New Yorker MoMA

Kraftwerk gehören ins berühmteste Museum der Welt

Von Dirk Peitz
Veröffentlicht am 13.04.2012Lesedauer: 6 Minuten

Die bedeutendste deutsche Popgruppe stellt im New Yorker MoMA ihre große Retrospektive vor. Dabei haben die Menschmaschinen schon vor zwanzig Jahren begonnen, sich selbst zu historisieren.

Good night, see you tomorrow“, sagt Ralf Hütter am Ende und schaut zum ersten Mal wirklich hoch von seinem Pult, hinein ins Atrium des Museum of Modern Art. Er verzieht keine Miene, natürlich nicht, hat er nie, aber zufrieden sieht er schon aus, ein wenig erschöpft vielleicht auch, Hütter ist mittlerweile 65 Jahre alt, die letzte originale Menschmaschine der bedeutendsten deutschen Popgruppe aller Zeiten, der verbliebene Kopf der Vordenker-Band fast all dessen, was in den letzten knapp vier Jahrzehnten elektronische Musik war.

Dann geht Hütter ab, so wie seine Kollegen einzeln zuvor, Stefan Pfaffe, Henning Schmitz, Fritz Hilpert. Kraftwerk. Oder das, was davon übrig blieb. Was bleibt: Das ist letztlich die Grundfrage, die ein Museum immer wieder von neuem beantwortet, schon gar das wohl berühmteste der Welt, jedenfalls bedeutendste für moderne Kunst.

Kopfhörer an der Wand

Mit jeder Ausstellung tut es das, und dass sich künstlerisches Schaffen nicht notwendigerweise materialisieren muss in Bildern, Skulpturen, Fotografien, in Werken, die man an Wände hängt oder in Räume stellt – das ist seit Jahrzehnten nicht mehr Gegenstand der Debatte. Jedenfalls keiner interessanten. Also nun: Popmusik.

Wie aber sieht nun die „Retrospektive“ einer Popgruppe aus? Ausstellen lässt sich ja im herkömmlichen Sinne nur alles Außermusikalische, das grafische, filmische, multimediale Beiwerk zum Eigentlichen, der Musik, schlimmstenfalls die Devotionalien von Popstar-Leben. Oder man hängt Kopfhörer an die Museumswand, auf denen dann das Eigentliche in Endlosschleife läuft, die Musik.

Die Wand mit den Kopfhörern gibt es schon auch im Museum of Modern Art, am Zugang zum Atrium sind die acht Alben aufgereiht, die Kraftwerk heute offenbar als ihr Kernschaffen begreifen, von „Autobahn“ (1974) bis „Tour de France“ (2003); die drei Kraftwerk-Alben vor „Autobahn“ bleiben ausgespart.

Wie ein Atelierbesuch

Die übrigbleibenden nun werden  an eben acht aufeinanderfolgenden Abenden von Kraftwerk in eben jenem Atrium live zur Aufführung gebracht, in chronologischer Reihenfolge der einstigen Plattenveröffentlichung, komplett und in exakt der ursprünglichen Liedabfolge, A-Seite, B-Seite, grafisch begleitet von 3-D-Animationen. Man könnte die MoMA-Auftritte Kraftwerks auch Konzerte nennen.

Nein, sagt Klaus Biesenbach, Leiter des MoMA-Ablegers PS1, „Chief Curator at Large“ am MoMA selbst und dort Direktor der Abteilung für Medien- und Performance-Kunst. Fünf Jahre Vorbereitungszeit hat Biesenbach diese Retrospektive abverlangt, nun sitzt er offenkundig angespannt eine halbe Stunde vor Beginn der „Autobahn“-Aufführung in einem Nebenraum des Museumsrestaurants, gemeinsam mit einer Vertreterin von Volkswagen.

Denn ohne die Unterstützung des Autokonzerns und MoMA-Großsponsors hätte es diesen und die weiteren sieben Abende wohl nie gegeben, mithin diesen Text auch nicht. Kraftwerk sind teuer, in jedem Sinne. Es sei, sagt Biesenbach, ein Art Atelierbesuch, den die Gruppe im MoMA den Zuschauern gewähre.

Kraftwerk sind museumsreif

Deren Zahl wurde schon aus Platz-, vor allem wohl aber Sicherheitsgründen streng begrenzt auf wenige Hundert. Für acht Abende also, sagt Biesenbach, privatisiere man den ansonsten öffentlichen Raum des Museums, um eine Werkschau zu ermöglichen, einen umfassenden Blick auf das, was er ein „Gesamtkunstwerk“ nennt, Kraftwerk. Und wie bei jedem anderen Künstler auch komme das Museum hier einer Grundaufgabe nach: Es zwinge die Schöpfer ihrer Werke zu deren völliger Neubetrachtung.

