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#Twittersperrt – Prozessuales Vorgehen gegen Account-Sperren

Jack Dorsey, CEO des Mikroblogging-Dienstes Twitter, und Vijaya Gadde, Chefjuristin bei Twitter, stellten sich kürzlich im Podcast The Joe Rogan Experience den kritischen Fragen des Podcasters Joe Rogan und des Journalisten Tim Pool. In der Diskussion ging es insbesondere um die in den USA heftig umstrittene Praxis von Twitter, Accounts zu sperren und Beiträge auf Twitter (sog. Tweets) zu löschen. Dorsey und die Juristin Gadde betonten – von Tim Pool auf umstrittene Fälle angesprochen – dabei immer wieder die angebliche Gesamtbetrachtung im Rahmen jedes Einzelfalls. Das ist freilich an sich eine (juristische) Selbstverständlichkeit. Die Realität in Deutschland sieht jedoch anders aus: Aktuell werden in Deutschland massenhaft Twitter-Accounts –  z.B. der Account des Autors Tom Hillenbrand und die Accounts zahlreicher Rechtsanwälte – gesperrt. Die Medien berichten seit Tagen (z.B. Bleich auf Heise und Wieduwilt in F.A.Z. Digitaler Stubenarrest für Politiker). Aber Twitter äußert sich dazu nicht. Die Öffentlichkeitsarbeit von Twitter ist eine Katastrophe, schreibt der Rechtsanwalt Thomas Stadler zutreffend. Twitter gibt den gesperrten Nutzern vor der Sperre ihrer Accounts auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Von wegen Gesamtbetrachtung. My way or the highway, wie es der vorgenannte Journalist Tim Pool bei Joe Rogan ausdrückte. Wegen der aktuellen Sperren ist Twitter am Mittwoch den 15. Mai 2019 in den Digitalausschuss (ADA) des Bundestages eingeladen [Update vom 12. Mai 2019].

Was kann man prozessual gegen eine Account-Sperre unternehmen und was muss man beachten?

1. Abmahnung

Die Webseiten unter www.twitter.com werden in Deutschland angeboten von:

Twitter International Company, One Cumberland Place, Fenian Street, Dublin 2, D02 AX07, Ireland

Telefax: 1-415-222-9958

E-Mail: de-support@twitter.com

Wer mit der Sperrung eines Tweets nicht einverstanden ist, kann bei Twitter Einspruch einlegen. Das hat der Autor Hillenbrand getan, nachdem ihn Twitter aufforderte, einen Tweet zu entfernen. Nach dem Einspruch wurde sein Profil gesperrt (Breithut in Spiegel Online).

Wer sich diese Praxis von Twitter nicht gefallen lassen und in Deutschland gerichtlich gegen Twitter vorgehen will, sollte die Twitter International Company in Irland abmahnen und auffordern, die Sperrung des betroffenen Accounts zu unterlassen. Eine solche Abmahnung hat insbesondere prozessuale Bedeutung, obgleich Twitter vermutlich auf eine Abmahnung nicht reagieren wird. Die Abmahnung dient der Vorbereitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen Twitter. Durch die Abmahnung wird Twitter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Wird dagegen vor einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht in gehöriger Form abgemahnt, werden deutsche Gerichte – und dadurch kann sich ein Verfahren erheblich verzögern – Twitter regelmäßig schriftlich prozessuales Gehör gewähren oder eine mündliche Verhandlung anberaumen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. September 2018, 1 BvR 1783/17; Mantz NJW 2019, 953; Kelp, IPRB 2019, 88). Eine Abmahnung ist nur ausnahmsweise entbehrlich (hierzu Mantz a.a.O.). Eine Sperre durch Twitter macht eine Abmahnung nach unserer Ansicht jedoch regelmäßig nicht entbehrlich, es sei denn, man hat sich mit Twitter schon argumentativ ausgetauscht und dabei genau den Sachverhalt und den Rechtsgrund für den Unterlassungsanspruch auf den Tisch gelegt, auf den man später einen Verfügungsantrag stützt (vgl. Höch in ZPO Blog). Im Übrigen ist eine Abmahnung der Twitter International Company mit einer Frist von einigen Stunden dem Betroffenen regelmäßig zumutbar.

