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IMMOBILIEN Kostspieliger Schrott

Skrupellose Verkäufer haben rund 300 000 Anlegern überteuerte Häuser und Wohnungen angedreht, renommierte Geldhäuser spielten mit. Nun wehren sich die Geprellten.
Von Carsten Holm und Udo Ludwig
aus DER SPIEGEL 8/2004

An den Augenblick, der ihn an den Rand des Ruins trieb, kann sich Klaus Kalscheuer, 62, genau erinnern. Ein Außendienstler der Firma Bast-Bau besuchte den Stuttgarter Kaufmann an seinem Arbeitsplatz. Eloquent war er, und er verstand es, ihn zu umschmeicheln: Kalscheuer verfüge doch gewiss über ein respektables Einkommen. Ob er denn genug fürs Alter zurückgelegt habe.

Tatsächlich verdiente Kalscheuer ordentlich, für die Altersvorsorge war Luft, und die Offerte des Werbers überzeugte ihn: eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Kölner Innenstadt für 330 000 Mark. Die Finanzierung sollte die Landesbank Baden-Württemberg übernehmen, den Antrag hatte der Vertreter gleich zur Hand. Darin wurden Kalscheuer auf zehn Jahre Mieteinnahmen von 1150 Mark pro Monat garantiert, sogar die Reparaturkosten waren durch das »Sorglos-Paket« abgedeckt.

Zunächst ging alles gut. Der Kaufmann war so angetan, dass er ein Jahr danach für rund 300 000 Mark ein Hotel-Appartement in Bochum erwarb. Später kaufte er für 450 000 Mark noch eine 90-Quadratmeter-Wohnung im sächsischen Frankenberg.

Dann brach alles zusammen. Bast-Bau, einst laut Eigenwerbung »Marktführer« im privaten Wohnungsbau, meldete Insolvenz an, die Mietzahlungen blieben aus. Erst da ging Kalscheuer auf, worauf er mit ein wenig Beratung und Zeitungslektüre vorher hätte kommen können: dass die Wohnungen zu teuer waren und die Mieterwartungen zu hoch. »Ich habe mich über den Tisch ziehen lassen«, sagt er heute.

Es sind Leute wie Kalscheuer, die leidvoll erfahren, dass sie ihre Planungen für einen kommoden Lebensabend aufgeben müssen. Rund 300 000 Anleger - Beamte, Arbeiter, Angestellte - haben sich von skrupellosen Vermittlern zum Kauf überteuerter Wohnungen überreden lassen; nach Schätzung der Verbraucherverbände investierten sie etwa zehn Milliarden Euro. Selbst nüchtern denkende Zeitgenossen ließen sich von der Aussicht blenden, scheinbar ohne Risiko Vermögen zu schaffen, und kauften leichtfertig so genannte Schrottimmobilien, die meisten auf Pump.

Dabei dachten die Anleger, sie hätten alles richtig gemacht: Sie hatten dem Börsenhype widerstanden und stattdessen in Stein und Stahl investiert. Sie wollten eine private Alterssicherung aufbauen, weil sie sich nicht auf die staatliche Rente verlassen wollten. Sie vertrauten den Angeboten von Vertriebsfirmen wie Bast-Bau - und vor allem dem guten Ruf der Banken und Sparkassen, die hinter den Geschäften standen und bereitwillig Darlehen vergaben. Commerzbank, HypoVereinsbank oder Badenia-Bausparkasse: Wer sollte besser einschätzen können, wie sicher Mieten sind, wie werthaltig Immobilien und wie realistisch die Finanzierungsmodelle?

Den Leuten habe man versprochen, »sich zurückzulehnen und im Schlaf Geld zu verdienen«, räumt ein ehemaliger Bast-Bau-Verkäufer heute ein. »Später sind die Leute vom Stuhl gefallen, als wir ihnen erzählen mussten, was die Wohnungen in Wirklichkeit wert sind.«

Nun wollen die Geprellten mit vereinten Kräften gegen Banken und Finanzdienstleister vorgehen. Sie haben sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, Rechtsanwälte und Privatdetektive engagiert. An diesem Sonnabend treffen sie sich in Göttingen zu einer großen Protestveranstaltung, mehr als 2000 Anleger werden erwartet. »Erstmals ziehen viele am Verbraucherschutz orientierte Fachleute an einem Strang«, sagt der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter.

Einige Fälle sind sogar schon beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelandet. Dort prüfen die Richter zurzeit erneut, ob die Banken die Immobilien womöglich zurücknehmen müssen. Die EU-Kommission hat unlängst an die Luxemburger Richter appelliert, bei diesen so genannten Haustürgeschäften ein Rücktrittsrecht zuzulassen und in einem verbraucherfreundlichen Sinn zu entscheiden. In jedem Fall werde das Urteil, so der Göttinger Jurist Erwin Deutsch, »Tausende noch anhängige Prozesse beeinflussen«.

Parallel dazu haben Reiter und sein Kollege, der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, in Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angestrengt. Vergangene Woche war Reiter bei der EU-Kommission, um zu klären, ob »Anleger auch den deutschen Staat in die Haftung nehmen können«, wenn dieser Vorgaben des EuGH nicht umsetzt.

