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Kultur Re-Kolonisierung

Warum die Weißen nach Afrika zurückkommen sollen

Schluss mit der Lüge von der Selbstbestimmung: Ausgerechnet eine afrikanische Intellektuellen-Zeitschrift plant die Zukunft des Schwarzen Kontinents ohne einheimische Führungseliten.

„Chimurenga“ ist ein Wort aus der Bantusprache Shona, die in Simbabwe Amtssprache ist. Es bedeutet so viel wie „Revolutionärer Kampf“, ist ein Kürzel für Menschenrechte, politische Würde und soziale Gerechtigkeit. Als Erste und Zweite Chimurenga werden die lokalen Aufstände gegen die britische Kolonialmacht in Rhodesien in den Neunzigerjahren des 19. und in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Die „Chimurenga Chronic“ – „Now-Now, a Quartely Pan African Gazette“ – ist als Print- und Online-Version vor allem in Südafrika, Kenia und Nigeria verbreitet. Ein Muster gelungener auswärtiger Kulturpolitik, denn sie wird von der Kulturstiftung des Bundes, dem Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt. 2014 wird zum ersten Mal eine deutsche Ausgabe erscheinen. Der anspielungsreiche Titel der „Chronic“ lässt vermuten, es handele sich um eine Publikation, in der afrikanische Autoren die ehemaligen Kolonialmächte auf die Anklagebank setzen.

Verantwortung für eigene Fehler übernehmen

Doch der Leser wird überrascht. In der „Chimurenga Chronic“ drückt sich die Emanzipation der Afrikaner von ihrer kolonialen Vergangenheit in der Entschiedenheit aus, mit der sie für Fehlentwicklungen ihres Kontinents eigene Verantwortung übernehmen. Es ist eine Haltung, die von dem nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka ebenso vertreten wird wie früher von der Umweltaktivistin Wangari Mathai, die in Kenia geboren wurde und der 2004 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.

In der „Chimurenga Chronic“ kommt diese von Selbstkritik und Selbstbewusstsein geprägte Haltung in einem Interview mit dem Filmemacher Jean-Pierre Bekolo zum Ausdruck, das in der jüngsten Ausgabe der „Chronic“ als Auftaktartikel publiziert wurde. Mit der Überschrift: „Seien wir ehrlich: Wir schaffen es nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass die Weißen zurückkommen.“

Der 1966 in Kameruns Hauptstadt Yaounde geborene Bekolo gehört zu den bekanntesten afrikanischen Regisseuren. Filme wie „Quartier Mozart“, „Le Complot d’Aristote“ und „Les Saignants“ liefen beim Sundance Film Festival, wurden vom British Film Institute und beim Festival von Toronto preisgekrönt. Jean-Pierre Bekolo leitet das Kinolabor an der Universität von Yaounde und lehrt an der Duke University in North Carolina.

Ein französischer Journalist nannte ihn einen „Afro-Futuristen“, der Afrika neu erfinden wolle. Wie diese Neuerfindung aussehen könnte, zeigt auf paradoxe Weise das Interview in der „Chimurenga Chronic“: Bekolo plädiert für eine Re-Kolonisierung Afrikas.

Die Frage nach der Re-Kolonisierung

Ungläubig fragt der Interviewer: „Sie sind für eine Re-Kolonisierung Kameruns?“ Bekolo: „Nach 52 Jahren der Unabhängigkeit müssen wir uns eingestehen: Die Ideologien der Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit, die aus den nationalen Befreiungsbewegungen hervorgingen und die wir früher alle unterstützt haben, lassen sich mit den Realitäten der Globalisierung nicht vereinbaren. Wir befinden uns in einer Sackgasse. Es ist überdeutlich geworden, dass wir unser Ziel nicht erreichen werden, wenn wir darauf beharren, alles alleine zu tun. Das ist uns über den Kopf gewachsen.“

Interviewer: „Sie wollen also, dass der Weiße Mann zurückkommt?“ Antwort: „Das koloniale Projekt war viel erfolgreicher, als seine Initiatoren es je vermutet hatten. Als es nicht mehr als akzeptabel galt, ein Kolonist zu sein, sprang der Pilot mit dem Fallschirm ab. Ein anderer übernahm das Steuer – er hat jetzt alles unter Kontrolle –, aber er ist inkompetent und hat noch nicht einmal einen Flugplan.

