Um 0.05 Uhr schrie GSG-9-Mann Fox: „Köpfe runter! Wo sind die Schweine?“

Serie in BILD: Die Befreiung der Landshut – Teil 5

dieter fox mach flugzeugtuer auf

GSG-9-Mann Dieter Fox (70) an der Flugzeugtür der „Landshut“, die er bei der Erstürmung von außen öffnete

Foto: Stefano Laura
Von: N. HARBUSCH, A. KHAN, S. LAURA, H. RAVIC, H.-J. VEHLEWALD und C. Wahl berichten aus Brasilien

Montag, 17. Oktober 1977: GSG-9-Held Dieter Fox (damals 30) und seine Männer schleichen im Schutz der Dunkelheit über das Flugfeld des Flughafens Mogadischu (Somalia).

Es sind noch mehrere Hundert Meter bis zur „Landshut“, als plötzlich ein Vogelschwarm aufschreckt und lärmend davonfliegt. Die Männer ducken sich, knien im Sand – nicht ahnend, dass es hier zwischen den Sträuchern von tödlichen Erdvipern und Speikobras nur so wimmelt. „Von den Giftschlangen haben wir erst später erfahren“, erzählt Fox. „Wir hatten einfach Glück.“

In der Ferne sehen Fox und seine Männer einen brennenden Holzhaufen am Rande der Landebahn.

„Das Feuer dient der Orientierung für die Maschine aus Deutschland, in der die freigepressten RAF-Terroristen einfliegen sollen“, so hat es der Tower dem Entführer, „Captain Mahmud“, erklärt. Er hat es geglaubt.

40 Jahre nach Lufthansa-EntführungWir waren stärker als der Terror

Quelle: BILD

★★★ Im Cockpit sitzt Mahmud am Funkgerät.

Er verhandelt aufgeregt mit einem somalischen General über den geplanten Tausch: 86 Geiseln gegen elf RAF-Gefangene. Für den Anführer des Terror-Kommandos war der Tag eine Achterbahn der Gefühle. Auf 15 Uhr deutscher Zeit hatte er ein letztes Ultimatum gesetzt:

Freilassung der RAF-Terroristen oder die „Landshut“ wird gesprengt.

Den Sprengstoff hatte er bereits an die Bordwand geklebt und verdrahtet, die Passagiere gefesselt und mit Schnaps übergossen – „damit ihr besser brennt“. In letzter Minute dann die Nachricht aus Bonn: Die Bundesregierung beugt sich, lässt die RAF-Terroristen ausfliegen – ein Trick.

Und Mahmud fällt darauf rein.

„Wir sind frei. Ihr kommt alle frei!“, schreit er freudestrahlend in die Runde. Die Passagiere klatschen, johlen. Einige haben bereits schwarze Hände von den engen Fesseln aus Nylonstrümpfen. Doch die Aussicht auf die Befreiung lässt die Schmerzen schnell vergessen. Die meisten dösen jetzt, kurz vor Mitternacht, in den Sitzen vor sich hin. Auch die Entführer entspannen sich: Mahmud hält seine Verlobte im Arm – „die Kleine“ wird sie unter den Geiseln genannt. „Die Dicke“ und „der Junge“ sitzen vorn in der 1. Klasse.

Am Finger halten beide noch immer den Sicherungsring ihrer Handgranaten. ★★★ Fox und sein GSG-9-Trupp sind jetzt bis auf wenige Meter an die „Landshut“ herangekommen. Es sind rund 40 Mann, die sich da mit schwarz geschminkten Gesichtern und schusssicheren Westen anschleichen. Ihre Uniformen tragen sie auf links, um die Hoheitsabzeichen zu verdecken.

Fox (damals 30) in Uniform des Bundesgrenzschutzes bei einer Übung mit automatischem Gewehr. Beim Einsatz im engen Flugzeug nutzten sie Pistolen

Fox (damals 30) in Uniform des Bundesgrenzschutzes bei einer Übung mit automatischem Gewehr. Beim Einsatz im engen Flugzeug nutzten sie Pistolen

Foto: privat

Fox trägt Zivil: einen Overall der Lufthansa mit abgeklebtem Firmenlogo.

Die Springerstiefel haben Gummisohlen, die Leichtmetall-Leitern für die Stürmung sind am Ende mit hitzebeständigem Gummi versehen. Kein Laut soll die Aktion verraten. In ihren Heckler&Koch-Pistolen, Typ P9S, steckt spezielle 9-mm-Munition mit erhöhter „Mannstoppwirkung“, um die Terroristen schnellstmöglich auszuschalten. Plötzlich entdeckt Fox am Nachthimmel eine Sternschnuppe:

„Ein leuchtend heller Komet. Ich dachte: Jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen“, erinnert sich der Pensionär.

