12 Minuten Lesezeit 20 Oktober 2020
Unzählige LKW's in auf mehreren Spuren am Warten

Zwölf Mythen um den Brexit, die Unternehmen im Blick haben sollten

Von Tax & Law Magazine

Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen.

12 Minuten Lesezeit 20 Oktober 2020

Der britische Austritt aus der EU steht unmittelbar bevor. Viele Unternehmen haben jedoch falsche Vorstellungen davon, was auf sie zukommt.

Überblick
  • Mit Blick auf den Brexit müssen viele bürokratische Details bedacht und berücksichtigt werden.
  • Bei Ein- und Ausfuhrbestimmungen bestehen zum Teil wesentliche Veränderungen.
  • Die Verhandlungen laufen noch  – Unternehmen sollten Änderungen im Blick behalten.

Vor viereinhalb Jahren stimmten die Briten mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union (EU). Nach mehrfacher Verschiebung soll der Brexit endgültig zum 1. Januar 2021 vollzogen werden. Für Hunderttausende Unternehmen stellt sich die drängende Frage, ob sie darauf vorbereitet sind – oder nicht. Die nachfolgenden zwölf Beispiele aus unserer Beratungspraxis zeigen, welche häufigsten Fehleinschätzungen in Bezug auf die künftige Zoll- und Außenhandelsabwicklung zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und der EU bestehen.

Mythos 1: Ein Freihandelsabkommen führt dazu, dass Waren zollfrei eingeführt werden können.

Ja und nein. Bei Abschluss eines umfassenden Freihandelsabkommens („zero tariff, zero quota“) ist in der Tat zu erwarten, dass Ursprungswaren, die in der EU oder in UK mit hinreichender Wertschöpfungstiefe produziert werden, im jeweils anderen Wirtschaftsraum zollfrei eingeführt werden können. Die Waren müssen die Anforderungen an den Präferenzursprungserwerb und dessen Deklaration sachlich und formell erfüllen.

Die Zollbegünstigung gilt jedoch nicht für Waren aus dritten Ländern, etwa aus China oder den USA, die über den Weg der EU beispielsweise als Handelsware ins UK gelangen und umgekehrt. Für sie fallen auch bei Zustandekommen eines Präferenzabkommens gegebenenfalls nochmals Einfuhrabgaben an, also erst bei der Einfuhr in die EU, dann bei der Einfuhr nach UK. Es wird in vielen Fällen zu einer Doppelbelastung kommen. Denn es ist, Stand heute, gerade nicht beabsichtigt, dass mit dem UK eine Zollunion – ähnlich wie zwischen der EU und der Türkei – geschaffen wird.

Mythos 2: Mit den Zollabgaben sind die Brexit-bedingten Mehrkosten ermittelt.

Oft kalkulieren Unternehmen nur die erwarteten Mehrausgaben für Zölle ein. Tatsächlich ist mit weiteren Kostenpositionen zu rechnen. Hierunter fallen unter anderem die Kosten für die Ausfuhr- und Einfuhranmeldung. In vielen Fällen ist die operative Zollabwicklung an Logistikdienstleister beziehungsweise Zollbroker outgesourct. Gerade auf britischer Seite dürften diese Dienstleistungen erheblich teurer werden (siehe Mythos 3).

Wer keinen Überblick über die anfallenden Gesamtkosten hat, kann sehr unangenehm überrascht werden. Gerade bei kleinen beziehungsweise weniger wertintensiven Lieferungen können die Brexit-bedingten Zusatzkosten schnell die Gewinnmarge übersteigen.

Falls ein Freihandelsabkommen zustande kommt, sind Zusatzkosten für die Ausstellung von Präferenznachweisen zu berücksichtigen. Ferner entstehen Kosten für veterinär- oder phytosanitärrechtliche Nachweise. Ins Gewicht fallen auch die internen Prozesskosten in der Zollabteilung oder den involvierten Unternehmensfunktionen. Wer keinen Überblick über die anfallenden Gesamtkosten hat, kann sehr unangenehm überrascht werden. Gerade bei kleinen beziehungsweise weniger wertintensiven Lieferungen können die Brexit-bedingten Zusatzkosten schnell die Gewinnmarge übersteigen.