Er behauptet, im Cockpit zurechtzukommen, doch in Wahrheit ist er auf einem Egotrip. Sein einziges Ziel ist es, zu seinem eigenen Wohlbefinden Ressourcen auszubeuten, die der Allgemeinheit gehören. Wir müssen die Uhr bis zu dem Punkt zurückdrehen, wo die Dinge anfingen schiefzulaufen, zu dem Punkt, als die Lügen und die Heuchelei begannen.“

„Jetzt rauben unsere eigenen Leute Afrika aus“

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Für die heimischen Kleptokraten, die im Augenblick der Unabhängigkeit anfingen, Afrika erneut auszurauben, hat Bekolo nur Spott und Verachtung übrig. Voller Lob dagegen ist er für die Leistungen der Weißen: „Wenn es gelingen sollte, negative Erscheinungen wie Ausbeutung und Unterdrückung abzustellen, wird die Idee der Re-Kolonisierung bei den Afrikanern gut ankommen.

Sie wissen einfach nicht mehr weiter. Selbst wenn es darum geht, unsere Kulturen zu bewahren, sind es Weiße, die sich wirklich um sie kümmern. Als ob sich seit den Zeiten der Sklaverei nichts geändert hätte! Wir sollten Jacques Chirac für das Musée Branly dankbar sein: Dort zumindest wird unser Erbe bewahrt.“

Bekolo beschreibt, wie die afrikanischen Eliten, die ihr eigenes Land ausplündern, dem Weißen Mann alles verdanken: Sie erwerben seine Diplome, fahren seine Autos, tragen seine Anzüge und schicken ihre Kinder auf seine Schulen. Selbst unser Präsident, so Bekolo, ist ein Produkt des Weißen Mannes. Er und seine ganze Entourage benehmen sich „weiß“.

Im Staatsapparat gibt es keinen Platz für Afrika und seine Traditionen – einzige Ausnahme sind die traditionellen Tanzgruppen, die zum Flughafen geschafft werden, wenn der Präsident auf Reisen geht. Als ob, spottet Bekolo, es sich bei dieser organisierten Folklore nicht um eine koloniale Erfindung handelte!

Für Bekolo ist Hilfe von außen nötig

Der Interviewer bohrt weiter: „Sie sind der Meinung, die Afrikaner seien inkompetent?“ Antwort: „Seien wir doch ehrlich: Was funktioniert bei uns noch? Wollen wir nicht nur unser Ego schützen, wenn wir behaupten, das Land zu regieren? Wir haben versucht, einen modernen demokratischen Staat zu bauen. Wir haben versagt.

Es ist Zeit, mit der Heuchelei aufzuhören und nach vorne zu blicken. Wir sollten nicht vergessen, dass nicht wir es waren, die unser Land geschaffen haben. Kamerun ist eine Erfindung des Westens. Es ist sein Land, unsere Gesetze sind seine Gesetze. Sogar unser Name ist eine westliche Erfindung. Die Weißen nannten es nach dem portugiesischen Wort für Shrimps – camaroes – und wir sind stolz darauf. Wie können wir hoffen, in der Welt zurechtzukommen, wenn wir in einer kolonialen Schale ohne jeden Inhalt leben?“

Für Bekolo ist das Projekt der Re-Kolonisierung die afrikanische Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Im Zeitalter der multinationalen Korporationen kann keine Regierung ernsthaft mehr in Anspruch nehmen, die Geschicke des eigenen Landes zu bestimmen.

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„Der Begriff der Selbstbestimmung“, beharrt Bekolo, „ist nur noch eine politische Waffe in den Händen einer korrupten einheimischen Elite. Diese Elite behauptet, es mit den westlichen Mächten aufnehmen zu wollen, während sie in Wahrheit das Volk in ein ideologisches Gefängnis sperrt und bis auf die nackte Haut ausraubt. Wir brauchen die Fremden, um die vielen Probleme zu lösen, mit denen wir konfrontiert sind. Sagen wir es laut und deutlich: Schluss mit dem Schweigen, in dem wir verbargen, was alle wussten: Wir brauchen alle Hilfe von außen, die wir bekommen können.“

Afrikas Problem sind fehlende Führungseliten

Zweifellos wollte Bekolo mit diesem Interview provozieren. Mit seiner Kritik an den herrschenden afrikanischen Eliten aber ist es ihm zweifellos ernst. Wie Wangari Mathai schrieb, ist das Hauptproblem Afrikas nicht länger die Erblast der Kolonisierung.

Es ist die Unfähigkeit, nach fünf oder sechs Jahrzehnten der Unabhängigkeit immer noch nicht in der Lage zu sein, Führungsschichten hervorzubringen, die für das Gemeinwohl wirken und die Legitimität des demokratischen Machtwechsels akzeptieren.

Westliche Beobachter sollten das Projekt der Re-Kolonisierung weder mit Häme noch mit triumphaler Besserwisserei zur Kenntnis nehmen. Jean-Pierre Bekolo verlangt eine Re-Kolonisierung ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Davon sind wir in der Epoche der multinationalen Korporationen noch weit entfernt – nicht nur in Afrika.

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