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Entwicklung von grünem Ammoniak Dieser ökologische Energieträger schlägt sogar Wasserstoff

Ammoniak ist für drei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Forscher wollen die Düngemittel-Chemikalie nun klimaneutral machen – und zugleich ein Problem der Energiewende lösen.
Ammoniak-Produktionsstätte in Russland: "Ammoniak lässt sich sehr viel einfacher, effizienter und kostengünstiger speichern und transportieren als Wasserstoff"

Ammoniak-Produktionsstätte in Russland: "Ammoniak lässt sich sehr viel einfacher, effizienter und kostengünstiger speichern und transportieren als Wasserstoff"

Foto: Andrey Rudakov / Bloomberg Creative Photos / Getty Images

Ammoniak ist ein farbloses Gas, das weltweit in solch großen Mengen produziert wird wie kaum eine andere Chemikalie. Ein internationales Industriekonsortium will ihm jetzt eine Farbe geben: Grün soll es werden.

Der US-Gashersteller Air Products und der Kraftwerksbetreiber ACWA Power aus Saudi-Arabien sowie das dortige Königshaus planen, ab 2025 in der saudischen Wüste klimaneutrales Ammoniak zu produzieren. Fünf Milliarden US-Dollar wollen sie investieren.

Ammoniak wird beim Klimaschutz häufig übersehen – obwohl es doch erheblich zur Erderwärmung beiträgt. Dessen Produktion ist für etwa drei Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Chemiekonzerne verwenden Ammoniak vor allem als Grundstoff für Düngemittel.

"Ammoniak wird heute in erster Linie auf Basis von Erdgas, aber auch mit Kohle und Öl produziert", sagt Florian Nigbur von der Universität Duisburg-Essen. Aus den fossilen Energieträgern gewinnen die Hersteller Wasserstoff (chemisches Symbol: H). Den Wasserstoff lassen sie dann mit Stickstoff (N) aus der Luft im sogenannten Haber-Bosch-Verfahren zu Ammoniak (NH3) reagieren.

Das saudisch-amerikanische Konsortium will den nötigen Wasserstoff dagegen klimaneutral per Elektrolyse mit Wind- und Solarstrom produzieren. Dabei wird Wasser unter Strom gesetzt, sodass sich die Sauer- und Wasserstoffmoleküle voneinander trennen.

Ammoniak als Kraftstoff für den Schiffsverkehr

Das grüne Ammoniak aus der Wüste soll jedoch zunächst nicht für die Produktion von Düngemitteln verwendet werden, sondern fossile Kraftstoffe im Verkehr ersetzen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Forscher aus Industrie und Wissenschaft im Projekt Campfire, das vom Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie in Greifswald geleitet wird. Sie arbeiten derzeit unter anderem an einer kleinskaligen Ammoniak-Produktionsanlage, die auf den dezentralen Einsatz von Ökostrom zugeschnitten ist.

Verwendet werden soll das Ammoniak zunächst als Kraftstoff im Schiffsverkehr. "Wir entwickeln Ammoniak-Antriebe für eine Sportjacht, eine kleine Binnenfähre und ein Kreuzfahrtschiff", erklärt Projektsprecherin Angela Kruth.

Zum Antriebssystem gehört ein sogenannter Cracker, der an Bord die Wasserstoff- und Stickstoffatome des Ammoniaks voneinander trennt. Der Wasserstoff wird dann in einem Gasmotor oder einer Brennstoffzelle eingesetzt, um Energie für die Schiffe zu erzeugen.

Die mit Ammoniak betriebene Sportjacht soll 2022 vom Stapel gehen, die Binnenfähre bis 2025 umgerüstet sein. Ammoniak-betriebene Kreuzfahrtschiffe sollen ab 2030 gebaut werden.

Großer Vorteil bei Speicherung und Transport

Doch warum der Umweg über Ammoniak – warum nicht durchgängig molekularen Wasserstoff verwenden? "Weil sich Ammoniak sehr viel einfacher, effizienter und kostengünstiger speichern und transportieren lässt als Wasserstoff", sagt Kruth.

Um Ammoniak transportieren zu können, muss es verflüssigt werden. Das geschieht bei minus 33 Grad. Wasserstoff wird dagegen erst bei minus 253 Grad flüssig.

Zudem benötigt man für den Transport von Ammoniak weniger Raum als für Wasserstoff, da die Energiedichte bezogen auf das Volumen höher ist. Dazu kommt: Ammoniak kann in dünnwandigen, großen Metallcontainern gelagert werden. Wasserstoff dagegen benötigt kleinere Container, die besonders hohen Drücken standhalten müssen und daher deutlich teurer sind.

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Der energetische Mehraufwand für den Umweg über das Ammoniak ist dabei verglichen mit dem Strombedarf der Elektrolyse gering, sagt Kruth – "zumal man auf der anderen Seite Energie spart, weil Ammoniak längst nicht so tiefe Temperaturen für die Verflüssigung braucht."

Ammoniak als Vehikel für Import von Wasserstoff

Auch die Universität Duisburg-Essen arbeitet zusammen mit dem Zentrum für Brennstoffzellentechnik (ZBT) an Technologien für die Produktion und den Einsatz von grünem Ammoniak, unter anderem für die Energieversorgung von Regionen ohne Stromnetz.

Ganz besonderen Charme hat Ammoniak aber mit Blick auf den Import CO2-neutraler Energie in die Bundesrepublik, meint Florian Nigbur von der Universität Duisburg-Essen. Solche Einfuhren sind unverzichtbar, um die deutschen Klimaziele zu erfüllen.

So setzen Politik und Wirtschaft auf den Import großer Mengen von Wasserstoff, der mit Ökostrom erzeugt wird. Liefern sollen ihn Länder, die bessere Bedingungen für die Wind- und Solarenergie bieten – etwa in Afrika.

Eine Hürde ist dabei, dass Wasserstoff nur mit viel Aufwand transportiert werden kann. Dieses Problem lässt sich lösen, wenn er in Ammoniak "verpackt" wird. "Je länger die Transportstrecke ist, desto größer ist der Vorteil von Ammoniak", erklärt Nigbur.

Ammoniak vom Ölkonzern

Das Klimaschutzpotenzial von Ammoniak lockt auch die Fossilindustrie. So meldete der Öl-Multi Saudi Aramco kürzlich, dass er vierzig Tonnen davon als Öko-Brennstoff für Kraftwerke nach Japan exportiert habe.

Allerdings hat der saudische Konzern für dessen Produktion statt Wind- oder Solarstrom Erdgas verwendet. Das dabei entstehende CO hat Saudi Aramco aufgefangen und als chemischen Rohstoff verwendet. Auf dem Papier ist das Ammoniak damit klimaneutral. Doch der Aufwand ist gewaltig – und das Konzept aus Klimasicht höchst zweifelhaft, weil das Unternehmen einen Teil des Kohlendioxids für seine Ölförderung nutzt.

Saudi Aramcos Ammoniak-Konzept erscheint daher vor allem als ein Versuch, sein Geschäft mit fossilen Energien in die Zukunft zu retten.

Anmerkung der Redaktion: An einer Stelle war von "Wasserstoff- und Stickstoffmolekülen" die Rede, tatsächlich geht es um Wasserstoff- und Stickstoffatome. Wir haben den Fehler korrigiert.