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Fliegen trotz Corona? Ein Selbstversuch zeigt, warum sich viele das nicht antun werden

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Reporter Stefan Sessler trug natürlich auch Maske.
Reporter Stefan Sessler trug natürlich auch Maske. © Marcus Schlaf

Langsam wird es voller am Himmel. Die Flugzeuge heben wieder ab. Aber wie fühlt sich Fliegen im Virus-Jahr 2020 an? Wir haben den Test gemacht: München-Hamburg und zurück.

München – In Zeiten, in denen Unsicherheit Alltag ist, ist es nie verkehrt, auf die einfachen Dinge des Lebens hinzuweisen. Ich sitze im Lufthansa-Flug 2061 von Hamburg nach München, Fensterplatz. Der Mundschutz sitzt auf meiner Nase. Gleich geht es in die Lüfte, aber vorher macht die Flugbegleiterin eine Durchsage: „Die Maske darf während des Essens und Trinkens abgenommen werden“, trällert sie in jahrelang eingeübtem Flugbegleiterinnen-Singsang. „Und bitte beachten sie, dass wir uns auf einem Nichtraucherflug befinden.“

Die Freiheit war über den Wolken schon grenzenloser, aber Meckern hilft nicht. Es ist Corona, der Luftverkehr eingeschränkt und die Angst vor Ansteckung noch immer groß. Außerdem darf die Maske abgenommen werden, heißt es in der nächsten Ansage, wenn es einen Notfall gibt und Sauerstoffmasken von der Decke fallen. Sonst allerdings nicht. An Bord und am Flughafen herrscht Maskenpflicht. Nur bei Lebensgefahr, Hunger und Durst gibt es Ausnahmen. Kürzer lässt sich das Jahr 2020 kaum zusammenfassen.

Flughafen München: Selbstversuch zu Corona-Zeiten

Im Flieger kann man die Menschen immer ein bisschen besser kennenlernen als anderswo. Es ist eng und eine Flucht unmöglich – genauso wie das Einhalten der Abstandsregel von anderthalb Metern. Aber das weiß jeder, der einsteigt. „Kein Stress“, sagt ein Geschäftsmann, der einer Frau mit schwarzer Glitzermaske und passendem Glitzer-Pulli zuschaut, wie sie umständlich ihre Jacke in die Gepäckablage verfrachtet. „Ich muss nur in die nächste Reihe.“ Wie mit rohen Eiern, so gehen die Fluggäste miteinander um. Aber das muss nichts Schlechtes sein.

Die Maskenausgabe.
Die Maskenausgabe. © Marcus Schlaf

Fliegen in Corona-Zeiten: „Die Leute sind freundlicher zueinander“

Maik J. ist Purser, sprich Chef-Flugbegleiter. Beim Einsteigen hat er heute verpackte Handdesinfektionstücher an jeden Passagier verteilt, jetzt sagt er: „Das Klima ist ein anderes. Die Leute sind freundlicher zueinander. Es ist alles sehr entschleunigt. Die Aggressivität ist komplett weg.“ Keiner drängelt, keiner schimpft, weil das Handgepäckfach randvoll ist. „Es ist schöner geworden“, sagt J.. „Fliegen ist so, wie es früher einmal war.“ Fliegen ist plötzlich wieder etwas Außeralltägliches, aber auch ein bisschen einsam. Am Münchner Flughafen* ist es leer, leer, leer. Nur ein Terminal ist in Betrieb. Die meisten Geschäfte und Restaurants sind noch geschlossen. Wartezeiten gibt es nirgends. Dafür stehen überall umfunktionierte Getränke-Automaten, in denen man jetzt Desinfektionstücher, Reinigungs-Handgel und dreilagige Mund-und-Nasen-Masken kaufen kann. Zehn Stück, 15 Euro.

Beim Einstieg in den Flieger geht alles ein bisschen langsamer, man versucht Rücksicht aufeinander zu nehmen. Allerdings spricht auch niemand. Die Masken unterbinden nahezu jede Kommunikation. Die Zeiten sind vorbei, in denen man im Flieger bei einem Tomatensaft ewig mit einer Zufallsbekanntschaft ratscht. Das liegt an den bösen Aerosolen, die keiner Richtung Nebensitzer ausstoßen will. Und daran, dass es in der Economy-Class keinen Tomatensaft mehr gibt, sondern nur stilles Wasser aus der Plastikflasche. Um unnötige Kontakte zu vermeiden, heißt es.

