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Ein Fall für Sherlock Holmes?

SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler über den Neutraublinger Spukgeist »Chopper«
aus DER SPIEGEL 9/1982

Zähne tun auch fern der Heimat weh. In seiner Praxis im bayrischen Neutraubling, nahe Regensburg, bietet mir der Zahnarzt Kurt Bachseitz erst eine »kleine, süße Spritze« an, dann läßt er den Bohrer pfeifen.

Während ich Wehlaute von mir gebe, grunzt hinter meinem Rücken plötzlich einer bayrisch: »Der brunzt (macht) sich ja in die Hosen!« Dann quäkt es »Preußen-Zipfel«, was, weil unzutreffend, nicht kränkt, aber der Reim: »Der Rumler ist ein Dummler.«

Hinter meinem Rücken, am Waschbecken, steht aber nur die Helferin des Mediziners, Claudia, eine Zuckerpuppe von 16 Jahren. Als der Grunzer schweigt, spricht Claudia liebevoll ins Becken: »Sag doch noch was, Chopper.« Da sagt er noch, quasi aus der Schüssel, »Arschloch« zu mir.

»Ja, der Chopper«, meint der Doktor, treuer Blaublick in weichen Zügen, der sei mittlerweil »der Nation liebstes Kind«. Warum er mich so anfuhr, erklärt Claudia: »Der hat Sie für einen Polizisten gehalten.«

Die Seance war mit dem Doktor abgekartet; ich sollte Chopper, den Spukgeist von Neutraubling, ganz natürlich sowie in natura erleben.

Das Phantom aus dem Waschbecken hatte auch ordentlich zugeschlagen. Aber: Grunzte es aus Psi-Sphären, aus verborgenen Lautsprechern, dringt es mit Ultraschall oder auf Laserstrahlen ein, kommt es aus eines Menschen Kopf oder Bauch?

Solche Fragen bewegen seit zwei Wochen die Nation; Chopper, so nennt er sich selber, ist der bekannteste Geheimnisträger der Republik. Der Fuchs eines aufsteigenden Buntblattes hat das bespukte Ensemble schon unter Exklusivvertrag genommen, das Fernsehen steckte die Linse in das Mysterium, und Claudia bewährt sich vor den Kameras als bayrische Teenie-Teissier.

Und regelmäßig scharen sich neugierige Massen um den 60er-Jahre-Bungalow des Zahndoktors; Kommandos von »Bild« und Illustrierten, gelegentlich als Techniker getarnt, bestürmen die verschlossene Festung, maulfaule Polizisten ziehen ihre dienstlichen Kreise.

Vergleichbar dem Forscher-Duo aus Polanskis »Tanz der Vampire« eilten auch der Freiburger Psi-Professor Hans Bender, 75, und sein romantisch-asketischer Famulus herbei. Ein dramatischer, exorzistischer Auftritt: »Was will denn der?« heulte Chopper: »Will der mich umbringen?« Claudia beruhigte ihn: »Naa, der tut dir nix.«

Bender, der liebenswerte Gespenster-Chevalier, prescht gelegentlich mit dem Eifer des Edlen von La Mancha vor. Beim Chopper bleibt er zurückhaltend; falls es sich wirklich um ein »paranormales Phänomen« handle, urteilt er, sei es »total atypisch«.

Das entspannt zunächst gewaltig, denn zu gräßlich waren die kolportierten Kundschaften aus dem Hause Bachseitz. Bis zu 150mal am Tage habe Chopper, mit zerhackter Stimme, die ärztliche Gruppierung telephonisch terrorisiert und schrecklichen Unflat ausgespien; lieb gab er sich nur zur lieben Claudia, auch als er dazu überging, aus Waschbecken, Klos, Steckdosen und der Spuckschüssel zu spuken.

Mittlerweile hat die Deutsche Bundespost das Geisterhaus durchgecheckt, für ein paar zehntausend Mark alles umgerüstet und technische Fallen gelegt - offiziell ohne Resultat. Die Polizei durchkämmte das Revier, kam harmlosen Schwarz-Funkern auf die Spur, prüfte Autofahrer - kein Chopper am Apparat; jetzt hilft ein großstädtisches Kripo-Sonderkommando mit, das »Soko Geist«.