2. Die Antragsfassung im Verfügungsverfahren 

Was ist der sinnvollste Antrag, wenn man sich gegen eine Account-Sperre und/oder Löschung eines Tweets gerichtlich zur Wehr setzt? Wer bei einem Landgericht in Deutschland eine einstweilige Verfügung gegen Twitter beantragen will, kann bei der Fassung des Antrages auf die Fälle zurückgreifen, in denen einstweilige Verfügungen gegen Facebook erlassen wurden. Ein gegen die Sperrung eines Accounts und Löschung eines Tweets gerichteter Antrag kann daher nach unserer Auffassung wie in den folgenden Beispielen formuliert werden und sollte darauf gerichtet sein, es Twitter bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,

den folgenden Tweet des Antragstellers

[TEXT]

zu löschen und/oder den Antragsteller wegen dieses Beitrags auf twitter.com zu sperren.

(Vgl. Landgericht Berlin, Beschluss vom 23. März 2018, 31 O 21/18)

den folgenden Tweet des Antragstellers

[TEXT]

zu löschen und/oder den Antragsteller wegen dieses Beitrags auf twitter.com zu sperren (insbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.twitter.com wie Posten von Beiträgen) oder den Beitrag zu löschen.

 (so der letztlich erfolglose Antrag in einem Fall beim Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. September 2018, 2-03 O 310/18)

den folgenden Tweet des Antragstellers

[TEXT]

zu löschen und/oder den Antragsteller wegen dieses Beitrags auf twitter.com befristet zu sperren oder ihm den Zugang zu den Funktionen befristet zu verschließen.

(Vgl. Landgericht Krefeld, Beschluss vom 14. Januar 2019, 5 O 10/19; Landgericht Bonn, Beschluss vom 21. August 2018, 9 O 221/18)

Dagegen ist die Fassung eines Antrags dahingehend, die Sperrung des Twitter-Accounts des Antragstellers wegen eines bestimmten Tweets aufzuheben (vgl. Landgericht Berlin, Beschluss vom 9. September 2018, 27 O 355/18), nach unserer Ansicht zu weitgehend und auch nicht erforderlich: Denn  Twitter trifft nach einer Unterlassungsverfügung aufgrund der (wenn auch in ihren Ausprägungen zweifelhaften, vgl. für das UWG Abrar in LZ und in GRUR-Prax 2019, 221) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Handlungspflicht. Der Unterlassungsanspruch führt damit letztlich auch zu einem Erfüllungsanspruch (Landgericht Offenburg, Urteil vom 26. September 2018 – 2 O 310/18). Wird Twitter gerichtlich zur Unterlassung verpflichtet, muss Twitter nach unserer Ansicht die Sperrung eines Twitter-Accounts aufheben.

3. Verfügungsanspruch

Ob das Gericht einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgibt, hängt entscheidend davon ab, ob ein Anspruch besteht, von Twitter nicht gesperrt zu werden. Im Einzelfall geht es in den Fällen einer Account-Sperre und/oder der Löschung eines Tweets um die Fragen, ob die Löschung eines Tweets und die Verhängung einer Sperre nach den Nutzungsbedingungen von Twitter vertragsgerecht und mit Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz) gerechtfertigt ist. Hierzu gibt es mittlerweile einige divergierende Gerichtsentscheidung zu Sperren bei Facebook (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, Beschluss vom 6. September 2018 – 4 W 63/18; OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18; OLG Dresden, Beschluss vom 8. August 2018 – 4 W 577/18; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 15 W 86/18; Landgericht Bamberg, Urteil vom  18. Oktober 20182 O 248/18; Landgericht Offenburg, Urteil vom 26. September 2018 – 2 O 310/18; Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. September 2018 – 2-03 O 310/18; Landgericht Heidelberg, Urteil vom 28. August 2018 – 1 O 71/18; Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 2-03 O 182/18; vgl. auch Lüdemann, MMR 2019, 279, Grundrechtliche Vorgaben für die Löschung von Beiträgen in soziale Netzwerken; Beurskens, „Hate-Speech“ zwischen Löschungsrecht und Veröffentlichungspflicht, NJW 2018, 3418; Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234, 239; Holznagel, CR 2018, 369, 371 f.; Bundesverfassungsgericht zur Löschung und Sperrung von Beiträgen in sozialen Netzwerken aufgrund des NetzDG, Nichtannahmebeschluss vom 23. April 2019 – 1 BvR 2314/18:Entsprechend ist es den Beschwerdeführern hinsichtlich der ihnen mitgeteilten Vollzugsakte möglich, Rechtsschutz zunächst vor den Fachgerichten zu suchen. Insoweit haben sie den Rechtsweg zu erschöpfen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Hierbei kann inzidenter auch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes überprüft werden.“). 

