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Medienpräsenz in der Coronakrise "Männer erklären, wie systemrelevant Frauen sind"

22 Prozent aller Experten, die Corona-Folgen erklären, sind einer aktuellen Studie zufolge weiblich. Die Forscherin Elizabeth Prommer erklärt, wieso - und was das für die Gesellschaft bedeutet.
Ein Interview von Ulrike Knöfel und Claudia Voigt
Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer

Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer

Foto:

Tom & Lia Fotografie

SPIEGEL: Frau Prommer, Sie haben die Rolle von Frauen und Männern in der Corona-Berichterstattung untersucht. Was hat Sie an den Ergebnissen am meisten überrascht?

Elizabeth Prommer: Ich hatte zwar erwartet, dass Frauen im Fernsehen seltener zu Wort kommen. Aber dass sie so selten vorkommen, hat mich erstaunt. Von den in diversen Sendungen befragten Experten waren nur 22 Prozent weiblich. Wenn wir uns das bildlich vorstellen, stehen da vier Männer und eine Frau. Beim Thema Medizin oder Pflege waren es sogar noch weniger. Mir ist es unerklärlich, warum sogar im Bereich Pflege, in dem überwiegend Frauen arbeiten, diese nicht zu Wort kommen. Es ist schon erstaunlich, dass vor allem Männer erklären, wie systemrelevant Frauen sind. Die durch die Medien verursachte Schieflage ist extrem - und das lässt sich nicht nur damit begründen, dass sich in den Fachbereichen eben mehr Männer als Frauen finden lassen. 

SPIEGEL: Aber das trifft doch teilweise auch zu.  

Prommer: Aber nicht in dieser dargestellten Grundsätzlichkeit. Wahr ist, das Robert Koch-Institut wird von einem Mann geleitet, viele andere Forschungseinrichtungen ebenso. Wir haben allerdings auch die Ebene darunter angesehen. In der jüngsten Zeit sind ja viele Hausärzte, Klinikärzte und da etwa Anästhesisten interviewt worden – doch dort ändert sich die Gewichtung durch die Medien nicht. Wieder werden zu 80 Prozent Männer interviewt. Wir wissen aber, dass die Hälfte der Ärzte in Deutschland Frauen sind. 

Zur Studie

Die Kommunikationswissenschaftlerin Elizabeth Prommer von der Universtität Rostock und der schwedische Datenexperte Max Berggren haben für die MaLisa Stiftung von der Schauspielerin und Medizinerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth die Geschlechterverteilung in der deutschen Corona-Berichterstattung analysiert. Prommer untersuchte vor allem TV-Sendungen, Berggren die Onlineauftritte von 13 Printmedien (auch von SPIEGEL.de). Insgesamt bezog die Studie 174 Informationssendungen und knapp 80.000 Artikel ein. Ein zentrales Ergebnis: In den TV-Formaten war eine von fünf Experten weiblich (22 Prozent). In der Online-Berichterstattung wurden Frauen zu rund 7 Prozent als Expertinnen erwähnt.

SPIEGEL: Wie lässt sich diese Bevorzugung der Männer in Medien erklären? 

Prommer: Das hat wohl auch mit Bequemlichkeit der Redaktionen zu tun. Alle Bemühungen, Frauen als Expertinnen zu finden, machen mehr Arbeit, erfordern mehr Aufwand, weil die Redakteure von der Alltagsroutine abweichen müssten – eine Routine, die in der Vergangenheit eben dazu geführt hatte, dass Frauen nicht so sichtbar sind. Das ist ein Muster, das es auch schon vor der Krise gab. 

SPIEGEL: Warum ist es so schwer, Expertinnen zu gewinnen, für ein Interview in einer Zeitung oder für einen Auftritt in einer Talkshow?  

Prommer: Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: zum einen wird von einer Frau viel mehr an Erfahrung, Rang und Leitungsfunktion erwartet, bis diese überhaupt als Expertin infrage zu kommen scheint, die man anrufen kann. Bei Männern reicht weniger, die müssen nur eine Masterarbeit zu einem Thema verfasst haben, Frauen aber gleich zehn Bücher. Somit stehen dann automatisch weniger Frauen zur Auswahl. Zum anderen sagen Frauen häufiger ab - das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die wenigen Frauen, die angefragt werden, verhältnismäßig viele Anfragen bekommen und nicht alle bedienen können.  

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SPIEGEL: Und wie entwickelt sich das gerade jetzt, in dem seit Wochen anhaltenden Ausnahmezustand?

Prommer:  Nun wird mit enorm viel Einsatz über Corona berichtet, aber da auch noch eine Geschlechtergerechtigkeit im Auge zu behalten, gilt, zumindest in Deutschland, offenbar als überflüssig. Die BBC zeigt, dass es anders geht. Dort wurden gerade Zahlen veröffentlicht, Frauen haben vor und hinter der Kamera einen viel höheren Anteil an der Krisen-Berichterstattung als hier.

SPIEGEL: Es geht also doch? 

Prommer: Wenn man es will, dann ganz sicher. Von selber geht allerdings gar nichts.

SPIEGEL: Was bewirkt es in der Gesellschaft, wenn an ihrer sichtbaren Oberfläche mehr Männer als Frauen das Sagen haben?