Den gewohnten Getränkeservice gibt es bei der Lufthansa erst ab Flügen, die über 150 Minuten dauern. Essen gibt es in der Economy-Class auch erst bei Flügen, die länger als zweieinhalb Stunden dauern. In der Business-Class ist hingegen alles beim Alten – Corona ist ein großer Gleichmacher, aber nicht überall. Heute gibt es Tomate-Mozzarella, ein Törtchen und eine Praline. Man darf alles maskenlos verzehren. Mit dem Business-Sitz erkauft man sich ein paar Minuten Mundfreiheit.

Wer große Angst vor dem Virus hat, der wird sich das nicht antun

Sowohl auf dem Hinflug von München nach Hamburg als auch dem Rückflug ist das Flugzeug nicht voll. Viele Mittelplätze bleiben leer, aber längst nicht alle. Darauf muss man sich einstellen, vor allem, wenn die Urlaubssaison beginnt. Bei der Lufthansa bleibt der Mittelsitz nur leer, wenn auch der Flieger leer ist. Die Fluglinie sagt, dass sie sonst nicht rentabel fliegen könne, wenn nicht alle Plätze verkauft werden dürfen. Ich habe Glück, der Mittelplatz ist frei. Aber vor mir sitzen beim Hinflug drei Passagiere direkt nebeneinander. Wer große Angst vor dem Virus hat, der wird sich das nicht antun. Normalität hat in diesen Tagen ihren Preis.

Fliegen in Corona-Zeiten: Immer mit Maske.
Fliegen in Corona-Zeiten: Immer mit Maske. © Marcus Schlaf

Die Lufthansa-Crew ist nach Wochen der Unsicherheit und der Kurzarbeit glücklich, dass sich die Flugzeuge wieder füllen. „Der Himmel ist leer, die Terminals sind leer, aber wenn man in der Luft ist, dann ist es ein herrliches Gefühl“, sagt Paul Helmeth. Er ist einer der Piloten, mit denen ich heute fliege. Er durfte zuletzt nur alle paar Wochen ein Flugzeug steuern. In München starten momentan 700 Lufthansa-Flüge pro Woche, vor der Corona-Krise waren es fast viermal so viele. „Ich hoffe, dass ich in zwei bis drei Wochen wieder fliegen kann“, sagt Helmeth.

„Alle sind froh, dass wir überhaupt wieder fliegen“

Kaum eine andere Branche hat das Virus so sehr zerbröselt wie die Luftfahrt. Jeder Flug ist ein Funken Hoffnung. „Alle sind froh, dass wir überhaupt wieder fliegen“, sagt Thomas Lindner. Er ist der Flugkapitän, den ich auf dem Hinflug hatte. „Das Fliegen ist ein Stück unseres Leben“, sagt Shirly Elpers. Sie ist Flugbegleiterin, sie trägt Mundschutz und Plastikhandschuhe. „Es ist eine Herausforderung an Bord. Aber es geht.“

Nach einer Stunde Flug bin ich wieder in München. „Wir bedanken uns für ihr Mitwirken durch das Tragen der Maske“, sagt die Flugbegleiterin ins Mikrofon, während die Maschine ausrollt. Ein Fluggast neben mir bekommt kurz darauf einen Anruf. „Es war eigentlich wie immer“, sagt er ins Handy. „Es hat sich gar nicht komisch angefüllt.“

Verrückte Zeiten. Jetzt wird man kurz nach der Landung schon gefragt, wie es an Bord eines Flugzeugs war. Der Mensch lernt das Fliegen gerade neu. Flugkapitän Helmeth sagt: „Die Passagiere sind glücklich. Das sehe ich an ihren Augen.“ Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber schlimm war es auch nicht. Ich steige aus.

München, 18 Grad, Regen. Die Maske sitzt noch immer.

Stefan Sessler

*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks. Erfahren Sie hier alles zur 3. Startbahn am Münchner Flughafen und den Rezensionen zum Airport.

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