Wikipedia berät über Distanzierung von Fotolizenz-Abzockern

Seite 2: Abzocker

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Dennoch versendet eine Handvoll solch vermeintlich freigiebiger Wikipedia-Fotografen "Rechnungen" bzw. Forderungsschreiben und -E-Mails an Nutzer, die den Fotografennamen oder die Lizenzbedingungen nicht in gewünschter Weise angeben. In diesen Schreiben behaupten die Wikipedia-Fotografen angeblich juristisch durchsetzbare Schadensersatzforderungen. Dabei präsentieren sich solche Herrschaften durchweg als scheinbar professionelle Fotografen, verweisen zur Berechnung ihrer vermeintlichen Ansprüche auf die (nur für professionelle Fotografen anerkannten) Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing e.V. und drohen mit weiteren Kosten durch Anwälte. Und weil sie natürlich keine Unmenschen sind, offerieren Sie für den Fall sofortiger Zahlung "großzügig" Nachlässe. Schnäppchen!

Diese vorgeblich "professionellen Fotografen" sind jedoch in den seltensten Fällen wirklich Berufsfotografen und verdienen insbesondere mit ihren unter Creative-Commons-Lizenzen verbreiteten Fotos nicht auf konventionelle Weise Geld. Die meisten dieser Fotografen haben in diesem Meisterberuf keine Lehre absolviert und besitzen gerade einmal eine Kamera, mit der sie im Wesentlichen draußen auf alles draufhalten. Ursprünglich konnte man den Amateurstatus trotz pompöser Homepages leicht erkennen, weil diese Wikipedianer keine Umsatzsteuer berechneten, ihr Gewerbe nicht bei der IHK gemeldet hatten oder nicht einmal eine Telefon- oder Fax-Nummer auf ihren Websites und Briefköpfen preisgaben. Seitdem sie hierzu 2014 vor Gericht befragt wurden, stimmt bei den meisten inzwischen wenigstens die Inszenierung.

Keinem dieser angeblich professionellen Wikipedia-Fotografen ist bisher vor Gericht ein überzeugender Beweis gelungen, dass sie außerhalb dieses Abzockmodells mit ihrer unter Creative Commons gestellten Kunst nennenswert Geld verdient hätten. Ein langjährig bekannter Lizenznachforderer war oder ist in Wirklichkeit im Hauptberuf Beamter bei der Stadt Büdingen. Ein besonders forscher Lizenzeinforderer, Herr Dirk Vorderstraße, ist im Hauptberuf bei der Bundesagentur für Arbeit in Hamm beschäftigt.

Auch der wohl teuerste Anbieter dieses Abzockmodells, Herr Thomas "TW-Photomedia" Wolf, hat ausweislich seiner mageren Beweisangebote im konventionellen Absatzwettbewerb offenbar kein so richtiges Glück. Wolf hat inzwischen seiner laufenden Vorgangsnummer zufolge ca. 1.200 seiner oft vierstelligen Forderungsschreiben verschickt (inzwischen ca. 500 pro Jahr). So konfrontierte Wolf letztes Jahr eine allein erziehende Hartz4-Empfängerin mit angeblichen Schulden von 7.500,- €, die bei zwei Fotos die Angaben schuldig geblieben war. Eine Firma soll ihm für drei genutzte Bilder 8.827,50 € schulden.

Rechtsunsicherheit

Das Geschäft der Wikipedia-Foto-Abzocker lief jahrelang unbeschwert, da die Forderungen Rechtslaien plausibel erschienen. Wer sich von den bemerkenswert arroganten Schreiben nicht einschüchtern ließ, bekam schon einmal teure anwaltliche Abmahnungen und Unterlassungsklagen, denen dann offenbar außergerichtliche Einigungen über den angeblichen Lizenzschaden folgten.

Doch die Herren Vorderstraße und Wolf kriegten den Hals nicht voll und wollten ihre vermeintlichen Ansprüche sogar vor Gericht durchsetzen. Die Richter waren sich allerdings schnell einig, dass Werke, die ein Urheber grundsätzlich unter einer kostenfreien Creative Commons-Lizenz freigibt, wohl dramatisch geringere Preise realisieren als solche, die nur professionell lizenziert werden, zumal den Klägern der insoweit erforderliche Status als professioneller Fotograf fehlte. Und so konnten die Wikipedia-CC-Knipser 2014 und 2015 an den Amtsgerichten Bochum und München nur einen Bruchteil der aufgerufenen Beträge erwirtschaften, etwa 15% - wohl 15% zu viel, wie sich zeigen sollte.

