Review: Graveyard Love | Scott Adlerberg (Buch)

Heute habe ich einmal mehr ein – zumindest für meine Lesegewohnheiten, aber sicher auch allgemein – eher ungewöhnliches Buch im Gepäck, das trotz seiner Kürze enorm für sich einzunehmen weiß, wenn man sich denn auf diesen teils regelrecht verstörenden Trip einzulassen bereit ist.

Graveyard Love

Graveyard Love, USA 2016, 220 Seiten

Graveyard Love von Scott Adlerberg | © ars vivendi
© ars vivendi

Autor:
Scott Adlerberg
Übersetzer:
Jürgen Bürger

Verlag (D):
ars vivendi
ISBN:
978-3-747-20093-3

Genre:
Krimi | Drama | Thriller

 

Inhalt:

Kurt Morgan ist nun Mitte 30 und noch immer nicht als Schriftsteller erfolgreich, wie er es sich eigentlich erträumt hatte. Mittlerweile ist er erneut bei seiner Mutter gestrandet und lebt mit ihr in einem alten viktorianischen Anwesen im amerikanischen Nirgendwo. Während seine Mutter ihn regelrecht nötigt, sich als ihr persönlicher Biograf zu verdingen und ihre Memoiren zu schreiben, fühlt sich Kurt in seinen freien Momenten wie magisch vom nahegelegenen Friedhof angezogen, weit mehr noch aber von der mysteriösen wie attraktiven Unbekannten, die sich dort regelmäßig herumtreibt. Kurt entwickelt eine zunehmende Obsession für die junge Frau, beginnt ihr nachzustellen und sie zu beobachten, derweil seine Mutter nicht gerade glücklich ist über sein schwindendes Engagement, was die Niederschrift ihres Lebens betrifft. Doch es bleibt nicht beim Beobachten und bald schon macht Kurt persönliche Bekanntschaft mit Catherine Embers, die allerdings in vielerlei Hinsicht ebenfalls einiges an psychischem Ballast mit sich herumträgt…

Rezension:

Nachdem ich mich letztens für Wonder Valley begeistern konnte und dadurch auf den ars vivendi Verlag gestoßen bin, habe ich mich natürlich ein wenig in deren Verlagsprogramm umgesehen und stieß dabei auf das jüngst erschienene Werk Graveyard Love, dessen fragmentarischer Klappentext – ganz abgesehen von Titel und Cover – prompt mein Interesse geweckt hat. Und bereits besagter Klappentext wie auch die einleitenden Worte oder Kapitel lassen nicht von ungefähr an Kultfigur Norman Bates denken, wie der hier Kurt Morgan genannte Protagonist im abgeschieden gelegenen Haus seiner herrischen Mutter residiert und deren Memoiren verfassen soll. Der nahegelegene Friedhof übt dabei auf den Eigenbrötler von Mann eine seltsame Faszination aus, was die ohnehin morbide Stimmung befeuert, wenn er die mysteriöse Schönheit Catherine Embers (ihren Namen erfahren wir freilich erst später) zu beobachten beginnt, die sich in regelmäßigen Abständen und in zunächst ungeklärter Absicht auf ebenjenem Friedhof umtut.

Als ich aus Brooklyn zu meiner Mutter hier in den Norden des Bundesstaats gezogen war, hatte ich mich in einem ungesunden, abgeschiedenen Leben wiedergefunden, und trotz meiner Begeisterung für diese Observierung kam ich mir schon auf makabre Art ein wenig krank vor, wie ich hier zwischen den Grabsteinen herumlümmelte.

Autor Scott Adlerberg wagt und gewinnt derweil viel und liefert eine Story, die in ihrer Kürze – der Roman umfasst gerade einmal 220 Seiten – von jeglichen Schnörkeln und Nebenschauplätzen befreit ist und gänzlich aus der Perspektive von Kurt geschildert wird. Dergestalt ist Graveyard Love eine Geschichte über Obsessionen und zwanghaftes Verhalten, offenbart eine schwelende Misogynie und zwingt regelrecht in die Sichtweise eines manischen Stalkers, was für sich genommen schon ein beklemmendes und oft ungemütliches Erlebnis darstellt – mich medienübergreifend zuweilen auch an Alexandre Ajas Maniac hat denken lassen, wo man die Geschichte ebenfalls aus den Augen eines nicht gerade ausgeglichenen, geschweige denn geistig gesunden Protagonisten erlebt. Hier beginnt das Ganze zunächst harmlos und auch wenn die Stimmung vom ersten Moment an etwas Surreales und unterschwellig Bedrohliches hat, schälen sich erst langsam, Schicht um Schicht, Kurts oft verquere Gedanken und Verhaltensweisen heraus, während der von seinen Stalking-Aktionen und den angedachten nächsten Schritten berichtet, als wäre es das Normalste der Welt.

