ERWÄHLUNG, AKZESSION UND INTHRONISATION
ALTORIENTALISCHER HERRSCHER ZWISCHEN MYTHOS,
RITUAL UND FORMALEM RECHTSAKT
Martin Lang
0 VORBEMERKUNG1
Dem Generalthema des Symposiums entsprechend richten sich diese Ausführungen schwerpunktmäßig auf die metaphysisch-theologischen Aspekte der Amtseinsetzung eines altorientalischen Herrschers, näherhin eines Königs aus Mesopotamien (Babylonien und Assyrien). Allein diese verlangen nach einer monographischen Behandlung. Die universalhistorisch relevanten, dynastisch-innerweltlichen Aspekte werden auch aus Raumgründen ausgeblendet. Weiters muss
auf einen Blick auf das hethitische2 und ägyptische3 Königtum verzichtet werden.
1 EINFÜHRUNG
Die Schrift- und Bildkultur4 des Alten Orients gestattet uns Einblicke in den Begriff von Königtum und das Selbstverständnis von Herrschern zurück bis ins
1
Ich danke Robert Rollinger für seine kritischen Anmerkungen und ergänzenden Vorschläge.
Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei mir.
2
Vgl. zunächst BRYCE, T.: The Kingdom of the Hittites. Oxford 1998; DERS.: Life and Society
in the Hittite World. Oxford 2002, 11–31; sowie BONATZ, D.: The Divine Image of the King. Religious Representation of Political Power in the Hittite Empire. In: Representations of Political
Power. Case Histories from Times of Change and Dissolving Order in the Ancient Near East. Hg.
von M. Heinz – M. H. Feldman. Winona Lake 2007, 111–136, und HOFFNER, H. A.: The Royal
Cult in –atti. In: Text, Artifact and Image. Revealing Ancient Israelite Religion. Hg. von G.
Beckman – T. J. Lewis (BJSt 346). Providence 2006, 132–151.
3
Verwiesen werden soll lediglich auf zwei rezente Artikel, die das ältere und auch das spätere
ägyptische Königtum näher in den Blick nehmen: FRANDSEN, P. J.: Aspects of Kingship in Ancient
Egypt. In: Religion and Power. Divine Kingship in the Ancient World and Beyond. Hg. von N.
Brisch (Oriental Institute Seminars 4). Chicago 2008, 47–73; QUACK, J. F.: How Unapproachable
is a Pharao? In: Kingship in the Ancient Worlds. Hg. von R. Rollinger – G. B. Lanfranchi. Padova
2010 [im Druck].
4
Was Bild (sum. a l a m; akk. ƒalmu) im Zusammenhang mit Königtum bedeutet, hat jüngst Ire-
Martin Lang
10
dritte Jahrtausend vor Christus.5 In dem langen Zeitraum einer kontinuierlichen
Überlieferung treten – hier synchron verkürzend vorangestellt – einige Basismerkmale deutlich zutage:
• Himmlischer Ursprung des Königtums
• Göttliche Erwählung, expliziert in den Metaphern
o göttlicher Berufung (g u 3 -- d e 2, nab£u/nabû)
o göttlicher Adoption oder Kindschaft
o göttlicher Geburt oder Zeugung6
o bevorzugt (migru „Günstling“) durch göttliche Liebe (k i -- a ĝ 2, râmu)7
• Königtum als irdisches Abbild eines himmlischen Königtums
o Königtum (n a m - l u g a l, šarr¥tu), Insignien, Herrschaftstechniken und
Herrschaftsfähigkeiten (m e) sind im Himmel präfiguriert
o König als Eingeweihter in göttliche Geheimnisse und Offenbarungsempfänger exklusiven, himmlischen Wissens8 (g e š - — u r, uƒurtu/eƒirtu,
niƒirtu, pirištu u. v. a.)
o Teilhaber an der göttlichen Ratsversammlung (u n k i n, pu—ru)
ne Winter eindrucksvoll auf den Punkt gebracht: „The term is generally said to ‚mean‘ variously
statue, sculpture, relief, painting, or metal engraving, depending upon the context. But no, the
word means, consistently and only, image, which then may occur as a statue, or on a stele, carved
in relief, painted, drawn or engraved. The term is often put together with the Akkadian word for
king: šarru, to form the expression, ‚image of the king,‘ or ‚image of (my) kingship,‘ ƒalam
šarr¥tiya – literally, ‚image of my kingly self,‘ or better, ‚image in my (office of) kingship‘“
(WINTER, I.: Art in Empire: The Royal Image and the Visual Dimensions of Assyrian Ideology. In:
Assyria 1995. Proceedings of the 10th Anniversary Symposium of the Neo-Assyrian Text Corpus
Project, Helsinki, September 7–11, 1995. Hg. von S. Parpola – R. M. Whiting. Helsinki 1997,
359–381).
5
Informationen zum frühen sumerischen Königtum erhalten wir zunächst aus viel späteren,
literarischen Quellen. Die frühesten, zeitgleichen Dokumente erreichen uns aus der Zeit ab der
ersten Dynastie von Lagaš (25. Jh.). Vgl. zum Thema rezent KLEIN, J.: Sumerian Kingship and
the Gods. In: Text, Artifact and Image. Revealing Ancient Israelite Religion. Hg. von G. Beckman
– T. J. Lewis (BJSt 346). Providence 2006, 115–131.
6
Zur göttlichen Geburt siehe rezent SELZ, G.: The Divine Prototypes. In: Religion and Power.
Divine Kingship in the Ancient World and Beyond. Hg. von N. Brisch (Oriental Institute Seminars
4). Chicago 2008, 13–31.
7
k i a ĝ a + Göttername bzw. n¹ram + Göttername („Geliebter des GN“) ist häufiges Epitheton
bei Königsnamen.
8
Siehe dazu PONGRATZ-LEISTEN, B.: Herrschaftswissen in Mesopotamien. Formen der Kommunikation zwischen Gott und König im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. (State Archives of Assyria
Studies 10). Helsinki 1999, 286–313.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
11
o König ist mit übermenschlichen Kräften ausgestattet, körperlich und
intellektuell
o König steht über den gewöhnlichen Menschen als „überlegend-entscheidender Mensch“ (lullû [< l u 2 - u l u 3] ↔ m¹liku am¢lu)9
o König ist perfektes Geschöpf (binûtu) in perfekter Gestalt (z. B. l¹nu,
min£/¹tu), ohne gleichwertigen Widerpart (l¹ šanân)
o König als Abbild einer Gottheit (ƒalmu, mišlu, mit—urtu)
o König als Hypostase einer Gottheit
• Dies äußert sich auch in besonderen Epitheta und wichtigen topoi (nur
exemplarisch)
o Der König als Tempelbauer („roi bâtisseur“) und -erhalter (u 2 - a,
z¹ninu)
o Der König als Kulturbringer10
o Der König als der vorbildliche Fromme
o Der König als Hirte (s i p a, re’û)
o Der König als gerechter Richter und Wahrer von Recht und Gerechtigkeit (n i ĝ 2 - g i - n a / n i ĝ 2 - s i - s a 2, kittu u m£šaru)11
o Der König als Garant einer von den Göttern gestifteten Weltordnung
̇ beispielsweise etwa in der Gestalt des Gärtners, der im paradeisos
eine ideale Welt gestaltet und die Zivilisation vom Chaos abtrennt
̇ oder als Jäger, der im getöteten wilden Tier das Chaos bannt und
die ihm anvertraute Zivilisation schützt.
2 DIE VERFÜGBAREN QUELLEN UND IHRE PROBLEMATIK
Die Quellen, die uns über das altorientalische Königtum unterrichten, fließen
punktuell reich und vielfältig. Berichte aber, die unser Verständnis von Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher erweitern, erreichen uns bei weitem nicht in gleicher Intensität und Dichte, vielmehr sind es
9
Siehe dazu unten Seite 31.
Vgl. etwa das beispielhafte, aus dem Vorspann der ninivitischen Fassung des Gilgamešepos
stammende, ältere Traditionen bündelnde muk£n parƒ£ ana niš£ apât£ – „… der die Riten (und
Bräuche) für die Menschheit grundgelegt hat“ (Gilg. I,44; GEORGE, A. [Hg.]: The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts. Volume I. Oxford 2003, 540).
11
Vgl. z. B. CANCIK-KIRSCHBAUM, E.: „König der Gerechtigkeit“ – ein altorientalisches Paradigma zu Recht und Herrschaft. In: Torah – Nomos – Ius. Abendländischer Antinomismus und
der Traum vom herrschaftsfreien Raum. Hg. von G. Palmer u. a. Berlin 1999, 52–68.
10
12
Martin Lang
entweder oft indirekte Hinweise, die wir uns zunutze machen müssen, um ein
hypothetisches Bild von Vorgängen der Amtseinführung entwerfen zu können.
Als Quellen sprechen zu uns nicht nur Texte, sondern auch Bilder.
Sowohl die Bildkunst12 als auch schriftliche Zeugnisse verbleiben nicht
im Kernraum Mesopotamiens, sondern diffundieren in die Kulturen der Randgebiete und entfalten dort ihre Wirkung, sie werden kopiert, verändert, ja bisweilen subversiv rezipiert und in neue Kontexte gesetzt. Ein zweisprachig sumerisch-akkadisches Zeugnis mit Varianten aus den spätbronzezeitlichen Siedlungen Emar und Ugarit in Gestalt einer Serie von Akklamationen an den König
anlässlich seiner Krönung dokumentiert diese Aneignung und Veränderung eindrücklich.13 Deutliche Reflexe etwa in Pentateuch14 und Psalter15 auf neuassyrische „royal-praise-literature“ wären ein weiteres Beispiel. Doch zurück zu den
Wurzeln!
Wir sind nicht darüber unterrichtet, in welcher Weise und wie sehr das,
was in den Inschriften über die Berufung von Königen, ihre politischen Leistungen, ihre Bautätigkeit aufbewahrt ist, von den Untertanen verstanden, und wenn,
auch tatsächlich geglaubt wurde.16 Wir müssen uns davor hüten, ein essentialistisch-generalisierendes Bild von altorientalischem Königtum zu entwerfen, vielmehr dürfen wir – bei aller longue durée einer kontinuierlichen Überlieferung
und einer Reihe von ikonographisch und sprachlich-„kanonisch“ verfestigter
12
Für die hier behandelte Fragestellung der Amtseinsetzung altorientalischer Könige bedeutsam:
WINTER, I.: Touched by the Gods. Visual Evidence for the Divine Status of Rulers. In: Religion
and Power. Divine Kingship in the Ancient World and Beyond. Hg. von N. Brisch (Oriental Institute Seminars 4). Chicago 2008, 75–101.