Vorderstraße endete in Berlin

Auch die Berliner Gerichte erhielten 2014 Gelegenheit, dieses fragwürdigen Geschäftsmodell zu kommentieren, als ein Wikipedia-Fotograf vergeblich versuchte, einem Blogger die Beschimpfung als "Abzocker" verbieten zu lassen. Die Richter waren jedoch der Ansicht, dass man die Drohung mit Anwaltskosten "getrost als Abzocken" bezeichnen dürfe. Sie bezeichneten die Urheberrechtsverletzung als "unbedeutend" und "Bagatelle" und "nicht selten vom Berechtigten herausgefordert", das Geschäftsmodell erscheine "hinterhältig". Das urheberrechtliche Interesse des Urhebers an der Benennung seines Namens bei weiterer Verwendung seines Fotos werde "aus Sicht der Internetnutzer nicht sehr gewichtig sein, wenn schon bei der eigenen Veröffentlichung des Fotos durch den Fotografen oder den Berechtigten eine derartige Namensangabe fehlt". Die Forderungen seien als "stark überhöht zu bewerten".

Das Berliner Kammergericht äußerte auch Zweifel an einer "Berechtigung der Drohung mit den hohen Kosten [...] zusätzliche[r] anwaltliche[r] Abmahnungen" und verwies auf die BGH-Entscheidung zur missbräuchlichen Mehrfachabmahnung. Das Verhalten des Abzockers sei als "systematisch" zu würdigen und lasse den Schluss zu, er wolle "sorglosen Internetnutzern eine Kostenfalle stellen". Bei kostenlosen Inhalten insbesondere in der Wikipedia, wo Inhalte grundsätzlich übernommen werden dürften, werde die Aufmerksamkeit der Internetnutzer häufig gering sein. Die Lizenzforderung sei daher "im Hinblick auf die fehlende Urheberbenennung im Wikipedia-Artikel überraschend und widersprüchlich".

Insgesamt könne das Verhalten des Abzockers dahin gewertet werden, "dass es ihm - angesichts des Inhalts seiner Forderungsschreiben - weniger oder gar nicht um eine Durchsetzung der Urheberbenennung (und der Lizenzangabe) geht (derartiges wird in den Forderungsschreiben für die Zukunft gar nicht gefordert), als vielmehr um die Durchsetzung einer Zahlungsforderung aus Anlass einer eher geringfügigen Urheberrechtsverletzung geht" (Beschlüsse Landgericht Berlin, 27 O 452/14, Kammergericht 5 W 356/14).

Wolfsjagd

Eines Tages legte sich Herr Wolf mit einer Kölnerin an, die sich gerade auf dem Jacobsweg befand, als ihr die Tochter am Telefon verstört von einer Forderung über knapp 5.310,38 € für die Nutzung eines unter CC-BY-SA-3.0 gestellten Bildchens berichtete. Die resolute Kölnerin brach die Pilgerreise ab und strengte gegen Wolf eine negative Feststellungsklage an, in der rechtskräftig festgestellt wurde, dass Wolf jedenfalls nicht mehr als 100,- € hätte verlangen dürfen - also nicht einmal 2%. Als die Tochter vor Gericht Herrn Wolf anfauchte, flüchtete dieser panisch aus dem Saal - zum Amüsement der Zuschauer, unter denen sich weitere Forderungsempfänger befanden.

Andere wehrten sich ebenfalls. Derzeit kann Herr Wolf an Amts- und Landgericht Köln gerade einmal auf 50,- € Lizenzschaden pro Bild plus 100%-Aufschlag hoffen. Konsequenter sieht es jedoch seit letztem Jahr das Oberlandesgericht Köln: Wer seine Bilder kostenlos lizenziert, definiert damit deren wirtschaftlichen Wert bei 0,- €. "Der Kläger hat sein Lichtbild sowohl für kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Nutzungen, d.h. insgesamt kostenlos zur Verfügung gestellt, so dass nicht ersichtlich ist, welchen wirtschaftlichen Sinn eine weitere entgeltliche Lizenzierung daneben haben könnte." Dann aber kann Herr Wolf auch keinen höheren Schaden als 0,- € begründen. Tatsächlich ist wohl noch nie an einem unter CC BY-SA 3.0 lizenzierten Foto jemals auf konventionelle Weise Geld verdient worden, denn niemand gibt für etwas Geld aus, das er umsonst haben kann. Auch das Amtsgericht Frankfurt schickte letztes Jahr einen Wikipedia-Fotografen mit einem Lizenzanspruch von 0,- € nach Hause.

Trotz durchgehender Niederlagen vor Gericht machen die geschäftstüchtigen Wikipedia-Fotografen einfach weiter. Da inzwischen anderen Abzockopfern ebenfalls der Kragen geplatzt ist, sind gegen Wolf etliche negative Feststellungsklagen anhängig. Veranschlagt man für jede der über 1.200 Rechnungen bzw. Forderungsschreiben einen Ertrag von 500,- €, hätte der noch relativ junge Herr Wolf allerdings bereits über eine halbe Million Euro erwirtschaftet und zahlt die Prozesskosten wohl aus der Portokasse. Eng könnte es allerdings werden, wenn frühere Abzockopfer ihre Lizenzzahlungen zurückverlangen …

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