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Wirtschaft USA

Amerikas Attacke auf die deutsche Industrie-Herrschaft

USA machen offenbar ruck auf Europa

Brisante Dokumente? Greenpeace hat nun Papiere veröffentlicht, aus denen offenbar hervorgeht, wie die USA Druck auf Europa ausüben, um die TTIP-Verhandlungen in ihrem Sinne voranzutreiben.

Quelle: Die Welt

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Die deutsche Industrie fürchtet ihren Absturz, eine Deindustrialisierung drohe. Die USA haben darin ihre Chance entdeckt und locken die Firmen zu sich – unter anderem mit Tausenden Flaschen Bier.

Wolfgang Eder dachte zuerst an einen Scherz, als in seiner Postmappe ein Brief des amerikanischen Wirtschaftsministers lag. Er wolle mit mir Abendessen und über die Investitionspläne von Voestalpine sprechen, erinnert sich der Vorstandsvorsitzende des österreichischen Stahlkonzerns.

Erst als zwei Tage später der US-Botschafter in Wien bei Eder anrief und nachfragte, wann er denn jetzt Zeit für das Treffen mit dem Minister habe, ließ sich der Manager von der Echtheit der ungewöhnlichen Post aus Amerika überzeugen – und die anfängliche Skepsis um den Urheber des Schreibens wich schlagartig großer Begeisterung. „Das war eine starke Geste“, sagt Eder rückblickend. „Aus Europa habe ich einen solchen Brief und eine solche Einladung noch nie bekommen.“

Erfreut über das Engagement der Amerikaner: Voestalpine-Chef Wolfgang Eder
Erfreut über das Engagement der Amerikaner: Voestalpine-Chef Wolfgang Eder
Quelle: REUTERS

Der ein oder andere EU-Politiker dürfte sich darüber bereits ärgern. Denn das Ergebnis der amerikanischen Bemühungen lässt sich mittlerweile in Corpus Christi bestaunen, einer Hafenstadt im Bundesstaat Texas. 550 Millionen Euro hat Voestalpine dort in eine Direktreduktionsanlage investiert. Ab Sommer produziert das neue Werk jährlich zwei Millionen Tonnen sogenannte Eisenschwämme, ein Vormaterial für die Stahlproduktion.

Und das, obwohl sämtliche Hochöfen von Voestalpine in Europa stehen. Der Kostenvorteil ist mit jährlich 200 Millionen Euro aber so groß, dass die anfallenden Transportkosten deutlich überkompensiert werden. Dazu ist nicht mehr sicher, dass die Hochöfen der Oberösterreicher dauerhaft am Stammsitz in Linz bleiben. Bis 2018 entscheidet Voestalpine, ob die in die Jahre gekommenen Anlagen eins zu eins ausgetauscht oder in anderen Regionen dieser Welt neu aufgebaut werden.

Europa steckt mitten in der Deindustrialisierung

Besonders gut stehen die Chancen für den Standort Europa dabei offenbar nicht. „Die Industrie scheint hier niemanden mehr zu interessieren“, klagt jedenfalls Eder im Gespräch mit der „Welt“. „In den USA dagegen fühlen wir uns willkommen.“ Und mit dieser Ansicht ist der Manager längst nicht mehr alleine. Egal ob Stahlindustrie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Automobil oder Chemie – im produzierenden Gewerbe verschieben sich die Prioritäten in der Investitionspolitik, aktuell vor allem in Richtung Amerika.

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Connected Driving, sicheres Fliegen durch IT, die Straßenlaterne als Hotspot: Nachdem die Politik die Hannover Messe in den ersten Tagen dominiert hat, stehen jetzt die vielfältigen Entwicklungen im Zentrum.

Quelle: Zoomin.TV

„Europa fällt derzeit im globalen Wettbewerb zurück“, bestätigt Armin Schmiedeberg, Partner und Industrieexperte bei der Beratungsgesellschaft Bain & Company, mit Verweis auf die Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik. „Europa behandelt seine Industrie stiefmütterlich – und die USA nehmen sie dankbar auf.“ Der alte Kontinent stecke bereits mitten in einer Deindustrialisierung, in Deutschland etwa lägen die Bruttoinvestitionen schon seit Jahren unter den Abschreibungen. „Es ist schon erschreckend, wie wenig die Weichen in Europa in Richtung Investitionen gestellt werden und wie stark stattdessen der Konsum in den Fokus gerückt ist.“

Zwar betont die Politik regelmäßig die Bedeutung der Industrie, insbesondere in Deutschland, wo der Wertschöpfungsanteil mit 23 Prozent tatsächlich noch vergleichsweise hoch ist. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) loben die Industrie in Reden gerne als wesentlichen Garanten für Wohlstand, Wachstum, Innovationen und zukunftssichere Arbeitsplätze. „Die anschließenden politischen Entscheidungen weisen dann allerdings in eine andere Richtung“, schimpfen mittlerweile viele Firmenchefs in Deutschland.

