Das Lucerne Festival streicht seine Spartenfestivals – neuer Programmfokus ab 2020

Das bedeutendste Musikfestival der Schweiz will sein Profil durch die Konzentration auf seine Veranstaltungen im Sommer und die eigenen Ensembles schärfen. Der neuen Strategie fallen das Oster- und das Klavierfestival zum Opfer. Dahinter dürften auch Sparzwänge stehen.

Christian Wildhagen, Luzern
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Haben die Struktur der Luzerner Festivalveranstaltungen komplett überdacht: Intendant Michael Haefliger (links) und Stiftungsratspräsident Hubert Achermann. (Bild: Marco Borggreve / Lucerne Festival)

Haben die Struktur der Luzerner Festivalveranstaltungen komplett überdacht: Intendant Michael Haefliger (links) und Stiftungsratspräsident Hubert Achermann. (Bild: Marco Borggreve / Lucerne Festival)

Das Lucerne Festival steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Vom Jahr 2020 an will die künstlerische Leitung um den Intendanten Michael Haefliger die Musikveranstaltungen in Luzern weitaus stärker als bisher auf das international ausstrahlende Sommerfestival im August und September konzentrieren. In diesem Rahmen sollen vor allem die eigenen Projekte und Institutionen wie das weltweit renommierte Festivalorchester mit seinem Chefdirigenten Riccardo Chailly und die von Wolfgang Rihm geleitete Lucerne Festival Academy gestärkt werden.

Teil der neuen Strategie ist im Gegenzug aber auch eine einschneidende Kürzung: Demnach werden von 2020 an der im Jahr 1988 etablierte Festspielableger zu den Ostertagen sowie das seit 1998 bestehende, ebenfalls etwa einwöchige Klavierfestival im Spätherbst gestrichen.

Zentrale Erfolgsfaktoren

Stiftungsrat und Geschäftsleitung des Lucerne Festival hätten die ab dem kommenden Jahr geltende neue Festivalstruktur im Rahmen einer Strategieüberprüfung beschlossen, hiess es am Dienstagmittag bei einer Medienorientierung. Diese sei, wie Stiftungsratspräsident Hubert Achermann und Intendant Haefliger einvernehmlich ausführten, darauf ausgerichtet, die «zentralen Erfolgsfaktoren» des Festivals noch stärker zum Tragen zu bringen. Dazu zählen die Verantwortlichen neben der Fokussierung auf das Sommerfestival, das nach wie vor die führenden Sinfonieorchester der Welt ins KKL holen soll, vor allem das festivaleigene Orchester.

Zum Kern der eigenen Marke gehört nach Auffassung der künstlerischen Leitung ferner die 2004 von Pierre Boulez und Haefliger als Talentschmiede für Musiker, Dirigenten und Komponisten gegründete Lucerne Festival Academy mit ihrem Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Musik. Ausserdem die Lucerne Festival Alumni, ein Netzwerk ehemaliger Akademieteilnehmer, die das Festival als Kulturbotschafter im Rahmen einer wachsenden Konzerttätigkeit in Europa, den USA und Asien repräsentieren sollen.

«Von geringerer Bedeutung»

Demgegenüber hätten Stiftungsrat und Geschäftsleitung das Oster- und das Piano-Festival als, so wörtlich, «strategisch von geringerer Bedeutung» für die weitere Stärkung der Marke Lucerne Festival eingestuft. Immerhin soll es ersatzweise ab 2020 jeweils im Frühjahr und im Herbst zwei neu ins Leben gerufene Festival-Wochenenden geben, an denen Konzerte vornehmlich mit den eigenen Institutionen und Ensembles angeboten werden.

Die Festivalleitung beruft sich bei den weitreichenden und für viele Musikfreunde fraglos schmerzhaften Umstrukturierungen unter anderem auf zwei Studien, die das Marktforschungsinstitut GfK 2016 und 2017 bei der Stiftung Freunde Lucerne Festival und mit weiteren Befragungen durchgeführt habe. Sie hätten eine klare Vorliebe der Besucherinnen und Besucher für das Sommerfestival ergeben. Ähnliches gelte für die ebenfalls im Jahr 2017 von der Hochschule St. Gallen durchgeführte jüngste Wirtschaftlichkeitsstudie zum Lucerne Festival. «Auch diese Untersuchung», so Stiftungsratspräsident Achermann, «hat klar gezeigt, dass das Sommerfestival für uns und für den Wirtschaftsstandort Luzern die höchste Wertschöpfung erzielt.»

