Reichtum, der arm macht

Vom Rohstoffabbau in Afrika profitieren nur Wenige

von Anne Jung

In den 1990er Jahren tobten in vielen Ländern Afrikas Bürgerkriege, die maßgeblich aus dem Handel mit Rohstoffen finanziert wurden. Zahlreiche Rohstoffe, darunter Öl, Coltan oder Diamanten waren der Motor der Kriege in Angola, Sierra Leone oder der Demokratischen Republik Kongo. Im rohstoffreichen Afrika lagern u.a. über 90 Prozent der Platin-, 60 Prozent der Diamanten- sowie 20 Prozent der weltweiten Uranvorkommen. Transnationale Konzerne machten lukrative Geschäfte, öffneten den Kriegsparteien den Zugang zu den globalen Märkten und schafften damit die Voraussetzung zur Finanzierung der Kriege.

Rohstoffe waren jedoch nicht die Ursache der Kriege, wie das Begriffspaar "Fluch Ressourcenreichtum" vermuten ließe. Diese lagen vielmehr in der krassen ökonomischen und sozialen Ungleichheit, die rohstoffreiche Länder in Afrika schon in den Jahren zuvor kennzeichnete. Inzwischen wurden viele Kriege auf dem afrikanischen Kontinent beendet oder gingen wie in der Demokratischen Republik Kongo in Konflikte niedriger Intensität über. Doch wer geglaubt hat, das Ende von bewaffneten Konflikten würde gleichsam Frieden und Verteilungsgerechtigkeit mit sich bringen, der irrte. Die Frage nach dem Warum soll am Beispiel des kleinen westafrikanischen Landes Sierra Leone beantwortet werden.

Von Konfliktdiamanten zu Diamantenkonflikten
Das 2002 durch die UN militärisch befriedete Sierra Leone befindet sich in einem neuen Konflikt. Nach den traumatischen Gewaltjahren des Bürgerkriegs, dem mehr als 20.000 Menschen zum Opfer fielen, sind es diesmal soziale, ökonomische und ökologische Auseinandersetzungen, in welche die Regierung die Bevölkerung in einer Interessengemeinschaft mit nationalen und internationalen Unternehmen gestürzt hat. Sierra Leone ist ein reiches Land, reich an fruchtbaren Böden und Rohstoffen. Problemlos ließe sich damit die Erfüllung sozialer Bedingungen für Gesundheit finanzieren, beispielsweise durch die Schaffung menschenwürdiger Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Trotz der Milliarden aus dem Diamantenhandel und obwohl das Land über eine Vielzahl weiterer Bodenschätze wie Gold und Rutil verfügt, belegt Sierra Leone im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen unter den 179 Staaten den letzten Platz.

Mehr als zwei Drittel der knapp 5 Millionen EinwohnerInnen des westafrikanischen Landes leben unterhalb der Armutsgrenze. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gehört zu den ökonomisch "Überflüssigen", für die eine bedarfsorientierte Gesundheitsfürsorge nicht verfügbar ist.

Im diamantenreichen Osten Sierra Leones nahm der Bürgerkrieg seinen Ausgang; hier brauchte die Rebellenorganisation Revolutionary United Front nicht viel Überzeugungskraft, um Tausende perspektivloser junger Männer für den Kampf gegen die Regierung zu rekrutieren. Aus den Erlösen des Diamantenhandels finanzierten beiden Konfliktparteien ihre Waffenkäufe. Das Kriegsende erlaubt es internationalen Konzernen seit 2002, den Abbau weitaus systematischer zu organisieren. Die wertvollen Steine können exportiert werden, ohne exorbitante Summen in Sicherheitsstrukturen investieren zu müssen, wie dies während des Bürgerkrieges der Fall war: In den Verträgen, die Regierung und Unternehmen aushandeln, werden die Unternehmen von jeder sozialen Verantwortung entbunden, und die Regierung verhindert nicht, dass es in Folge des Rohstoffbaus zu Enteignungen und Vertreibungen kommt. Reinvestitionen zum Beispiel für den Aufbau von Schulen oder eines Gesundheitssystems sind vertraglich nicht vorgesehen. Und die Unternehmen müssen kaum Exportsteuern zahlen, womit die Regierung ihre Staatseinnahmen zugunsten kurzfristiger Gewinne verkleinert, und es an finanziellen Mitteln für den Aufbau der Infrastruktur fehlt. Während des Krieges konnten Teile der Bevölkerung auf ihrem Grundstück nach Diamanten suchen, um ihr Überleben zu sichern. Nach den massenhaften Enteignungen und Vertreibungen, die zugleich auch die Möglichkeit zur Subsistenzwirtschaft abschufen, ist dies nicht mehr möglich.

