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Diskriminierung durch Behörden: So schwer ist es für homosexuelle Paare, eine Familie zu gründen

Von Korinna Kurze

Dieser Beitrag wurde am 27.03.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Irgendwann, als sie das gefühlt tausendste Formular ausgefüllt hatten und das Jugendamt ihre Wohnung mehrfach inspiziert hatte, wurde Luisa und Stephanie etwas klar: "So fühlt sich also strukturelle Diskriminierung an."

Denn der Grund für all die Aufregung war: ihre Tochter Charlotte. Und die Tatsache, dass auch Stephanie offiziell ihre Mutter sein wollte. 

Luisa und Stephanie sind seit 2007 ein Paar, fünf Jahre später entscheiden sie sich für eine eingetragene Lebenspartnerschaft. "Wir wussten von Anfang an, dass die jeweils andere 'die Eine' ist, dass wir unser Leben gemeinsam verbringen wollen – und dass auch mindestens ein Kind zu unseren Zukunftsplänen gehörte", erzählt Luisa bento. 2017 klappt es: Luisa bringt mit Spendersamen aus einer Kinderwunschklinik Charlotte zur Welt. Eine glückliche Kleinfamilie. Wäre da nicht diese eine Sache: Dass Luisa und Stephanie nicht Luisa und Stephan sind. Und das macht ihr Leben verdammt kompliziert. 

Für Stephanie beginnt ein zermürbender Kampf mit den Behörden um die Adoption ihres eigenen Kindes.

"Stiefkindadoption" nennt man das.

Und eigentlich zeigt schon dieses Wort, worum sich das Gesetz in diesem Fall dreht: Wenn ein Elternteil ein Kind in eine neue Ehe "mitbringt" und der neue Partner das Kind adoptieren möchte, sodass beide Eheleute gleichberechtigt für das Kind sorgen dürfen und entsprechende Rechte haben.

Eine Stiefkindadoption ist anstrengend. Egal ob Frau und Mann, Frau und Frau oder Mann und Mann. Die Adoption wird beim Familiengericht beantragt, und das Gericht bittet dann das Jugendamt um ein Gutachten, das die Eignung des Adoptivelternteils überprüft. Der Prozess dauert mehrere Monate und kann viel Geld kosten. 

Das Ungerechte: Bei heterosexuellen Paaren tritt dieser Prozess erst dann auf, wenn ein Elternteil das Kind in eine neue Beziehung mitbringt. 

Aus allem anderen hält sich der Staat aber heraus. "Wenn in einer Ehe von heterosexuellen Partnern die Frau ein Kind zur Welt bringt, ist ihr Ehemann automatisch der Vater und Sorgeberechtigte des Kindes, auch wenn er nicht der biologische Vater ist (§ 1592 BGB )", erklärt uns Astrid Weinreich, Fachanwältin für Familienrecht 

Bei homosexuellen Paaren ist eine Stiefkindadoption aber immer notwendig.

Also auch, wenn Stephanie und Luisa seit Jahren verheiratet sind und ein Kind mit Hilfe einer Samenspende zur Welt bringen. Auch, wenn kein Vater in der Geburtsurkunde steht, also sonst niemand "Anspruch" auf das Kind erhebt. Stephanie muss in jedem Fall, wenn Luisa das Kind zur Welt gebracht hat, den kompletten Prozess der Stiefkindadoption durchmachen, um überhaupt irgendwelche Rechte an ihrem Kind zu haben. 

Ob das Paar verheiratet ist oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, macht dabei keinen Unterschied. Denn homosexuelle Eltern sind in der aktuellen Gesetzeslage bisher einfach nicht vorgesehen. Unsere Gesellschaft und moderne Fortpflanzungsmedizin, die künstliche Befruchtungen ermöglicht, entwickeln sich derzeit schneller als unsere Gesetze. (Süddeutsche Zeitung )

Fachanwältin Astrid Weinreich hat bento erklärt, wie eine Stiefkindadoption im Normalfall abläuft:

Zuerst muss ein notariell beurkundeter Antrag beim Familiengericht eingereicht werden. Dazu braucht das Gericht eine Reihe an Urkunden:

