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Furcht vor Randale, BVV abgesagt : Räumungsprozess gegen „Liebig34“ unterbrochen

Der Prozess um das Hausprojekt in der Rigaer Straße ist vertagt worden, dem Richter wird Befangenheit vorgeworfen. Das Auto eines Anwalts ist beschädigt worden.

Polizisten vor dem queerfeministischen Hausprojekt Liebig34 in die Rigaer Straße.
Polizisten vor dem queerfeministischen Hausprojekt Liebig34 in die Rigaer Straße.Foto: Florian Boillot

Der Prozess am Landgericht Berlin über die Räumungsklage des Hauseigentümers Gijora Padovicz gegen die Bewohnerinnen des selbst erklärten „anarcha-queer-feministischen“ Hausprojekts „Liebig 34“ in Friedrichshain ist am Donnerstagmorgen abgebrochen worden. Grund dafür ist ein Antrag des Anwalts, der dem Richter Befangenheit vorwirft, weil der nur maskuline Sprachformen nutze.

Darüber muss nun die Kammer entscheiden. Die Kläger haben ein Versäumnisurteil beantragt - dies könne bedeuten, dass die "Liebig 34" sofort geräumt werden könne. Es soll am 30. April um 9.30 Uhr verkündet werden. Sollte es dann zur Räumung kommen, könnte die Stimmung explosiv werden, schließlich ist dann auch die Walpurgisnacht vor dem 1. Mai, die in der Vergangenheit von der linken Szene schon öfter für Aktionen genutzt wurde.

Eine Sprecherin des Gerichts erklärte außerdem, warum die Polizeipräsenz vor dem Gerichtsgebäude am Donnerstag so hoch war: In der Nacht zum Donnerstag habe es einen Anschlag auf das Auto von Padoviczs Anwalt gegeben. Scheiben seien eingeschlagen und Buttersäure auf einem Kindersatz verspritzt worden, außerdem sei der Wagen mit dem Schriftzug "Liebig 34 stays" beschriftet worden. Ein Bekennerschreiben dazu ist am Donnerstag auf dem Szeneportal Indymedia veröffentlicht worden.

Zur Stunde wollen sich Vertreterinnen des Hausprojekts vor dem Gerichtsgebäude gegenüber der Presse äußern. Vor Ort zeigten sich Unterstützer und Unterstützerinnen zufrieden damit, dass die "Liebig 34" zumindest bis zum 30. April nicht geräumt wird.

Protest am Morgen

Unterstützerinnen und Unterstützer des Hausprojekts hatten sich wie angekündigt am Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Moabit eingefunden. Etwa 60 bis 100 Personen demonstrierten vor Prozessbeginn, laut Polizei waren 300 Menschen angemeldet.

Für die Zeit der Demo war die Turmstraße zwischen Rathenower Straße und Wilsnacker Straße für den Verkehr gesperrt, twitterte die Verkehrsinformationszentrale (VIZ). Die BVG-Busse der Linien 123 und 187 wurden zwischen U-Bahnhof Turmstraße und Quitzowstraße/Paulstraße umgeleitet.

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Die Polizeipräsenz vor Ort ist groß, auch weil der erste Prozesstermin abgebrochen werden musste: Es war im Gerichtssaal zu tumultartigen Szenen gekommen.

Bereits am Mittwoch demonstrierten Unterstützer vor dem Sitz der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg in der Yorckstraße. Zuvor hatten Unbekannte in der Nacht zum 27. Januar das Bezirksamt in der Frankfurter Allee mit dem Spruch „Liebig 34 bleibt – BVV muss weg“ besprüht und Fenster eingeschlagen.

Die BVV sei „mitverantwortlich für das kommende Räumungsfestival der spekulativen Immobilienblase“, heißt es in dem Bekennerschreiben auf der linken Onlineplattform Indymedia.org. Unterzeichnet wurde das Schreiben von dem „chaotischen Widerstand dieser widerlichen Stadt“.

Die Gruppierung droht unter anderem damit, dass die Büros von Senat und Bezirksamt „ebenfalls vom Stadtplan verschwinden“ würden, wenn „Liebig 34“ geräumt wird. Auch die Geschäftsräume des Anwaltes des Hauseigentümers wurden in der Nacht zu Dienstag attackiert.

Bezirksverordnetenversammlung wird abgebrochen

Vor dem Hintergrund der Drohungen tagte die BVV am Mittwoch zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach einer Stunde wurde die Sitzung jedoch unterbrochen und auf den 10. Februar vertagt.

Vor Beginn der Sitzung demonstrierten vor dem Rathaus etwa 150 Menschen, darunter Initiativen wie Bizim Kiez, 200Häuser und Deutsche Wohnen & Co enteignen „für aktiven Mieter*innenschutz“ und solidarisierten sich mit Baustadtrat Florian Schmidt. Vor der angemeldeten Kundgebung hatten etwa 30 Initiativen dazu ein Statement unterzeichnet. „Wir begreifen den personalisierten Angriff gegen Florian Schmidt als Angriff gegen die Mieter*innenbewegung insgesamt und wir stellen uns deshalb gemeinsam dagegen“, heißt es in einer Pressemitteilung von Bizim Kiez.

Die angemeldete Kundgebung wurde von zwei Kontaktbeamten begleitet, fünf Mannschaftswagen waren vor Ort. Gegen Ende der Demo wurden lange Transparente ausgerollt, zum Beispiel mit der Aufschrift „Squat your local town hall. Freiräume werden erkämpft!“. Die Veranstaltung blieb friedlich.

"Das grenzt an Terror mit Absender"

Eine Vertreterin des Hauses „Liebig34“ sagte dem Tagesspiegel vor Ort: „Wir finden es ungerecht, dass wir bei der heutigen BVV kein Thema sind und wollen das zeigen“. Ein Sprecher von Bizim Kiez betonte gegenüber dieser Zeitung, die angemeldete Kundgebung habe keinen Zusammenhang zu den Themen rund um die „Liebig34“.

Dass die Räumungsklage abgewiesen wird, gilt als ausgeschlossen. Anwohner fürchten, dass die Situation im Kiez rund um die Rigaer Straße in den kommenden Tagen eskalieren könnte. „Das grenzt ja jetzt schon an Terror mit Absender“, sagte ein Anwohner. Er spricht von eingeschlagenen Fenstern und Schmierereien unter anderem im Namen der „Liebig 34“.

Die Anwohner haben Angst

„Die tun sich keinen Gefallen, wenn sie die Nachbarschaft terrorisieren“, sagt er. Eine andere Anwohnerin, die seit über zehn Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, erinnert sich an „bürgerkriegsähnliche Zustände“ in der Rigaer Straße.

„Keiner, der nicht hier wohnt, kann sich das vorstellen“, sagt sie. Es sei zwar seit rund einem Jahr etwas ruhiger geworden, aber aktuell sei die Stimmung sehr angespannt. „Ich wünsche mir, dass sie den Prozess verlieren“, sagt sie. „Ich wünsche mir das wirklich. Aber dann ist hier am kommenden Wochenende wieder Land unter.“ (mit dpa)

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