Mythos 3: Die Zoll- und Logistikdienstleister werden es schon regeln.

Die Deklarationen bei der Aus- oder Einfuhr werden häufig an Zolldienstleister (Logistiker, Zollbroker etc.) outgesourct. Zahlreiche Unternehmen haben aber noch nicht belastbar mit ihren Dienstleistern abgeklärt, welche Volumina für den EU-UK-Warenverkehr einzuplanen sind. Es ist mithin ein realistisches Szenario, dass Anfang 2021 die Nachfrage nach Verzollungsdienstleistungen deutlich höher als geplant ausfällt und nicht gedeckt werden kann. Preissteigerungen und Verzögerungen bei der Verzollungsabwicklung sind zu erwarten. 

Ob die Zolldienstleister, die Zollbehörden und die eingesetzten IT-Systeme das zusätzliche Deklarationsvolumen reibungslos bewältigen werden, kann derzeit niemand zuverlässig vorhersagen – allein die Praxis wird es im Januar zeigen.

Deutsche Mandanten berichten, dass sie im Vereinigten Königreich erst nach langer Suche einen Zolldienstleister fanden und dabei Preise aufgerufen wurden, die jenseits des bislang Vorstellbaren lagen. Ob die Zolldienstleister, die Zollbehörden und die eingesetzten IT-Systeme das zusätzliche Deklarationsvolumen reibungslos bewältigen werden, kann derzeit niemand zuverlässig vorhersagen – allein die Praxis wird es im Januar zeigen. Sinnhaft ist es jedoch durchaus, sich mit dem Szenario auseinanderzusetzen, dass es, wie in den Medien hinlänglich in Worst-Case-Szenarien aufgezeigt, zu (erheblichen) Verzögerungen in der Lieferkette und allen hieraus erwachsenden Konsequenzen kommen kann (Vergehen von verderblicher Ware, höhere Fracht- und Lagerkosten, Schadensersatz bei nicht termingerechter Lieferung, temporäre Nichtverfügbarkeit kritischer Teile usw.).

Zollbroker können darüber hinaus nur im operativen Doing helfen. Handlungsbedarfe können sich aber beispielsweise auch hinsichtlich der Bewertung der Waren (Zollwert) oder der Ermittlung des Präferenzursprungs und des damit zusammenhängenden Lieferantenerklärungsmanagements ergeben. Hierzu sind interne Überprüfungen und gegebenenfalls Anpassungen erforderlich, die aus Compliance-Gründen nicht vernachlässigt werden sollten.

Mythos 4: Der Kunde übernimmt die Zollformalitäten. Oder der Lieferant.

Gerade bei Dauerleistungsbeziehungen oder Rahmenverträgen ist zu prüfen, welche Partei verpflichtet ist, die Verzollung bei der Aus- oder Einfuhr zu organisieren, wer die Kosten und Einfuhrabgaben zu tragen hat. Notwendig sind eine Auswertung der bestehenden Verträge und ein klares Konzept zum Aufsatz zukünftiger Regelungen. Kritisch zu hinterfragen ist, ob die in Verträgen getroffenen Regelungen (oft durch Incoterms ausgedrückt) in der Praxis auch so gelebt werden.

Wichtig ist die aktive Kommunikation mit Lieferanten und Kunden (denen gegebenenfalls vertraglich die Pflicht zur Zollabwicklung zufällt), um sich zu versichern, dass die Vertragspartei Vorsorge zur effizienten und regeltreuen Abwicklung der ab 2021 bestehenden Zollformalia leistet. Gerade kleinere Zulieferer werden die ihnen zufallenden Pflichten nicht ohne weiteres erfüllen können.