  • Adoptionsantrag in Ausfertigung
  • Erforderliche Einwilligung in Ausfertigung
  • Geburtsurkunden des Adoptivelternteils und des Kindes
  • Heiratsurkunde oder Lebenspartnerschaftsurkunde
  • Ärztliches Gesundheitszeugnis bezüglich des Adoptivelternteils und des Kindes
  • Nachweise der Staatsangehörigkeit des Adoptivelternteils und des Kindes
  • Polizeiliches Führungszeugnis des Adoptivelternteils

Das Familiengericht muss dann ermitteln, ob die Adoptionsvoraussetzungen grundsätzlich vorliegen und ob der Adoptivelternteil geeignet ist (§ 26 FamFG).

Um zu ermitteln, ob die Partnerin oder der Partner als Adoptivelternteil geeignet ist, beauftragt das Familiengericht dann das Jugendamt, eine gutachterliche Stellungnahme anzufertigen (§ 189 FamFG ).

Für das Gutachten des Jugendamtes müssen von den Eltern zahlreiche Fragebögen ausgefüllt und Schreiben angefertigt werden. Unter anderem möchte das Jugendamt einen ausführlichen "Lebensbericht" von beiden Elternteilen. Dieser soll insbesondere enthalten: Kindheit, Erziehung, Verhältnis zu Eltern und Geschwistern, Schul- und Berufsausbildung, Berufstätigkeit, Partnerschaft und Freizeitgestaltung.

Darüber hinaus muss das Gericht sich einen eigenen Eindruck verschaffen und alle Beteiligten persönlich anhören.

Die umfangreiche Überprüfung der zukünftigen Adoptiveltern sind unter Kindeswohlgesichtspunkten erforderlich und dienen dem Schutz des Kindes. Man will ein Kind schließlich nicht jedem oder jeder anvertrauen!

Astrid Weinreich

Bei Luisa (29) und Stephanie (30) dauerte die Adoption ihrer Tochter Charlotte (heute 2) neun Monate und kostete sie mehrere hundert Euro. Luisa berichtet, wie sich der Prozess für sie anfühlte:

"Ich konnte mir immer gut vorstellen, ein Kind selbst auszutragen und für uns stand schnell fest, dass wir ohne aktiven Vater, als 'spießige' Zwei-Eltern-Familie ein Kind großziehen wollten. Genauso schnell klar war aber auch, dass wir unserem zukünftigen Kind die Möglichkeit geben wollen, den biologischen Vater kennenzulernen. Die beste, und vor allem rechtlich sicherste Möglichkeit bot uns daher eine donogene Insemination, oft fälschlicherweise 'künstliche Befruchtung' genannt, mit Spendersamen in einer Kinderwunschklinik.

2016 wurde ich schwanger, und im Februar 2017 hielten wir unsere Tochter Charlotte endlich im Arm. 

Rechtlich gesehen war ich zu diesem Zeitpunkt allerdings eine quasi alleinerziehende Mutter, mein Kind 'ohne Vater' und damit vor dem Gesetz nur zur Hälfte abgesichert.

Luisa

Meine Frau beantragte also eine Stiefkindadoption. Für uns beinhaltete der Prozess Gespräche und mehrere Hausbesuche des Jugendamts, amtsärztliche Untersuchungen meiner Frau und unserer Tochter, Beantragung eines erweiterten Führungszeugnisses für meine Frau, diverse Meldebestätigungen von Standes- und Einwohnermeldeamt, ein formales Schreiben der Eltern meiner Frau, in dem sie bestätigen sollten, dass es für sie okay sei, wenn das Adoptiv-Enkelkind in die Erbfolge eintritt, gefühlt tausend Fragebögen und Berichte über mein Leben, das Leben meiner Frau und des biologischen Vaters und nicht zuletzt einen Gerichtstermin, bei dem ein Richter final über uns als Familie entschied.

Und auch wenn uns keine der Behörden bewusst Steine in den Weg legte, fühlten wir uns überwacht, kontrolliert und letztendlich so, als müssten wir beide unsere Eignung als Eltern erst noch beweisen.