Als eine Münchner und eine Regensburger Zeitung, vorletzte Woche, über einen Telephon-Anschluß Chopper-Mitschnitte abspielten, brach sich die herrschende Okkultismus-Hysterie Bahn, das Telephon-Netz zusammen; Psi- und Science-fiction-Freaks boten ihre Dienste an, eine Frau denunzierte einen entlaufenen Liebhaber.

Auf dubiosem Boden steht es ja, das Haus des Mediziners. Neutraubling war im Kriege Versuchsgelände der Flugzeug-Fabrik Messerschmitt; die Engländer kamen immer rechtzeitig, um die neuen Modelle zu zerteppern. Spione wurden nie gefaßt, und ob alle Stollen und Bunker richtig zugeschüttet sind, weiß keiner.

Ob da nicht einer aus der Tiefe grummle, das gibt auch der Zahnarzt zu bedenken, der Übersinnliches nicht im Spiele glaubt. Doch warum sich ein Unhold just seiner Heil-Mannschaft so ausdauernd widmet, bleibt ihm ein Rätsel. Und da liegt der Hund, des Pudels Kern, begraben. S.115

Arzt und Gattin, beide 60, sind Kriegs-Veteranen. Er focht mit Rommel, als Kanonier, im Wüstensand, sie funkte als Blitzmädel bei der Luftwaffe. Es muß schon damals Wunder-Strahlen gegeben haben, denn, so erzählt sie, allein mit zwei Stricknadeln sei sie auf Sendung gegangen. »Die kann ihr Maul nie halten«, krächzte Chopper mal.

Fernweh ist dem Arzt geblieben, er kompensiert es mit völkerkundlichen Studien. Kennerisch spricht er von Riten fremder Kulturen, von »Ferntötung, Beschädigung eines Feindes mit Fetischen«. Auch in apokalyptischen Prophetien zeigt er sich bewandert.

Claudia, die Dritte im Bunde, steht wie die helle Birke in dem düstren Tann. Vom Vater, einem Siemens-Angestellten und wackeren Feuerwehrhauptmann, hat sie das unerschrockene Naturell; in einer Volkstanzgruppe hüpft sie in der ersten Reihe.

Den Song zu ihrem jungen Chopper-Ruhm könnte ihr ein lang und herzlich verehrter Lehrer schreiben. Der Regensburger Günther Behrle, 38, betreibt nebenberuflich ein Schallplatten-Studio und textet erfolgreich Schlager, für Peter Alexander etwa »Unser tägliches Brot ist die Liebe«. Den Gatten Bachseitz ist der flotte Talentjäger Behrle ein Stachel im Fleisch.

Mit Claudia, oder ihretwegen, war der Chopper im Hause Bachseitz eingezogen. Im Mai letzten Jahres, erzählt der Arzt, hatte sich der Fremdling erstmals telephonisch eingenistet; erst im Oktober, nach Mord- und Vergewaltigungs-Drohungen selbst gegenüber der Gattin, rief Bachseitz Post und Polizei.

Allmählich drang das Poltern des Geistes, durch verschreckte Patienten und Nachbarn, an die Öffentlichkeit. Wunderbarerweise aber sind Arzt und Helferin vom langen Leiden unter Chopper kaum gezeichnet. Er habe, sagt Bachseitz, mittlerweile ein fast väterliches Verhältnis zu dem Wesen gefunden, würde ihm gar per Notar das Hausrecht einräumen und sich noch lange die Tonband-Aufzeichnungen abspielen, wenn es Chopper nicht mehr geben sollte.

Allerdings manifestiere sich im offenbar jungen Geist auch der »Ungeist der Zeit«, die »Maßlosigkeit«, das »Anspruchsdenken« der Jugend, sie folge falschen Propheten. »Ich hasse alle, die arbeiten«, habe der Chopper gesagt; der Arzt fühle einen »Vernichtungswillen« bei ihm.

Doch stehe Chopper unter dem Zwang eines Höheren, eines Doktor Mabuse, »Jack« heiße er. Der halte den Hausgeist in Abhängigkeit, in einem »Teufelskreis«; vielleicht sei »Rauschgift im Spiel«.

Wer Chopper wirklich ist, kann wohl nur Claudia erahnen - denn ohne sie gibt es ihn nicht. Er meldet sich nur in ihrer Gegenwart, in ihrer Abwesenheit höchstens mal am Telephon; er weiß stets, was sie Tag und Nacht so treibt, sieht und hört auch, wer ein- und ausgeht in der Praxis und grunzt seine launigen Kommentare; Claudia spricht mit ihm wie Liesl Karlstadt mit dem Valentin, tun kann er ihr nichts, sie steht unter Polizeischutz.