So ist die Einstufung als Psychothriller durchaus naheliegend und auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen, doch erzählt Adlerberg im Grunde mehr ein phantasmagorisches Drama, zumal man auf der Suche nach echtem Thrill doch besser zu einem anderen Buch greifen sollte. Denn auch wenn die Ereignisse sich nach etwa der Hälfte des Buches merklich zuzuspitzen beginnen und eine ihnen innewohnende Dringlichkeit entwickeln – auch Kurts obsessive Tendenzen nehmen freilich zu –, ist es eben mehr eine morbide Form der Beklemmung, die Faszination und Sogwirkung entfaltet. Mit einer der größten Clous mag es aber sein – ohne großartig etwas vom Fortgang der Geschichte vorwegnehmen zu wollen –, dass auch Kurts Objekt der Begierde Catherine mitnichten als normal zu bezeichnen ist, geschweige denn dem Klischee der verängstigten, wehrlosen Frau entspricht. So entspinnt sich zwischen diesen beiden Figuren ein merkwürdiges wie ungewöhnliches Spannungsverhältnis, das ich in dieser Form selten zu lesen bekommen habe.

Ich stellte das Kerzenglas zurück auf den Stein, schraubte meinen Flachmann auf und trank. Kniete mich wieder vor die Tür, die Ellbogen auf den Knien. Das Stöhnen mit seiner tiefen Melancholie ging weiter, und dann hörte ich Anzeichen von Bewegung, ein Scharren und einen lauten Schlag. Es klang wie eine Schranktür oder eine Schublade, die zugeschlagen wurde.
Mein Zeichen, dachte ich und schlich auf Zehenspitzen davon.

Fernab davon, dass die ungewöhnliche und ungemütliche Perspektive nicht allen munden dürfte, muss man freilich etwas übrig haben für skurrile und düstere Geschichten, doch wer sich auf Graveyard Love einzulassen bereit ist, wird meines Erachtens reich belohnt, was allein schon Inszenierung und Dramaturgie des Ganzen angeht, da sowohl Setting als auch Figurenkonsortium aufs Beste reduziert worden sind und man sich gänzlich in der so fremd scheinenden Welt von Protagonist Morgan gefangen sieht. Und was beschaulich anfängt, wächst sich alsbald zu einem surrealen Alptraum aus, derweil insbesondere das Ende als ungemein kompromisslos zu bezeichnen ist. Kaum verwunderlich, dass es sich mitnichten um das erste Buch von Scott Adlerberg handelt, sondern bereits sein drittes Werk, auch wenn eben erstmalig eine seiner Geschichten ins Deutsche übersetzt worden ist – Lob hierfür an dieser Stelle an Jürgen Bürger. Bleibt zu hoffen, dass der Veröffentlichung ausreichend Erfolg beschieden sein wird, dass man sich eventuell auch noch auf die Veröffentlichung der 2012 und 2014 erschienenen Romane Spiders and Flies sowie Jungle Horses freuen darf. Bis dahin aber gibt Adlerberg mit seinem sorgsam durchkomponierten und atmosphärisch eindringlichen Psychogramm einen überzeugenden Einstand im deutschsprachigen Raum.

Fazit & Wertung:

Mit Graveyard Love gelingt Scott Adlerberg eine zunächst beinahe harmlos wirkende, aber zunehmend beklemmende Reise in die Psyche eines von seinen Obsessionen beherrschten Stalkers. Ein auf seine Essenz reduzierter, phantasmagorischer Trip, den man so schnell nicht vergessen wird, zumal der Inhalt das vergleichsweise harmlos wirkende Cover Lügen straft (und von "Liebe" in ihrer eigentlichen Bedeutung keine Rede sein kann).

8,5 von 10

Graveyard Love

  • Obsessive Verhaltensweisen - 8.5/10
    8.5/10

Fazit & Wertung:

Mit Graveyard Love gelingt Scott Adlerberg eine zunächst beinahe harmlos wirkende, aber zunehmend beklemmende Reise in die Psyche eines von seinen Obsessionen beherrschten Stalkers. Ein auf seine Essenz reduzierter, phantasmagorischer Trip, den man so schnell nicht vergessen wird, zumal der Inhalt das vergleichsweise harmlos wirkende Cover Lügen straft (und von "Liebe" in ihrer eigentlichen Bedeutung keine Rede sein kann).

8.5/10
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Weitere Details zum Buch und dem Autor findet ihr auf der Seite von ars vivendi. Dort findet sich übrigens auch eine Leseprobe.

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Graveyard Love ist am 04.10.19 bei ars vivendi erschienen. Hat der Artikel euer Interesse geweckt, dann bestellt doch über den Link und unterstützt damit das Medienjournal!

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