Gemäss Stiftungsratspräsident Achermann haben nicht zuletzt die Hauptsponsoren «zustimmend auf die geplanten Neuerungen reagiert». Sie sähen insbesondere in der Weiterentwicklung der Auslandprojekte grosses Potenzial.

Sparmassnahmen

Dass die als Schärfung der Strategie propagierte Bündelung der Festivalveranstaltungen im Sommer freilich nicht nur eine programmatische Weichenstellung, sondern zugleich eine offenbar notwendige Sparmassnahme darstellt, deutet ein Statement des Intendanten an: «Wir mussten uns entscheiden, worauf wir uns in Zukunft fokussieren wollen», so Haefliger, «auch vor dem Hintergrund, dass wir zu 95 Prozent eigenfinanziert sind.» Dabei sei man zum Schluss gekommen, «dass die geplanten Wochenenden mit vielfältigen Eigenproduktionen für unsere Weiterentwicklung wichtiger sind als das Oster- und das Piano-Festival».

In nüchternen Zahlen ausgedrückt, bedeutet der Verzicht auf diese beiden Satelliten eine Kürzung der vom Festival in Luzern bestrittenen Veranstaltungstage um rund zwei Wochen, die durch die insgesamt vier (oder allenfalls sechs) Konzerttage der geplanten Wochenenden im Frühjahr und Herbst nur teilweise aufgewogen werden. Unangetastet bleiben hingegen bis auf weiteres die gut vier Wochen des Sommerfestivals, die nun vermehrt zur Profilierung der eigenen Ensembles genutzt werden sollen. «Wir wollen noch mehr zu einem selbst produzierenden Festival werden, unsere eigenen Projekte stärken und auch international etablieren», erklärte Haefliger.

Obwohl diese Stärkung der künstlerischen Eigenleistungen programmpolitisch und dramaturgisch uneingeschränkt zu begrüssen ist – zumal angesichts der herausragenden Qualität der Luzerner Klangkörper –, dürfte sich auch hinter dieser Konzentration auf die eigenen Institutionen eine geschickt kaschierte Sparmassnahme verbergen, die dem Festival finanziellen Spielraum in seinem Kernbereich, also bei der Veranstaltung der traditionellen Konzertgastspiele im KKL, sichern soll. Offenkundig ist die von vielen ausländischen Veranstaltern schon seit längerem beklagte Kostenexplosion im internationalen Musik- und Tourneebetrieb nunmehr mit allen Konsequenzen am Vierwaldstättersee angekommen.

Künstlerische Einbusse

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erscheint die geplante Fokussierung auf das Sommerfestival aus wirtschaftlicher Perspektive zweifellos vernünftig und folgt hinlänglich bekannten Managementstrategien einer Rückbesinnung aufs Kerngeschäft. Inmitten einer ohnehin überreichen Festspiellandschaft wie der Schweiz mag dies ein verkraftbarer Schritt sein. Gleichwohl wiegt die künstlerische Einbusse schwer: Bedeutet die Streichung der beiden Spartenfestivals für Klavier und an Ostern doch das Aus für zwei über mehrere Jahrzehnte mit unterschiedlichem Erfolg gepflegte Programmschienen, die aber das Profil der Festivalveranstaltungen im Ganzen auf je eigene Weise bereichert haben.

Das Lucerne Festival verliert dadurch gegenüber der Konkurrenz im Land, aber auch gegenüber den europäischen Mitbewerbern deutlich an Boden. Namentlich gegenüber Salzburg, das mit den Pfingst- und den traditionsreichen Sommerfestspielen (inklusive Operneigenproduktionen), den selbständigen Osterfestspielen sowie der Mozartwoche im Januar gleich über vier hochkarätige Spartenfestivals im Jahresverlauf verfügt. An der Salzach führt obendrein Cecilia Bartoli seit 2012 als künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele vor, wie man eine lediglich viertägige Veranstaltungsreihe so gehaltvoll profiliert, dass sie als Highlight den Festivalkalender überstrahlt. In Luzern hat dazu leider der Mut oder der Wille gefehlt.

Mehr von Christian Wildhagen (wdh)

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