Wenige Frauen treten in Parteien ein – wenn sie sich engagieren, haben sie mehr Erfolg als Männer
Von Kim Björn Becker
Das politische Ziel ist klar umrissen, es sollen mehr Frauen in die deutschen Parlamente einziehen. Im Bundestag liegt ihr Anteil derzeit bei knapp einem Drittel, in den Landtagen sind es zwischen 25 und 41 Prozent. Einigen ist das zu wenig, sie fordern, dass sich der Frauenanteil bei den Abgeordneten stärker dem Anteil der Frauen in der Bevölkerung annähert – das sind derzeit knapp 51 Prozent. Um das zu erreichen, hat Brandenburg kürzlich sein Wahlgesetz geändert. Von 2020 an müssen die Listen für die Landtagswahlen paritätisch besetzt, Frauen und Männer also gleich häufig vertreten sein. Die Aufstellung der Direktkandidaten in den Wahlkreisen wird davon allerdings nicht beeinflusst. Auch in Niedersachsen denkt man darüber nach, ein sogenanntes Parité-Gesetz zu erarbeiten. Dem stehen nicht nur gravierende rechtliche Bedenken entgegen; Kritiker sind der Auffassung, dass derlei Paritätsgesetze mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, da sie Wähler und Parteien zu stark einschränkten. Nun treten aber auch noch ganz praktische Einwände hinzu: Eine Gruppe von Politikwissenschaftlern des Berliner Instituts für Parlamentarismusforschung hat in einer Studie nachgewiesen, dass die Parteien mitnichten Frauen in ihrer politischen Karriere benachteiligen, wie oft behauptet wird. Vielmehr sei sogar das Gegenteil der Fall. Auf die Frage, warum Frauen dennoch in den Parlamenten zahlenmäßig unterrepräsentiert sind, haben die Wissenschaftler eine klare Antwort: Selbstselektion. Es liege also an den Frauen selbst, dass sie nicht häufiger im Parlament säßen, jedenfalls im Großen und Ganzen.
Es ist Suzanne Schüttemeyer, die das Wort der Selbstselektion an diesem Tag zum ersten Mal benutzt. An einem nasskalten Frühlingstag sitzt die Gründungsdirektorin des Instituts, die auch Professorin für Politikwissenschaft in Halle ist, im Haus Deutscher Stiftungen in Berlin und stellt die jüngsten Studienergebnisse vor. Zuvor haben ihre Mitarbeiter Dutzende Veranstaltungen aller großen Parteien bundesweit besucht: Vor der Bundestagswahl 2017 wollten die Politikwissenschaftler herausfinden, welche Kandidaten sich jeweils durchsetzen. Dazu verteilten sie bei einer Stichprobe aus 104 Wahlkreis- und 52 Listenaufstellungen Fragebögen an die Parteimitglieder und verfolgten genau, wer kandidiert hat und wer am Ende gewählt wurde. Die Zahlen, hochgerechnet auf alle Wahlkreise und Landesverbände, zeigen deutlich, woran es liegt, dass am Ende vergleichsweise wenige Frauen in den Parlamenten sitzen: Sie treten deutlich seltener in eine Partei ein als Männer. Bei den Wahlberechtigten machten Frauen noch 51,7 Prozent aus, bei den Parteimitgliedern waren es nur noch 28,6 Prozent. Das ist so wichtig, weil Parteien ihre Kandidaten fast ausschließlich aus den eigenen Reihen rekrutieren, externe Kandidaturen sind zumindest bei Bundestagswahlen ausgesprochen selten.
Die These von der Benachteiligung von Frauen in den Parteiapparaten kann der Studie zufolge als widerlegt gelten – zumindest auf struktureller Ebene. Vereinzelt wirke in den Parteien schließlich immer wieder „Mikropolitik“, wie Institutsmitarbeiter Daniel Hellmann sagt. Dort würden persönliche Sympathien oder Abneigungen sowie informelle Absprachen wirksam, die sich auch der sozialwissenschaftlichen Forschung kaum je erschließen. Insgesamt aber sprechen die Zahlen gegen eine Benachteiligung. Die zweite Stufe der Selbstselektion werde demnach bei der Frage wirksam, wer für einen Wahlkreis oder einen Listenplatz kandidiert – dort sinkt der Frauenanteil leicht von 28,6 Prozent der Parteimitglieder auf 27,7 Prozent bei den Aspiranten.
