Umwelt-Debatte spaltet unser Land: Macht uns die Klima-Angst blind für andere Probleme?

GroKo plant 40 Milliarden-Paket für Klimaschutz ++ Was die Deutschen wirklich für wichtig halten ++ Was wir gegen den Klimawandel ausrichten können

Das Eis am Nordpol schmilzt – verhindert die Angst davor, dass wir andere wichtige Dinge vernachlässigen?

Das Eis am Nordpol schmilzt – verhindert die Angst davor, dass wir andere wichtige Dinge vernachlässigen?

Foto: Thomas Wasilewski / dpa
Von: THOMAS BLOCK, KONRAD GÖKE, ANGELIKA HELLEMANN und MIRIAM HOLLSTEIN, Fotos Christoph Michaelis

Freitag findet weltweit ein riesiger Klimastreik statt. Allein in Deutschland sind mehr als 400 „Fridays for Future“-Demos angemeldet.

Kein anderes Thema nimmt die Regierung aktuell so ernst wie den Klimaschutz! Kanzlerin Angela Merkel (65, CDU) forderte gestern einen „wirklichen Kraftakt“ im Kampf gegen die Erderwärmung. Ebenfalls am Freitag will die Bundesregierung ihr großes Klimapaket verabschieden und damit den CO2-Ausstoß in Deutschland drastisch reduzieren. Bis 2030 sollen 38 Prozent weniger vom Klimakiller ausgestoßen werden als heute. Und: Laut der „Welt am Sonntag“ will die GroKo dafür gut 40 Milliarden Euro bereitstellen. Doch der Klimaschutz spaltet unser Land: 48 Prozent halten Klimaschutz für das Thema Nummer 1, aber für 52 Prozent der Deutschen gibt es laut aktueller Emnid-Umfrage für BILD am SONNTAG wichtigere Themen.

Für die Bürger finden Bildung und Schule, Gesundheit und Pflege sowie Rente derzeit viel zu wenig Beachtung. Friedrich Merz (63), Vizepräsident des Wirtschaftsrates der CDU, warnt in BILD am SONNTAG: „Keine Frage, Klimaschutz ist wichtig. Aber wir müssen dabei immer auch die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Blick behalten. Es stellt sich die Frage, wie eigentlich die industrielle Basis 2030 aussieht und wovon unsere Kinder und Enkel in zehn oder 20 Jahren leben sollen.“ Vernachlässigt Deutschland vor lauter Klimapanik alle anderen Probleme? Oder ist ohne Klimaschutz alles andere nichts? BILD am SONNTAG beantwortet die wichtigsten Fragen.

Haben wir wirklich keine anderen Probleme als das Klima? Doch, natürlich. Der Ökonom und Buchautor Daniel Stelter (55, „Das Märchen vom reichen Land“) zählt auf: „Wir haben ungedeckte Rentenversprechen in Milliardenhöhe und weniger Kinder, die künftig dafür einzahlen. Diesen Kindern lassen wir eine schlechtere Bildung angedeihen und hinterlassen ihnen dazu noch eine schlechte Infrastruktur. Die Straßen bröckeln, die Bahn ist veraltet und in der Digitalisierung hinken wir hinterher.“ Stelter fordert, mehr in neue Technologien zu investieren, anstatt nur auf die CO2-Einsparung zu schauen. Verschärft der Klimaschutz andere Probleme?

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht (50) kritisiert in BamS: „Wenn Klimaschutz zum bloßen Vorwand wird, um neue unsoziale Verbrauchssteuern einzuführen und die Mittelschicht zusätzlich zu belasten, dann ist das eine verlogene Politik.“ Vorrangig müsse es jetzt darum gehen, die Spaltung zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft zu überwinden. Harter Widerspruch kommt von Ottmar Edenhofer (58), Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung: „Beim Klima geht es nicht nur um Eisbären – es geht um uns. Wenn wir eine sichere Zukunft wollen, müssen wir unser Klima stabilisieren. Ansonsten drohen mehr Extremwetter in Deutschland und weltweit, Dürren und Fluten, Missernten und Migration.“ Was kann Deutschland überhaupt ausrichten, um den Klimawandel aufzuhalten?

