Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #16

Eine Mordskolumne

Der Kolumnist hat einen mörderischen Job. Laich pflastert seinen Weg. Ich frage Sie: wofür? Für eine Handvoll Euros! Am Ende landen aber auch die nur wieder in Gottes Jukebox, und die leiert das Lied vom Tod. Der ist kaum weniger überflüssig als diese Kolumne. Aber weniger unvermeidlich.    05.11.2009

Der Tag war so grau, wie es Novembertage nun mal sind. Grau und naßkalt. Allerdings nur draußen. Hier, in dem Gebäude, in dem die Kreativ-Detektei "A. W. Tschandler - Kolumnen und Ermittlungen" ihren schmierigen Sitz hatte, spielte die Heizung verrückt und lieferte pizzaheiße 42 Grad in jedem Raum aus.

Mein alter Ventilator rotierte mit 138 Umdrehungen pro Minute und schwenkte dabei seinen warmen Luftstrom von einem Ende des Raums zum anderen. Wenn er die linke Ecke bestrich und den schlampig aufgehäuften Ausdrucken meiner nicht abgegebenen, weil vorher verworfenen Kolumnen Wind zufächelte, blieb er jedes Mal hängen. Der Motor jammerte dann ein bißchen, überwand aber nach dem immer gleichen Kampf den Widerstand, quietschte kurz im Gelenk und drehte den Rotor zurück zur anderen Ecke. Dort saß eine ausnehmend schöne Frau. Eine, die möglicherweise einen Auftrag für mich hatte.

 

"Womit kann ich Ihnen dienern?" Grinsend wie der gebrauchtwagenverkaufende Bruder der Cheshire Cat klappte ich mein Zigarettenetui auf und hielt es ihr hin. Es enthielt genau eine Zigarette.

"Mit einer ernsthaften Nikotinvergiftung jedenfalls nicht." Sie nahm die Zigarette an. Meine letzte. Die, vor der ich aufgehört hatte. Um dem langsamen Mord an mir selbst ein Ende zu bereiten.

Ich gab ihr Feuer, obwohl das doch schon als rotes Haar um ihren Kopf loderte. Als ob es in meinem Büro nicht schon heiß genug gewesen wäre. Hölle, das sind die Handwerker, die nicht kommen. "Na schön, Sie haben also das Web irgendwo aufgeschlagen und mich gefunden. Wo drückt der Schnürstiefel? Ist der Kater mal wieder nicht nach Hause gekommen? Surft der Herr Gatte auf Seitensprung-Portalen? Erpreßt man Ihre Schwester mit pikanten JPGs?"

Sie füllte ihre Wangen mehrmals mit Rauch und preßte ihn durch die Nase hinaus, wobei sich in ihren Augen das jeweils kurze Aufglühen der Zigarettenspitze spiegelte. Als meine letzte Zigarette endlich zwischen ihren gestreckten Fingern brannte, kam, was ich ohnehin schon ahnte.

"Ich benötige eine Kolumne."

Ihre Hände waren lang und kräftig, wirkten älter als sie selbst. Ihr Gesicht war schön, das Kinn zu kantig. Der Schwung ihrer Lippen goß Schauer aus brennendem Pech über die Mauern meiner seelischen Festung. Ich roch die Zigarette und spürte, wie eine Schweißperle an meinem Rücken hinabrollte.

"Eine Kolumne?"

Mein Lendenwirbelstuhl knarzte, als ich mich zurücklehnte, das Feuerzeug in einer Schublade voller nordeuropäischer, viersprachiger Herrenmagazine verschwinden ließ und mir etwas Rauch in die Lunge wünschte. Seufzend.

"Wird schwer. Haben Sie ein Photo?"

Ich folgte mit den Augen ihrem Haarschnitt - nicht älter als drei Stunden. Der dunkelblaue Nadelstreifenanzug hatte nie eine Stange gesehen, sehr wohl aber einen Laufsteg. Der Kragen ihrer Bluse zeigte keinen Quadratmillimeter mehr, als nötig war.

"Nein." Ihr bemalter Mund nuckelte aufreizend an der Zigarette herum. "Kein Photo." Nun sah sie mich kokett an. "Mehr eine vage Idee, wie sie aussehen könnte."

Ihre Jugend verdankte sie ohne Zweifel edlen Cremes, aber wen störte das schon. Jedoch ... sie war etwas zu groß für meinen Geschmack. Bestimmt 1,87, von höchst sportlicher Statur. Vielleicht eine Schwimmerin? Mir war heiß. Sie verschwamm vor meinen Augen. Nur ihr Parfum duftete weiterhin teuer.

"Warum überlassen Sie die Sache nicht ...?" deutete ich vage an und versuchte, mich auf etwas Kaltes zu konzentrieren. Eine Leiche, zum Beispiel, zusammengesunken auf einer Schreibmaschine.

Verstimmt blies sie Rauch zur Decke.