Wie eng Banken mit den Strukturvertrieben zusammengearbeitet haben, zeigt der Fall einer Dolmetscherin aus Hamburg. Eine Vermittlerin hatte die Frau auf dem Tennisplatz angesprochen und ihr eine Eigentumswohnung angeboten, finanziert von der Hamburger Sparkasse. Die Übersetzerin kaufte das Objekt für 409 800 Mark, heute ist es nur noch die Hälfte wert. Als es schon zu spät war, gelangte die Käuferin an Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass Leute wie sie mit den Krediten an die Sparkasse gebunden werden sollten. Zuvor ausgelobte Provisionen flossen nach Abschluss der Darlehensverträge direkt an die Vermittler.

Ein Großteil der Betrügereien ließe sich wohl verhindern, wenn die Anleger nicht so gutgläubig wären. Die Dolmetscherin etwa vertraute dem Chef der Vermittlerin, einem bekannten Olympia-Medaillengewinner im Reiten, und dessen Vater, der als Notar eingesetzt war. In Wirklichkeit sind viele Wohnungen schon auf den zweiten Blick minderwertig: Die Preise liegen weit über denen vergleichbarer Immobilien, die prognostizierten Mieten sind viel zu hoch angesetzt. »Die Kunden verlassen sich allein auf die Beteiligten, weil es in diesem Graubereich keine objektiven Gütekriterien gibt«, sagt Ulrich Büttner, Anwalt der Übersetzerin.

Mit dem Argument, das Geschäft werde ja von Banken und Notaren begleitet, konnten Vermittler Zweifel stets ausräumen. Und die Verkäufer halten anfangs den Eindruck aufrecht, dass die Modellrechnung aufgeht, indem sie die Miete aus eigener Tasche aufstocken. Das täuscht über die wahren Risiken hinweg.

In den meisten Fällen steckten Banken und Strukturvertriebe unter einer Decke, sagt Baum. Während die Geldhäuser normale Kreditgeschäfte genau prüften, existiere bei Immobiliendeals, die mit Hilfe von Vertriebsgesellschaften zu Stande kommen, keinerlei Kontrolle. »Die Käufer sollten glauben, die Banken würden das Immobiliengeschäft prüfen«, sagt der Jurist, »in Wahrheit arbeiteten die Vermittler als verlängerter Arm der Banken.«

Viele Wohnungskäufer scheuen sich, einen Rechtsstreit zu führen, zumal die obersten Richter bislang nicht auf ihrer Seite standen. So hatte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 9. April 2002 zwar Kunden das Recht zugebilligt, einen Kreditvertrag widerrufen zu können. Dann aber, so forderten die Richter, müssten die Anleger das gesamte Darlehen auf einen Schlag zurückzahlen - wozu kaum jemand in der Lage ist. Die Bank sei nicht verpflichtet, die Immobilie zurückzunehmen.

Damit trennt das Gericht zwischen dem Kaufvertrag mit dem Vermittler und dem Kreditvertrag mit der Bank - auch wenn die Verkäufer ausdrücklich damit werben, dass hinter ihrem Angebot ein bekanntes Institut stehe. Die Richter hätten »darüber weggesehen«, kritisiert der Bremer Anwalt Peter Hahn, dass die Vermittler »den Darlehensvertrag für die Immobilie gleich mit auf den Tisch gelegt haben und dafür auch von Banken geschult wurden«.

Kein Wunder, dass bei manchen geprellten Investoren der Glaube an den Rechtsstaat erschüttert ist. »Ich war bisher davon überzeugt, dass Gerichte Betrüger bestrafen«, sagt Gerhard Renner, 47, enttäuscht. Der Schulleiter aus Fulda hatte 1994 als Altersvorsorge eine Eigentumswohnung in der Innenstadt von Kaiserslautern gekauft - und ist damit reingefallen.

Renner sollte bei der Commerzbank Mannheim einen Kredit über 199 000 Mark aufnehmen; den Darlehensvertrag hatte der Mittelsmann sofort parat. Jeden Monat müsste er nur etwa 200 Mark zuschießen, der Rest finanziere sich durch Miete und Steuervorteile. Doch statt eine anfangs garantierte Miete von 570 Mark zu erzielen, musste sich Renner bald mit 200 Mark weniger begnügen. Zudem fand er heraus, dass die Wohnung allenfalls einen Wert von 63 000 Mark hatte. »Ich war grenzenlos gutgläubig«, räumt der Lehrer heute ein.

Genau 16 Jahre wird es noch dauern, bis der Kredit abbezahlt ist, dann wird Renner rund 250 000 Euro verloren haben. Er sieht es nun als seine Aufgabe an, andere Anleger vor Immobilienbetrügern zu schützen und hat im Internet die Seite www.immobetrug.de eingerichtet. Bis zu 16 000-mal wird sie täglich aufgerufen.

Die hohe Zahl der Klicks ist ein Hinweis darauf, wie viele auf die Versprechungen hereingefallen sind. Allein Anwalt Baum vertritt einige hundert geprellte Anleger. Der FDP-Mann fordert vom Gesetzgeber einen verbesserten Verbraucherschutz. Dazu gehörten eine bessere Qualifikation und eine Pflichtversicherung für Vermittler. Im vergangenen Dezember sagte die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast dem Ex-Minister zu, seine »wertvollen Anregungen« aufzunehmen. Geändert hat sich nichts. »Daran merkt man«, sagt Baum, »dass Politiker den Verbraucherschutz auf diesem Feld nicht ernst nehmen.«

CARSTEN HOLM, UDO LUDWIG

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