13
Vgl. DIETRICH, M.: bulu‰ b¢l£ „Lebe, mein König“. Ein Krönungshymnus aus Emar und Ugarit
und sein Verhältnis zu mesopotamischen und westlichen Inthronisationsliedern. In: UF 30 (1998)
155–200.
14
Vgl. OTTO, E.: Mose und das Gesetz. Die Mose-Figur als Gegenentwurf Politischer Theologie
zur neuassyrischen Königsideologie im 7. Jh. v. Chr. In: Mose. Ägypten und das Alte Testament.
Hg. von E. Otto (SBS 189). Stuttgart 2000, 43–83.
15
Siehe dazu etwa ARNETH, M.: „Sonne der Gerechtigkeit“. Studien zur Solarisierung der JahweReligion im Lichte von Psalm 72 (Beihefte zur Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 1). Wiesbaden 2000.
16
Politische Kommunikation funktioniert aber nicht bloß in eine Richtung, denn das auf dem
Bildträger Dargestellte, das auf dem Monument Eingeschriebene bedarf einer Öffentlichkeit, eines
Widerparts, der dem in irgend einer Weise Glauben schenkt, oder, wie Gebhard Selz es auf den
Punkt gebracht hat: „[…] Die Berechtigung der Notwendigkeit der Macht muss auch geglaubt
werden“ (SELZ, G.: „Guter Hirte, Weiser Fürst“ – Zur Vorstellung von Macht und zur Macht der
Vorstellung im altmesopotamischen Herrschaftsparadigma. In: Altorientalische Forschungen 28
[2001] 8–39, 26).
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
13
Konstanten – einen sowohl räumlich als auch diachron diversifizierten Stand
der Dinge annehmen. Dieser ist freilich bei weitem nicht immer deutlich genug
dokumentiert. Es gibt bei aller Konstanz Entwicklungen. Damit stellt sich uns
die Frage der Quellen, die uns über das Königtum im Alten Orient unterrichten.
2.1 Die Publizität der Königsinschriften
Als eine Quelle für die Behandlung unseres Fragenkomplexes sind Königsinschriften17 zu bewerten, die schon von ihrer Monumentalität her zunächst dazu
gedacht sind, Herkunft, räumliche Ausdehnung, Inhalt und Programm von Herrschaft öffentlich zur Schau zu stellen. Wenngleich sie nicht in der erwarteten
Weise auf den Vorgang der Amtseinsetzung selbst eingehen, spiegeln sie doch
spezifische Weisen der Amtsausübung, und ist ihr genus daraufhin angelegt, eine
besondere Publizität zu bewirken. So sind Königsinschriften einer ganz eigenen
Interpretation zu unterziehen, indem ihrer Botschaft auf jeden Fall das Zeugnis
der Bildquellen zur Seite zu stellen ist. Bilder und Plastiken dürften den des
Lesens Unkundigen eindrucksvoll vor Augen geführt haben, wem ein Herrscher
sein Amt verdankt und wozu er es ausübt. In diesem Zusammenhang ist es nicht
bedeutungslos, dass oft Bilder und Schrift zusammenwirken, ja die – zweifelsohne nicht für jedermann lesbaren – Beischriften den Charakter von Autorität
noch zu verstärken vermögen.
2.2 Der Publizitätscharakter des Rituals
Neben den monumentalen Texten auf Stein, die in erster Linie res gestae spiegeln und deren Zweck es zunächst ist, vor den Göttern und Menschen öffentlich
„dazustehen“ – frei nach dem Grundsatz ubi imago – ibi rex –, haben Archäologie und Philologie aber auch zunehmend Quellen zutage gefördert, deren Publizitätscharakter nicht durch das Monument, sondern durch das Ritual gegeben
ist. Vielfach ist freilich nicht klar, wie und in welchen Kontexten genau solche
Rituale – oder das, was forschungsgeschichtlich als „Ritual“ bezeichnet worden
ist – betreffs Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher performiert wurden, da ein ritueller Text, eine Präskription, noch lange kein Ritual ist.
17
Vgl. grundsätzlich EDZARD, D.-O.: Königsinschriften. In: RLA 6 (1983) 59–65, sowie FRANKE,
S.: Königsinschriften und Königsideologie. Die Könige von Akkade zwischen Tradition und
Neuerung (Altorientalistik 1). Münster 1989.
Martin Lang
14
Zu diesen Ritualtexten gesellen sich aber andere Textsorten, etwa Gebete
oder Passagen aus so genannten Königshymnen, die eine Theologie des Königtums spiegeln, deren „Sitz im Leben“ aber aufgrund des unbekannten Überlieferungskontextes weder historisch noch in ihrer Performativät exakt zu bestimmen
ist. Daraus ergibt sich eine methodologische Problemlage, die nicht grundsätzlich gelöst werden kann, derer man sich aber bewusst werden muss, wenn man
sich mit derlei Quellen auseinandersetzt und Fragen an sie stellt. Zu dem Problem, dass viele Quellen nur fragmentarisch erhalten sind, gesellt sich häufig die
Unsicherheit einer klaren Datierbarkeit einer Einzelquelle, etwa eines Gebetstextes oder eines Ritualpräskriptes für eine Kultmittel-/Insignienbeschwörung.
Ein Manuskript selbst kann im besten Fall aus dem archäologischen Fundkontext heraus und/oder nach paläographischen, vielleicht auch nach sprachlichen
Kriterien zeitlich zugeordnet werden; ein Ursprung der Tradition selbst bleibt
aber häufig im Dunklen.
Diesen rituell konnotierten Texten, die ihrerseits Entsprechungen in Gebeten aufweisen, korrespondiert – und dies ist bei weitem noch lange nicht
durchdiskutiert und in ihrer systematischen und historischen Tragweite bedacht
worden – die literarische oder mythisch-epische Tradition, die deutliche Einsprengsel königsideologischer/-theologischer Momente aufweist und ihrerseits
eine sorgfältige, diachrone Betrachtungsweise erfordert.18
3 SAKRALITÄT
INSIGNIEN
DES
KÖNIGTUMS
UND HIMMLISCHER
URSPRUNG
SEINER
Das Königtum ist in irgendeiner noch näher zu bestimmenden und für modernwestliche Logik nie mehr gänzlich zu erschließenden Weise sakral.19
Seine Insignien20 sind himmlischen Ursprungs, im göttlichen Bereich präfiguriert. Gemäß der älteren, nämlich altbabylonischen Rezension des EtanaEpos aus dem frühen zweiten Jahrtausend liegen diese zu Füßen Ans. Wie so
oft in altorientalischen mythisch-epischen Texten kommt die Rede in ihren Ein-
18
Auf ein Beispiel aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend, das Nabupolassar-„Epos“, wird
unten noch Bezug genommen werden.
19
Vgl. RÖLLIG, W.: Zum „Sakralen Königtum“ im Alten Orient. In: Staat und Religion. Hg. von
B. Gladigow. Düsseldorf 1981, 114–125.
20
Vgl. KRECHER, J.: Insignien. In: RLA 5 (1980) 109–114, sowie MAGEN, U.: Assyrische Königsdarstellungen – Aspekte der Herrschaft. Eine Typologie (Baghdader Forschungen 9). Mainz 1986.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
15
leitungsversen auf den embryonalen Zustand der „Vor-Welt“21 und das „Noch
nicht“ der Jetzt-Welt, so auch hier.22
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Die großen Anunna, die Bestimmer des Schicksals,
setzten sich und bereiten den Ratschluss für das Land.
Die die Weltufer erschufen, das Menschengeschöpf (?) setzten,
die erhaben sind über die Menschen, die Götter, die Igigū,
bestimmten den Menschen ein Fest.
Den König hatten sie (noch) nicht eingesetzt unter allen zahlreichen Menschen;
daher war keine Tiara, keine Kopfbinde geknotet
und kein Szepter war mit Lapis besetzt.
Die Heiligtümer waren sämtlich noch nicht erbaut,
(und) die siebenfachen Tore waren gegen den Mächtigen verriegelt.
Szepter, Kopfbinde, Tiara und Hirtenstab
waren vor Anu im Himmel niedergelegt.23
Gerade die Übergabe der Herrschaft im Augenblick des Überganges von Göttern
auf Menschen lässt sich in Bildquellen24, aber auch in Texten25 gut festhalten.
Summiert man die Zeugnisse aus den Quellen, so machen ganz offenkundig gerade die Insignien bei ihrer Übergabe den Erwählten zu jenem Menschen,
der den Göttern nahe und den Menschen ferne ist. Ein König nimmt eine Zwischenstufe zwischen Götterwelt und Menschendasein ein.26
Vgl. grundlegend DIETRICH, M.: ina umi ullûti „An jenen (fernen) Tagen“. Ein sumerisches
kosmogonisches Mythologem in babylonischer Tradition. In: Vom Alten Orient zum Alten Testament. Festschrift für Wolfram Freiherr von Soden zum 85. Geburtstag am 19. Juni 1993. Hg. von
M. Dietrich – O. Loretz (AOAT 240). Münster 1995, 57–72.
22
Die deutsche Übersetzung ist zitiert nach HAUL, M.: Das Etana-Epos. Ein Mythos von der
Himmelfahrt des Königs von Kiš (Göttinger Arbeitshefte zur Altorientalischen Literatur 1). Göttingen 2000, 106–107.
23
Zeilen 11–12: —a‰‰um me¹num kubšum u šibirru qudmiš Anim ina šam¹’£ šakn¥.
24
Vgl. etwa CALMEYER, P.: „Das Zeichen der Herrschaft … Ohne Šamaš wird es nicht gegeben“.
In: AMI 17 (1984) 135–153, sowie WINTER, I.: Touched (s. Anm. 12), 75–101.
25
Vgl. hierzu v. a. die Ausführungen in DIETRICH, M. – DIETRICH, W.: Zwischen Gott und Volk.
