Doppelt so viele Corona- wie Grippetote? So einfach ist das nicht

Ob die Grippe oder das Coronavirus gefährlicher ist, lässt sich nur schwer vergleichen.

Ob die Grippe oder das Coronavirus gefährlicher ist, lässt sich nur schwer vergleichen.

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Hannover. Fast 43.000 Corona-Tote meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) seit Beginn der ersten Welle, täglich kommen um die 1000 neue Fälle hinzu. Im ersten Jahr seit Beginn des Ausbruchs könnte die Zahl von 50.000 Todesfällen überschritten werden. Die Zahl der Influenzatoten schätzt das RKI für das schlimmste Grippejahr auf nur rund 25.000 (Winter 2017/2018). Steht nun also endgültig fest, dass das Coronavirus mindestens doppelt so gefährlich ist wie die Grippe? Ganz so einfach ist es nicht, denn die Zahlen lassen sich kaum vergleichen.

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Das liegt zum einen schon daran, dass nicht genau bekannt ist, inwiefern die Corona-Toten an oder mit Corona gestorben sind. Das RKI zählt alle Menschen als Corona-Tote, die zum Zeitpunkt ihres Todes Corona positiv waren und die in Bezug auf die Infektion gestorben sind. Nicht alle von ihnen sind aber an einer Infektion mit dem Virus gestorben. Statistisch als Corona-Tote erfasst werden auch Patienten, bei denen die Gesundheitsämter von einer anderen Todesursache ausgehen. Das mittlere Alter der Verstorbenen liegt bei 83, und viele von ihnen hatten mehrere schwere Erkrankungen gleichzeitig.

Auch andere Todesursachen werden mitgezählt

Aus Angaben einiger Bundesländer geht hervor, dass bei etwa 10 bis 20 Prozent der offiziellen Corona-Toten nicht das Virus, sondern eine andere Erkrankung die Todesursache war oder sich das nicht sicher sagen lässt. Die geschätzten 25.000 Grippetoten hingegen sollen tatsächlich infolge der Influenzaerkrankung verstorben sein.

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Aber hierbei handelt es eben nur um eine Schätzung: Das RKI hatte verglichen, wie viele Menschen durchschnittlich in den Wintern der Vorjahre starben. Die Sterbezahlen waren im Winter 2017/2018 deutlich erhöht: Weil im gleichen Zeitraum viele Menschen schwer an der Grippe erkrankten, führte das RKI diese sogenannte Übersterblichkeit auf die Influenza zurück.

Keine allgemeine Übersterblichkeit

Die Übersterblichkeit wird auch herangezogen, um die Gefährdung durch das Coronavirus besser einzuordnen. In Deutschland waren in der ersten Jahreshälfte 2020 nicht mehr Menschen gestorben als im gleichen Zeitraum der Jahre zuvor. Statistiker der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München haben zudem festgestellt, dass es auch durch die zweite Welle bis zum Jahresende keine bedeutsame Übersterblichkeit zumindest in der Gesamtbevölkerung gab.

Die Wissenschaftler waren damit zu einem anderen Ergebnis als das Statistische Bundesamt gekommen, das eine Übersterblichkeit festgestellt hatte. Denn die Münchner Experten hatten die Zahlen genauer ausgewertet und dabei berücksichtigt, dass die Bevölkerung insgesamt altert. Weil es immer mehr ältere Menschen gibt, ist automatisch auch mit mehr Sterbefällen pro Jahr zu rechnen – ganz unabhängig von Grippe- oder Corona-Toten.

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Bei der Ermittlung der echten Übersterblichkeit muss das in die Berechnung mit einfließen. Das Statistische Bundesamt vergleicht hingegen die absoluten Sterbezahlen und weist lediglich in der Auswertung darauf hin, „Verschie­bungen in der Alters­struktur der Bevölkerung“ könnten zu über­durch­schnittlichen Sterbe­fallzahlen beitragen.

Es sterben mehr über 80-Jährige

Nach den statistisch bereinigten Zahlen der Münchner Experten ist eine Übersterblichkeit momentan nur in der Gruppe der über 80-Jährigen zu beobachten, während junge Menschen sogar seltener als im Vorjahreszeitraum sterben. Ein Vergleich mit der Sterblichkeit hoher Altersgruppen im schweren Grippewinter wurde nicht vorgenommen.

Schlechte Versorgungslage von Patienten

In anderen Ländern schien sich in 2020 auch eine allgemeine Übersterblichkeit zu zeigen. In den USA oder Spanien etwa starben im vergangenen Jahr mehr Menschen als noch in den Jahren zuvor. Allerdings gilt es auch diese Zahlen einzuordnen: So lassen sich ein Viertel bis ein Drittel der zusätzlichen Todesfälle nicht durch den Corona-Ausbruch erklären, wie aus einem Bericht der Zeitschrift „Nature“ hervorgeht.

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Schuld war offenbar die schlechtere medizinische Versorgungslage von Nicht-Corona-Patienten. „Nature“ zufolge starben deutlich mehr Amerikaner an Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes als sonst. Und in Großbritannien starben mehr Menschen an Bluthochdruck, Demenz, Diabetes oder Asthma als in anderen Jahren.

Die Sterblichkeit durch das Coronavirus zu beurteilen oder mit der durch andere Erreger zu vergleichen, bleibt also kompliziert. Auch bleibt offen, wie viele Menschen ohne Lockdowns oder Kontakteinschränkungen gestorben wären. Das Bild wäre dann „sicherlich ein anderes“, so die Münchner Wissenschaftler. Ihre Analyse sei aber nicht geeignet, um die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zu beurteilen.

Wir haben diesen Artikel am 22. Januar im Bezug auf die gemeldeten Corona-Todesfälle präzisiert.


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