Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #17

Fünf Bemerkungen über Digicams, die Sie bestimmt schon mal gehört haben

Die größte Errungenschaft der digitalen Photographie besteht darin, uns die vielen peinlichen Bilder zu ersparen, die früher unsere Schuhschachteln verstopften. Was aber fangen wir jetzt mit den leeren Schuhschachteln an?    19.11.2009

Digitalkameras sind inzwischen allgegenwärtig, aber immer noch "neu". Daher fühlen sich viele bemüßigt, zu diesem Thema ein paar überflüssige Weisheiten zu Papier zu bringen. Zum Beispiel ich in dieser Fachkolumne zu leichten und unterhaltsamen Themen wie chromatische Aberration und Tilt-Shift-Objektiv. Also lesen Sie besser was anderes, zum Beispiel die Rückseite der Verpackung Ihres WC-Reinigers.

Immer noch da?

Na denn.

 

"Nur mit einer analogen Kamera lernt man richtiges Photographieren."

Meist geht es im weiteren Geschwafel entsprechender Photokolumnen um die gute alte Petri TTL, ein exotisches und besonders wertloses Erbstück von Papa/Opa/ebay. Mit dieser einfachen und schlichten Spiegelreflexkamera (analog) hatte man als junger Mensch (verzweifelt) zu photographieren gelernt (ehe man sich ´ne billige Kompakte kaufte). In solchen Kolumnen werden dann die haptischen Merkmale heraufbeschworen, die da wären: die Drehung der Schraube, das stirnrunzelnde Prüfen der Einstellungsrädchen, das sorgsame Abwägen von Verschlußzeit versus Blendenöffnung, die visuelle Kontrolle der Schärfe, eventuell komplexe Berechnungen zur Leitzahl des Blitzes, selbstverständlich im Kopf.

Alles Mumpitz. Denn wie´s der Zufall will: Genau so eine Petri TTL habe ich da hinten gerade aus der Kiste geholt, mit einem schäbigen 1:1,8:55-Objektiv.

 

"Sowas wird heute nicht mehr gebaut."

Ich behaupte: mit gutem Grund! Denn man fühlt sich mit dem Trumm sofort wie ein Höhlenmensch. Einer, der einen knorrigen Ast schwingt und damit so überhaupt nicht aussieht wie Obi Wan mit Laser-Schwert.

So ein antiker, ach seien wir ehrlich: alter Photoapparat ist schwer und dreckig. Schwer war er schon immer, dreckig erst seit kurzem. Warum ist das so? Ich weiß es: Seinerzeit haben Väter und Großväter viel Zeit darauf verwendet, das olle Ding zu säubern, während Mütter und Großmütter sich um Wäsche, Erziehung, Haushalt, Essen etc. kümmerten. Unsere männlichen Ahnen nahmen das schwere Gerät auseinander, reinigten es mit Lappen, bürsteten es mit Pinseln, rieben mit Spezialtüchern hartnäckig die Vergütung vom Flaschenboden und setzten es danach sorgfältig wieder zusammen. Und das alles nur, damit auch wir Söhne dereinst mit der Petri TTL durch die Berge stiefeln und Gipfel ablichten und dabei "photographieren lernen", statt das zu tun, was wir eigentlich wollen und heute dank ultraflacher Digitalkameras auch können: "wild rumknipsen".

Sofern wir das überhaupt wollen. Vergleichen Sie mal:

  • gutes Essen - gutes Photo
  • guter Wein - gutes Motiv
  • langer Sex - lange Phototouren

Wenn Sie stets das zweite gewählt haben, dann sind Sie echt ein armer Hund.

 

"Alte Kameras liegen besser in der Hand."

Ja! Aber schlechter in der Tasche. Die billige Digicam aus dem Elektromarkt wiegt nämlich unter 200 Gramm. "Schatz, kannst du das Ding mal in deine Handtasche tun, während wir in der Mittagshitze fünf Kilometer durch die Touristensteppe vor Nizza latschen?" ist ein erlaubter Satz bei diesem leichten Mehrgewicht.

Halte ich meiner Gattin hingegen die dreckige, nikotinverstaubte 1,5-Pfund-Knipse hin, dann kriege ich bestenfalls den Vogel gezeigt. Ich sage Ihnen: Hätte ich bloß eine begeisterte Knipserin geehelicht! Wir könnten gemeinsam Shootings machen, Graduationskurven ändern und Ebenen unscharf maskieren ... das Leben wär´ billiger, denn sie täte nicht shoppen, außer im Photoshop*.

