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Immobilien Die Mär vom Run auf die Städte

Wollen die meisten Menschen tatsächlich in die Großstädte ziehen? Die Bevölkerungsforscherin Antonia Milbert zweifelt diese These an.
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© Getty Images

Frau Milbert, gibt es in Deutschland den oft zitierten „Run auf die Städte“? Ja, aber der positive Wanderungssaldo der Großstädte insgesamt wird stark von den Zuzügen aus dem Ausland getragen. Bei der Binnenwanderung – also den Umzügen innerhalb Deutschlands – ist der Wanderungssaldo über alle Großstädte hinweg inzwischen im Schnitt negativ. Das ändert aber nichts an dem Wachstumsdruck, der auf vielen großen Städten lastet. Gleichwohl sehen wir, dass nicht alle Städte gleich stark wachsen. Wie erklären Sie sich das? Die Außenwanderung aus dem Ausland ist der große Treiber des Bevölkerungswachstums in den Städten. Daneben gibt es zwei Effekte im Rahmen der Binnenwanderung, die das Wachstum der Städte beeinflussen: der Trend zur Stadt wird vor allem von den so genannten Bildungswanderern in den Zwanzigern gespeist. Aus der Stadt heraus gehen dann vor allem die Menschen im Alter der Familiengründung und beruflichen Etablierung über 30. Das nennt man Suburbanisierung. Rechnet man beide Effekte gegeneinander auf, zeigt sich aber, dass München und Berlin zusammen in der Binnenwanderung 2015 rund 16.000 Menschen über alle Altersgruppen hinweg verloren haben. Das heißt aber nicht, dass all diese Menschen ins Umland von Berlin oder München gezogen sind. Dennoch gilt: mehr Zuzüge als Fortzüge in Großstädte gibt es nur bei den 18- bis 30jährigen. In den anderen Alterskohorten verlassen bei Wanderungen innerhalb Deutschlands mehr Menschen die Großstädte, als hineinziehen. Gilt das auch für ältere Menschen? Es heißt doch oft, Senioren zöge es in die Städte, weil dort die Infrastruktur besser sei. Nicht in Großstädte. Die absoluten Zuzüge von Rentnerinnen und Rentnern in Großstädte ziehen zwar kontinuierlich an. Ursache ist aber die demografische Entwicklung, denn die Gruppe der Menschen im Rentenalter nimmt zu. Nimmt man noch die Fortzüge hinzu, ist der Trend leicht negativ. Dabei hat es netto keine allzu großen Veränderungen gegeben in den vergangenen Jahren. Profiteure sind allerdings die Klein- und Mittelstädte. Wir können aus den Wanderungsdaten ablesen, dass es sich bei den positiven Wanderungssalden der Klein- und Mittelstädte um die Verlagerung von Wohnstandorten von Senioren aus Landgemeinden und eben auch Großstädten in Mittel- und Kleinstädte handeln muss.

"Wer die Großstadt verlässt, geht nicht gleich aufs Land"