Barack Obama: „Kommen Sie in die USA“

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wächst bereits die Sorge vor einem Absturz der Bundesrepublik. „Wir haben dieses Land in den vergangenen Jahren leider nicht wetterfest gemacht“, kritisiert BDI-Präsident Ulrich Grillo und listet auf: Die Arbeitsproduktivität trete auf der Stelle, unsinnige Entscheidungen in der Renten- und Sozialpolitik hätten die ohnehin vorhandenen Probleme mit der alternden Bevölkerung noch mal verschärft, die Infrastruktur – egal ob Straßen, Schienen, Brücken oder Energienetze – sei in einem beklagenswertem Zustand. „Und in der Energie- und Klimapolitik verliert die Bundesregierung mittlerweile jeden Bezug zum industriellen Kern unseres Landes“, wetterte Grillo am Rande der weltgrößten Industrieschau, der Hannover Messe.

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Die Beziehung zwischen Angela Merkel und Barack Obama ist wie ein guter Wein: Je älter, desto besser. So zumindest scheint es nach dem Besuch des Präsidenten. Doch mögen sie sich wirklich?

Quelle: Die Welt

Anders die USA. Dort bleibt es nicht allein bei warmen Worten in den Sonntagsreden der Politik, sagen Experten. „Dort bekommen die Unternehmen Unterstützung.“ Und zwar von ganz oben. Präsident Barack Obama etwa warb bei der Eröffnung der Hannover Messe für sein Land. „Wenn Sie eine Produktion aufbauen wollen, suchen Sie sich Amerika aus“, rief er der versammelten Wirtschaftselite im Kuppelsaal des Kongresszentrums von Hannover zu. „Kommen Sie in die USA.“

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Seine Reise in die niedersächsische Landeshauptstadt, ursprünglich allein aus Anlass der Messeeröffnung, gilt als kleine Sensation. Nie zuvor hat ein US-Präsident die mittlerweile 69 Jahre alte Industrieschau besucht. Und jetzt kam Obama gleich mit einer Delegation von fast 1000 Leuten, darunter Politiker, Firmenchefs und Wirtschaftsförderer. „Wir wollen ein Zeichen setzen und das Thema Industrie und Produktion in den USA in den Blickpunkt rücken“, sagte Penny Pritzker, die Handelsministerin der USA, die über eine halbe Woche in Hannover verbracht hat.

Die USA locken mit mehreren Vorteilen

„Select USA“ heißt das entsprechende Programm, das hinter den mittlerweile wuchtigen Reindustrialisierungs-Bemühungen der Amerikaner steht. Angetrieben durch die Erfahrungen der Finanzkrise 2008/2009, als Amerikas Dienstleistungsgesellschaft heftig getroffen wurde von den Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten, während Industriestaaten wie Deutschland lediglich eine vergleichsweise kurze Krise durchmachen mussten, setzt die Regierung Obama auf einen Strukturwandel in Richtung Industrie. Mit Erfolg. „Amerika steht auf wie Phoenix aus der Asche“, heißt es etwa in einer Studie des Kreditversicherers Euler Hermes. Und so feiert das verarbeitende Gewerbe in den USA nach Jahrzehnten des Niedergangs mittlerweile ein erstaunliches Comeback.

Quelle: Infografik Die Welt

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen punkten die USA mit niedrigen Energiepreisen, zum anderen mit einem großen Reservoir an Arbeitskräften, und das zu überschaubaren Lohnkosten. Hinzu kommt der große Absatzmarkt mit immerhin 320 Millionen Konsumenten. Noch dazu überbieten sich die einzelnen Bundesstaaten mit zusätzlichen Förderprogrammen und Sonderkonditionen.

Ohio zum Beispiel wirbt mit besonders niedrigen Steuern oder auch finanzieller Unterstützung für Forschungsvorhaben und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wie genau diese Unterstützung aussieht, erklärt Mary Taylor, die Vize-Gouverneurin des Zwölf-Millionen-Einwohner-Staates im Mittleren Westen, potenziellen Investoren höchstpersönlich. Fünf Tage ist sie nach Hannover gereist, um für ihren Staat zu werben. „Es geht darum, Beziehungen aufzubauen. Und dafür ist es wichtig, dass ich persönlich vor Ort bin und zeige, dass wir uns die Zeit nehmen und es ernst meinen mit einer guten Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Verwaltung.“

Der Angriff aus Amerika wird so langsam registriert

Nebenbei hat sie mit dem deutschen Autozulieferer Schaeffler ein Investment von 60 Millionen Dollar vereinbart. „250 Arbeitsplätze werden dadurch geschaffen“, sagt sie begeistert – und überglücklich, den Nachbarstaat Michigan mit der Autostadt Detroit ausgebootet zu haben.

Quelle: Infografik Die Welt

Denn der Wettbewerb unter den Staaten ist groß: Auf der Hannover Messe präsentierten sich Dutzende mit eigenen Ständen, sogar einzelne Städte wie Charlotte in North Carolina werben um Investoren. Und das mit kreativen Ansätzen. „Wissend, dass es keinen besseren Eisbrecher gibt als ein kaltes Bier, hat unsere 19-köpfige Delegation 13.440 Flaschen nach Hannover mitgebracht“, heißt es etwa in einem Schreiben der Charlotte Regional Partnership.