Erst die Friedensökonomie schaffte die Voraussetzung für diese systematische Form der kapitalistischen Ausbeutung. Viele Politiker sind selbst Minenbesitzer, wodurch die Chancen auf gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums weiter schwinden. Die Rahmenbedingungen des afrikanischen Rohstoffabbaus sind für internationale Firmen generell sehr günstig, denn Arbeitskräfte stehen im Überfluss zur Verfügung. Bei der Offshore-Erdölförderung reicht eine Handvoll lokaler MitarbeiterInnen, um das Öl außer Landes zu schaffen.

Da es nur wenige Industrieanlagen für die Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Mineralien oder Baumwolle südlich der Sahara gibt, existieren in diesem Sektor auch keine Arbeitsmöglichkeiten. Eine interne Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung findet nicht statt.

In vielen afrikanischen Ländern sind die politischen und wirtschaftlichen Rollen nicht voneinander getrennt. Durch die Überlappung von politischer und ökonomischer Sphäre instrumentalisieren die dominanten Wirtschaftseliten die politische Macht und umgekehrt. Auf diese Weise werden klientelistische Netze aufgebaut, die in ihrer Macht oftmals so stabil sind, dass mögliche Proteste der Bevölkerung sie nicht in ihrer Machtausübung gefährden.(1)

Sklavenförmige Arbeitsverhältnisse und "überflüssige" Menschen

Die nach dem Krieg aufgewachsene Generation junger Männer verdingt sich zu so niedrigen Löhnen in den Minen Sierra Leones, das es kaum zum Überleben reicht. Die meisten von ihnen verdienen weniger als 60 USD monatlich. Es gibt keine Maßnahmen zur Arbeitsgesundheit. Viele brechen sich während der Arbeit mit schwerem Gerät die Hände, verlieren Gliedmaßen oder das Augenlicht. Dutzende Arbeiter sterben jedes Jahr in den Minen.

Der Diamantenkonzern OCTEA hat die Abbaurechte von der Regierung erworben und führt immer häufiger Sprengungen durch, um an die tieferen Gesteinsschichten zu gelangen. Aufgrund des Einsatzes von modernem Gerät wird die Bevölkerung als Arbeitskraft kaum mehr benötigt, und da sich die Diamantenvorkommen unter der Stadt befinden, sind die Menschen schlicht im Weg. Durch die Sprengungen, die in ihrem unmittelbaren Lebensraum durchgeführt werden, wird extrem viel Staub aufgewirbelt: Die Menschen klagen über starke Kopfschmerzen und es kommt zu schweren Atemwegserkrankungen der ohnehin gesundheitlich geschwächten Bevölkerung. Immer wieder kommt es vor, dass Kranke nicht evakuiert werden und die Gesteinsbrocken unkontrolliert durch die Dächer in die Häuser fallen und Menschen verletzen.

Der Einschluss in das globalisierte postfordistische Weltsystem führt zum systematischen Ausschluss einer nach Millionen zählenden "Überschussbevölkerung" aus jeder Entwicklungsperspektive. Fast 400 Millionen Menschen leben im subsaharischen Afrika von weniger als einem US-Dollar pro Tag. Diese Entwicklung erschwert zugleich eine politische Organisierung derjenigen, die Arbeit haben, zum Beispiel im Kampf um bessere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, weil jede Arbeiterin und jeder Arbeiter problemlos sofort ersetzt werden kann.

Psychische Erkrankungen als Folge des Rohstoffabbaus
Die Zerrüttung von Gesellschaften durch die exzessive Rohstoffausbeutung hat immer auch eine psychische Dimension. Das Gefühl des völligen Ausgeliefertseins fragmentiert die sierraleonische Gesellschaft und ihre sozialen Beziehungen, lässt Menschen ohnmächtig werden und erhöht das Gewaltrisiko in der Gemeinde. Die in der Postkriegsphase ohnehin schon stark angestiegene häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder hat durch die soziale Zerrüttung und ökonomische Verelendung noch einmal massiv zugenommen.