Prommer: Wir kultivieren das Bild eines Experten, der männlich zu sein hat. Das ist dann der Mann, der erzählt, was er denkt, der weise ist. Die Abwesenheit der Frauen wird ebenso kultiviert, sie unterstellt, dass wir den Frauen weniger zutrauen können. Frauen können diesen Bildern zufolge also keine ernst zu nehmenden Expertinnen sein. Wenn sie da als Expertinnen auftauchen, dann als die Ausnahme, der Sonderfall. Und dieser vermittelte Eindruck zieht sich dann durch weitere Lebens- und Berufsschichten.

SPIEGEL: Inwiefern?

Prommer: Es gibt schon die ersten Studien, die belegen, dass Frauen in Videokonferenzen seltener zu Wort kommen, schwieriger zu Wort kommen. Und so nimmt die nächste Generation das auf allen Ebenen mit: Frauen haben nicht so viel zu sagen. Gefährlich ist aber auch etwas anderes: Wenn vorwiegend Männer über das bestimmen, was diskutiert wird, kommen bestimmte Themen nicht vor. Wir blenden so vieles aus. 

"Wir können uns den Frauen anschließen, die sagen, die Gleichberechtigung wird gerade um Jahrzehnte zurückgeworfen und daran ist nichts zu ändern. Wir können uns aber auch zusammenreißen und sagen, das wollen wir nicht."

Elizabeth Prommer

SPIEGEL: Welche Lücken haben Sie in Ihrer jüngsten Studie ausgemacht? Und warum sind sie eine Gefahr?  

Prommer: Schauen wir uns das Themengebiet Wirtschaft und Finanzen an. Wenn hier Frauen nur zu 17 Prozent zu Wort kommen, dann ist es kein Wunder, dass bestimmte Themen wie die Arbeitsplatzsicherheit und Zukunftsaussicht für Frauen ausgeblendet werden. Gerade in der Gastronomie, Hotellerie und dem Einzelhandel arbeiten aber überwiegend Frauen. Bei Insolvenzen gehen also viele Arbeitsplätze von Frauen verloren. Bisher spielt das aber in der Diskussion um Wirtschaftshilfen keine Rolle. 

SPIEGEL: Dass dieses Land von einer Frau geführt wird, die zwangsläufig sehr präsent ist in den Medien – hat das gar nichts zu bedeuten?

Prommer: Sie kann das Fehlen der anderen Frauen allein nicht kompensieren. Im Grunde wird sie doch als Ausnahme betrachtet, als Sonderfall. Das ist die große Botschaft auch dieser Krise: Da sehen die Zuschauer ebenso oft das Verhältnis vier Männer, eine Frau. Diese Frau ist dann sozusagen der personifizierte Sonderfall. Ein Markus Lanz hat vielleicht einmal im Monat eine zweite Frau eingeladen.

SPIEGEL: Eine ähnliche Gastpolitik verfolgt wöchentlich auch Sandra Maischberger, auch sie lädt männliche und weibliche Gäste gern im Verhältnis vier zu eins ein. So fiel es gerade in den vergangenen Wochen auf.

Prommer: Dass eine Frau die Sendung moderiert, ändert nicht per se etwas.

SPIEGEL: Kann diese Krise auch eine Chance sein, weil sie etwas aufzeigt, wachrüttelt? 

Prommer: Wir haben zwei Alternativen. Wir können uns den Frauen anschließen, die sagen, die Gleichberechtigung wird gerade um Jahrzehnte zurückgeworfen und daran ist nichts zu ändern. Wir können uns aber auch zusammenreißen und sagen, das wollen wir nicht. Dazu sollten wir aber auch überdenken, wie wir uns geben. 

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Prommer: Ich nehme als Beispiel uns Wissenschaftlerinnen. Ein Kollege aus Greifswald und ich wollen in naher Zukunft all die Texte und Bilder analysieren, die uns auf Twitter aufgefallen sind. Wissenschaftskolleginnen posten da oft ganz lustige Bilder, mit denen sie ihr Dasein im Homeoffice ironisieren. Witzig gemeinte Bilder von gefesselten Kindern, so etwas. Tatsächlich haben viele Frauen ihre wissenschaftliche Arbeit zugunsten der Familie zurückgestellt.

SPIEGEL: Und die Männer?

Prommer: Sie benutzen Twitter anders - um genau das wissenschaftliche Arbeiten zu betonen. Sie verkünden da: Hey, mein Forschungsaufsatz wird veröffentlicht, hey, leider musste ich meinen Forschungsaufenthalt unterbrechen, habe aber im Homeoffice schon wieder fünf weitere wissenschaftliche Artikel geschrieben. Das alles wird seinen Niederschlag in Karrieren finden. In ein paar Jahren werden sich die Auswirkungen zeigen.

SPIEGEL: Wenn Frauen zurzeit in der Öffentlichkeit vorkommen, dann häufig als Opfer, die unter der fehlenden Kinderbetreuung leiden, richtig?

Prommer: Es ist sehr problematisch, dass die Betreuung von Kindern als Frauenproblem dargestellt wird. Leider haben auch viele Frauen diese Sichtweise übernommen, auch sie nehmen dieses Problem als eines an, das nur sie betrifft. Die Männer gehen deshalb guten Gewissens raus und führen die Experten-Interviews, die Frauen kümmern sich um die Familie und sagen womöglich sogar ab, wenn sie selbst um ihre Expertenmeinung gebeten werden. Schon an dieser Stellschraube kann leicht gedreht werden.