Einführung des Königtums und Auswahl des Königs nach mesopotamischer und israelitischer
Anschauung. In: „Und Mose schrieb dieses Lied auf“. Studien zum Alten Testament und zum
Alten Orient. Festschrift für Oswald Loretz zur Vollendung seines 70. Lebensjahres. Hg. von M.
Dietrich – I. Kottsieper (AOAT 250). Münster, 215–264.
26
Vgl. SALLABERGER, W.: Den Göttern nahe – und fern den Menschen? Formen der Sakralität
des altmesopotamischen Herrschers. In: Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im
Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und
epochenübergreifenden Phänomen. Hg. von F.-R. Erkens. Berlin 2002, 85–98.
21
16
Martin Lang
Die Insignien, die nicht nur die Zustimmung der Götter versinnbildlichen,
sondern „eigenständig die Institution der Königsherrschaft“27, sind mit göttlichen Kräften (m e) ausgestattet bzw. sind göttliche Kräfte.28 Was m e eigentlich
ist, kann nur hypothetisch erschlossen werden. Einerseits wurde m e von der
modernen Wissenschaft als „numinose Macht“29 beschrieben, die aber konkrete
Verwirklichung in für menschliches Zusammenleben bedeutsamen Gegenständen und Kulturtechniken findet; andererseits werden sie etwa als Archtypen im
Sinne platonischer Ideen30 oder als „kultische Amtsmächte“ und als „grundlegender Ordnungsbegriff der altorientalischen Religion“31 verstanden. Im Mythos
über Inanna und Enki gibt es eine lange Liste von m e, die Innana dem Enki
entwendet. In dieser Liste werden u. a. die m e des Königtums selbst und der
Regalien, z. B. der „wahren, erhabenen Krone“, des „erhabenen Kleides“, aber
auch etwa der Zuständigkeit des Richtens erwähnt. Keinesfalls beinhaltet diese
Liste der m e nur konstruktive m e’s, sondern auch „dissoziative“, in der Lebenswelt vorfindliche Gegebenheiten wie die des Zornes oder des Streits.
Insignien (zumeist Krone, Thron, Stab, Waffe, Kleid – es gibt keine kanonische Folge, oft reichen die Nennung von zwei oder drei als partes pro toto)
werden fast immer mit Eigenschaftswörtern des Numinos-Machtvollen erweitert: a g a - z i - m a h (wahre, erhabene Krone), t u g 2 - m a — (erhabenes Kleid).
Insignien werden im Zuge ritueller Handlungen von Priestern, in der Bildkunst von Göttern verliehen.
Insignien sind auch Gegenstand von Beschwörungen. Ein in seiner Tragweite erst noch zu kontextualisierender und besser zu verstehender Text liegt in
einem Ritualpräskript vor, das lange als Passage aus der Beschwörungsserie m£s
pî („Mundwaschung“), eine der Zurüstung und In-Funktion-Setzung eines Kultbildes dienende Ritualtextserie, verstanden wurde.
27
CANCIK-KIRSCHBAUM, E.: Herrschaftsästhetik im Alten Orient. In: Ästhetik des Politischen,
Politik des Ästhetischen. Hg. von K. Barck – R. Faber. Würzburg 1999, 237–247, 239.
28
Zu m e siehe Edition und v. a. Kommentar von FARBER-FLÜGGE, G.: Der Mythos „Inanna und
Enki“ unter besonderer Berücksichtigung der Liste der m e (StP 10). Rom 1973.
29
Vgl. OBERHUBER, K.: Der numinose Begriff ME im Sumerischen (IBKW.S 17). Innsbruck
1963.
30
Vgl. OBERHUBER, K.: Begriff (s. Anm. 29), 3.
31
WILCKE, C.: Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel. In:
Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn
interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen. Hg. von
F.-R. Erkens. Berlin 2002, 62–83, 80.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
17
Der König ist vom Palast in den Tempel gekommen und stellt sich hin.32
1 Das Gesicht?/vor? dem Tor des Sonnenaufgangs steht er, [seinen xxx] stellst du
auf.
2 Wehrgehänge setzt du darauf, (je) ein Beschwörungspriester, rechts und links
vom König stehen sie und
3 ein Reinigungsgerät […] tragen sie (?)
4 Das [Sz]epter gibst du dem König u[nd die Beschwörung „Holz des Me]eres“
rezitierst du,
5 den goldenen Kronreif gibst du und die Beschwörung „Krone, deren Schreckensglanz“ rezitierst du.
6 [Du gibst die Waffe und] rezitierst die Beschwörung „[Waffe, die mit ehrfurchtgebietendem Gl]anz ausgestattet ist“.
7 Du gibst den Bogen und rezitierst die Beschwörung „Langer Bogen“.
8 Du gibst den Stab und rezitierst die Beschwörung „Großer Herr, mit Schreckensglanz bekleidet“.
9 Du gibst die Steine und rezitierst die Beschwörung „Großer Stein, großer Stein“.
Wenn du sie rezitiert hast,
10 den goldenen Kronreif (und) die Steine hat er angelegt, das Szepter trägt er in
seiner Hand.
11 Den Bogen, die Waffe (und) den Stab empfängst du und legst (sie) auf den
Thron.
12 Er [= der König] prosterniert sich, betritt den Palast und richtet sein Gesicht nach
Norden.
13 Das Krummholz gibst du (ihm) und rezitierst die Beschwörung „Ich erhob mein
Krummholz“.
14 Auf den Maischbottich legt er seine Hand und
15 „Siris, Löser von Gott und Mensch“ lässt du ihn sagen.
16 Wenn er es rezitiert hat, reißt er den Spund des Maischbottichs ab.
Es folgt eine rituelle Vogelfreilassung mit Beschwörung des Vogels und der
Gebetsbitte an Šamaš: att¹ Šamš£ uƒur napišt£ k£ ša iƒƒuri annî napišta aqâšu –
„Du, meine Sonne, schütze mein Leben, so wie ich auch diesem Vogel das Leben
schenkte.“ Nachdem sich der König hingestellt hat, wird er mit den Regalien
ausgestattet. Es ist dies ein mehrteiliges rituelles Geschehen. Der König wird
mehrfach purifiziert, erhält die Insignien, während im Zuge der Übergabe Beschwörungen rezitiert werden, die den Regalien gelten. Diese Beschwörungen
werden in der eben zitierten Passage nicht zur Gänze erwähnt, sondern nur gemäß ihrer „catchlines“/Initien. Durch die Rezitation der Beschwörungen erhalten
die Regalien eine ihnen eigene Qualität, wenn man so will eine „Weihung“(?)
32
Der hier zitierte Text entstammt der Bearbeitung von BERLEJUNG, A.: Die Macht der Insignien.
Überlegungen zu einem Ritual der Investitur des Königs und dessen königsideologischen Implikationen. In: UF 28 (1996) 1–35, hier 15–16.
Martin Lang
18
im Sinne eines Übergangs von einer zunächst unspezifischen Verwendung in
eine exklusive, nunmehr ausschließliche Bestimmung. Der König erhält mit ihrer
Übernahme einen anderen Seinsstand. Allein das schon erwähnte, „heilsame“
Missverständnis, dass dieses Ritual mit der Serie für die Zurüstung eines Kultbildes verwechselt werden konnte, zeigt, in welcher Richtung die Ritenzyklen
im Zuge einer Krönung zu interpretieren sind, wird doch auch das Kultbild gemäß seiner ihm eigenen Bestimmung gereinigt, beschworen und dann seiner
eigentlichen Verwendung zugeführt.
Sehen wir uns noch eine dieser Beschwörungen der Regalien anhand der
Beschwörung des Thronsessels exemplarisch näher an. Was sagen sie aus und
was sollen sie bewirken?33
Beschwörung: Holz des Meeres, das an reinem Ort geschaffen wurde
[3 verschiedene Holzarten], Holz des Meeres, das aus Dilmun gebracht wurde,
dem Enlil auf große Weise das Schicksal bestimmt hat,
Ninildu, der große Zimmermann Ans,
[…] der reine Gesalbte, [betreute] mit seinen reinen Händen sorgfältig den Thron
der Herrschaft.
Ninagal, der Großschmied Ans,
versah ihn mit Gold und Silber
Asalluhi [sum. Zeile] / Marduk [akk. Zeile], der Sohn von Eridu, sprach die Beschwörung
Mit reinem Wasser besprengte er ihn, säuberte er ihn, reinigte er ihn
Vor Šamaš stellte er ihn an einen reinen Ort und
[…] erhob seinen Kopf; im Land ließ er (ihn) sichtbar werden
[…] ? wie der Himmel, wie die Erde, wie das Innere des Himmels
Eine böse Zunge möge beiseite stehen!
Beschwörung für einen Königsthron
In dem Text der Beschwörung wird die Geschichte der Bestandteile des Thrones
und ihrer Fertigung memoriert. Dass im Zuge der Rezitation/Performierung des
Textes nicht unterschieden wird, ob es nun das himmlische Urbild oder das realirdische Abbild ist, von dem die Rede ist, scheint Absicht zu sein, da vermittels
des Rituals eine Verbindung zwischen der irdischen und der anderen Welt hergestellt und damit eine Identität konstituiert wird. So bleibt auch offen, welchen
Thron die Götter, die Hand an den zu fertigenden Thron legen, nun wirklich herstellen. Mit keinem Wort werden die menschlichen Handwerker erwähnt, vielmehr wird der zu beschwörende Thron so behandelt, als wäre er im Himmel gefertigt worden.
33
Text nach BERLEJUNG, A.: Macht (s. Anm. 32), 21.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
19
Das Königtum ist im himmlischen Bereich demnach schon präfiguriert
und wurde beim Schöpfungsakt in die Welt eingestiftet. Die Chronik des einen
sumerischen Königtums, ein Konstrukt einer linearen, von Ort zu Ort wechselnden Monarchie, die den bekannten Namen „sumerische Königsliste“34 trägt, lässt
gemäß seinem Initium das Königtum als Urereignis vom Himmel herabsteigen.35
In den rites de passage bei der Inthronisation wird es für den jeweiligen ins Amt
Einzuführenden konstitutiert und bei der Re-Inthronisierung in regelmäßigen
Zyklen (Neujahrsfest) in Ritual, Gebet und Beschwörung je neu aktiviert. Ich
möchte hier von einer einmaligen initiatorischen Ins-Amt-Setzung einerseits
und einer periodisch wiederkehrenden Inthronisation im Zuge des Neujahrsfestes und damit einer maßgeblich mit dem Königtum verknüpften, rituellen recreatio andererseits sprechen.36 Diese sind wohl nicht miteinander identisch,
aber auch nicht einfach unverbunden. Was an erhaltenen Ritualfragmenten zur
Verfügung steht, scheint darauf hinzuweisen.