In diversen Konstellationen kann es sinnvoll sein, dass die erfahrenere Partei im eigenen Interesse die Abwicklung an sich zieht. In bestimmten Fällen kann es auch erforderlich sein, dass beteiligte Parteien zollrechtliche Bewilligungen neu beantragen beziehungsweise Lieferketten umstrukturiert werden müssen, um die gewünschte kommerzielle und prozessuale Zielstellung zu erreichen. Ein Delegieren von Verantwortung an andere Parteien kann auch aus diesem Grund nicht das zielführende Vorgehen sein.

 

  • Nach UK entsandt – und ab 2021 wo sozialversichert?

    Bisher konnten von Deutschland nach UK entsandte Mitarbeiter weiterhin in ihrer heimatlichen Sozialversicherung verbleiben. Wie es nach 2020 weitergeht, ist noch unklar. Denkbar wäre, dass die Anwendung des alten bilateralen Sozialversicherungsabkommens wieder zum Tragen kommt – oder dass eine gänzlich ungeregelte Situation entsteht. Dann könnten Mitarbeiter nicht mehr in ihrem gewohnten Sozialversicherungssystem verbleiben und hätten Leistungseinschränkungen zu befürchten. Unternehmen müssten mit höheren Beitragskosten rechnen und im schlimmsten Fall sogar doppelt zahlen.

    Grandfathering ausnutzen

    Das geschlossene Austrittsabkommen sieht vor, dass die sozialversicherungsrechtliche Regelung nach europäischem Recht für Altfälle weitergelten soll. Für alle Entsendungen oder Grenzpendler-Situationen, die im Jahr 2020 oder früher begannen, kann demnach die A1-Bescheinigung auch über den 31. Dezember 2020 hinaus eingeholt werden. Unternehmen sollten jetzt vorausdenken und

    • geplante Entsendungen oder Grenzpendler-Situationen für das Jahr 2021 identifizieren und gegebenenfalls vorziehen sowie
    • im kommenden Jahr auslaufende Entsendungen oder Grenzpendler-Situationen auf mögliche Verlängerungsoptionen hin überprüfen und die A1-Bescheinigungen noch in diesem Jahr verlängern.

    Es kann zu zusätzlichen Kosten kommen, wenn Unternehmen sich in UK extra bei der Sozialversicherungsbehörde als beitragspflichtiges Unternehmen registrieren lassen müssen, um einer Beitragsverpflichtung nachzukommen.

Mythos 5: Die Stammdaten passten bislang, sie tun’s auch nach dem Brexit.

Wer einzig innerhalb der Europäischen Union tätig ist und keinen Umgang mit Waren hat, die einem reduzierten Umsatzsteuersatz unterliegen, verwendet Außenhandelsstammdaten (Warentarifnummern, nichtpräferenzieller Ursprung) oft nur für Zwecke der Intrastat-Meldung. Zwar ist die Deklaration fehlerhafter Daten in den Intrastat-Meldungen eine Ordnungswidrigkeit, sie wird in der Praxis aber nur sehr selten geahndet. Entsprechend gering war bisher die Motivation, in Datenmanagement, Prozesse oder IT-Systeme zu investieren. Bei der Verzollung kann die Verwendung fehlerhafter Daten jedoch erhebliche Konsequenzen haben. Kommt es zur Abgabenverkürzung, drohen – meistens erst später im Rahmen von Zollprüfungen – unerwartete Abgabennacherhebungen, Bußgelder oder Strafverfahren.

Mythos 6: Ganz einfach: Wir bilden systemseitig UK ab 2021 wie andere Drittländer ab, die wir beliefern.

