Bild 2: Neuromorphes Sensing und Computing: Schritt für Schritt zur echten künstlichen Intelligenz.

Bild 2: Neuromorphes Sensing und Computing: Schritt für Schritt zur echten künstlichen Intelligenz. (Bild: Yole Développement)

Auch wenn das Design ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Leistung ist, verwenden für maschinelles Lernen und Inferenz ausgelegte Chips das bestehende Halbleiter-Paradigma auf Basis des Mooreschen Gesetzes. Während es technisch möglich ist, Chips herzustellen, die Hunderte von Tera Operations Per Second (TOPS) ausführen können, um das heutige KI-Anwendungsspektrum zu bedienen, ist die tatsächliche Rechenleistung für dedizierte Anwendungen/Software wie allgemeine Intelligenz oder vollständig autonomes Fahren immer noch geringer als gewünscht.

Bild 1: Auf dem Weg zur erweiterten Intelligenz, hier aus Consumer-Sicht.

Bild 1: Auf dem Weg zur erweiterten Intelligenz, hier aus Consumer-Sicht. Yole Développement

Infolgedessen ist ein Wettrüsten im Gange, das sich auf die Verwendung von „Brute Force Computing“ (Erhöhung der Anzahl von Transistoren) und die Spezialisierung auf Funktionen konzentriert, um den Anforderungen an die Rechenleistung gerecht zu werden. Der derzeit verwendete Technologieknoten liegt bereits bei 7 nm, und es sind vollständige integrierte Schaltkreise entstanden. Die Architektur ist ganz der Berechnung von Matrixoperationen gewidmet, dem Kern von Deep-Learning-Algorithmen. Der Raum für Verbesserungen scheint gering zu sein, und die mit dem Paradigma des Mooreschen Gesetzes verbundene Wirtschaftlichkeit schafft Unsicherheiten (Bild 1).

Die gegenwärtigen Deep-Learning-Techniken – insbesondere solche, die auf Convolutional Neural Networks (CNN) basieren – und zugehörige Hardware stehen vor drei Haupthürden: Erstens macht es die Wirtschaftlichkeit des Mooreschen Gesetzes einem Start-up sehr schwer, im KI-Bereich zu konkurrieren, und begrenzt daher den Wettbewerb. Zweitens macht der Datenüberlauf aktuelle Speichertechnologien zu einem begrenzenden Faktor. Und drittens hat der exponentielle Anstieg des Rechenleistungsbedarfs für jede Anwendung zu einer „Wärmegrenze“ geführt. In der Zwischenzeit fordert der Markt mehr Leistung und Effizienz für die Spracherkennung und Übersetzung in Echtzeit, das Echtzeit-Videoverständnis und die Echtzeit-Wahrnehmung für Roboter und Autos, und es gibt Hunderte anderer Anwendungen, die nach mehr Intelligenz verlangen, die Sensorik und Computing kombinieren.

Die KI-Disruption kann kommen

Bild 2: Neuromorphes Sensing und Computing: Schritt für Schritt zur echten künstlichen Intelligenz.

Bild 2: Neuromorphes Sensing und Computing: Schritt für Schritt zur echten künstlichen Intelligenz. Yole Développement

Bild 3: Neuromorphe Technologien im Überblick: Sensing, Computing und deren Kombination.

Bild 3: Neuromorphe Technologien im Überblick: Sensing, Computing und deren Kombination. Yole Développement

Angesichts dieser erheblichen Hürden ist die Zeit reif für Disruptionen: Ein neues Technologieparadigma, in dem sich Start-ups profilieren können und das die Vorteile aufkommender Speichertechnologien nutzen und die Effizienz der Daten, Bandbreite und Energie drastisch verbessern könnte. Viele sehen in diesem neuen Paradigma den neuromorphen Ansatz, andere würden ihn als ereignisbasierten Ansatz bezeichnen, bei dem die Berechnung nur bei Bedarf erfolgt, anstatt bei jedem Taktschritt. Diese Methode ermöglicht eine enorme Energieeinsparung, die für viele Geräte, die Intelligenz benötigen, unerlässlich ist. Dies ist wahrscheinlich der nächste Schritt in der KI-Technologie (Bilder 2 und 3).