4 THEO-LOGIE UND BASILEIO-LOGIE
Ein in religionsgeschichtlicher Hinsicht nicht belangloser Sachverhalt mit einer
nicht zu unterschätzenden universalhistorischen Tragweite ist mit einer merkwürdigen Gleichung gegeben. Begriffe, die streng in den Bereich theologischer
Rede gehören, also etwa im hymnischen Kontext ausschließlich zur Prädikation
von Aussagen über nicht-weltliche Dinge verwendet werden und in säkularen
Kontexten und Dokumenten demnach nicht vorkommen, werden jedoch für
Aussagen über das Königtum verwendet: Hier in diesem Bereich bestehen Überschneidungen zwischen Theolekt und Basileiolekt. Das heißt in Vertiefung des
an erster Stelle Bemerkten: das Königtum ist auch rein sprachlich aus der Alltagswelt und -kommunikation herausgehoben und in den Nahebereich des Göttlichen gerückt.
34
GLASSNER, J.-J.: Chroniques mésopotamiennes. Paris 1993, 137.
n a m - l u g a l a n - t a e d 3 - d e 3 - a - b a – „als das Königtum vom Himmel herabgestiegen war
…“. Text: BLACK, J. A. – CUNNINGHAM, G. – EBELING, J. – FLÜCKIGER-HAWKER, E. – ROBSON, E.
– TAYLOR, J. – ZÓLYOMI, G.: The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature (http://etcsl.
orinst.ox.ac.uk/). Oxford 1998–2006 (ETCSL c.2.2.1).
36
Vgl. unten Kapitel 8 über die jährliche Re-Investitur des babylonischen Königs.
35
20
Martin Lang
Beispiele wären etwa: m e - l a m 2 (melammu) „Schreckensglanz“,37 ein
Topos, der sich möglicherweise vom dritten Jahrtausend an bis in das häufig
diskutierte, persische Konzept von xvarənah,38 dem lediglich in Eigennamen
bezeugten farnah der Achaimenidenzeit, nachzeichnen lässt.39 n i 2 - g a l (nammurratu) „furchterregender Glanz“ und s u - l i m (šalummatu)40 „gleißender
Glanz“ erweisen sich als Begriffe, mit deren Hilfe theophane Lichterscheinungen41 und ihnen entsprechend auf menschlicher Seite Reaktionen von Furcht
und Erschauern (pal¹—u/pulu—tu) umschrieben werden.
Sitz im Leben dieser Überschneidungen sind v. a. jene Quellen, die zumeist als Königshymnen, zu „Neudeutsch“ „royal praise poetry“, bezeichnet
werden, die ganz stark den himmlischen Bereich betonen; aber auch Königsinschriften, und vor allem Inthronisationslieder als mögliches Element von Inthronisationsriten,42 in denen ihrerseits aber Mythen aktiviert werden, die den König
als besonderes, von den Göttern kreiertes Wesen schildern.43
5 ERWÄHLUNG DES KÖNIGS DURCH EINE GOTTHEIT AUS EINER MASSE VON
VIELEN MENSCHEN MIT DER BESONDEREN AUSERWÄHLUNG/BERUFUNG
AUF EIN AMT HIN
Wenn auf göttliche Initiative hin ein König berufen, adoptiert oder auch gezeugt
und großgezogen wird – sumerische Quellen sprechen z. B. von Milch, die die
37
Vgl. ATAÇ, M.-A.: The Melammu as Divine Epiphany and Usurped Identity. In: Ancient Near
Eastern Art in Context. Studies in Honor of Irene J. Winter by Her Students. Hg. von J. Cheng –
M. Feldman (Culture and History of the Ancient Near East 26). Leiden 2007, 295–313.
38
Vgl. JACOBS, B.: Das Chvarnah? Zum Stand der Forschung. In: MDOG 119 (1987) 215–248.
39
Vgl. EHRENBERG, E.: Dieu et mon droit. Kingship in Late Babylonian and Early Persian
Times. In: Religion and Power. Divine Kingship in the Ancient World and Beyond. Hg. von N.
Brisch (Oriental Institute Seminars 4). Chicago 2008, 103–131, hier bes. 111–113.
40
Siehe dazu CANCIK-KIRSCHBAUM, E.: Herrschaftsästhetik (s. Anm. 27), 237–247, bes. 240.
41
Vgl. WINTER, I.: Radiance as an Aesthetic Value in the Art of Mesopotamia. In: Art – The Integral Vision. Hg. von B. N. Saraswati – S. C. M. Malik – M. Khanna. Neu-Dehli 1994, 123–132.
42
Der Sitz im Leben solcher „Lieder“ ist nicht geklärt. Vgl. RÖMER, W. H. P.: ‚Königshymnen‘
der Isinzeit und Königsinvestitur. In: XVII. Deutscher Orientalistentag vom 21. bis 27. Juli 1968 in
Würzburg. Vorträge. Teil 1. Hg. von W. Voigt (ZDMG Supplement 1). Wiesbaden 1969, 130–147.
43
Vgl. DIETRICH, M.: Der Herrscher in göttlichem Gewand – Bemerkungen zu Basileolekt-Wörtern aus dem Wortschatz des Theolekts in mesopotamischen Königsepitheta und Inthronisationsriten. In: Religiosität und Sprache. Teil II: Religiolekte und Metasprache(n) (Mitteilungen für
Archäologie und Religionsgeschichte 19). Münster – Saarbrücken 2008, 21–37, 22.
21
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
Königskinder aus der Brust von Göttinnen saugen, indem sie auf deren heiligen
Schoß sitzen –, so ist dies niemals ein Vorgang, der isoliert für sich steht.
Schon im dritten vorchristlichen Jahrtausend tritt ein Ideologem deutlich
hervor: Es ist die Spezifizierung („Erwählung“) einer einzelnen, individuellen
Person aus einer anonymen Masse von Menschen durch die Götter. Dieses Thema der Aussonderung ist im 25. Jahrhundert zum ersten Mal greifbar und wird
dann in den folgenden Jahrhunderten zunehmend gesteigert.44
Enmetena von Lagaš präsentiert sich als sich von der Gottheit Nin-Girsu
gerufen und aus einer Tausendschaft von Menschen heraus durch seine Hand
ergriffen. Irikagina, einer seiner Nachfolger, lässt ein halbes Jahrhundert später
ganz Ähnliches schreiben, verzehnfacht aber die Zahl der Menschen, aus denen
er gerufen worden sei und addiert zusätzlich den Sachverhalt der Verleihung des
Königtums.
Dies erfährt eine weitere Steigerung durch den bekanntesten Fürsten von
Lagaš, Gudea – sein Name heißt nichts anderes als der „Berufene“; dieser fügt
zu den genannten Sachverhalten ein ab nun topisches Element hinzu: er sei zum
beständigen Hirten des Landes bestimmt worden.
6 DAS RUFEN DES NAMENS
KÖNIGS FÜR EIN AMT
UND
FINALISIERUNG
DER
BERUFUNG
DES
Zu seiner schicksalsmäßigen Bestimmung auf der metaphysisch-legitimatorischen Ebene gelangt ein König – und dies wird aus Inschriften deutlich –, indem
er beim „Namen gerufen/genannt“ (šumu + nabû ; šumu + zak¹ru)45 wird. Ein
Name schafft nicht bloß Individualität, sondern dauerhaftes Da-Sein schlechthin.
„Indem der Name eines Individuums dessen Wesen zur Gänze repräsentiert, ist seine
Erhaltung der Schlüssel zum ‚ewigen Leben‘. Gelingt es dem altorientalischen Menschen nämlich, ‚seinen Namen zu setzen‘, so ist es ihm möglich, sein Dasein über
seine sterbliche Existenz hinaus zu verlängern.“46
Bewirkt ein Name in altorientalischer Literatur sehr häufig erst das Dasein des
Benannten – der Umkehrschluss wäre: was nicht benannt ist, gibt es schlechter-
44
Vgl. WILCKE, C.: Wesen (s. Anm. 31), 62–83.
Zum „Rufen beim Namen“ vgl. bes. DIETRICH, M. – DIETRICH, W.: Zwischen Gott und Volk
(s. Anm. 25), 228–232.
46
RADNER, K.: Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung (SANTAG
8). Wiesbaden 2005, 271.
45
Martin Lang
22
dings nicht –, so schafft der Topos des Beim-Namen-Genannt-Werdens im Kontext von Berufungserzählungen höchste Legitimität und Dauerhaftigkeit.
Ein König wird nicht schlechterdings berufen („beim Namen genannt“),
um König zu sein. Wie König-Sein entfaltet werden muss, hat eine deutliche,
sich auch in der Grammatik der Texte niederschlagende Finalität: Ein König
wird zum König berufen, um etwas zu tun. Dieses Tun ist am deutlichsten greifbar in der Weise, wie ein König sich für Gerechtigkeit und Recht zu engagieren
hat: –ammu-rapi.
Anhand einer einfachen Skizze soll diese Finalität des Königtums, welche
ihr von der Gründung der Welt an schon eingestiftet ist, aufgezeigt werden.47
I,1–26
Als (£nu) → TEMPORALSATZ
An und Enlil
Marduk erhoben hatten,
Babylon gegründet hatten
und darin ein ewiges Königtum etabliert hatten,
I,27–49
da (in¥mišu)
haben mich, Hammu-rapi, → FINALSATZCLUSTER
um Gerechtigkeit im Land aufscheinen zu lassen, (nämlich):
den Bösen und Schlimmen zu vernichten,
den Schwachen vor dem Starken zu schützen
(und um) wie die Sonne über den Schwarzköpfigen (= hier „die Menschen“) aufgehen
zu lassen
und das Land zu erleuchten,
An und Enlil … bei meinem Namen gerufen (šum£ ibbû).
(CH I,1–49)48
Gerade die Stele mit den Gesetzen –ammu-rapis weist eine jener seltenen, erhaltenen, bildlichen Darstellungen über den Vorgang einer Investitur selbst auf.