Wenn die Metropolen wie Berlin, Frankfurt und Co. vor allem von der Binnenwanderung der 18-30-Jährigen profitieren – droht dann ein Trendbruch für die Großstädte, weil diese Bevölkerungsgruppe demografisch bedingt schrumpft? In der Tat wird die Gruppe gesamtdeutsch gesehen kleiner auf Grund der natürlichen demografischen Entwicklung. Das Potenzial für die Großstädte an Zuwandernden aus anderen Regionen Deutschlands nimmt also ab. Was nicht vorausgesagt werden kann, ist der Verhaltenseffekt im Wanderungsgeschehen: Wie hoch wird ihr Mobilitätsverhalten künftig sein, also wie hoch wird der Anteil wandernder junger Menschen und welche Großstädte werden ihr Ziel in Zukunft sein? Die Mobilitätsrate der „Ausbildungswanderer“ zwischen 18 und 25 ist seit dem Jahr 2000 langsam, aber stetig gestiegen. Ob dieser Anstieg sich fortsetzt und dabei die abnehmende Kohortengröße überkompensiert, ist eher weniger wahrscheinlich. Noch schwieriger für die Zukunft zu prognostizieren ist der Zuzug junger Menschen aus dem Ausland. Deshalb kann die Frage nach einem Trendbruch für die Großstädte kaum beantwortet werden. Wer profitiert denn von den Binnenwanderungsverlusten der Großstädte? Wer die Großstadt verlässt, geht nicht gleich aufs Land. Die große Mehrheit zieht entweder ins engere oder weitere Umland oder in eine andere Großstadt. Nach wie vor verlassen vor allem Familien die Großstädte: Unter dem Strich war die Binnenwanderungsbilanz sowohl bei den 30- bis 49-Jährigen als auch bei den unter 18-Jährigen – mutmaßlich also im Zuge von Familienumzügen – im Jahr 2015 negativ. Welche Rolle spielen bei den Nettofortzügen die starken Miet- und Kaufpreisanstiege für Wohnimmobilien in Städten? Je teurer die Städte mit Blick auf die Mieten oder Bodenpreise für Bauland sind, desto stärker engt sich der Kreis jener ein, die sich das leisten können. Manche, die in die Stadt wollen, suchen sich wegen der hohen Preise gleich etwas im Umland. Und die, die in der Stadt leben, aber auch in den eigenen vier Wänden wohnen wollen, ziehen aus der Stadt ins Umland. Das sind meistens die Familien. Allerdings warne ich vor voreiligen Schlüssen: Es gibt bei einem Vergleich der Großstädte weder einen so genannten „Scheitelpunkt“ bei den Mieten, ab dem die Familien die Städte häufiger verlassen, noch einen klaren Zusammenhang zwischen dem Wanderungsverhalten der Familien und dem Preisgefälle zwischen Stadt und Umland. Die Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind vielschichtig. Wenn die Preise der entscheidende Faktor wären, müssten die Fortzüge ja besonders hoch ausfallen, wo sich mit dem Wegzug ins Umland viel sparen lässt. Dem ist aber pauschal nicht so.

"München hat nach wie vor eine große Anziehungskraft"


Inwiefern? Um der Frage nachzugehen, inwiefern die Mieten das Wanderungsverhalten beeinflussen, haben wir die Zusammenhänge zwischen dem Preisgefälle zwischen Großstädten und deren Umland auf der einen und dem Wanderungsverhalten der unter 18-Jährigen auf der anderen Seite untersucht. Denn die Umzüge von unter 18-Jährigen gehen meist auf die klassische Wohnsitzverlagerung der Familien zurück. Dabei konnten wir mit einer Ausnahme – München – keine klaren Beziehungen finden. In München ist das Preisgefälle zwischen der Stadt und dem Umland sehr hoch, und es ziehen viele Familien aus der Stadt ins Umland. In anderen Städten wiederum – etwa Düsseldorf oder Essen – ist die Differenz der Kaltmieten zwischen Stadt und Umland eher gering, und es findet dennoch eine deutliche Abwanderung der Familien statt. Leipzig wiederum verzeichnet trotz einer Preisdifferenz sogar ein positives Binnenwanderungssaldo, in Köln, Stuttgart und Hamburg fällt es – trotz eines ähnlich starken Preisgefälles wie in München – nur leicht negativ aus. Wie gesagt: Die Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind vielschichtig. Die Wohnstandortwahl wird neben den persönlichen oder familiären Einkommens- und Vermögensverhältnissen eben auch von individuellen Standortpräferenzen geprägt. Und die Boden- und Baupolitik einer Stadt spielt auch eine Rolle. Können wir an München ablesen, was künftig auch in anderen Metropolen passiert? München hat unter den sieben größten Städten im Jahr 2015 die höchsten Angebotsmieten, das höchste Mietpreisgefälle zum Umland und ist die am dichtesten besiedelte Großstadt Deutschlands. München hat trotzdem nach wie vor eine große Anziehungskraft. Die Verantwortlichen in der Stadt haben schon lange auf diese Dynamik reagiert und sind mit ihrer sozialgerechten Bodennutzung zu einer Art Vorreiter in Deutschland geworden. Andere Großstädte folgen diesem Beispiel.

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