Bei Chopper ist eben kein Ding unmöglich. In solch außergewöhnlicher Lage ist es billig und heilsam, Fachkundige herbeizurufen, richtige, klassische Detektive; mit Choppers magischen Kräften auch verstorbene. Am flackernden Kamin diskutieren Sherlock Holmes und sein getreuer Dr. Watson bereits den krausen Fall:

»Mein lieber Watson«, hebt Holmes an, wie üblich gestärkt durch Kokain, »der Casus ist ganz nach meinem Gusto: Wahnsinn und psychologisches Dickicht, ein ungreifbarer Täter und kein erkennbares Motiv. Gibt es Chopper überhaupt?« Watson verwirrt: »Aber er spricht doch!«

Holmes: »Well, er spricht, mit seltsamer Stimme, aus Waschbecken etcetera, aber doch wohl nur, wenn Miss Claudia präsent ist.« Watson: »Vielleicht ist sie sein Medium?« Holmes: »Als Brite dürfen Sie an Gespenster glauben, als Arzt und Detektiv nicht.« Watson schämt sich sehr. Holmes: »Was halten Sie davon, in Chopper das Alter Ego von Miss Claudia zu sehen?« Watson: »Sie meinen, Chopper und Claudia sind eine Person - mit zwei Stimmen? Ein Fall von Ventriloquismus?« Holmes: »Bauchreden, ganz richtig.« Watson: »Ein Mädchen von 16 Jahren?«

Holmes hebt zu einer längeren Ausführung an: »Ich habe hier ein Buch aus dem Jahre 1881, 'Die Kunst des Bauchredens', mit einer 'gründlichen Anweisung, dieselbe zu erlernen'; danach ist ziemlich jeder imstande, besonders in jungen Jahren, Ventriloquist zu werden.«

Holmes weiter: »Solche Bücher wird es wohl auch im Jahre 1982 geben, überdies höre ich, zum Freundeskreis des Arzt-Hauses zähle ein Bauchredner. Ich übergehe die technischen Tricks dieser Kunst, weise mit dem Autor aber darauf hin, daß sie schon in grauer Vorzeit dazu diente, 'der Menge den Glauben an Übernatürliches und Wunderbares beizubringen'.«

Watson: »Sie spekulieren nur, Meister.« Holmes: »Mitnichten, ich habe auch beobachtet. Spricht nämlich Miss Claudia mit Chopper, wendet sie dem Betrachter gern den Rücken zu, sie meidet Sichtkontakt, birgt sich hinter einer Tür.« Watson: »Aber es klingt doch tatsächlich so, als ob die Stimme aus einem Waschbecken träte?«

Holmes: »Ich zitiere meinen Autor. Nach ihm gehört es zu dieser Kunst, den Eindruck zu erwecken, die Stimme 'käme von einem ganz anderen, entfernten Orte her'.« Watson: »Phantastisch!«

Holmes: »Handwerk, besser Mundwerk. Aber ich habe noch mehr beobachtet. Beim Bauchredner können sich Stimme A und B nie überlappen - bei Miss Claudia und Chopper tun sie dies auch nicht.« Watson: »Sie meinen also?« Holmes: »Ja, ich meine.«

Dann kommt Watson auf gewisse unerklärliche Telephon-Details zu sprechen. Holmes meint, dies könne man getrost der Deutschen Bundespost überlassen, die wisse sicher mehr, als sie im Augenblick sage. Watson: »Und das Motiv nun dieses ganzen Aufwandes? Wäre das nicht ein Szenario für unseren teuren Meister Hitchcock gewesen?«

Da wird Holmes ganz ernst. Als Brite steige er nicht in seelische Abgründe; im Schatten junger Mädchenblüte sei vieles Dunkle. Watson möge auch die merkwürdigen Worte und Ansichten des Arztes bedenken, dessen väterliche Sorge um Chopper, um die Abhängigkeit vom ominösen »Jack«; gleichfalls die Angst des Arztes vor Choppers »Vernichtungswillen«.

Nun wende ich mich selbst an Holmes: »Und wenn das alles nur ein Jux ist?« Das werde wohl ein teurer Jux werden, bei all den angefallenen Kosten und Patrouillen, sagt der Detektiv. Und scherzt makaber: »Bauchreden ist süß, auf den Bauch fallen grausam.«

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