Luisa

Wir hatten immer wieder diese Unsicherheiten und Ängste: Was passiert, wenn wir etwas 'falsches' sagen oder schreiben? Haben meine Schwiegereltern deutlich genug gemacht, dass sie sich ebenso über ihr Enkelkind freuen wie wir? Ist es sauber, aufgeräumt und ordentlich genug bei uns zuhause?

Zum Vergleich: Eine Freundin erwartete gemeinsam mit ihrem Partner zur selben Zeit ebenfalls ihr erstes Kind. Die beiden Unverheirateten machten einen Termin zur Vaterschaftsanerkennung beim örtlichen Jugendamt, bestätigten mündlich, dass er der Vater des ungeborenen Kindes sei und nach fünf Minuten war die Sache erledigt.

Luisa

Wieso musste es bei uns so viel komplizierter sein - alles nur, weil wir zwei Frauen sind?!

Hinzu kommt, dass der gesamte Prozess der Stiefkindadoption überhaupt nicht passt. Wir hatten dieses Kind doch gemeinsam 'geplant', es ist in unsere Ehe hineingeboren und wir wollten beide die elterliche und damit rechtliche Verantwortung für dieses Kind tragen - warum macht der Staat uns das so schwer?"

Dabei hatten es Stephanie und Luisa noch vergleichsweise leicht. Bei einem schwulen Paar, das sich dazu entscheidet, ein Kind zu bekommen, ist es sogar noch komplizierter.

Selbst wenn einer der Männer der biologische Vater ist: In Deutschland hat immer erst mal die Mutter des Kindes das Sorgerecht.

Weinreich: "Die Mutter müsste also zunächst einmal der Vaterschaftsanerkennung zustimmen und dann auch dem geteilten Sorgerecht. Wenn dieses Kind von dem Partner des Vaters als eigenes angenommen werden soll, müsste er es von der Mutter des Kindes im Rahmen der Stiefkindadoption adoptieren. Mit der Stiefkindadoption würde er dem leiblichen Vater gleichstehen, während die Mutter ihr Verwandtschaftsverhältnis zu dem Kind rechtlich aufgeben würde." Wenn diese der Adoption im Nachhinein nicht zustimmt, hat der Partner des Vaters keinerlei Rechte.

Die Regierung will das Gesetz überarbeiten – aber die Entwürfe sind für Stephanie und Luisa höchstens ein Anfang. 

Union und SPD hatten sich schon in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, wegen der "zunehmenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin" und der "Veränderung in der Gesellschaft" Anpassungen des Abstammungsrechts zu prüfen. (Süddeutsche Zeitung )

Bundesjustizministerin Barley hat nun einen ersten Vorschlag eingereicht, in dem unter anderem die Rechte von lesbischen Paaren bei der Gründung einer Familie gestärkt werden würden:

Es geht um den oben genannten Paragrafen 1592 BGB, nach dem als Vater eines Kindes gilt, wer "zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist".

Der soll laut Barley um den Satz ergänzt werden: "Mit-Mutter eines Kindes ist die Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist." Die Regelung soll auch für Frauen gelten, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben.

Luisa reicht das aber nicht: 

"Es wird der sehr sperrige und unpassende Begriff der 'Mit-Mutter' ins Spiel gebracht, was Familien wie unseren auf den ersten Blick Erleichterung verschaffen könnte. Schaut man genauer hin, sieht man aber: Familien sind weitaus vielfältiger als Mutter, Vater und Mit-Mutter! Was ist mit schwulen Vätern? Was ist mit transMüttern oder transVätern und intersexuellen Eltern? Warum gibt man nicht einfach die Möglichkeit, 'Elternteil I' und 'Elternteil II' auf der Geburtsurkunde eines Kindes eintragen zu lassen?

Die aufs biologische Geschlecht bezogene Zuordnung von Elternschaft bleibt also auch mit der Einführung der 'Mit-Mutter' weiterhin bestehen und grenzt somit systematisch weiterhin viele Familien aus."

Und das ist fatal, denn aus unserer Sicht ist Familie da, wo Liebe gelebt und gemeinsame Verantwortung füreinander übernommen wird - und das ist völlig unabhängig von biologischem Geschlecht, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität.

Luisa