Den Bankier nicht um Rat fragen!

«Die acht Gebote der Finanzkunst» aus dem Jahr 1924 sind heute aktueller denn je. Würden wir uns an sie halten, bliebe uns viel Frust und Verlust erspart.

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Wie man eine Forelle blanchiert, eine Tomate häutet oder einen Mürbeteig mischt: In Küchendingen sind wir uns einig. Es gibt Grundregeln, die man besser einhält, will man, dass die Kochkunst schmeckt. Da halten wir uns an die Regeln unserer Grossmütter.

An der Börse wäre das genau gleich. Wäre, denn die Erfahrung der letzten Jahre zeigt deutlich: Viele Anleger ignorieren die Grundregeln der Börsenkunst. Karlheinz Heeb, ehemaliger Präsident der Liechtensteinischen Landesbank, glaubt, dass die «ewigen Wahrheiten» der Finanzkunst in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt wurden: «Ihre Nichtbeachtung führte schliesslich zur heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise.»

Wieso aber benehmen wir uns am Kapitalmarkt so viel undisziplinierter als in der Küche? Unsere Grossväter wussten, welch Übel das anrichten kann. So zum Beispiel der Wissenschafter und erste Herausgeber eines deutschen Aktienführers (1934), Hermann Zickert. Zickert hat zwischen 1924 und 1934 die für die damalige Zeit gewaltige Auflage von 20 000 Exemplaren seines Werkes «Die acht Gebote der Finanzkunst» verkauft. Zickert erkannte schon 1924, dass sich die Anleger bei ihren Anlageentscheiden von «Gier, Herdentrieb und Spielteufelchen» beeinflussen liessen. Der Bankökonom Heeb hat Zickerts Gebote wieder hervorgeholt, neu aufgelegt und interpretiert. Die Zickertschen Gebote sind aktueller denn je:

1 Arbeiten Sie mit Ihrem Kapital!

Das Geniale kann nicht gelernt werden, wohl aber das Handwerkliche. Seien Sie zufrieden, wenn Sie die handwerklichen Griffe erlernt haben und es zu einem achtbaren Vermögen bringen! Bei der Prüfung der Sicherheit spielt der Instinkt eine Rolle.

Kommentar Heeb: «Vor dem Ausbruch der Subprime-Krise hätten die Banker mit Vorteil mehr auf den von Zickert postulierten Instinkt gehört als auf die Rating-Agenturen.»

2 Streben Sie nach Ertrag, nicht nach Kursgewinn!

Oft genug ist das Verlangen an mich gestellt worden, eine Vermögensanlage zu nennen, die zugleich die denkbar grösste Sicherheit und die besten Aussichten auf schnelle Vermehrung biete. Ein solches Verlangen ist töricht. Denn beide Bedingungen schliessen einander aus.

Heeb: «Anleger, die während der Krise nur auf möglichst hohe Kursgewinne spekulierten, mussten schmerzliche Erfahrungen machen.»

3 Kaufen Sie nur marktgängige Sachen!

Darin besteht eben die Kunst der Kapitalanlage, dass man sein Geld in solchen Dingen anlegt, für die wirklich später eine Nachfrage eintritt, die begehrt werden. Einzelne Papiere kann man wohl kaufen, man wird sie aber nur schlecht wieder los.

Heeb: «In der aktuellen Krise erhält Zickerts drittes Gebot erschreckende Aktualität. Unzählige Derivate, Zertifikate, Hedge-Funds mit engem Markt und geringer Transparenz wurden innert Wochen illiquide, und man wurde sie nur schlecht wieder los.»

4 Lassen Sie sich nicht durch Versprechungen blenden!

Es ist merkwürdig, wie viele Menschen nur auf grosse Versprechungen hin ihr Geld verlieren. Es sind oft sonst kluge Leute. Seien Sie mit Ihrer Kapitalanlage umso vorsichtiger, je grössere Gewinne in Aussicht gestellt werden.

Heeb: «Behring und Madoff haben zweistellige Renditen jährlich versprochen. Anleger und Analysten liessen sich von diesen Renditen und Versprechungen blenden.»

5 Prüfen Sie, bevor Sie kaufen!

Man sollte überhaupt nie etwas kaufen, was man nicht kennt. Lassen Sie sich niemals drängen! Kaufen Sie nicht auf blosse Tipps hin!

Heeb: «Damals wie heute handeln Anleger häufig intuitiv, kaufen eine Aktie nur auf blosse Tipps hin, weil der Titel grad durch die Zeitungen geistert. Prüfen sollte man auch, ob ein Titel ins Portefeuille passt.»

6 Fragen Sie nicht den Bankier um Rat!

Es mag noch einige alte Bankiers geben, die sich ganz als Vertrauensperson der Kunden fühlen. Aber diese Sorte Bankiers stirbt aus. Vergessen Sie auch nicht, dass die meisten Bankangestellten und Bankiers selbst an der Börse spekulieren!

Heeb: «Standesregeln wirken heute Interessenkonflikten entgegen. Es wird immer gute Bankiers geben – aber eben auch solche, die, wie notabene ihre Kunden, nie genug kriegen können.»

7 Versäumen Sie nicht den rechtzeitigen Verkauf!

Eine Binsenwahrheit behauptet, dass man in der Baisse kaufen und in der Hausse verkaufen soll. Die Befolgung dieser Regel hat den Haken, dass weder die Tiefpunkte noch die Höhepunkte der Kurse vorher amtlich angezeigt werden.

Heeb: «Zickert empfiehlt, beim Streben nach viel das wenige nicht einzubüssen. Wenn sich ein Kurs verdoppelt hat, ist es wahrscheinlicher, dass er wieder sinkt, als dass er sich nochmals verdoppelt.»

8 Machen Sie keine unnötigen und leichtsinnigen Bankschulden!

Ein Spekulationskredit bringt grosse Gefahren mit sich. Denn die Banken pflegen stets in dem Moment ihre Kunden zur Bezahlung der Schulden aufzufordern, wenn die Kurse am niedrigsten sind.

Heeb: «Der Selbstmord des deutschen Unternehmers Adolf Merckle, der mit Krediten an der Börse gespielt und alles verloren hat, illustriert, wie aktuell Zickerts Weisheit ist.»