Das ist etwas zu kurz gegriffen. Um die Datengrundlage für die Zollabwicklung bereitzustellen, müssen über Nacht ab dem 1. Januar 2021 auch die Warenbegleitdokumente zolltauglich ausgestellt werden. Das gilt für die Darstellung von zoll- und gegebenenfalls exportkontrollrelevanten Informationen auf Rechnungen, Packlisten etc. ebenso wie für besondere Dokumentenanforderungen. Werden die Warenbegleitdokumente nicht den zollrechtlichen Anforderungen entsprechend ausgefertigt, fehlen für die Einfuhrverzollung im Zielland möglicherweise relevante Angaben und die Sendung bleibt stehen. Auch aus umsatzsteuerlicher Sicht ist sicherzustellen, dass die entsprechenden Nachweise für die Steuerbefreiung als Ausfuhrlieferung vorgehalten werden.

Mythos 7: Wir liefern nicht nach UK, wir beziehen nicht aus UK – der Brexit betrifft uns nicht.

In dieser Pauschalität ist das falsch. Es können in der EU ansässige Vorlieferanten betroffen sein, sodass der Partei, die Ware innerhalb der EU von einem Lieferanten abnimmt, bislang nur nicht bekannt ist, dass die Waren ursprünglich aus UK stammen. Dann drohen nicht nur Preissteigerungen, weil Zollabgaben und -prozesskosten umgelegt werden, auch die Qualifikation für eine Zollpräferenzbehandlung kann verloren gehen. Im Zolljargon heißt das: Aus einer Ware mit Ursprung wird eine Ware ohne Ursprung. Bei einem höheren Anteil an Vormaterial ohne Ursprung steht die EU-Wertschöpfung auf dem Spiel. Die ist aber bei zollbegünstigten Präferenzabkommen mit Drittländern erforderlich.

Analog verhält es sich auf der Absatzseite: Wer innerhalb der EU verkauft, die Waren dann aber in der Kette nach UK weitergeliefert werden, kann vom Brexit ebenso betroffen sein. Wenn der Absatz nach UK unrentabel, aufgrund des Wegfalls der Präferenzqualifikation unattraktiv und das Geschäft eingestellt wird, dann sind davon auch die Vorlieferanten betroffen.

Neben dem Freihandelsabkommen mit der EU verhandelt UK gleichzeitig ein Freihandelsabkommen mit den USA. Das kann sich beißen. Denn die US-Seite möchte regulatorische Maßgaben in einem Abkommen einbringen, die in der EU mehrheitlich keine Befürwortung finden. Je weiter sich UK auf die USA zubewegt, desto größer wird vermutlich die Distanz zur EU. 

Mythos 8: Ein Handelsabkommen kommt auf jeden Fall zustande.

Die Zeichen stehen nicht günstig. Natürlich betonen die Verhandlungsparteien ihren Einigungswillen, beschuldigen sich aber gegenseitig einer Blockadehaltung. Die Verhandlungen sind festgefahren und Premierminister Boris Johnson beabsichtigt, mit dem sogenannten Binnenmarktgesetz Teile des Austrittsabkommens in Bezug auf Nordirland auszuhebeln – ein Affront gegen die EU.

Neben dem Freihandelsabkommen mit der EU verhandelt UK außerdem gleichzeitig ein Freihandelsabkommen mit den USA. Das kann sich beißen. Denn die US-Seite möchte regulatorische Maßgaben in einem Abkommen einbringen, die in der EU mehrheitlich keine Befürwortung finden – Stichworte sind Chlorhühnchen und gentechnisch veränderte Lebensmittel. Je weiter sich UK auf die USA zubewegt, desto größer wird vermutlich die Distanz zur EU.

Unabhängig davon, ob ein Freihandelsabkommen zustande kommt, müssen bei der Aus- und Einfuhr ohnehin alle zollrechtlichen Anmeldepflichten erfüllt werden. 