Das obere Fünftel der dem Betrachter zugewandten Seite, beinahe in der Gestalt
eines Fingernagels, bildet den König ab, der, von links kommend, sich dem in
der rechten Bildhälfte thronenden Šamaš nähert. Dieser – als Gottheit an der
„Hörnerkrone“ erkenntlich – reicht –ammu-rapi einen Stab und einen Ring.
47
Diese Ausführung folgt grundsätzlich den Darlegungen LANG, M.: Zum Begriff von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit in den Prologen der altorientalischen Codices. In: Recht und
Religion. Menschliche und göttliche Gerechtigkeitsvorstellungen in den antiken Welten. Hg. von
H. Barta – R. Rollinger – M. Lang (Philippika 24). Wiesbaden 2008, 49–71, hier 56–57.
48
Akkadischer Text: ROTH, M.: Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor (Society of
Biblical Literature. Writings from the Ancient World 6). Atlanta 21997.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
23
Dieses Bildprogramm inszeniert die Investitur49 des Königs folgendermaßen: „kompositorisch wie ikonographisch wird auf subtile Weise der König der
Gerechtigkeit in die göttliche Sphäre des Sonnengottes erhoben. Indem sich der
Herrscher als ‚Sonnengott der Menschen‘ zum obersten Richter auf Erden macht
und für Gerechtigkeit sorgt, kommt er seiner Verpflichtung nach und weist sich
sowohl als legitimer Mittler zwischen Menschen und Göttern wie auch als
Garant der irdischen Ordnung aus.“50 Die Übergabe von Stab und Ring(?) an den
König scheint ein topisches Motiv geworden zu sein: Auch in neuassyrischer
Zeit findet sich diese Gruppierung etwa in einer Wandmalerei aus Khorsabad
wieder; allerdings fungiert hier nicht Šamaš, sondern Aššur als Gottheit, die
Sargon (722–705 v. Chr.) mit Szepter und Ring ausstattet.51 Damit sind die ikonographisch verdichteten, göttlich-rechtlichen Grundlagen für sein imperiales
Agieren geschaffen.
Agenden, wie Recht zu schaffen, für die Prosperität des Landes zu sorgen,
Hirte zu sein etc., bleiben bis in die Spätzeit Mesopotamiens dieselben und werden mannigfaltig variiert, ausgebaut, gesteigert. In den Annalen Assurbanipals
wird erwähnt, dass anlässlich seiner Krönung und Inthronisierung durch Aššur,
Sîn, Šamaš, Adad, Marduk, Ištar von Ninive u. a. das Gras und der Weizen
überdurchschnittlich gewachsen seien, die Felder ein Vielfaches des Ertrages
gebracht hätten und dass eine Friedenszeit über das Land hereingebrochen sei.
Seit Assur, Sin, Šamaš, Adad, Bel, Nabu, Ištar von Niniveh, die Königin von Kidmuri, Ištar von Arbela, Ninib, Nergal, Nusku mich wohlwollend auf dem Thron des
Vaters, meines Erzeugers, hatten Platz nehmen lassen, 1ieß Adad seine Regengüsse
los, öffnete Ea seine Quellen, wurde das Getreide 5 Ellen in seinen Ähren hoch,
wurde die Ähre 5/6 Ellen hoch, gedieh die Feldfrucht, indem der Weizen zahlreich
wurde, war der giparu-Baum beständig mit Grün bedeckt, brachten die Obstpflanzungen die Frucht zu üppiger Entfaltung, hatte das Vieh im Gebären Gelingen. Während meiner Regierungszeit triefte die Fülle, während meiner Jahre wurde Überfluß
aufgehäuft.52
Diese Topik wiederum steht in einer langen Tradition, denn schon das dritte
Jahrtausend bringt Texte hervor, die während bestimmter Regierungszeiten von
Üppigkeit strotzenden Landschaften berichten. Als Beispiel soll ein „Königs49
Vgl. CAPLICE, R. – HEIMPEL, W.: Investitur. In: RLA 6 (1983) 139–144.
Siehe dazu jüngst ELSEN-NOVÁK, G. – NOVÁK, M.: Der ‚König der Gerechtigkeit‘. Zur Ikonologie und Teleologie des ‚Codex‘ Hammurabi. In: BaghM 37 (2006) 131–156.
51
Abbildungen bei WINTER, I.: Touched (s. Anm. 12), 91–92.
52
STRECK, M.: Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s.
Band 2: Text. Die Inschriften Assurbanipals und der letzten assyrischen Könige (VAB 7/2). Leip–
zig 1916, 6–7, Z. 41–51.
50
24
Martin Lang
hymnus“ (Šulgi F) über das Königtum des Herrschers der dritten Dynastie von
Ur, Šulgi (2094–2047 v. Chr.), dienen, in dem die Motive des Überflusses anlässlich des Antritts der Regierung und die des Königs als blühender Baum53
verbunden werden:54
1 In die Gerstespeicher des Landes Gerste zu füllen,
2 In den Magazinen des Landes die Dinge zahlreich zu machen,
3 Die Feindländer und das Böse abzuwenden,
4 Darum hat den Krieger seine Mutter geboren, Ninsuna.
5 Darum hat Šulgi seine Mutter geboren, Ninsuna.
[…]
30 Damals entschied An für Sumer das Geschick, rief es dem Volke zu,
31 (Der Mondgott) Ašimbabbar trat erfreut zur Versammlung heraus.
[…]
44 Das für das Land aufgegangene Licht, der Elephant, der Wildstier [erhob] das
Haupt.
45 Der gewaltige, das Bergland zerschneidende Stein […]
46 Während der jugendliche (Sonnengott) Utu, der Wächter aller Bergländer, geradewegs zu ihm kam.
47 In festgegründetem Bergland, auf der w[eit]en Erde,
48 Als dem Lande Überfluß ganz nahe war,
49 Ließ der Himmel bis auf die Erde herab seine Zitzen hängen.
Wie das Meer erhoben sich (die Wasser) da in ihrer alles niederwälzenden Woge.
51 Als gewaltige Matte fiel der Tag des Überflusses auf die Erde.
52 Überfluß und Frühjahresflut hat er das Tor geöffnet.
53 Himmel und Erde schrien zugleich,
Zum m e s -Baum/m¢su -Baum, der sowohl mit Königen als auch Göttern verglichen wird, vgl.
rezent HUROWITZ, V. A.: What Goes In Is What Comes Out – Materials for Creating Cult Statues.
In: Text, Artifact and Image. Revealing Ancient Israelite Religion. Hg. von G. Beckman – T. J.
Lewis (BJSt 346). Providence 2006, 3–23.
54
Dies scheint traditionsbildend zu sein. Die sinnenfällig-symbolisch darstellbare Gleichung
König = Baum erscheint in der neuassyrischen Zeit metaphysisch überhöht: „On the one hand, it
represented the divine world order maintained by the Assyrian king as God’s representative on
the earth; the garland around the Tree symbolized the underlying unity of the cosmic powers operative in the universe, gods, conceived as aspects of a single, all-encompassing transcendental god,
Aššur. By implication, this symbolism called for the political unity of the entire world under the
hegemony of Assyria. At the same time, the symbolism of the Tree was projected upon the Assyrian king to portray him as the perfect image of God. The symmetry, harmony, and axial balance
of the Tree symbolized the absolute perfection and mental balance of this ideal man. The relevance
of such symbolism for justifying the king’s position as the absolute ruler of the empire hardly
needs any elaboration“ (PARPOLA, S.: Letters from Assyrian and Babylonian Scholars [State
Archives of Assyria 10]. Helsinki 1993, hier XV–XVI; siehe auch den bahnbrechenden – und umstrittenen – Artikel PARPOLA, S.: The Assyrian Tree of Life: Tracing the Origins of Jewish Monotheism and Greek Philosophy. In: JNES 52 [1993] 161–208).
53
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Als das Bergland daraufhin reine Pflanzen wachsen ließ und
Die Steppe überall für die im Überfluß sprießenden Kräuter die Erde öffnete und
Das Getier und die Rinder und Schafe des Gebirges damit heranzog.
Der Krieger im Besitz allen großen Überflusses
Ließ das (Lied) seiner Erhabenheit ertönen:
,,Den Preis meiner übergroßen, gewaltigen Macht soll das Lied nennen!
(Die Gattin) Geštinana hat es liebevoll verfaßt.
Als er zum Königtum erhoben wurde,
Erschien er strahlend wie ein ein guter mes-Baum, mit frischem Wasser gewässert,
Auf daß er am lauteren Wasserlauf die glitzernden Zweige ausbreite.
Seinen glitzernden Zweigen bestimmte (der Sonnengott) Utu das Schicksal:
,,Er ist ein guter mes-Baum, trägt lautere Blüten.
Sulgi, der gute Hirte Sumers, wird weithin Überfluß schaffen.“55
7 INS-AMT-SETZUNG EINES KÖNIGS: DAS MITTELASSYRISCHE „KRÖNUNGSRITUAL“ UND SEINE INTERTEXTUELLEN BEZÜGE IN DAS NEUASSYRISCHE
TEXTCORPUS
Wenden wir uns nun in einem weiteren Schritt jenem Aspekt zu, der mit dem
konkreten Titel dieses Beitrags zusammenhängt: Wie wird ein König ins Amt
gesetzt, welche Vorgänge sind uns überliefert, was ereignet sich, was wird proklamiert, welche Symbolhandlungen werden gesetzt, welche Rolle spielen mögliche Anwesende u. dgl.?
Schon jetzt kann gesagt werden, dass uns gerade über den Vorgang der
Amtseinsetzung selbst keine große Anzahl von Quellen zur Verfügung steht und
wir auch bei dem vorhandenen Quellenbestand nicht genau verstehen, welche
Textgattungen wir eigentlich vor uns haben. Trotzdem gibt es eindrückliche Einblicke in die Ins-Amt-Setzung von Königen. Die Forschungsliteratur – es ist für
die Assyriologie viel, für alttestamentliche Maßstäbe etwa aber vergleichsweise
bescheiden – bietet verschiedene Sprachregelungen hinsichtlich der Textgattungen. Die Forschung ist weit davon entfernt, eine breit akzeptierte, verbindliche
Deutung der Texte zu geben.
55
Text nach WILCKE, C.: Wesen (s. Anm. 31), 75–76.