Wettbewerbslandschaft: zahlreiche Akteure

Neuronale Netze sind mehrere Jahrzehnte alte, biologisch inspirierte Algorithmen für die KI. In den letzten Jahren wurden diese in Siliziumchips implementiert. Der gesamte Wissensbestand rund um neuronale Netze sollte nicht mit dem Neuromorphie-Trend verwechselt werden. Nur der am meisten „biomimetische Typ“ – das heißt asynchrone neuronale Netze, die Spitzen und Schwellenwerte verwenden – wird als wirklich neuromorph definiert. Unter diesem Gesichtspunkt begann der Neuromorphie-Trend in den 1980er Jahren mit dem US-amerikanischen Wissenschaftler Carver Meads vom Caltech.

Die meisten frühen Entwicklungen fanden im Bereich Computing mit IBM und später Intel statt. Ein zentrales Start-up-Unternehmen für neuromorphes IP ist General Vision, das heute viele Akteure lizenziert und auch eigene Chips entwickelt. Zwei weitere Start-ups (Brainchip und aiCTX) sind dafür bekannt, neuromorphe Chips auf den Verbrauchermarkt zu bringen, und mehrere andere Start-ups arbeiten in diesem Bereich, wenn auch relativ „verdeckt“:  Grai Matter Lab, Anotherbrain, Vicarious und Robosensing.

Anstrengungen im neuromorphen Computing unternehmen auch Akteure im Bereich der Speicherlösungen wie SK Hynix, Micron und Western Digital. Tatsächlich laufen frühe Partnerschaften mit Akteuren im Bereich Logik zugunsten der kurzfristigeren Strategien aus, die die Investitionen großer Speicherhersteller dominieren. Dennoch kombinieren viele Speicher-Start-ups, darunter Knowm, Weebit, Memry und Symetrix, innovative NVM-Technologie (nichtflüchtige Speicher) mit neuromorphen Computerchip-Designs. Da der Ansatz dieser Unternehmen jedoch häufig auf einem neuen Konzept basiert, das als Memristor (eine Kombination aus Memory und Transistor) bezeichnet wird, werden sie im Vergleich zu den Bemühungen von reinen Computing-Unternehmen als langfristigere Projekte wahrgenommen.

Neben dem Computing hat sich eine begleitende Start-up-Szene für neuromorphe Bildsensoren entwickelt, deren Wurzeln in einer Erfindung von Dr. Mahowald in den 1990er Jahren liegen. Die ETH Zürich war das Zentrum für Innovation, verbreitete die Technologie in ganz Europa und brachte Start-ups wie Prophesee, Insightness, Inivation und Celepixel hervor, die neben größeren Unternehmen wie Samsung operierten (Bild 4).

Giganten der CMOS-Bildsensorik

Die beiden CMOS-Bildsensor-Giganten, Sony und Samsung, haben einige ihrer Strategien für neuromorphe Bildsensoren vorgestellt. Tatsächlich begann alles am 28. Oktober 2019, als Prophesee, das Start-up für neuromorphe Visionen, bekannt gab, dass es zusätzliche 28 Millionen US-Dollar aufgebracht hatte, wodurch sich die Gesamtfinanzierung auf 68 Millionen US-Dollar belief. Anfang November 2019 kam die Nachricht, dass Samsung eine Markenanmeldung für Isocell-Motion mit der Nummer WIPO 88676829 für seine DVS-Technologie (Dynamic Vision Sensor) für Mobil- und Tablet-Anwendungen eingereicht hatte.

Bild 4: Die vielfältige Wettbewerbslandschaft im neuromorphen Computing, Stand 2019.