"Sehe ich aus wie so jemand? - Madame, lasen Sie dieses? - Was schrieben Sie am, um? - Wer kann bezeugen, daß? - Sieht nicht gut aus für Sie, denken Sie nicht, es wäre an der Zeit ... bla bla bla. Nein."

Sie stand auf und beugte sich entschlossen über meinen Schreibtisch. Der hatte - wie ich selbst - schon bessere Tage gesehen. Dafür mußte er auch nicht in einem verschwitzen Polyesterhemd seriös aus der Wäsche schauen. Die Dame hingegen schien überhaupt nicht zu schwitzen. Das verprach gute Kondition.

"Ich will, daß Sie mir diese verdammte Kolumne besorgen. Irgendeine." Ihr nun ausgestreckter Zeigefinger wollte mich sichtlich erdolchen. "Man sagte mir, Sie wären der Richtige dafür."

"Sagte man das", aha-te ich ohne rechte Begeisterung. Ich hatte nämlich keine Lust zum Arbeiten. Das Wetter deprimierte mich. Ich hatte nichts zu rauchen. Und der Markt war übersättigt von Kolumnen, die keiner brauchte. Nimm alles zusammen, und du hast einen mörderischen Cocktail im schmucklosen Shaker deines Lebens. Wozu noch die süße Ananas meiner Kolumne an den Rand stecken?

Die Frau beugte sich noch tiefer über meinen Tisch. Das brachte ihre Bluse in eine günstige Lage, jedenfalls waren meine Augen dieser Meinung und wollten wie einst der Mensch die Höhlen verlassen. Ich verstand diesen Urmenschen, er war mein geistiger Nachbar. Die Dame vor mir trug einen äußerst schmucken BH, dunkles Grünblau mit dezenten Spitzen. Er wogte unter ihrem Atem.

"Ich wäre nicht undankbar, verstehen Sie?" Ruderte sie vielleicht? Kampfsport? Und diese Stimme ... wie Zarah Leander, flambiert. "Aber die Zeit drängt! Ich brauche diese Kolumne! So bald wie möglich!"

Das also war es. Sie hatte einen Idioten gesucht, der die Drecksarbeit mit den Kolumnen machte. Und hätte ihn fast gefunden. Aber eben nur fast.

„Wer nicht?" Ich sah ihr in die Augen, griff unter den Tisch."Dreihundert am Tag, plus Auslagen." Ich setzte mein professionellstes Gesicht auf. "Sie erhalten regelmäßig Tätigkeitsberichte."

Sie strich das Leinen-Etui auf ihrem Körper glatt. Ihre Gesichtszüge spannten sich.

"Sie wollen mich wohl verarschen?"

"Mitnichten." Schnell zog ich Patsy, meine treue .38er hervor und richtete sie auf das Schönste, was sich je in meinem Büro aufgehalten hatte. "Aber ich habe den Fall bereits gelöst. Und keine Lust, alt zu sterben. Lesen Sie wohl."

Sie zuckte verachtend mit ihren kräftigen Schultern, sagte etwas wie "Pah!", griff nach ihrer Krokodilbabylederhandtasche und rauschte davon. Ihr Parfum blieb noch ein paar Minuten bei mir, bis der träge Ventilator es mit der Hitze und dem Salami-Ananas-Mief der letzten Call-a-Hawaii-Pizza verquirlt hatte.

 

Fahrig zog ich einen feuchten Kaugummi aus meiner Hosentasche und schob ihn zwischen meine ausgedörrten Lippen. Ich zitterte. Fühlte mich abscheulich. Angewidert spuckte ich den Kaugummi in den überquellenden Papierkorb, durchquerte mit langen Schritten den Raum und riß die Tür zum Seitenzimmer auf.

V., meine bezaubernde Assistentin, schreckte von der Buchhaltung auf - wahrscheinlich schon halb im Koma vor lauter Nullen rund ums Komma.

Mit blutunterlaufenden Augen starrte ich sie an.

"Bitte!" keuchte ich.

Sie schüttelte traurig den Kopf. Ich blickte noch trauriger zurück. Dann schloß sie endlich die Schublade auf und drückte mir ein Päckchen in die Hand. Beim Versuch, hastig eine Kippe aus der Schachtel zu klopfen, fielen fünf auf den Boden - egal!

Mein Feuerzeug klickte. Die Fluppe brannte. Ich saugte. Atmete erleichtert durch. Aaaah!

Die Kleine sah auf die Uhr.

"20 Minuten, Herr Kolumnist. Ein neuer Rekord."

Ich hustete.

"Ja. Das Zeug wird mich noch mal umbringen. Und was is´ jetzt: Haben Sie das blöde Ding schon runtergerotzt?"

 

 

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Was ganz anderes, wo Sie gerade hier sind: Das Bilderrätsel - wieder einmal völlig rätselhaft:

Dachte man sich das Gelb weg, wirkte der Empfangsraum des Hotels politisch.

Andreas Winterer

Kommentare_

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