Wenn sich die Wut der Menschen gegen die Konzerne richtet und sich nicht gewaltförmig in den Familien entlädt, dann sind die Protestierenden der Gewalt von Staat und Diamantenkonzern ausgesetzt: Während der jüngsten Proteste von Arbeitern für höhere Löhne erschossen Mitarbeiter des Konzerns Ende 2012 mehrere Demonstranten. Die Regierung stellt sich den Ursachen für die sozialen Konflikte nicht, sie investiert stattdessen Millionen Dollar in modernes Aufstandsbekämpfungsgerät für die Polizei.

Soziale Bewegungen für Umverteilung
Im diamantenreichen Osten Sierra Leones unterstützen MenschenrechtsaktivistInnen die entrechtete lokale Bevölkerung in ihrem Protest. Das Network Movement for Justice and Development (NMJD) bildet LaienjuristInnen (Paralegals) aus. Die Paralegals aus den Gemeinden werden in elementaren rechtlichen Fragen sowie in Konfliktlösungsmethoden geschult, damit sie Ratsuchenden beistehen können, einen Weg zur Verteidigung ihrer Rechte und zur Klärung von Konflikten zu finden. Dabei geht es um strittige Landfragen ebenso wie um Unterstützung von Frauen mit Kindern, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Darüber hinaus organisieren die LaienjuristInnen Gemeindeversammlungen, bei denen sie über grundlegende Rechte informieren und deren Durchsetzung beraten.

NMJD hat in den vergangen Jahren durch die gute internationale Vernetzung einige politische Ziele erreichen können: Die Tötung von Demonstranten wurde nach massivem öffentlichen Druck von einer unabhängigen Kommission untersucht und verurteilt. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass sich ein dauerhafter Frieden in Sierra Leone nur durch eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und menschenwürdige Lebensbedingungen umsetzen ließe. Mit ihrer jetzigen Politik schafft die Allianz aus Regierung und Konzernen die besten Voraussetzungen für einen Wiederausbruch des Krieges. Um dies in Sierra Leone und anderen Ländern zu verhindern, sind dringend Maßnahmen nötig:

1. Verbesserung des rechtlichen Rahmens

Die wenigen »» Zertifizierungssysteme zu Konfliktressourcen, die existieren, beziehen sich ausschließlich auf die Handelswege. Die Arbeits- und Produktionsbedingungen müssen unbedingt Teil jedes Abkommens werden, anders sind die gesundheitlichen Schäden durch den Rohstoffabbau nicht zu bemessen.

Handelsabkommen dürfen keine Verbote von Exportsteuern enthalten. Die erzwungene Absenkung der Exportsteuern reduziert sichere Staatseinnahmen, die zum nachhaltigen Aufbau von Gesundheitssystemen unerlässlich sind. Afrika verliert jährlich Millionen Euro durch die Nicht- Zahlung von Steuern ausländischer Konzerne.

Europa ist ein wichtiger Importeur von Rohstoffen aus Afrika. Es sollte bei internationalen Organisationen wie der OECD und der WTO dafür eintreten, dass Zertifikate oder vergleichbare Nachweispflichten über die sozialen und ökologischen Bedingungen beim Abbau der Rohstoffe zum weltweiten Standard werden.

2. Zivilgesellschaftlicher Druck

International arbeitende Firmen und die Politik müssen weiter unter Druck gesetzt werden, um Schutzklauseln einzuführen. »» Um den Druck zu erhöhen, ist eine enge Zusammenarbeit mit den Betroffenen vor Ort und der zivilgesellschaftlichen Gruppen unerlässlich. Dies gilt für die Lobbyarbeit ebenso wie für Kampagnen.

Anmerkung
(1) Vgl. Bernard Conte: Die Dritte Welt ist überall. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2013.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Anne Jung ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet bei der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international. medico unterstützt Network Movement for Justice and Development in ihrem Kampf um soziale Gerechtigkeit. siehe: http://www.medico.de