Martin Lang
26
7.1 Das so genannte „mittelassyrische Krönungsritual“
Eine Tontafel aus der Zeit nach Tukultī-Ninurta I. (1233–1197 v. Chr)56 ist mit
einem Text beschrieben, der rituelle Abläufe im Zuge einer Krönung schildert.
Ob es sich um die Krönung zum König oder die Amtseinsetzung des Köngs ins
šangû -Priestertum57 handelt, welches der assyrische König ab der mittelassyrischen Zeit in Personalunion innehat, spiegelt die Überlieferung nur undeutlich.
Dem Text ist eigen, dass er – und das wurde schon in der editio princeps aus
dem Jahre 193758 erwähnt – eher als eine Rechnung für das Kultpersonal erscheint, mit einer Auflistung von Taxen, die für einzelne Ritualhandlungen an
die Priesterschaft zu entrichten sind.
Dieser Text nun zeigt in der hier vorgeschlagenen Gliederung mehrere
Momente, die mit einem Prozessionsgang und damit verbundenem Ortswechsel,
mit Proklamationen und Akklamationen einhergehen; sie deuten auch ein rituelles Element an, das beinahe beiläufig erwähnt wird, in welchem aber das Königtum für kurze Zeit aufgelöst erscheint und das Umfeld in einen Zustand der Instabilität – einen liminalen Status – verfällt, um bald darauf wieder neu konstituiert
zu werden. Die Welt befindet sich daraufhin wieder im Lot.
-
Prozession vom Palast zum Assur-Tempel
Proklamation des Oberpriesters: Assur ist König, Assur ist König
Eintritt in den Tempel: Niederwerfungen und umfangreiche Opfer
Herbeibringen von „Krone des Assur“ und der „Waffe der Ninlil“; Ablegen vor dem Thron auf einem Schemel; Opfer
- Krönung mit den Kronbinden durch den Oberpriester, verbunden mit der
Sprechhandlung:
„Ja, die Kronbinden deines Hauptes, ja Assur, Ninlil, die Beherrscher deiner Kronbinden, mögen sie Dir für hundert Jahre aufsetzen. Mögen dein
Fuß in Ekur und deine Hände (ausgestreckt) gegen Assur, deinen Gott,
angenehm sein. Vor Assur, deinem Gott, möge dein Priestertum und das
56
Zur Datierungsfrage siehe rezent KRYSZAT, G.: „Assur ist König“. Das mittelassyrische Krönungsritual im Lichte assyrischer Identitätsfindung. In: Fest und Eid. Instrumente der Herrschaftssicherung im Alten Orient. Hg. von D. Prechel (Kulturelle und sprachliche Kontakte 3). Würzburg
2008, 109–119, hier 113–114.
57
Siehe dazu FAIST, B.: Kingship and Institutional Development in the Middle Assyrian Period.
In: Kingship in the Ancient Worlds. Hg. von R. Rollinger – G. B. Lanfranchi. Padova 2010 [im
Druck].
58
Vgl. MÜLLER, K. F.: Das assyrische Ritual. Teil 1: Texte zum assyrischen Königsritual
(MVÄG 41/3). Leipzig 1937.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
-
-
27
Priestertum deiner Söhne angenehm sein. Mit deinem geraden Zepter mache dein Land weit. Beredsamkeit, Verständnis, Zustimmung, Recht und
Frieden möge Assur dir geben.“
Huldigung, Küssen der Füße
Verlassen des Tempels; der König wird zum Stadttor hinaus getragen
Beim b£t lab¥ni ist ein Thron aufgestellt
Der König wird auf den Thron gesetzt: Musik spielt, Huldigung durch die
Großen des Reiches
„Kauern“59 des König auf dem Thron (Geburts- und Begräbnissprache);60
währenddessen Ehrengeschenke an den König
Auflösung des Hofstaates: Niederlegen der Beamteninsignien, der Musikinstrumente etc.; „auseinandertreten“, „herumstehen“ → Verlassen der
angestammten Positionen
Befehl des Königs, die Beamteninsignien wieder auf- und die ursprüngliche Stellung einzunehmen
Niederwerfung; Gabe von wertvollen Steinen an die Götter
Dieser in Form und Inhalt einzigartige Text steht zwar im Produktionskontext
recht isoliert da, ist aber deshalb so bedeutsam, weil er ein deutliches Echo in
späterer Zeit generiert. Ein Reflex dieses mittelassyrischen Krönungsrituals findet sich im sog. „Krönungshymnus“ Assurbanipals (669–627 v. Chr.): Was im
mittelassyrischen Ritual formuliert vorgefunden wird, hat nach über fünfhundert
Jahren Eingang in diesen „Krönungshymnus“ aus neuassyrischer Zeit gefunden.
7.2 „Krönungshymnus“ des Assurbanipal
Vs. VAT 1383161
1 Möge Šamaš, König von Himmel und Erde, dich zum Hirtentum über die vier
Weltgegenden erheben,
2 möge Aššur, der dir das Szepter gibt, deine Tage und Jahre lang machen.
3 Zu deinen Füßen – das Land mach weit!
4 Möge Šerua deinen Namen zu deinem Gott erheben[? – Sinn fraglich]
5 So wie Getreide und Silber, Öl, die Rinder Šakkans,
6 das Salz von Bariku gut sind,
Der Text hat nicht zu erwartendes waš¹bu, sondern spricht von ka-mu-ús. Vgl. MÜLLER, K.
F.: Ritual (s. Anm. 58), 14, 41.
60
Siehe rezent dazu WILCKE, C.: Wesen (s. Anm. 31), hier 82–83.
61
Akk. Text: LIVINGSTONE, A.: Court Poetry and Literary Miscellanea (State Archives of Assyria 3), Helsinki 1989, Nr. 11, 26–27; Übersetzung eigen.
59
28
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7 so soll Assurbanipal, der König Assyriens, vor den Augen der Götter seines Landes gut sein.
8 Beredsamkeit, Einsicht, Recht und Gerechtigkeit – als Geschenk sollen sie ihm
gegeben sein.
9 Mögen die Leute von Aššur 30 Kor Getreide für einen Schekel Silber kaufen,
10 mögen die Leute von Aššur 3 Sea Öl für einen Schekel Silber kaufen,
11 mögen die Leute von Aššur 30 Minen Wolle für einen Schekel kaufen.
12 Der Kleine soll sprechen und der Große soll hören,
13 Der Große soll sprechen und der Kleine soll hören.
14 Harmonie, Friede mögen im Land Assyrien gesetzt sein.
15 Aššur ist König, ja Aššur ist König, Assurbanipa[l ist Günstling?)] Aššurs, das
Geschöpf seiner Hände (binût q¹t¢ =šu).
PROKLAMATION
16 Die großen Götter mögen seine Amtszeit festigen, mögen schützen das Leben
Assurbanipals, des Königs von Assyrien.
17 Ein gerades Szepter, um das Land und seine Leute zu erweitern, mögen sie ihm
geben.
18 Möge seine Amtszeit erneuert werden, und mögen sie seinen Thron des Königtums auf ewig festigen.
19 Täglich, monatlich, jährlich mögen sie ihn segnen und seine Amtszeit schützen.
20 In seinen Jahren möge Regen vom Himmel und Bewässerung von den Quellen
beständig sein,
21 lange Tage, viele Jahre.
22 Eine starke Waffe, eine lange Amtszeit, Jahre von Reichtum, einen guten Namen,
Rs.
1 einen guten Ruf, Glück, Freude, günstige Orakel, und eine vornehmere Stellung
2 als die (der anderen) Könige gebt Assurbanipal, dem König von Assyrien, unserem Herrn.
3 Sobald er proklamiert hat, wendet er sich an die Öffnung des Räucherbeckens,
RUBRIK
4 welches vor Šamaš (steht) und proklamiert:
5 An hat seine Krone gegeben, Enlil hat seinen Thron gegeben,
6 Ninurta hat seine Waffe gegeben,
7 Nergal hat seinen gleißenden Glanz gegeben,
8 Nusku hat Ratgeber gesandt und vor ihn aufgestellt.
9–14 Flüche gegen alle, die dem König gegenüber illoyal sind.
15 Versammelt euch alle Götter des Himmels und der Erde
16 und segnet Assurbanipal, den überlegend-entscheidenden Menschen (m¹liku
am¢lu).
17 Füllt in seine Hand die Waffe von Krieg und Schlacht
18 und gebt ihm die Schwarzköpfigen (= Menschen) – er möge das Hirtentum über
sie ausüben.
Von besonderem königstheologischen Gewicht sind jene Aussagen, die sich in
der Proklamation „Aššur ist König, ja Aššur ist König“ in Z. 15 auf der Vorder-
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
29
seite der Tafel finden, vermittels welcher der König topisch als „Geschöpf“ seiner (= des Gottes Aššur) Hände (binût q¹t¢ =šu)62 prädiziert wird. Dieser Topos
altorientalischer Königsideologie seinerseits findet Niederschlag im GilgameschEpos, welches v. a. in neuassyrischer Zeit als Epos des idealen Königs begriffen
werden kann.63 Ein König muss schön sein64 und an den ästhetischen Idealen,
die in die Überweltlichkeit projiziert werden, Anteil haben. Als makelloses
Schöpfungswerk wird er von An mit der Krone, von Enlil mit dem Thron, von
der kriegerischen Gestalt Ninurtas mit der Bewaffnung und von Nergal mit Götterglanz (šalummatu) ausgestattet. Zum einen verweisen diese Aussagen intertextuell in jene Ritualtexte, von denen einer exemplarisch oben vorgestellt wurde,65 zum anderen offenbaren sie ein Konzept von Königtum in neuassyrischer
Zeit, das den König mehr noch auf göttlicher Seite, denn auf menschlicher präsentiert. Ist dies zunächst ein Verdacht, so wird dieser durch Texte erhärtet, die
den assyrischen König als Hypostase oder auch als „Inkarnation“66 des himmlischen Kronprinzen Ninurta ausweisen. Die Investitur geschieht durch die Götter
selbst, die Inszenierung seines Auftretens erinnert an die Idee einer – wie auch
immer gearteten – „Gottesebenbildlichkeit“.67 Diese kann, wie oben schon erwähnt, durch den Topos von göttlicher Zeugung/Geburt und v. a. durch die Rede
vom „Bild“ (ƒalmu) entworfen werden. Eine Kombination von beidem findet
sich im in mittelassyrischer Zeit entstandenen Tukultī-Ninurta-Epos, welches
von seinem Protagonisten, dem Herrscher Tukultī-Ninurta (1233–1197 v. Chr)
prädiziert, er sei dazu bestimmt, am „Fleisch der Götter“ (š¢r il¹ne [u z u
d i n g i e r . m e š])68 teilzuhaben:
Der theologisch recht schwergewichtige Ausdruck „Geschöpf + Göttername“ (binût GN)
weist in die Zeit der Sargoniden, die Kombination „Geschöpf Aššurs“ (binût Aššur) scheint vor
allem für die Zeit Assurbanipals ein Topos zu sein. Vgl. CAD B (1965) 243–244, hier 244.