Was den Übergang vom Aspiranten zum von der Partei erkorenen Kandidaten angeht, waren Frauen sodann wieder überdurchschnittlich erfolgreich. Ihr Anteil kletterte leicht auf 32,2 Prozent. Innerhalb der Parteien gebe es also tendenziell sogar eine „positive Diskriminierung“ von Frauen, sagt der stellvertretende Institutsleiter Benjamin Höhne. Dafür seien vor allem die bereits vorhandenen – freiwilligen – Paritätsregeln bei der Kandidatenaufstellung verantwortlich, Grüne und Linke besetzen ihre Landeslisten bereits paritätisch, die SPD strebt einen Frauenanteil von 40 Prozent an, die CDU ein Quorum von einem Drittel. Im Ringen um eine Kandidatur gelten „manchmal harte Bandagen, doch das betrifft beide Geschlechter“, sagt Höhne. Allein beim Übergang von der Kandidatur ins Mandat nähern sich die Verhältnisse wieder einander an, der Frauenanteil fällt leicht auf 30,7 Prozent.
Die Selbstselektion, von der Schüttemeyer spricht, greift demnach an zwei Stellen des Prozesses der Kandidatenaufstellung – beim Eintritt in die Parteien und bei der Bereitschaft, zu kandidieren. Über das weitere Fortkommen von Frauen entscheiden dann maßgeblich andere: Die Parteimitglieder küren die Kandidaten, die Wähler erteilen die Mandate für den Bundestag und die Landtage. Nach Auffassung der Forscher des kürzlich von Halle nach Berlin umgezogenen Instituts, das von der Hamburger Stiftung Wissenschaft und Demokratie getragen wird, gibt es so etwas wie den idealen Kandidaten: „Viel Engagement sowie optimalerweise unterrepräsentierte soziodemographische Merkmale“, sagt Hellmann. Stichwort Engagement: Die Befragungen der Wissenschaftler ergaben auch, dass der Erfolg einer Parteilaufbahn vor allem davon abhängt, wie viel Zeit die Person der politischen Arbeit zu widmen bereit und in der Lage ist. Parteimitglieder, die letztlich nicht aufgestellt wurden, gaben an, im Durchschnitt 32 Stunden pro Monat für die Politik aufgewendet zu haben. Jene, die nominiert wurden, dabei aber eher geringe Chancen hatten, engagierten sich demnach etwa 37 Stunden. Ganz anders jene, deren Kandidatur von vornherein als aussichtsreich galt. Sie widmeten der Parteiarbeit im Schnitt mehr als 85 Stunden im Monat – die typische „Ochsentour“ ist also überaus zeitintensiv, und es liegt auf der Hand, dass nicht jeder dieses Pensum leisten kann. An dieser Stelle muss man den Befund der Selbstselektion relativieren: Schließlich bestimmen berufliche und private Verpflichtungen darüber, wer sich überhaupt in einem ausreichenden Maß in der Partei engagieren kann, und da haben Männer in einigen Fällen vermutlich bessere Voraussetzungen als Frauen. „Der Zugang zu politischen Ämtern steht vor allem denen offen, welche die Anforderungen besser mit ihrem Privatleben verbinden können“, sagt Hellmann. Geringverdiener und Alleinerziehende haben schlechte Karten. „Da gibt es ein gewisses Maß an sozialer Schließung.“
Also doch ein Paritätsgesetz? Politikwissenschaftler der Universität Mannheim haben kürzlich in einer Studie gezeigt, dass die Folgen einer Wahlrechtsreform auf Bundesebene „eher gering“ wären. Sie haben alle 4828 Kandidaten der Bundestagswahl 2017 rechnerisch „neu antreten lassen“, wie sie schreiben, also die Landeslisten der Parteien nach den Regeln der Parität neu zusammengesetzt und die Wahlergebnisse entsprechend angewandt. Demnach würde der Frauenanteil im Bundestag um lediglich acht Punkte auf 39 Prozent ansteigen. In allen Parteien würde der Frauenanteil im Bundestag steigen, am stärksten bei der FDP und in der AfD. In anderen Parteien würden sich bestehende Tendenzen der Überrepräsentation von Frauen – gemessen an ihrem Anteil an den Parteimitgliedern – dafür allerdings weiter verschärfen. Bei der Linkspartei stiege der Frauenanteil auf mehr als 55 Prozent, bei den Grünen wären sogar knapp 60 Prozent der Parlamentarier weiblich.
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