BDI-Präsident Grillo hofft nun, dass der wuchtige und aggressive Auftritt der Amerikaner in Hannover die Politik in Deutschland und Europa wachrüttelt. „Es ist schon komisch, wenn erst ein Obama kommen muss, um darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig die Industrie ist.“ Er mache das in seiner Funktion schon seit drei Jahren. „Das hilft aber offenbar nicht.“

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Beleidigt gibt er sich deswegen aber nicht: „Ich bin dankbar für jede Unterstützung.“ Und dass der Angriff aus Amerika so langsam registriert wird, zeigt die Reaktion der Kanzlerin, die Obama bei der Messeeröffnung gleich mal Contra gegeben hatte: „Wir lieben den Wettbewerb. Aber wir gewinnen auch gerne.“

Voestalpine bekam auch gleich einen eigenen Tiefseehafen

Den Kampf um das 550-Millionen-Investment von Voestalpine hat Europa hingegen verloren. Dabei war die Chance da. „Wir hätten sehr gerne in Europa investiert“, versichert Konzernchef Eder, der aktuell auch Präsident des Weltstahlverbandes Worldsteel ist. „Wenn ich in den USA industriell investieren will, kommen aber sofort zehn bis 15 Bundesstaaten mit Vorschlägen und Angeboten.

In Europa dagegen winken potenzielle Standorte von vornherein ab und verfallen in eine seltsame Abwehrhaltung.“ In Texas hat der Stahlkonzern am Ende ein zwei Quadratkilometer großes Grundstück erworben, sogar mit eigenem Tiefseehafen. „In Europa hätte man uns bei solchen Wünschen nicht mal zum Gespräch eingeladen.“

Eder ist sich daher sicher, dass die USA die angestrebte Reindustrialisierung schaffen werden. „Zum einen haben sie durch die Lehman-Pleite verstanden, dass eine reine Dienstleistungsgesellschaft in der Krise gefährlich ist. Zum anderen merken sie, dass man über das produzierende Gewerbe die Arbeitslosigkeit strukturell reduzieren kann. Also verwenden sie alle Kraft darauf, sich entsprechend aufzustellen.“ Europa hingegen müsse die Bedeutung der Industrie erst wieder neu begreifen, fürchtet Eder. „Ansonsten ist der Wohlstand mittelfristig gefährdet.“

Die Amerikaner sind nicht abhängig von TTIP

Experte Schmiedeberg kann Eders Haltung gut verstehen. „Die Standortwahl in Europa gleicht mittlerweile einem Spießroutenlauf“, sagt der Bain-Berater. Also folge die Industrie der Nachfrage, anstatt wie das Kaninchen vor der Schlange auf den eigenen Niedergang zu warten. Schmiedeberg empfiehlt dabei den Gang nach Amerika. „Während in der vergangenen Dekade alle gen Osten auf die asiatischen Märkte geschaut haben, ist es nun Zeit für einen Perspektivenwechsel. Denn ein wiedererstarktes Amerika kann für die deutschen Unternehmen laut Schmiedeberg auch große Vorteile haben, insbesondere für die Fabrikausrüster.

Die Vorbehalte der Deutschen gegen TTIP

„Die Deutschen haben sich in den letzten Jahren hysterisch da hineingesteigert.“ Das sagt Andreas Kluth, Deutschland-Korrespondent beim "The Economist", über die Vorbehalte der Deutschen gegen TTIP.

Quelle: Die Welt

Tatsächlich sind die USA gerade erst zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner aufgestiegen – zum ersten Mal seit 55 Jahren. Präsident Obama reicht das aber nicht aus. „Wir sind bereit, noch mehr Geschäfte mit Europa zu machen“, sagt er. Und das Potenzial ist da. Laut BDI gibt es rund 50 Millionen kleine und mittelgroße Unternehmen in Europa. Aber nur 260.000 davon haben bereits transatlantische Handelsbeziehungen.

Die Lösung für mehr Handel heißt auf beiden Seiten TTIP. Das Freihandelsabkommen ist allerdings umstritten, insbesondere in Europa. Ob es wie angestrebt bis zum Jahresende eine Verhandlungslösung gibt, bleibt unklar. Den Amerikanern ist das zwar nicht egal. Das zeigt das intensive Werben von Obama und seiner Delegation auf der Hannover Messe.

Die USA sind aber in einer durchaus komfortablen Position. Denn das Abkommen Trans-Pacific Partnership (TPP) mit den Anrainerstaaten des Pazifiks, also beispielsweise Australien, Kanada und Chile oder Japan, Malaysia und Mexiko ist ausgehandelt. Zusammen stehen sie für rund 40 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. „Europa steht vor der Wahl: Mit TTIP wird man zum Standardgeber, ohne TTIP müssen in Zukunft fremde Standards übernommen werden“, prognostiziert Schmiedeberg.

Merkel spricht vom „transatlantischen Schulterschluss“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt in Hannover: “Die drängendsten Fragen der sicherheitspolitischen Agenda wollen wir in einem engen transatlantischen Schulterschluss bewältigen.“

Quelle: Die Welt

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