Wer 15 Jahre lang nicht wusste, dass er zwei Staatsbürgerschaften besitzt, könnte die österreichische behalten. Dabei handelt es sich um sogenannte Putativösterreicher. Ein erster Betroffener machte das schon geltend.
Wien. In den kommenden Monaten könnten (wie berichtet) Tausende österreichische Staatsbürger ihren Pass verlieren, weil sie sich in der Vergangenheit zusätzlich die türkische Staatsbürgerschaft besorgt haben – was nach dem österreichischen Recht nicht erlaubt ist.
Bei diesen Personen handelt es sich also um Scheinstaatsbürger, die ab dem Tag, an dem sie die türkische Staatsangehörigkeit angenommen haben, keine Österreicher mehr waren. Viele von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt allerdings minderjährig und wussten gar nichts davon, wurden also von ihren Eltern in diese Situation gebracht. Grundsätzlich teilen Kinder das rechtliche Schicksal der Eltern, aber in Westösterreich (der Fall liegt der „Presse“ vor) ist es nun jemandem gelungen, eine Ausnahmeregelung geltend zu machen – die der sogenannten Putativösterreicher. Hunderte oder vielleicht sogar Tausende weitere Personen, die von der Regelung betroffen sein können, werden das nun ebenfalls versuchen.
„Vermeintliche“ Österreicher
Dabei handelt es sich um Personen, die von österreichischen Behörden fälschlich ("putativ") als österreichische Staatsbürger behandelt wurden (etwa durch Ausstellung eines Staatsbürgerschaftsnachweises oder Reisepasses), dies jedoch nicht selbst zu verantworten haben. Beispielsweise, weil sie Kinder waren.
Wurden solche Putativösterreicher, die teilweise sogar den Wehr- bzw. Zivildienst abgeleistet haben, für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren als österreichische Staatsbürger behandelt, kann ein erleichterter Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige erfolgen, wobei lediglich die bisherige Unbescholtenheit nachzuweisen ist.
Die Anzeige ist binnen sechs Monaten ab Kenntnis der fälschlichen Behandlung einzubringen. Genau das hat nun jemand in Westösterreich getan und damit die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt. Der Wiener Staatsbürgerschaftsexperte und Rechtsanwalt Kazim Yilmaz, der einige Betroffene vertritt, rät daher: „Die Ausnahmen stecken im Detail. Auch wenn die meisten Fälle auf den ersten Blick identisch erscheinen mögen – bei näherer Betrachtung sieht man, dass jeder Fall anders gelagert sein kann und eventuell Ausnahmeregelungen anwendbar sind. Ich empfehle daher den Betroffenen, sich professionellen Rat zu holen.“
Bizarres Detail am Rande: 2012 war Putativösterreicher unter den Kandidaten für das Unwort des Jahres – als Kampfbegriff der extremen Rechten, der eingebürgerte Österreicher herabwürdigt.
1500 Verfahren in Wien
Allein in Wien laufen derzeit 1500 sogenannte Feststellungsverfahren. Insgesamt werden von der MA 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft) rund 18.500 Personen überprüft, österreichweit sind es 45.000 Personen. Deren Namen stehen auf einer Liste, einem angeblichen türkischen Wählerverzeichnis ohne Erstellungsdatum, die Mitte vergangenen Jahres aufgetaucht ist und der die Behörden nun nachgehen.