63
Vgl. die Ausführungen von PARPOLA, S.: Neo-Assyrian Concepts of Kingship and Their Heritage in Mediterranean Antiquity. In: Kingship in the Ancient Worlds. Hg. von R. Rollinger – G.
B. Lanfranchi. Padova 2010 [im Druck].
64
Siehe hierzu rezent die altorientalische Wirkungsgeschichte miteinbeziehend GUFLER, B.:
Schöne Perser in Herodots Historien. In: Körper im Kopf. Antike Diskurse zum Körper. Vorträge
gehalten im Rahmen der 8. Grazer Althistorischen Adventgespräche am 18. Dezmber 2008. Hg.
von P. Mauritsch (Nummi et Litterae 3). Graz 2010, 55–94.
65
Vgl. oben Seite 18 mit dem Text über die Beschwörung für den Thron.
66
So rezent PARPOLA, S.: Concepts (s. Anm. 63).
67
Vgl. PARPOLA, S.: Concepts (s. Anm. 63).
68
Vgl. WINTER, I.: Touched (s. Anm. 12), bes. 83–84.
62
30
Martin Lang
„Durch die Fügung Nudimmuds69 wurde seine körperliche Gestalt (min£/¹tu) zum
Fleisch der Götter gezählt (š¢r il¹ne [u z u d i n g i e r . m e š]). Auf die (Rechts-)Entscheidung des Herrn der Länder hin gelangte in den Geburtskanal des göttlichen
Mutterleibes (ina r¹‰ šass¥r il£) seine Gestalt. Er ist das ewige Bild Enlils (š¥=ma
ƒalam Enlil ) …
(iv, 17–19)70
So kann die Aussage in der ninivitischen Standardversion des Gilgamešepos, die
Gestalt des Helden Gilgameš bestehe aus zwei Dritteln Gottheit und einem Drittel Mensch, motiv- und traditionsgeschichtlich auf das eben zitierte Werk verweisen.
„Gilgameš war sein Name vom Tag seiner Geburt an.
Zwei Drittel an ihm waren göttlicher Natur, ein Drittel Menschheit.
Das Bild seines Körpers (ƒalam pagr£=šu) – die Herrin der Götter entwarf es (wörtl.
„zeichnete“ [eƒ¢ru])
Nudimmud vollendete seine Gestalt.“
(Gilg. I,47–50)71
In diesem Kontext ist darauf zu verweisen, dass das Gilgamešepos in dieser Fassung neuassyrische Königsideologie spiegelt72 und eben den König – wie Gilgameš selbst – in den Nimbus der Göttlichkeit rückt.
In einem rituell-mystischen Kontext73 findet sich eine Bezugnahme auf
die Investitur einer königlichen Gestalt durch die Götter in einem Heiligtum, aus
welchem diese dann mit den Insignien versehen, heraustritt:
„Den König, der auf seinem Kopf eine goldene Krone trägt und auf einem Thron
sitzt, tragen sie und gehen zum Palast. Es ist Ninurta, der für seinen Vater Vergeltung geübt hat. Die Götter schmückten ihn im Inneren des Ekur, Szepter, Thron und
Amtszeit gaben sie ihm, rüsteten ihn mit dem Schreckensglanz der Königsherrschaft
(m e - l a m 2 l u g a l-u-ti) aus. Er geht auf den Berg hinaus. Das Zedernharz, das vor
ihnen geopfert wird […]“
In diesem Text begegnen die für unsere Fragestellung wichtigen Elemente:
- Der König ist mit den Regalien angetan,
- er wird mit Ninurta in Verbindung gebracht, ja rituell mit ihm identifiziert,
69
Nudimmud ist ein Beiname für den Gott Enki/Ea, der seine Schöpfungspotenz betonen soll.
Akk. Text: MACHINIST, P. B.: The Epic of Tukulti-Ninurta I. A Study in Middle Assyrian Literature. Ann Arbor 1997, 68. Zu seiner Deutung siehe rezent MACHINIST, P. B.: Kingship and Divinity in Imperial Assyria. In: Text, Artifact and Image. Revealing Ancient Israelite Religion. Hg.
von G. Beckman – T. J. Lewis (BJSt 346). Providence 2006, 152–188.
71
Akk. Text: GEORGE, A. (Hg.): Gilgamesh Epic (s. Anm. 10), 540.
72
Vgl. LANG, M.: Einige Beobachtungen zur sumerisch-akkadischen Überlieferung der Fluterzählung(en). Erscheint in den Kongressakten der 52. Rencontre Assyriologique Internationale.
Münster 2006 [im Druck].
73
Vgl. LIVINGSTONE, A.: Court Poetry (s. Anm. 61), Nr. 39, r20–24, 102.
70
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
31
- er bewegt sich vom Inneren des Heiligtums (ištu qirib É.KUR) nach
draussen
- und geht auf den Berg (ana šadî waƒûm)74 und
- er opfert (Räucherwerk) (naqû).75
Sowohl der Krönungshymnus des Assurbanipal als auch ein vor etwas mehr als
zwanzig Jahren veröffentlichter Text, der in seiner Edition den wirkmächtigen
Namen „Mythos von der Erschaffung des Menschen und des Königs“ erhalten
hat,76 weisen den Assyrerkönig als m¹liku am¢lu, als „überlegend-entscheidenden Menschen“ aus, der das gewöhnlich-menschliche Existenzial transzendiert
und in einem eigenen, gesonderten Schöpfungsakt den gewöhnlichen Menschen
(lullû) vor- und vorausgesetzt und mit gottähnlichen Attributen ausgestattet wird.
7.3 Der Mythos von der Erschaffung des Königs
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74
Ea begann zu sprechen und richtete an Bēlet-ilī das Wort:
Bēlet-ilī, die Herrin der großen Götter, bist du.
Du hast den lullû-Menschen geschaffen:
bilde nun den König, den überlegend-entscheidenden Menschen (m¹liku am¢lu)!
Mit Gutem umhülle seine ganze Gestalt,
gestalte seine Züge harmonisch, mach schön seinen Leib!“
Da bildete Bēlet-ilī den König, den überlegend-entscheidenden Menschen (m¹liku
am¢lu).
die [großen] Götter gaben dem König den Kampf.
Anu gab ihm die Krone, Ellil ga[b ihm den Thron]
Nergal gab ihm die Waffen, Ninurta gab den gleißenden Glanz
Bēlet-ilī gab [ihm ein schönes Aus]sehen.
Nusku gab Anweisungen, erteilte Rat und stand vor ihm(?)
Wer mit dem König Lug und Trug redet,
Darf hier an den kosmischen Berg einer Zikkurrat gedacht werden? Vgl. dazu die Ausführungen in LANG, M.: Beobachtungen (s. Anm. 72).
75
Siehe dazu auch jüngst ANNUS, A.: The God Ninurta in the Mythology and Royal Ideology of
Ancient Mesopotamia (State Archives of Assyria Studies 14). Helsinki 2002, 6, sowie LANG, M.:
Utopie und mythische Geographie – Mesopotamisches Erbe in der syrisch-patristischen Tradition
am Beispiel des Paradiesesberges und des Landungsplatzes der Arche. In: Akten des 5. Symposiums zur Sprache, Geschichte, Theologie, Liturgie und Gegenwartslage der syrischen Kirchen,
Berlin, 14.–15. Juli 2006. Hg. von R. Voigt (Semitica et Semitohamitica Berolinensia 9). Aachen
2010, 69–85 [im Druck].
76
Vgl. MAYER, W.: Ein Mythos von der Erschaffung des Menschen und des Königs. In: Or. 56
(1987) 55–68.
32
Martin Lang
43 [abgebrochen, aber Elemente sichtbar, die ein konditionales Gefüge (Fluchapodosen? mit šumma – „wenn“) nahelegen (vgl. oben den Krönungshymnus, SAA
3, Rs. 9–14!)]
Der König ist ein Geschöpf der Bēlet-ilī, der „Herrin der Götter“. Der Schöpfungsvorgang wird – ganz parallel zu oben zitiertem Gilg I,49 ausgesagt, lediglich die Wörter für „bilden“ unterscheiden sich.77 Der m¹liku am¢lu zeichnet
sich durch seine besondere Ästhetik und die Ebenmäßigkeit seiner Gestalt aus
und erhält, wie auch schon gemäß dem Wortlaut des Krönungshymnus, ganz
parallel auch hier die Herrschaftsinsignien, Bewaffnung und Götterglanz (šalummatu)78 aus dem göttlichen Bereich.
8 DIE JÄHRLICHE RE-INVESTITUR DES BABYLONISCHEN KÖNIGS, SEINE
PARALLELISIERUNG ZUR RITUELLEN ERHÖHUNG MARDUKS UND DIE
SCHWELLENSITUATION DES NEUJAHRSFESTES
Wie oben schon angedacht, ist das Königtum beizeiten mit dem Schöpfungsdenken verbunden, es scheint kosmologisch besetzt zu sein. Das Königtum erscheint als Teil einer primordialen Ordnung. Durch die Übergabe der Attribute
und (Schöpfungs-)potenzen der Götter rückt der König in den himmlischen Bereich.79 Dies wird auch in periodisch wiederkehrenden Ritenkreisen reaktiviert,
v. a. im babylonischen Neujahrsfest.
