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Dritte Corona-Mutation: Infektionswelle unter bereits genesenen Covid-19-Patienten - Experten äußern Befürchtung

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Eine Patientin liegt umringt von Personen in Schutzanzügen auf einem Krankenbett neben einem Flugzeug
Manaus am Limit: In der brasilianischen Millionenstadt wütet das Coronavirus zum zweiten Mal besonders heftig. © Edmar Barros/dpa

Herdenimmunität war eines der Zauberwörter in der Corona-Pandemie. Doch womöglich müssen wir uns davon verabschieden. Welche Rolle die Mutation P.1 dabei spielt, wollen Forscher aufdecken.

München - Zuerst war da Sars-CoV-2. Die wissenschaftliche Bezeichnung für das neuartige Coronavirus, das die Welt seit rund einem Jahr in Atem hält. Und tut, was Viren eben so tun. Es bildet sich weiter, mutiert. Deshalb tauchten in den vergangenen Tagen und Wochen immer neue Schreckgespenster auf: B.1.1.7 in Großbritannien oder 501Y.V2 in Südafrika. Und jetzt auch P.1 in Brasilien.

Die neueste Corona-Variante wurde also in einem der Länder, die besonders viele Opfer der Pandemie zu beklagen haben, entdeckt. Im Zuge eines beunruhigenden Phänomens. Denn in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, hatten sich bereits im vergangenen Jahr drei Viertel der Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert. Die Hoffnung auf eine Herdenimmunität war anschließend groß.

Corona-Mutation in Brasilien: Antikörper nach Infektion bieten keinen ausreichenden Schutz

Doch dann füllten sich die Klinikbetten wieder rapide mit Infizierten. Was den Schluss nahelegt: Auch die entwickelten Antikörper bieten keinen wirklichen Schutz. Woran könnte das liegen?

Auf die Spur dieser Mutation kamen Nuno Faria, Virologe am Imperial College London und Professor an der Universität Oxford, und sein Team, indem sie Proben von Infizierten untersuchten. In 13 von 31 Fällen konnte die neue Virusvariante P.1. nachgewiesen werden, wie das Wissenschaftsmagazin Science berichtet.

Video: Kliniken in Brasilien geht Sauerstoff für Corona-Patienten aus

Corona-Mutation in Brasilien: Müssen Impfstoffe bald modifiziert werden?

Nun ist die Befürchtung groß, bereits genesene Menschen könnten sich erneut infizieren. In letzter Konsequenz müssten womöglich die gerade erst auf den Markt gekommenen Impfstoffe modifiziert werden.

Doch bevor die ganze Welt in den Panik-Modus schalten kann, verweisen die Experten auf den bisherigen Stand der Wissenschaft. So ist keineswegs gesichert, dass P.1 der Auslöser für die neue Infektionswelle in Manaus sein muss. Der Epidemiologe Oliver Prybus etwa mutmaßt laut Science, dass die Immunität der Bevölkerung abgenommen haben könnte, weshalb das Virus in der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt wieder leichtes Spiel hatte.

Corona-Mutation in Brasilien: Höherer Ansteckungsgrad oder Immunität gegen Antikörper?

Fraglich sei auch, ob sich die neue Virusvariante verbreite, weil sie ansteckender ist oder weil ihr Antikörper nichts anhaben können. „Natürlich kann es auch eine Kombination dieser beiden Faktoren sein“, betont Prybus.

In den von Mutationen heimgesuchten Regionen wird die Forschung entsprechend vorangetrieben. Die WHO forderte zuletzt dazu auf, Corona-Genome zu sequenzieren und zu teilen, da so die Mutationen genauer nachverfolgt werden könnten. Die Mitgliedsstaaten wurden dazu aufgerufen, „die globalen Forschungsbemühungen zu unterstützen, um wichtige Eigenschaften der Mutationen und Varianten besser verstehen zu können“.

Corona-Mutation in Brasilien: Die meisten Varianten weit weniger gefährlich als B.1.1.7 oder P.1

In Zukunft könnte sich aber die Schwierigkeit ergeben, dass die verschiedenen Mutationen interagieren. Und niemand weiß wirklich, wie viele es mittlerweile gibt. Wahrscheinlich unzählige. Wobei die meisten weit weniger bedenklich sein dürften als B.1.1.7 oder - mutmaßlich - P.1.

Die Varianten aus Großbritannien, Südafrika und Manaus etwa verbindet die Mutation N501Y, von Forschern auch Nelly getauft. Bisherige Erkenntnisse lassen jedoch darauf schließen, dass Nelly nicht alleine operiere, da sie auch in Varianten auftrete, die sich nicht schneller verbreiten. „Nelly mag harmlos sein, es sei denn, sie hängt mit ihren bösen Freunden ab“, bringt es Kristian Andersen vom Scripps Research Institute in den USA etwas flapsig auf den Punkt.

Vier Personen tragen einen Sarg durch eine Tür in einer Mauer.
Das Coronavirus ist zurück - diesmal auch als Mutation P.1: In Manaus zieht die Zahl der Todesopfer wieder an. © MICHAEL DANTAS/afp

Corona-Mutation in Brasilien: „Virus entwickelt sich wohl zu impfstoffresistentem Phänotypen“

Noch scheint diese Mutations-Clique den Impfstoffen nicht widerstehen zu können. Diesen Eindruck hat der Impfarzt Philip Krause laut Science gewonnen. Er leitet eine WHO-Arbeitsgruppe zu Corona-Impfstoffen und hebt mit Blick in die nahe Zukunft warnend den Finger: „Die nicht so gute Nachricht ist, dass die schnelle Weiterbildung dieser Varianten darauf hindeutet, dass sich das Virus früher als erhofft zu einem impfstoffresistenten Phänotypen entwickeln kann.“

Sollte es so weit kommen, wären Updates für die Impfstoffe unumgänglich. Diese sei laut Krause rasch umsetzbar, allerdings wären vor einer Zulassung wohl erneute Überprüfungen hinsichtlich Sicherheit und Effizienz nötig. Der Experte regt sogar multivalente Impfstoffe an, die gegen mehrere Viren-Abstammungslinien helfen.

Corona-Mutation in Brasilien: Experte sieht Impfstoff-Updates als noch nicht nötig an

Zugleich beruhigt Krause und spricht davon, es handele sich um „hintergründige Überlegungen. Die Öffentlichkeit sollte nicht denken, dass dies unmittelbar bevorsteht und neue Impfstoffe benötigt werden.“ Andere Forscher sehen das freilich anders. So regt Ravindra Gupta von der Universität Cambridge an, schon jetzt Impfstoffe zu produzieren, die eine Immunität gegen die Mutationen verschaffen.

Den kompletten Fokus auf die Erforschung der neuen Virusvarienten und deren Schwachstellen zu legen, hält Mike Ryan aber für zu einfach. Der Geschäftsführer des Programms für Notfälle bei der WHO vermutet einen anderen Hauptantrieb für das Wiederaufleben von Viren: das menschliche Verhalten.

„Es ist zu einfach, die Schuld auf die Mutationen zu schieben und zu sagen, das alles hätte das Virus getan. Leider geht es auch darum, was wir nicht getan haben“, fordert er mehr Eigenverantwortung in der Krise. Ein Appell, den wir schon häufig gehört haben. Aber anscheinend nicht oft genug. (mg)

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