Ob Kraftwerk aber dazu bereit sind, ist die spannendste Frage des ersten Abends. Denn eigentlich hat die Gruppe mit ihrer Selbsthistorisierung schon vor mehr als zwanzig Jahren begonnen, als sie jahrelang nichts anderes tat, als ihre ursprünglich analogen Aufnahmen allesamt Spur für Spur, Ton für Ton zu digitalisieren. Um sie vorderhand für das Remixalbum „The Mix“ (1991) und für Live-Auftritte vollständig computertechnisch abrufbar zu machen.

Doch recht eigentlich machten Kraftwerk damit nicht nur ihr Arbeitsmaterial, sondern ihr ganzes Werk auch: museumsreif. Das bislang letzte Studioalbum „Tour de France“ von 2003 schloss vor allem einen offengebliebenen Werkkomplex zum großen Kraftwerk-Thema Radfahren.

Sie arrangieren ihre Stücke neu

Seit „The Mix“ tun Kraftwerk im Grunde also nichts anderes als ein Software-Hersteller, der seine Programme regelmäßig updatet und um neue Features erweitert, um neue Benutzeroberflächen, neue Medienkanäle. Doch Inhalt und Gebrauch bleiben konsumentenfreundlich gleich.

Als die Gruppe dann schließlich auf der Bühne im Atrium des Museum of Modern Art erscheint, pünktlich Deutsch fünf Minuten zu früh, beginnt sie nicht mit „Autobahn“. Sondern mit der neuarrangierten englischsprachigen Version des drei Jahre jüngeren Hits „Die Roboter“, so als wollte sie sich noch mal vorstellen.

Erst dann folgen die fünf Stücke des „Autobahn“-Albums, in gestraffter, modernisierter, neuarrangierter Form, gerade das epische Titellied wird eingekürzt, von den ursprünglichen 22.43 Minuten auf kaum zehn. Und die vier weiteren Stücke, die schon 1974 eher darauf verwiesen, woher Kraftwerk kamen, aus dem hippiesken Krautrock, denn wohin sie gehen würden, nach vorne zurück in den Maschinenraum der Futuristen, zur ewigen Fortbewegung, Auto und Eisenbahn, später Roboter und Computer: Die sind auch recht schnell abgehandelt.

Die grafische Umsetzung wirkt

„Autobahn“, das Lied, da hat Klaus Biesenbach völlig recht, funktioniert heute vor allem als multimediale Installation, als lautmalerische wie grafische Erinnerung an eine längst untergegangene Utopie namens Bundesrepublik, auf deren schönsten Straßen die Autos von VW und Mercedes ohne Tempolimit oder Ampeln durch eine leere, verheißungsvolle Landschaft glitten.

Das Albumgemälde, das einst der Kraftwerk-Hausgrafiker Emil Schult entworfen hat, wird nun dreidimensional animiert und fortentwickelt, es ist, weit mehr als die musikalische Umsetzung des Liedes an diesem New Yorker Abend, Teil der heutigen Überlieferung Kraftwerks: Früher war die Zukunft irgendwie zukunftsträchtiger.

Kraftwerk sollten im Museum bleiben

Was auf das „Autobahn“-Album folgt, ist eine Durchsicht der Höhepunkte des späteren Kraftwerk-Schaffens, eine Art Best-Of, von „Radioaktivität“ über „Trans Europa Express“ und „Computerliebe“ bis „Musique Non-Stop“ – alles chronologisch auch hier, meist in den englischsprachigen Versionen vorgetragen, die grafische Umsetzung ist nicht neu, aber sie wirkt.

Das Universum Kraftwerk wird auserzählt, es ist ja in sich ausformuliert und das auch schon lange, doch das hat noch niemanden daran gehindert, mit dem Erzählen aufzuhören. Warum auch. Was also bleibt nach diesem ersten MoMA-Abend von Kraftwerk? Eine Popgruppe, die ins Museum gehört, im besten Sinne. In dieses, das berühmteste der Welt. So konzentriert und nah und vollkommen bei sich wird man Kraftwerk wohl nie wieder sehen können, eine Erinnerung an die Zukunft. Schon deshalb sollten sie für immer dort bleiben und spielen, im Museum, in diesem.

Museum of Modern Art, bis 17. April


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