Bild 4: Die vielfältige Wettbewerbslandschaft im neuromorphen Computing, Stand 2019. Yole Développement

Dies war eine Überraschung, da Samsung die DVS-Technologie ursprünglich hauptsächlich für ADAS (Fahrerassistenzsysteme) für Kraftfahrzeuge vermarktet hatte. Anfang Dezember 2019 stellte sich heraus, dass Prophesee und Sony auf der International Solid State Circuits Conference im Februar 2020 in San Francisco einen gemeinsamen Vortrag über einen „ereignisbasierten“ Bildsensor halten würden. Dies war auch eine Überraschung, da Prophesee bis dahin eigene Bildsensoren entwickelt hatte. Eine solche Allianz ist daher ein Zeichen für ein großes Interesse an der Welt der neuromorphen Sensorik. Und die aktuellste Nachricht aus diesem Bereich ist, dass das Team von Insightness, einem weiteren Start-up für ereignisbasierte Bildsensoren aus Zürich, stillschweigend zu Sony gegangen ist (Bild 5).

Bild 5: Die Zeitleiste des Ökosystems neuromorpher Technologien bis 2025.

Bild 5: Die Zeitleiste des Ökosystems neuromorpher Technologien bis 2025. Yole Développement

2015 erwarb Sony Softkinetic für seine 3D-Time-of-Flight-Bildsensoren (ToF), die jetzt im Huawei P30 Pro und Samsung S10 5G zum Einsatz kommen. Sony kann sowohl internes als auch externes Wachstum steuern. Im Gegensatz dazu ist Samsung hauptsächlich auf internes Wachstum angewiesen. Da der größte Teil seiner DVS-Forschung und -Entwicklung in Tel Aviv, Israel, erfolgt, ist Samsung weltweit ähnlich präsent.

Es ist nochmals zu betonen, dass Sony und Samsung die beiden größten Akteure im Bereich CMOS-Bildsensoren sind. Ihr sichtliches Interesse an neuromorphen Bildsensoren ist ein Zeichen dafür, dass wir sie bald in Smartphones integrieren könnten.

Brückenkopf-Märkte der Zukunft

Der neuromorphe Ansatz gehört heute immer noch in das „Kuriositätenkabinett“. Viele prophezeien das Aufkommen neuromorpher Ansätze auf die gleiche Weise, wie Deep-Learning-Techniken zu Unrecht abgelehnt wurden – bis sie schließlich die Oberhand gewannen. Viele Ähnlichkeiten deuten darauf hin, dass ein solcher Paradigmenwechsel schnell erfolgen könnte. Vor einigen Jahrzehnten war das größte Hindernis dafür, dass der DNN-Ansatz (Deep Neural Network) seine höchsten Leistungen erbringen konnte, das Fehlen geeigneter Hardware zur Unterstützung der innovativen Software-Fortschritte von DNNs.

Heute gilt das Gleiche für die neuromorphe Technologie – aber mit der Einführung der ersten SNN-Chips (Spiking Neural Network) und der Tatsache, dass SNN-basierte Algorithmen genauso leistungsfähig und effizient wie ihre großen Brüder (DNN-basierte Algorithmen) sind, sind die ersten Brückenkopfmärkte bereit, das Wachstum anzukurbeln. Die ersten Märkte sind Industrie und Mobilfunk, hauptsächlich für die robotische Revolution und die Echtzeitwahrnehmung. Die im Anwendungsprozessor eingebettete neuromorphe Einheit ist der Schlüssel für verbrauchsarme und leistungsstarke KI-Funktionen wie Spracherkennung, Fotografie und Biometrie.

Bild 6: Verkaufsprognose für neuromorphe Geräte 2024, 2029 und 2034: Automotive ist bis 2029 das größte Zugpferd.

Bild 6: Verkaufsprognose für neuromorphe Geräte 2024, 2029 und 2034: Automotive ist bis 2029 das größte Zugpferd. Yole Développement

Im Laufe des nächsten Jahrzehnts könnte die Verfügbarkeit von Hybrid-In-Memory-Computing-Chips den Automobilmarkt erschließen, der dringend eine Massenmarkt-Technologie für das autonome Fahren benötigt. Neuromorphes Sensing und Computing könnte das Wundermittel für diese Märkte sein, einige der aktuellen Probleme der KI zu lösen und in den kommenden Jahrzehnten neue Perspektiven zu eröffnen (Bild 6).

Dr. Yohann Tschudi

Abteilung Halbleiter und Software bei Yole Développement

(na)

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