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„Manuel war kein Selbstgänger“

Zur Titelgeschichte mit Manuel Neuer in der neuen 11FREUNDE-Ausgabe #225 sprachen wir mit Helmut Schulte, Ex-Nachwuchskoordinator beim FC Schalke 04 in den Jahren 1998 bis 2008, der den viermaligen Welttorhüter auf seinem Weg zum Profi begleitete.

Foto: IMAGO

Helmut Schulte, wann haben Sie Manuel Neuer das erste Mal als Torwart erlebt?
1998, kurz nachdem ich als Nachwuchsleiter beim FC Schalke 04 anheuerte. Eines Tages kam ein älterer Herr in mein Büro und sagte, sein Enkel würde bei der D-Jugend im Tor stehen. Es war der Opa von Manuel, Herr Leitheiser, der den Jungen ein bisschen unter seine Fittiche genommen hatte. Er sagte, ich solle mir den mal genauer anschauen.

Und das machten Sie dann auch?
Naja, Herr Leitheiser war ein netter Mann, den ich in der Folgezeit öfter am Trainingsplatz traf und wir unterhielten uns. Manuel war damals ein kleiner Junge, der offenkundig Fußball spielen konnte, doch es war definitiv nicht absehbar, zu was er später fähig sein würde. Durch den Kontakt zu Opa Leitheiser aber war mir der Name Manuel Neuer eben geläufig und dann man schaut zwangsläufig etwas genauer hin.

Stimmt es, dass Sie Neuer davor bewahrten, vor dem Sprung von der U14 zur U15 bei Schalke ausgemustert zu werden?
Damals hatten wir noch nicht das rollierende System, dass die Jugendtrainer mit den Nachwuchsspielern in den Altersklassen nach oben mitgehen. Die beiden Coaches bei der U15 – sehr gute Trainer übrigens – befanden Manuel damals im ersten Moment für zu schmächtig. Er war damals wie gesagt noch kein Selbstgänger, also hielt ich Rücksprache mit Schalkes Jugendtorwarttrainer Lothar Matuschak.

Und er überredete Sie?
Lothar kannte ihn mit Abstand am besten, er hatte sehr viel mit ihm gearbeitet und war vielleicht der entscheidende Mann für seine Entwicklung in dieser Zeit. Lothar war überzeugt, dass Manuels Talent allein schon so groß sei, dass er es schaffen kann und dass er auch noch wachsen würde.

Heißt: Sie entschieden gemeinsam, dass Neuer in die U15 darf.
Ich weiß noch, wie Lothar und ich damals auf dem Dach des Rohbaus der neuen Schalker Geschäftsstelle standen und unten Manuel spielen sahen. Wir hatten also einen guten Überblick und die Überzeugung, dass er mit großem Bewegungstalent gesegnet war. Also setzte ich mich gegen die Kollegen von der U15 durch. Ich habe das auf Schalke übrigens insgesamt nur bei drei Spielern gemacht. Zwei Mal bin ich mit meiner Entscheidung krachend gescheitert, bei Manuel lag ich ausnahmsweise richtig – nicht zuletzt dank Lothar.

Aber Sie zweifelten?
In dem Alter kann man es bei keinem Spieler genau sagen, wie weit er kommt. Klar aber war, dass Manuel Potentiale besaß, die ihn befähigten, bei jedem Verein Karriere zu machen. Ein von Gott und seinen Eltern gegebenes Talent, was seine Athletik, seine Fähigkeiten am Ball und bei der Strafraumbeherrschung anbetrifft.

Haben Sie Ihn in der Folge genauer unter die Lupe genommen?
Damals erwähnte ich in einer Unterrichtseinheit, in der er saß, dass meines Erachtens das Credo eines Torwart sein müsse, stets zu spielen, als stünde das Match noch 0:0. Sprich: Dass ein Keeper sich nie von Spielständen in seinem Verhalten beeinträchtigen lassen dürfe. Als er schon viele Jahre Profi war, las ich in einem Interview, dass Manuel diesen Satz sagte, als er nach seiner Philosophie befragt wurde. Zumindest den konnte ich ihm also mitgeben. (Lacht.)

Sie waren auch noch in Amt und Würden, als Neuer Profi auf Schalke wurde. 
Damals arbeitete Adrie van Kraaij, WM-Teilnehmer 1978 für die Niederlande, als Scout für Schalke. Er hatte Manuel 2005 bei der U19-EM beobachtet, kam zurück und sagte: „Helmut, ich habe den zukünftigen Torwart von Schalke 04 gesehen.“ Adrie war ein Superscout. Wir gingen also zu Rudi Assauer und sagten: „Du musst dem Neuer einen Profivertrag geben.“ Assi fragte: „Warum das denn?“ Ein paar Tage später nahm ich ihn mit zum Training der U19, dort sah er wie Manuel mit den anderen im Kreis spielte, seine Ballbehandlung. Und ehe ich gucken konnte, lief Rudi zurück in sein Büro und lies den Vertrag vorbereiten.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Manuel Neuer heute im Tor der Nationalelf und beim FC Bayern sehen? 
Dass er sich seinem gottgegebenen Talent in jeder Hinsicht würdig erwiesen hat. Mitzuerleben, wie Manuel, Mesut Özil, Benedikt Höwedes und Julian Draxler 2014 in Rio Weltmeister wurden – vier Jungs aus der Schalker Jugend, war für mich ein bewegender Augenblick. Manuel ist zweifellos ein guter Mensch, ein sehr guter Sportler und der herausragende Torhüter seiner Generation.