  • Briten brauchen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Deutschland

    Dürfen britische Staatsbürger ab 2021 überhaupt noch in Deutschland arbeiten? Die einfache Antwort ist: Ja. Welche Voraussetzungen dafür notwendig sind, hängt davon ab, ob es einen „soft“ oder „hard“ Brexit gibt. Die deutschen Behörden haben aber wiederholt klargestellt, dass es eine Regelung geben wird. In jedem Fall dürfen Briten künftig nicht mehr ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Deutschland arbeiten. Bei einem harten Austritt aus der EU könnte das noch schwieriger werden. Allerdings dürfen diejenigen, die schon vor dem 1. Januar 2021 hierzulande gearbeitet haben, danach zumindest für weitere drei Monate in Deutschland tätig sein und müssen in dieser Zeit einen Antrag auf eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis stellen. Die Arbeit kann dann so lange fortgesetzt werden, bis die Behörden über den Antrag entscheiden.

    UK-Bürger können die notwendigen Unterlagen schon zusammenstellen, um sie unverzüglich bei den Behörden einzureichen. Es geht um Stellenbeschreibungen, Arbeitsverträge und persönliche Dokumente (zum Beispiel Abschluss, Lebenslauf, Passkopie). Betroffen sind auch Drittstaatler beispielsweise aus den USA, Russland oder Indien, wenn sie Angehörige eines britischen Staatsbürgers sind und sich ihre Freizügigkeit und das Recht auf Aufenthalt und Arbeit in Deutschland davon ableitet.

Mythos 9: Auch wenn es zu keiner Einigung kommt, wir haben Zeit – Zollanmeldungen in UK müssen wir erst Ende Juni 2021 abgeben.

Richtig ist, dass Anmeldungen für Einfuhren in UK ab 2021 in den meisten Fällen vorerst nur mit einem reduzierten Datensatz erforderlich sind und die ergänzenden Zollanmeldungen (kompletter Datenkranz) bis zum 30. Juni 2021 geschoben werden können (einschließlich Fälligkeit der Zollabgaben) – wenn zuvor die Voraussetzungen zur Teilnahme an den Vereinfachungen bei der Einfuhr vom UK-Einführer erfüllt werden. Fakt ist aber auch, dass sämtliche Voraussetzungen für die Abgabe von Zollanmeldungen zum 1. Januar 2021 erfüllt sein müssen (zum Beispiel GB-EORI-Nummer). Für bestimmte Produkte (zum Beispiel verbrauchsteuerpflichtige oder phytosanitäre Waren) besteht überdies die Pflicht, diese von Beginn an mit dem kompletten Datensatz und den erforderlichen Warenbegleitpapieren beim Zoll anzumelden.

Mythos 10: Wir haben eine EORI-Nummer – also können wir doch Zollanmeldungen abgeben.

Um bei der Zollanmeldung als Zollanmelder, Vertreter oder Ausführer aufzutreten, ist im Regelfall die Registrierung bei den Zollbehörden erforderlich, in der EU die die sogenannte EORI-Nummer (Economic Operators‘ Registration and Identification). Zu beachten ist, dass Unternehmen, die in UK bei der Ein- oder Ausfuhr aktiv sind, zukünftig spiegelbildlich eine UK-EORI-Nummer zur Zollabwicklung in UK benötigen.

Klärungsbedarf besteht im Detail oft, wenn Betriebsstätten (Zweigniederlassungen, weitere Betriebsstätten) in UK oder in der EU vorhanden sind und sich die Frage stellt, in welcher Konstellation EU- oder UK-EORIs beantragt werden dürfen und ob die jeweilige Niederlassung/Betriebsstätte die Anforderungen an eine „Person“ im Sinne des Zollrechts erfüllt. Zu klären ist außerdem, ob möglicherweise bereits vorliegende zollrechtliche Bewilligungen aufgrund des Brexits erweitert oder unter Umständen neu beantragt werden müssen, um gewohnte Prozesse und kommerzielle Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Zumal zur Abgabe von Zollanmeldungen diverse weitere Organisationsbedarfe bestehen, unter anderem die Ausfertigung von Vollmachten für Dienstleister, die Organisation von Daten-, Informations- und Dokumentenflüssen, die Bereitstellung von Verzollungsanweisungen etc..

