Marc Bartl | 13. Juli 2020 um 10:20
Bild-Chef Julian Reichelt
rbb-Chefredakteur Christoph Singelnstein
ZDF-Intendant Thomas Bellut
Die Redaktion von Brandenburg aktuell hatte am 5. Juli in ihrer Reihe "Politik am See" ein Interview mit dem Brandenburger AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz geführt. Knapp sieben Minuten des Gesprächs waren im Fernsehen zu sehen; das gesamte Interview ist ausschließlich online bei rbb|24 abrufbar. Nach der Veröffentlichung wurde dem rbb vorgeworfen, einem Rechtsextremisten eine Bühne geboten zu haben. rbb-Chefredakteur Christoph Singelnstein verteidigt die grundsätzliche Entscheidung, den AfD-Politiker Kalbitz einzuladen. "Wir sind durch unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag zur Ausgewogenheit verpflichtet. Dann muss auch eine solche Partei zu Wort kommen - ein Gespräch mit der AfD ist also unumgänglich. Und da Herr Kalbitz der Fraktionsvorsitzende der AfD ist, wurde er eingeladen." Zugleich mahnt Singelnstein eine bessere Zusammenarbeit der Redaktionen an: "Wir haben viel über Andreas Kalbitz und Rechtsextremismus recherchiert. Von diesem redaktionellen Wissen ist nicht genug eingeflossen. Da hätten wir deutlich besser sein müssen", so Singelnstein in der rbb-Nachrichtensendung Brandenburg aktuell. Die Expertise des Hauses in Sachen Rechtsextremismus, etwa von Kontraste, dem ARD-Mittagsmagazin, rbb|24 Recherche oder Brandenburg aktuell, müsse bei solchen Gesprächen besser zum Tragen kommen. Dafür werde der rbb die Zusammenarbeit zwischen den Redaktionen verbessern, kündigt der rbb-Chefredakteur an. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, der neuerdings auch Mitglied der Geschäftsführung der Bild-Gruppe ist, meint, dass in dem rbb-Interview mit AfD-Politiker Andreas Kalbitz die Normalität inszeniert wurde. "Es ist aber der Charakter der Partei, der dem einfach nicht gerecht wird. Die AfD ist keine normale Partei, die am nicht-radikalen politischen Konsens beteiligt ist. Die Realität ist: Die AfD ist eine Partei, die den Holocaust, also das schlimmste Verbrechen, das je von deutschem Boden ausging, in vielen Teilen relativiert, ja mit Aussagen wie Hitler sei nur ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte, fast schon leugnet", so Reichelt im Interview mit Quotenmeter. Bei Bild berichte man über alle nachrichtlichen Vorgänge bei der AfD. Aber man werde der AfD und anderen Parteien, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden, keine Fläche und keine Reichweite biete, macht Reichelt gegenüber Quotenmeter klar. "Ein klassisches Interview mit der AfD wird bei uns also nicht stattfinden. Wir werden ihnen nicht ermöglichen, sich zu inszenieren." Reichelt weiß, dass die Situation für Journalisten der ARD nicht ganz einfach ist: Öffentlich-rechtliche Medien würden immer einem speziellen Proporz unterliegen, sie seien gesetzlich verpflichtet, offen für alle Meinungsrichtungen zu sein. Trotzdem: "Es werden hier aber die Möglichkeiten, Vertreter von ganz rechts und ganz links nur so wenig wie möglich vorkommen zu lassen, nicht ausgeschöpft", findet der Bild-Chefredakteur - und wird noch deutlicher: "Ich habe das Gefühl, dass es da [bei den Talkshows] schon auch ein quotenorientiertes Denken gibt, um Krawallbrüder dieser Parteien einzuladen. Ich sehe oft auch AfD-Politiker zu Themen debattieren, zu denen sie nichts wirklich beizutragen haben. Sie sind für die Sendungsmacher aber das Salz in der Suppe." Reichelt zitiert im Gespräch mit Manuel Weis von Quotenmeter den amerikanischen Satz "You know it, when you see it". Das galte auch im Fall des rbb-Sommerinterviews mit AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz. "Ich sehe es als wichtige Aufgabe von Journalisten an, dass sie hinsehen und diese Grenzen erkennen." Bild-Chef Julian Reichelt kündigt zugleich an, dass die AfD beim Bundestagswahlkampf 2021 bei Bild Live außen vorbleiben werde. Für das Bewegtbild-Angebot hofft Reichelt, dass zumindest eines der großen Kanzlerkandidaten-TV-Duelle bei Bild Live zu sehen sein könne. "Mein Tipp ist das Duell Söder gegen Scholz oder Hubertus Heil." Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut meldet sich in der Sache zu Wort und wies Forderungen zurück, mit radikalen Politikern der AfD grundsätzlich keine Interviews mehr zu führen. Rigorose Vorgaben zum Ausschluss konkreter Partei-Funktionäre gebe es bei seinem Sender nicht, sagte er am Freitag in Mainz nach der Sitzung des Fernsehrats. Für solche Interviews gelte aber, dass sie besonders gut vorbereitet werden müssten. "Man sollte Gespräche daran messen, wie sie geführt werden", sagte der Intendant. Das ZDF sei eine Plattform für alle gesellschaftlichen Gruppen. Es gelte aber auch der klare Grundsatz, dass beispielsweise rassistische Botschaften "niemals unkommentiert" über den Bildschirm gehen dürften.
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