Chart: Worüber debattieren die Politiker zu wenig? – Infografik

Deutschland verursacht weltweit nur zwei Prozent der CO2-Emissionen. Das bedeutet: Deutschland allein kann das Klima nicht retten. Deshalb haben sich 175 Staaten zusammengetan und 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen unterschrieben. Der Haken: Wenn die Staaten gegen ihre eigenen Klimaziele verstoßen, passiert ihnen nichts. Und die USA, der weltweit zweitgrößte CO2-Produzent mit 17,7 Prozent, wollen sogar ganz aus dem Abkommen aussteigen. Wofür will die Regierung die Klimamilliarden ausgeben? Momentan überbieten sich die Ministerien mit teuren Maßnahmen. Ziemlich sicher kommt eine höhere staatliche Prämie beim Kauf von E-Autos und ein ordentlicher Zuschuss, wenn die alte Ölheizung gegen eine klimafreundliche Alternative eingetauscht wird. Die Wälder sollen aufgeforstet und die Moore gerettet werden. Dazu soll viel Geld in CO2-neutrale Technologien fließen. Wer wird für den Klimawandel zahlen? Am Ende der Verbraucher. Die Frage ist nur, in welcher Form und wie viel. Umweltministerin Svenja Schulze (50, SPD) wollte eigentlich eine eine CO2-Steuer. Dann wären sofort Benzin, Heizöl, Fleisch, Flugreisen, einfach alles, was CO2 produziert, teurer geworden. Dieses Modell wird aber wohl am Widerstand der Union scheitern. Stattdessen soll der Handel mit Verschmutzungsrechten ausgeweitet werden. Wie funktionieren die CO2-Zertifikate? Bisher müssen Unternehmen, die viel CO2 produzieren (z. B. Stahlindustrie oder Kohlekraftwerke) an der Leipziger Energiebörse eine Lizenz zum Ausstoß von Treibhausgasen kaufen. Nun soll dieser Zertifikatehandel auf alle Lebensbereiche, die CO2 produzieren, ausgeweitet werden.

Beispiel: Die Mineralölkonzerne müssen Verschmutzungsrechte kaufen, werden den Preis dafür dann auf die Kunden an der Tankstelle umlegen. Der Staat soll aber auch mitmischen: So soll es einen Mindest- und einen Höchstpreis für die Zertifikate geben. Der Mindestpreis soll genug Klimaschutz garantieren, der Höchstpreis die Verbraucher schützen. Wird Fliegen und Autofahren teurer? Geplant ist, die Ticketsteuer für Inlandsflüge (aktuell 7,38 Euro) zu erhöhen. Die Union will sie für Kurzstrecken verdreifachen. Mit den Mehreinnahmen soll die Mehrwertsteuer auf IC- und ICE-Verbindungen von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden. Im Bahn-Nahverkehr gilt bereits der reduzierte Satz. Die Kfz-Steuer will die Regierung umbauen. Neuzulassungen mit hohem CO2-Ausstoß sollen demnächst mehr Steuern zahlen, klimafreundliche Autos weniger. Klimaschutz wird also teuer. Für Experte Edenhofer steht aber fest: „Investitionen in die Stabilisierung unseres Klimas kosten ganz klar weniger als auf Dauer immer schlimmere Klimaschäden.“

Umfrage: Wären Sie bereit, für die folgenden Dinge aus Gründen des Klimaschutzes mehr Geld auszugeben?

Kann der Klimaschutz der Wirtschaft schaden? Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger (55), befürchtet eine Überforderung: „Deutschland befindet sich jetzt im wirtschaftlichen Abschwung. Entlastungen der Bürger und der Wirtschaft bei Steuern, Beiträgen und Bürokratie sind überfällig. Klima ist ein wichtiges Thema. Aber ohne eine wettbewerbsfähige und starke Industrie geht gar nichts.“ Er sieht die Verbraucher in der Verantwortung: „Wenn die Kunden klimafreundliche Produkte nicht nur in Umfragen, sondern auch bei ihren Kaufentscheidungen wollen, wird die Industrie diese auch anbieten.“

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Viola Schroeder (19), Studentin:

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Foto: Christoph Michaelis

„Ich denke, dass das Klima ganz oben auf der Liste steht. Aber andere Themen wie die Flüchtlingskrise und populistische Entwicklungen müssen wir genauso in den Griff kriegen. Die gesamte Lage der Welt ist gerade reichlich schief“

Christian Matzke (38), Geschäftsführer:

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„Ich suche die Verhältnismäßigkeit zwischen den Themen. So ist die Rente meiner Mutter ein Witz. Wer redet über die älteren Menschen, die unser Land groß gemacht haben? Gerade keiner“

Jörn Sack (74), Pensionär:

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„Die Klimafrage ist die zentrale für unsere gesamte Zivilisation. Wir müssen sie gemeinsam lösen. Nationale Alleingänge machen wenig Sinn“

Kevin Korte (31), examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger:

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„Das Klima ist sicher wichtig. Aber mein ­Fokus liegt gerade bei Kita-Plätzen. Da gibt es viele Ungerechtigkeiten. Und die Kinder sind doch unsere Zukunft“

Ronald Beese (44), Malermeister:

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„Ich würde gerne mal ein Jahr erleben, in dem nicht über neue Steuern nach­gedacht wird. Es kann doch nicht sein, dass es uns angeblich wirtschaftlich so gut geht, der Bürger aber nicht mal wirklich ­entlastet wird“

Michaela Nicolas (49), Cutterin:

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„Bevor wir ans Klima denken, müssen wir mehr Miteinander auf dieser Welt ­haben. Es fehlt an Liebe und Fürsorge für den ­anderen. Haben wir die, haben wir automatisch Lösungen. Auch für viele andere Probleme“

Suzann Kirschner-Brouns, Medizinjournalistin (54):

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„Wenn wir als Menschheit die Welt zugrunde richten, müssen wir über alles andere nicht mehr nachdenken“

Tamara Zacharias (64), Rentnerin:

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„Das Klima ist sehr wichtig. Aber wie alles im Leben ist es nur ein Glied in einer Kette. Reißt ein Glied, reißt die ganze Kette. Also muss man auf wirklich alles achten“

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