Mythos 11: Für Produktzulassungen gelten Übergangsregelungen – darum kümmern wir uns später.

Richtig ist, dass für bereits im Verkehr befindliche Industriegüter überwiegend Vereinfachungen gelten. UK bietet großzügige Übergangsfristen, bis eine Registrierung und Kennzeichnung durch die zuständigen britischen Behörden erforderlich wird. Strengere Regelungen gelten unter anderem für Medizinprodukte.

In der EU gibt es jedoch keine Übergangsfristen. Zum 1. Januar 2021 bereits in Verkehr gebrachte Produkte sind zwar nicht betroffen, für alle ab 2021 in Verkehr gebrachten Waren ist jedoch die Zulassung durch eine notifizierende Stelle der EU erforderlich. Vormals akkreditierte Stellen im Vereinigten Königreich dürfen nicht mehr für die EU tätig werden – es sei denn, es kommt ein Freihandelsabkommen zustande, das entsprechende Rechte für Institutionen im Vereinigten Königreich beinhaltet. Unternehmen sollten deshalb die Zulassungs- und Kennzeichnungserfordernisse überprüfen, damit Sendungen nicht im Zoll hängen bleiben oder regelwidrig in Verkehr gebracht werden.

Im Unternehmen hat möglicherweise eine einzige Abteilung die Vorbereitungen durchgeführt, ohne das Ausmaß der Betroffenheit identifiziert zu haben.

Mythos 12: Wir haben Brexit-Guidelines abgearbeitet – wir haben alles auf dem Schirm.

Dies ist häufig ein Trugschluss. Viele Unternehmen haben ihre Vorbereitungen in den letzten beiden Jahren durchgeführt. Allerdings gibt es bei den Verhandlungen immer wieder Änderungen, gestalten die Zollverwaltungen ihre Hinweise schrittweise detaillierter aus. Und im Unternehmen hat möglicherweise eine einzige Abteilung die Vorbereitungen durchgeführt, ohne das Ausmaß der Betroffenheit identifiziert zu haben. Eine kritische Überprüfung ist mithin empfehlenswert. Testfrage: Wer hat aus dem Brexit resultierende Handlungsbedarfe in Sachen Sozialversicherung überprüft?

Im Internet kursieren diverse Brexit-Guidelines unterschiedlicher informatorischer Flughöhe. Auch dieser Artikel bietet nur einen Kurzabriss über einige ausgewählte Themenstellungen im Fachbereich Zoll. Handlungshinweise aus dem Internet können eine gute Arbeitsgrundlage sein, die Betroffenheitsanalyse muss jedoch weit darüber hinausgehen und sollte unbedingt auf Aktualität überprüft werden.

Autoren: Richard J. Albert und Georgios Filioussis

Webcast zum Thema

Aufzeichnung des Webcasts „Mythen des Brexits“ vom 15. Oktober 2020

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Fazit

Man könnte fragen: Wenn sich noch nicht einmal die Verhandlungsparteien einig werden, wie sollen dann Unternehmen wissen, was sie nach dem Brexit erwartet?

Doch für sie besteht akuter Informations- und Handlungsbedarf, und zwar nicht nur in Detailfragen. Kostentreiber sollten identifiziert oder realistisch beurteilt, notwendige Ressourcen ermittelt und bereitgestellt werden. Verträge bedürfen Anpassungen, Abstimmungen mit Geschäftspartnern, Prozesse, IT-Systeme und Dokumenten-Templates sollten korrekt ausgerichtet sowie Compliance-Anforderungen sichergestellt sein. Unternehmen erliegen hinsichtlich der Folgen des Brexits einigen Mythen. Mit denen sollten sie aufräumen und die wenige verbleibende Zeit nutzen, um ihre Brexit-Vorbereitungen unter die Lupe zu nehmen.

Über diesen Artikel

Von Tax & Law Magazine

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