Der Rechtsanwalt Thomas Stadler, dessen Twitter-Account ebenfalls gesperrt war, schreibt zu der Frage, ob die Sperre in seinem Fall nach den Nutzungsbedingungen von Twitter vertragsgerecht sei, folgendes (Update3 vom 6.5.2019): 

„Mit Twitter vereinbart habe ich die Nutzungsbedingungen, die in dem Zeitpunkt galten, als ich mich vor über 10 Jahren angemeldet habe. Es handelt sich hierbei um AGB, die Twitter auch nicht einseitig ändern kann, die Änderung muss Twitter vielmehr mit mir vereinbaren. Wenn man also annimmt, es würde eine neue Regelung geben, dann kann ich dagegen schon deshalb nicht verstoßen, weil diese neue Twitter-Regel nie mit mir vereinbart wurde. Darüber hinaus ist es aber nach aktueller Rechtsprechung auch so, dass soziale Netze gewährleisten müssen, dass äußerungsrechtlich zulässige Postings nicht gelöscht werden. Die Sperrung meines Accounts durch Twitter stellt also eine klare Vertragsverletzung von Twitter mir gegenüber dar.“

4. Zustellung der einstweiligen Verfügung

Wird sodann eine Beschlussverfügung erlassen, folgen daraus für Twitter noch keine Pflichten. Die einstweilige Verfügung muss erst vollzogen werden. Die von einem deutschen Gericht erlassene einstweilige Verfügung, die sich gegen Twitter mit Sitz in Irland richtet, muss – davon ausgehend, dass sich für Twitter aus taktischen Gründen keine deutschen Anwälte für das Verfügungsverfahren bestellen – am Sitz von Twitter in Irland zugestellt und so vollzogen werden. Zur fristgerechten Vollziehung einer Unterlassungsverfügung gegenüber Twitter in Irland reicht es aus, wenn der Antragsteller innerhalb der Vollziehungsfrist die Auslandszustellung an Twitter beantragt und die tatsächliche Zustellung ohne jede vom Antragsteller zu vertretende Verzögerung bewirkt wird (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 1. Juli 2014, 6 U 104/14). Apropos Zustellung: Stellt das Gericht vor Erlass der einstweiligen Verfügung die Antragsschrift in deutscher Sprache an das in Irland ansässige Unternehmen Twitter zu, ist dieses Zustellung wirksam. Die Verweigerung der Annahme wegen einer fehlenden englischen Übersetzung ist rechtsmissbräuchlich (hierzu Windau in ZPO Blog zu einer Zustellung an Facebook in Irland).

5. Twitter braucht case law und die Meinungsfreiheit braucht Verteidiger

Abschließend noch einmal zurück zu Twitter-CEO Jack Dorsey. Er sagte, von Sam Harris auf die Sperrpraxis in den USA angesprochen, Twitter benötige richterliche Entscheidungen konkreter Fälle, wie Twitter mit einer Verletzung der Twitter-Regeln umzugehen habe:

We need case law how we take actions“ (bei Sam Harris ab Minute 48:00).

Wer sich von Twitter ungerecht behandelt fühlt, sollte sich wehren. Auch gerichtlich. Case law schaffen. Jack Dorsey scheint es ja so zu wollen. Oder, um es mit dem leicht verkürzten Zitat aus einem aktuellen Tweet von Professor Dr. Arnd Diringer zu sagen:

Die Meinungsfreiheit […] braucht heute mehr denn je ihre Verteidiger“ (Bertram, ZRP 2014, 151).

Oliver Löffel