 

"Mit einer analogen Knipse macht man bessere Photos."

Wer denkt sich nur so einen Quark aus? Früher knipste man einen 36er weg, brachte den zum Entwickeln, bekam eine Tüte mit 33 Bildern, von denen waren 30 sauschlecht, und auf den restlichen 3 waren Leute zu sehen, die man eigentlich gar nicht ausstehen konnte. Ehrlich: Ich kann mich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal aus dem Photoladen getappt zu sein, ohne mich zu fragen, wozu ich diesen Mist hatte entwickeln lassen.

Heute zieht man sich die Pics auf den Rechner und sieht schon dort: Dieses windschiefe Zeug entwickeln zu lassen lohnt die Mühe auf keinen Fall. Tut auch niemand: "Ach ja, äh, die Urlaubsbilder ... ich muß die noch als Bilder bestell... bin noch nicht dazugekom... aber ich kann sie euch schnell am PC zeigen!" So geht es allen. Man braucht eigentlich auch keine Speicherchips. Die digitale Kamera müßte genau 1000 Bilder machen können und ab 1000 jeweils einfach die allererste Aufnahme vergessen - niemand würde den Unterschied merken.

Werfen Sie mal einen Blick auf Ihre Festplatte. Wetten, Ihr Verzeichnis /Photos/ dokumentiert die Geschichte der Digitalkamera seit dem 1,3-Megapixel-Zeitalter? Einfach mal löschen! Alles! Wenn die Frau sich beschwert: Oje, Hasi, des tut mir jetzt echt leid, nein, Backup hab ich keines. (Merke: Backups alle wegschmeißen! Brauchen Sie nie.)

Sie werden feststellen, daß die Erde sich weiterdreht.

 

"Dank Digitalkamera kann ich viel mehr Bilder machen."

Stimmt. Aber ist das ein Vorteil? Leider nein. Früher war nach 36 Bildern Schluß, an einen zweiten Film hatte eh niemand gedacht, also konnte man weiterfeiern. Heute wird weitergeschossen, unerbittlich, gnadenlos. Gerade auf Partys zeigen auch feingeistige Gesichter ab DSC00762.JPG zunehmend Auflösungs-, Entgleisungs- und Verblödungserscheinungen.

Und egal, ob Sie im Kegelverein abhängen oder ins Puff gehen: ständig sind da peinliche Photo-Nerds, die einen unaufhörlich mit ihren Apparaten bedrängen. Summend zoomen sie, wechseln zwischen Motivprogrammen, ihre Blitze zucken, dazu künstliche Verschlußgeräusche - um Himmels willen, was soll das bloß alles?

Ich sage: Begrenzt die Zahl der Bilder auf Digicams per Gesetz auf 36! (Wo ist Brüssel, wenn man es mal braucht? Ach ja: in Brüssel* ...)

Gehen Sie mal nach Venedig. Dort knipst einfach je-der. Wenn Sie Photoapparate sehen wollen, dann reisen Sie dorthin. Alte, neue, flache, dicke. Und alle haben eines gemeinsam: sie speichern, speichern, speichern. In Jahrmillionen werden lallende Idioten nicht mehr wissen, was Karl Kraus geschrieben hat - aber sabbernd eine pixel-, Verzeihung, staubkorn-genaue Rekonstruktion der irdischen Touristenstädte in Google Universe anglotzen.

Einige wenige Amateurphotographen - erfrischend ehrlicher Begriff! - haben gemerkt, daß sie mitnichten trendsettende Avantgardisten sind. Daher gibt es auf Flickr, einer Art Zeus im Schnappschuß-Himmel, bereits Gruppen wie "Shoot them if you can", die nur mehr Bilder von knipsenden Touristen sammeln. Als nächstes folgen Gruppen von Leuten mit Bildern, die User photographieren, die erwähnte Gruppe im Web besuchen. Unsere Welt wird wahnsinnig.

 

Photographieren ist ohnehin doof.

Ein Grund zum Beispiel: Auf allen Bildern sehen Sie stets nur die anderen.