Kann es doch! Kurz vor dem Angriff fallen plötzlich mehrere Funkgeräte aus. Auch Fox‘ Headset ist nicht mehr zu gebrauchen. Kommandeur Wegener schaltet auf Handzeichen um. Und auf Flüstern: „Auf Position“ melden die sechs Sturmtrupps an den Bordtüren und Notausgängen.

Zwei der je fünf Mann sichern die Leitern, einer öffnet die Tür, der Zweite springt an Bord, die beiden anderen folgen – so haben sie es trainiert. Wegener steht im entscheidenden Moment unter dem Rumpf der Maschine.

Um 0.05 Uhr ruft der GSG-Kommandeur das Stichwort: FEUERZAUBER!

Binnen Sekunden schlagen die sechs Sturmtrupps zu. Fox reißt die Tür hinten rechts auf, springt als Zweiter hinein.

Und schreit: „Köpfe runter, wo sind die Schweine?“

Fox hat nun freie Bahn, die Entführer sind weiter vorn im Flugzeug. Als eine der ersten Passagiere schnappt er sich Birgitt Röhll, zerrt sie zum Ausgang. Ihren Sohn Stephan (10) trägt ein Kamerad hinaus. „Ich wollte mir trotz geschwollener Füße tatsächlich noch die Schuhe anziehen“, erinnert sich Röhll. „Wir wurden ja völlig überrascht.“

Der erschossene Luftpirat „Captain Mahmud“ liegt auf der Rollbahn des Flughafens in Mogadischu

Der erschossene Luftpirat „Captain Mahmud“ liegt auf der Rollbahn des Flughafens in Mogadischu

Foto: Kriminalpolizei Frankfurt

Diana Müll (damals 19) reißt die GSG-9-Aktion aus tiefem Schlaf. „Ich sah die schwarz angemalten Gesichter und dachte nur: Wir sind in Afrika.“

Co-Pilot Vietor hat bessere Erinnerungen: „Ich hörte deutsche Stimmen. Da wusste ich: Wir sind gerettet. Also Kopf nach unten!“ Was folgt, ist ein tödliches Feuergefecht – tödlich für drei der Terroristen.

► Anführer Mahmud wird im Eingang des Cockpits erschossen.

► „Die Kleine“ feuert von der Bordtoilette, trifft durch den Türspalt einen GSG-9-Mann am Hals. Sie stirbt im Kugelhagel der Befreier.

► „Der Junge“ bricht nach kurzem, heftigem Schusswechsel zusammen. Die russische Handgranate, die er noch im Fallen wirft, richtet nur geringen Schaden an (zum Glück hat sie keinen Splittermantel). Er stirbt kurz darauf an den Schusswunden.

► „Die Dicke“ überlebt schwer verwundet.

Noch während die Schüsse fallen, rennen Passagiere Richtung Ausgang, rutschen über Tragflächen und Leitern nach unten.

GSG-9-Männer zerren sie zur Sicherheit in eine nahe Sandgrube. Dieter Fox: „Noch war nicht klar, ob die Maschine vielleicht doch noch explodiert.“ Scharfschützen am Rande des Flugfelds haben deshalb alles im Blick – „für den Fall, dass einer der Terroristen entkommt“, so Fox.

Auch Diana Müll gerät fast ins Visier der Sniper.

Als sie die Kuhle voller Menschen sieht, bricht sie in Panik aus, rennt zurück zur „Landshut“. Einer von Fox‘ Leuten kann sie gerade noch abfangen. Über Funk meldet GSG-9-Kommandeur:

„Operation Feuerzauber“ erfolgreich beendet. Terroristen ausgeschaltet, alle Passagiere leben.

Als die Nachricht im Krisenstab in Bonn eintrifft, kommen Kanzler Helmut Schmidt die Tränen. Sein Rücktrittsgesuch für den Fall des Scheiterns hatte er bereits diktiert.

Teaser-Bild

Niemand, nicht einmal die Retter selbst, hatten mit so einem glücklichen Ausgang gerechnet.

★★★

„Binnen nicht mal fünf Minuten hatten wir alle Passagiere draußen“, erzählt Dieter Fox stolz, als er nach 40 Jahren in Fortaleza erstmals die „Landshut“ wiedersieht. Liebevoll umarmt Birgitt Röhll den um Längen größeren Ex-Polizisten:

„Er ist unser Held“, sagt sie, „er hat Stephan und mich und all die anderen gerettet!“

★★★ Jörg Schleyer (damals 23), Sohn des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, hat weniger positive Erinnerungen an die Befreiung der „Landshut“:

„Uns war klar: Das ist das Todesurteil für meinen Vater.“

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