigungsdarlehen angeboten werden.

Beschaffung statt Darlehen

Start-ups leben wie jedes Unternehmen von ihren Einnahmen. Nur anders als etablierte Firmen haben sie kaum Rücklagen oder stecken noch in der Entwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen. Wenn in dieser Lage Aufträge aufgrund der Corona-Krise wegfallen, fehlt das Geld, um weiterzumachen. Hier könnte der Bund als "Ersatzkunde" auftreten und über Beschaffungsaufträge diesen Rückgang auffangen. Da gerade digitale Start-ups viele Leistungen entwickeln, die auch im öffentlichen Sektor oder für die Gesellschaft allgemein eine Rolle spielen, wäre diese Rolle auch keine versteckte Subvention. Ministerien, Behörden, öffentliche Einrichtungen wie Universitäten und Schulen, Städte und Gemeinden können die eingekauften Lösungen (etwa Software für Bildungsträger, Verwaltungen, Krankenhäuser und so weiter) sofort oder über Rahmenverträge in den nächsten zwei Jahren abrufen.

Die Bundesregierung sollte daher einen Sonderbeschaffungsfonds auflegen und unbürokratisch Aufträge an junge Unternehmen vergeben. Das Ergebnis wäre eine schnelle und gleichzeitig nachhaltige Hilfe für die Start-ups - und gleichzeitig ein Digitalpakt für den öffentlichen Sektor.

Beteiligungen statt Kredite

Viele Neugründungen können die Kreditvoraussetzungen ihrer Hausbank nicht erfüllen, weshalb diese als Verbindungsglied zu den Bundeshilfen in den meisten Fällen nicht infrage kommt. Zudem reichen die bisherigen Soforthilfen von den Beträgen her nicht aus, um insbesondere schnell wachsende Start-ups mit vielen Mitarbeitern zu stützen. Kredite wirken sich ferner mittel- bis langfristig einschränkend auf den Handlungsspielraum und die Attraktivität für weitere Finanzierungsrunden aus.

Deswegen sollte die Regierung schnellstmöglich ein Beteiligungsprogramm aufsetzen, das den Startups ohne komplizierte Due-Diligence-Prozesse eine stille Sockelbeteiligung bis maximal fünf Prozent der Anteile anbietet. Als Bewertungsgrundlage könnten die Größe des Unternehmens, die letzte Finanzierungsrunde oder der Umsatz der vergangenen zwölf Monate herangezogen werden. Standardverträge für solche stillen Beteiligungen liegen vor.

Auch hierfür sollte Bundesregierung - beispielsweise über den HTGF - einen Sonderfonds aufsetzen, der nach einfachen Kategorien und festen Anteils-, Kapital- und Bewertungssätzen eine stille Beteiligung für Start-ups anbietet. Eine Rückführung könnte wahlweise durch eine Rückzahlung des Beteiligungskapitals oder über einen Exit erfolgen. Alternativ können Wandeldarlehen oder offene Beteiligungen eingesetzt werden.

Bedingungsloses Grundeinkommen, bedingungslose Beteiligung

Diese Maßnahmen wären ein Paradigmenwechsel bei der Förderung junger Unternehmen, ein Versuch, in eine neue Richtung zu denken. Die Vorschläge sind als "Work in Progress" zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit bezüglich aller rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Umsetzung. Ferner müssen natürlich die weiteren Entwicklungen beobachtet und die Maßnahmen ständig an die jeweils aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise angepasst werden.

Dabei kann, sollte oder muss es vielleicht im Falle einer weiteren Verschärfung der Situation auch Überlegungen kommen, analog zu einem bedingungslosen Grundeinkommen im Privatsektor eine "bedingungslose Beteiligung" für Start-ups einzuführen. Jedes Unternehmen, das innerhalb eines festzulegenden Zeitraums neu gegründet wird, bekäme dann eine feste Sockelbeteiligung durch den Staat. Ebenso wäre eine "Helikopter-Beteiligung" für alle bereits gegründete Start-ups denkbar, um diese zu retten.

Welchen Weg man auch wählt: Bei der Rettung der deutschen Start-up-Szene darf es keine Tabus geben. Keine Idee, kein Vorschlag und keine Maßnahme sollte voreilig verworfen werden. Dazu sind die jungen Unternehmen zu wichtig für die Zukunft des Standorts Deutschland.

Prof. Tobias Kollmann ist Vorsitzender des Beirats Junge Digitale Wirtschaft (BJDW) im Bundeswirtschaftsministerium. Kollmann ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.