Das Neujahrsfest – zumindest aus dem Quellenpuzzle des ersten Jahrtausends ersichtlich – setzt die Reorganisation des Kosmos rituell in Szene. Der
König hat in diesem Ritenkreis eine integrale Bedeutung.80 So wird am vierten
Tag des Festkreises von einem hohen Würdenträger, dem šešgallu(-Priester) das
Enūma Eliš – und zwar gemäß einer Ritualvorschrift in seiner ganzen Länge,
In Gilg. I,49 ist es eƒ¢ru – „zeichnen“, „entwerfen“, im Mythos von der Erschaffung des Königs
ist es pat¹qu – „gestalten“, „formen“, „erschaffen“.
78
Siehe dazu oben Seite 20.
79
Vgl. MAUL, S. M.: Der assyrische König – Hüter der Weltordnung. In: Priests and Officials in
the Ancient Near East. Papers of the Second Colloquium on the Ancient Near East – The City and
Its Life, Held at the Middle Eastern Culture Center in Japan (Mitaka, Tokyo), March 22–24,
1996. Hg. von K. Watanabe. Heidelberg 1999, 201–214.
80
Zum Neujahrsfest siehe grundsätzlich: PONGRATZ-LEISTEN, B.: ina šulmi īrub. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der akītu-Prozession in Babylonien und Assyrien im
1. Jahrtausend v. Chr. (Baghdader Forschungen 16). Mainz 1994, hier v. a. 14–18. Für die Spätzeit:
LINSSEN, M. J. H.: The Cults of Uruk and Babylon. The Temple Ritual Texts as Evidence for Hellenistic Cult Practises (Cuneiform Monographs 25). Leiden 2004.
77
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
33
von „Anfang bis Ende“ rezitiert. Dieser „Gründungsmythos“ setzt ein bei der
Entstehung der Welt – oder besser: als es weder Himmel noch Erde gab –, gipfelt aber im eigentlichen Fokus des „Epos“, in der Erhöhung und Krönung Marduks, des obersten Stadtgottes von Babylon. Ein beträchtlicher Teil des Textes
ist der Bezwingung des Chaosmonsters Tiamat durch Marduk gewidmet, und es
ist gut möglich, dass das Neujahrsfest oder zumindest Aspekte von ihm diesen
Chaoskampf rituell repräsentieren.81 Im Zuge der mehrtägigen Feierlichkeiten
wird die Erhöhung Marduks, mit der Re-Investitur des Königs parallelisiert.
Dieser befindet sich im Zuge der Feierlichkeiten in einem Zustand der Liminalität. So betritt er am fünften Tag den Haupttempel Babylons – Esangila („Haus
der Haupterhebung“) –, indem er, seiner Herrschaftsinsignien und -Kleidung entledigt, ein negatives „Sündenbekenntnis“82 ablegen und eine Ohrfeige durch den
Oberpriester entgegennehmen muss.83 Es ist dies jener Akt, in dem das Königtum
rituell je neu legitimiert und sich seiner eigentlichen, menschlich nicht verfügbaren Herkunft gewiss wird, der „aber auch – zumindest symbolisch – die Kontrolle des Königtums durch eine kultische Elite im rituellen Kontext gewährleistet“84.
Die Erhöhung Marduks weist auch eine Parallele zu einem „epischen“
Text auf, der als einziger Text gelten darf, in welchem überhaupt eine Krönung
explizit narrativ geschildert wird. Das so genannte, leider nur fragmentarisch erhaltene „Nabupolassar-Epos“85 schildert ein Krönungsszenario, das folgendermaßen lautet:86
Kol. iii,5–21
Versammelt sind die Noblen des Landes
Bel – in der Versammlung der Götter [überträgt] er die Amtsperiode an [Nabupolassar]
Der König, der wahre Mund […]
81
Vgl. LAMBERT, W. G.: The Great Battle of the Mesopotamian Religious Year. The Conflict in
the Akītu House (A Summary). In: Iraq 25 (1963) 189–190.
82
Vgl. PONGRATZ-LEISTEN, B.: Das „negative Sündenbekenntnis“ des Königs anläßlich des babylonischen Neujahrsfestes und die kidinnūtu von Babylon. In: Schuld, Gewissen und Person. Studien zur Geschichte des inneren Menschen. Hg. von J. Assmann – A. T. Sundermeier – H. Wrogemann (Studien zum Verstehen fremder Religionen 9). Gütersloh 1997, 83–101, 81–99.
83
Vgl. die Ausführungen bei ZGOLL, A.: Königslauf und Götterrat. Struktur und Deutung des
babylonischen Neujahrsfestes. In: Festtraditionen in Israel und im Alten Orient. Hg. von E. Blum
– R. Lux (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 28). Gütersloh
2006, 11–80, 27f.
84
PONGRATZ-LEISTEN, B.: Neujahr(sfest) B. In: RLA 9 (1998–2001) 294–298, 296.
85
Text: GRAYSON, A. K.: Babylonian Historical-Literary Texts (TSTS 3). Toronto 1975, 78–86.
86
Akk. Text nach GRAYSON, A. K.: Texts (s. Anm. 85), 82–85; Übersetzung eigen.
Martin Lang
34
Mit der Standarte werde ich beständig deine Feinde erobern
in Babylon stelle ich dir einen Thron auf […]
Der Thronträger hält mit seiner Hand ergriffen […]
Eine Standarte richteten sie über seinem Haupt auf
Sie ließen ihn auf dem Thron der Königsherrschaft Platz nehmen
Sie nahmen das Siegel der Königsherrschaft
Die Höflinge, die Szepterträger […]
Die Großen des Landes Akkad traten dem Thronsaal näher
Nachdem sie vor ihm eingetroffen waren, nahmen sie Platz […]
Die Großen – in ihrer Freude [riefen sie aus:]
Möge an Dir seine Freude haben der König der Götter, Marduk […]
Deine Tage lang machen möge Nabû, der Schreiber von Esangil
Erra […] dein Schwert, Nergal […]
[…] Vergeltung für Akkad […]
Die Erhöhung Marduks in Enūma Eliš (Tafel V) wird mit ganz ähnlichen Mitteln
geschildert: Versammlung der Götter, Akklamationen, Jubel („Freude“), Investitur, Prostrationen. Und es nimmt nicht wunder, wenn Enūma Eliš als Akklamation der versammelten Götter quasi normierend konstatiert:
tamšil ina šamê £teppušu ina erƒetim l£puš 87
Das Gleiche88 (dessen, was) er im Himmel getan hat, möge er auf der Erde tun
(EE VI,112)
Ein weiteres, noch nicht gänzlich erschlossenes Textensemble situiert den König
anlässlich eines Festkreises in der Jahresmitte – es ist ein das frühjährliche Neujahrsfest spiegelndes Neujahrsfest im Monat Tašrītu – in einem liminalen Zustand in einem Rohrgefängnis. Dieser im Corpus b£t sal¹’ m¢ („Haus der Wasserversprengung“) überlieferte Ritenkreis setzt den König rituell mit der Sonne zwischen Untergang und Aufenthalt in der Unterwelt sowie Wiederaufgang in Parallele. In diesem Zustand der Unterweltsexistenz erscheint er seiner Herrschaftskleidung und aller Insignien entledigt solange, bis er zur geprägten Zeit der
Morgenröte wieder durch den Oberpriester in Amt und Würden gesetzt wird.89
87
Akk. Text: TALON, P.: Enūma elīš. The Standard Babylonian Creation Myth (State Archives
of Assyria. Cuneiform Texts 4). Helsinki 2005, 66.
88
Wörtl.: „Abbild“, „Gegenstück“, „spiegelbildliche Entsprechung“. Vgl. CAD T (2006) 148–
150.
89
Vgl. AMBOS, C.: Das „Neujahrs“-Fest zur Jahresmitte und die Investitur des Königs im Gefängnis. In: Fest und Eid. Instrumente der Herrschaftssicherung im Alten Orient. Hg. von D. Prechel (Kulturelle und sprachliche Kontakte 3). Würzburg 2008, 1–12.
Erwählung, Akzession und Inthronisation altorientalischer Herrscher
35
9 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Von den unzähligen, über das Königtum berichtenden Texten aus dem Alten
Orient gibt es nur wenige und recht puzzleartig-diachron verteilte Nachrichten
über die Vorgänge rund um die Amtseinführung eines Königs. Vieles davon entstammt Ritualtexten. Diese spiegeln zweierlei: Das Königtum hat zum einen vermittels der ihm zu übergebenden Insignien „Kontakt“ zu seinem/n himmlischen
Vorbild/ern. Zum anderen stellt die einmalige und auch die jährlich zu wiederholende Amtseinsetzung einen sensiblen transitus dar, im Zuge dessen nicht nur
das Amt und seine rechtmäßige Ausübung, sondern auch die von ihm geprägte
und abhängige Welt symbolisch an den Übergang von Nicht-Sein und (re-)
creatio gestellt wird.
Häufig entheben die vorhandenen Texte den König dem Bereich des rein
Menschlichen. Dies tritt in gewissen Zeiten besonders stark hervor. Etwa lässt
sich Narām-Sîn in der Akkad-Zeit in den Dokumenten seiner Zeit mit dem Gottesdeterminativ schreiben. Desgleichen geschieht im letzten Jahrhundert des dritten Jahrtausends, wenn der Ur III-König Šulgi mit dem Gottesdeterminativ vor
seinem Namen in den Schriftzeugnissen verewigt wird. Dass dies nicht gleich
mit einer „Vergöttlichung“ Hand in Hand gehen muss, dürfte aber offenkundig
sein. Jedenfalls weist weder das zweite noch das erste vorchristliche Jahrtausend
jemals wieder ein derartiges Phänomen auf.
Mit der Erstarkung Assyriens, zunächst in mittelassyrischer Zeit, dann
aber mit erheblich dichteren Belegen in der neuassyrischen Periode, lassen sich
Weisen einer Präsentation des Königtums beobachten, die dem König göttliche
Züge zusprechen, ihn als Hypostase göttlicher Gestalten konstruieren. Dies geht,
so rezente Urteile der historischen Forschung, mit der imperialen Struktur Assyriens und der Zentrierung auf den König einher.
Die Weise, wie sich diese Könige öffentlichkeitswirksam präsentiert haben, hat am Westrand des Imperiums Spuren in der Genese des hebräischen
Schrifttums hinterlassen und indirekt Vorstellungen des Königtums geprägt, die
sich bis ins europäische Mittelalter – Stichwort „the king’s two bodies“90 –
nachzeichnen lassen.
90
Vgl. KANTOROWICZ, E.: The King’s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology.
Princeton 31970.