Ich sage es, wie es ist: Meine wirklichen, jahrelangen Freunde, von denen habe ich kein Photo. Null! Wie sehen sie aus? Ich weiß es nicht.

Wovon ich Photos habe, das sind allesamt unmögliche Personen aus meiner Vergangenheit. Drei, sechs oder spätestens zehn Jahre später schauen auch Sie sich alte Bilder an und fragen sich, was diese blöde Schickse und ihr dummer Stecher heute wohl machen und warum man diesen Abend auf jener Hochzeit oder Silvesterparty - mein Lieber, war das ööööde! - verschleudert hat.

Aussortieren!

Es ist erstaunlich, welch geringe Halbwertszeit Freundschaften haben. Jedenfalls im Vergleich zu diesen verdammten Abzügen. Die kleben an einem wie ... wie ... und allein das Wort: Mal heißt es Fotographieren, mal Photografieren, wer soll sich das merken?

Und immer mehr Megapixel! Und HD-Videos! Neue Kameras erkennen sogar automatisch, wenn die Photographierten lachen. Angeblich soll das ein tolles Feature sein, aber wer will in ein paar Jahrzehnten, wenn er auf dem Weg zum Seniorenstift alte Bilder aussortiert, all die grinsenden Fratzen sehen? Millionen JPGs, alle grinsen! (Da wächst einem dann bestimmt das Bild eines alten vergrämten Schlechtgelaunten ans Herz (ich schicke Ihnen eines, wenn Sie wollen).

Bedenken Sie: Im Mittelalter kannte man überhaupt keine Bilder, außer häßliche 2D-Heilige auf Goldgrund, und für die mußte man auch noch in die Kirche latschen und sich das gregorianische Gewimmer anhören (das heute Charts-fähig ist, ein weiteres Indiz für den Wahnsinn unserer Welt!).

Aber bekannt ist: Damals, in der bilderlosen Zeit, entwickelte sich die Zivilisation noch vorwärts!

Da muß doch ein Zusammenhang bestehen!

 

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* Gute Kolumnisten scheuen keine schlechten Kalauer.

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Zum Bilderrätsel:

 

Falls Sie mal rätseln, wo bei einem MacBook das RAM gewechselt wird ...

 

Andreas Winterer

Kommentare_

Daniel - 13.07.2010 : 18.19
Ich habe eine Canon 450D mit Tamron 17-50 vor 2 Jahren gekauft und ketzt eine Leica X1. Gestern fand ich die Petri TTL auf dem Dachboden, hatte lange nicht so einen Spaß zu fotografieren!, die Mattscheibe ist genial, in heutigen Plastik Bombern nicht mehr drinn, kann ums verrecken nicht manuell scharf stellen mit der 450D. Die Haptik der Petri ist einmalig, dafür müßte man heute wohl über 2000 Euro hinlegen. Das Teil ist einfach einmalig wie schlicht und simpel alles gehalten ist, so lernt man fotografieren. Ich kann nicht aufhören mit dem Teil zu spielen, die Kamera als Digitale mit Display und ich würde sofort den Kaufvertrag unterschreiben.
Andreas Winterer - 14.07.2010 : 15.45
Ich gebe zu, dass der eigentliche Anlass dieser Kolumne das mechanische Versagen meiner Petri TTL war: knirsch knacks, vorbei. Was als Nachruf geplant war, geriet mir jedoch mangels schreiberischer Begabung zu fünf Bemerkungen über Digicams, die man gewiss schon mal woanders gelesen hatte.

Dessen ungeachtet erwarb ich über eine namhafte Auktionsplattform drei weitere (defekte) Petri TTLs, in der Hoffnung, aus den Einzelteilen eine neue, funktionierende Spiegelreflex zusammen setzen zu können, denn natürlich ist digital Mist, und analog rulez aber sowas von, etc.

Indes fehlt mir natürlich die Muße, mich mit allerlei Feinwerkzeug an die Reparatur zu begeben. So bin ich inzwischen Besitzer von vier TTL-Petris, die in Ruhe Staub ansetzen. Ja, auf Flohmärkten sehe ich immer wieder Leica-M4-Modelle, funktionsfähige, für einstellige Euro-Beträge - aber nie eine funktionierende Petri TTL. Der kleine Kolumnist wird daher wohl nie mehr lachen können... (Sie haben eine und wollen sie loswerden? Mail an mich!)

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