Language of document : ECLI:EU:C:2021:1050

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Kammer für die Zulassung von Rechtsmitteln)

10. Dezember 2021(*)

„Rechtsmittel – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Zulassung von Rechtsmitteln – Art. 170b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Antrag, in dem die Bedeutsamkeit einer Frage für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts dargetan wird – Zulassung des Rechtsmittels“

In der Rechtssache C‑382/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 23. Juni 2021,

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Hanf, D. Gája, E. Markakis und V. Ruzek als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

The KaiKai Company Jaeger Wichmann GbR mit Sitz in München (Deutschland),

Klägerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Kammer für die Zulassung von Rechtsmitteln)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) und des Richters N. Wahl,


Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des Vorschlags der Berichterstatterin und nach Anhörung der Generalanwältin T. Ćapeta

folgenden

Beschluss

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 14. April 2021, The KaiKai Company Jaeger Wichmann/EUIPO (Turn‑ oder Sportgeräte und ‑artikel) (T‑579/19, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:186), mit dem das Gericht die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 13. Juni 2019 (Sache R 573/2019‑3) über die Anmeldung von Turn- oder Sportgeräten und ‑artikeln als Gemeinschaftsgeschmacksmuster, für die das Prioritätsrecht einer internationalen Patentanmeldung nach dem am 19. Juni 1970 in Washington geschlossenen und zuletzt am 3. Oktober 2001 geänderten Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (United Nations Treaty Series, Bd. 1160, Nr. 18336, S. 231) beansprucht wird, aufgehoben hat.

 Zum Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels

2        Nach Art. 58a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union entscheidet der Gerichtshof vorab über die Zulassung von Rechtsmitteln gegen eine Entscheidung des Gerichts, die eine Entscheidung einer unabhängigen Beschwerdekammer des EUIPO betrifft.

3        Gemäß Art. 58a Abs. 3 der Satzung wird ein Rechtsmittel nach den in der Verfahrensordnung des Gerichtshofs im Einzelnen festgelegten Modalitäten ganz oder in Teilen nur dann zugelassen, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufgeworfen wird.

4        Art. 170a Abs. 1 der Verfahrensordnung sieht vor, dass der Rechtsmittelführer in den Fällen des Art. 58a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs seiner Rechtsmittelschrift einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels als Anlage beizufügen hat, in dem er die für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage darlegt, die mit dem Rechtsmittel aufgeworfen wird, und der sämtliche Angaben enthalten muss, die erforderlich sind, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, über diesen Antrag zu entscheiden.


5        Gemäß Art. 170b Abs. 1 und 3 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels so rasch wie möglich durch mit Gründen versehenen Beschluss.

 Vorbringen des Rechtsmittelführers

6        Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) rügt.

7        Dieser Rechtsmittelgrund besteht aus drei Teilen.

8        Mit dem ersten Teil macht der Rechtsmittelführer dem Gericht zum Vorwurf, in den Rn. 56 und 57 sowie 64 bis 66 des angefochtenen Urteils zu Unrecht angenommen zu haben, dass es eine Gesetzeslücke darstelle, dass in Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 ein Patent als Prioritätsgrundlage für ein späteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht vorgesehen sei. Dieser Umstand spiegelt nach Ansicht des Rechtsmittelführers in Wirklichkeit die Entscheidung des Unionsgesetzgebers wider, Prioritätsansprüche allein auf ältere Geschmacksmuster oder Gebrauchsmuster zu beschränken.

9        Aus dem Wortlaut von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 gehe nämlich eindeutig hervor, dass er sowohl die Arten der gewerblichen Schutzrechte festlege, auf die ein Prioritätsanspruch gestützt werden könne, nämlich ein älteres Geschmacks ‑ oder Gebrauchsmuster, als auch die Länge der Frist, innerhalb deren eine solche Priorität beansprucht werden könne, nämlich sechs Monate ab dem Tag der ersten Anmeldung. Dass diese Bestimmung nicht auf Patentanmeldungen Bezug nehme, müsse als deren notwendiger Ausschluss verstanden werden. Zwar könne eine nach der am 20. März 1883 in Paris unterzeichneten, zuletzt in Stockholm am 14. Juli 1967 revidierten und am 28. September 1979 geänderten Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (United Nations Treaty Series, Bd. 828, Nr. 11851, S. 305, im Folgenden: Pariser Verbandsübereinkunft oder PVÜ) eingereichte internationale Anmeldung ein Prioritätsrecht nach Art. 41 der Verordnung Nr. 6/2002 begründen, dies gelte aber nur, soweit eine solche Anmeldung ein Gebrauchsmuster zum Gegenstand habe.

10      Mit dem zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe durch die Anerkennung eines Prioritätsrechts von zwölf Monaten in den Rn. 75 bis 86 des angefochtenen Urteils Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht einfach im Einklang mit Art. 4 PVÜ ausgelegt, da eine solche konforme Auslegung nicht so weit erstreckt werden könne, dass eine Prioritätsfrist gewährt werde, die in einer eindeutigen und unbedingten Bestimmung des Unionsrechts nicht vorgesehen sei. Mithin habe das Gericht in Wirklichkeit in den genannten Randnummern Art. 41 der Verordnung Nr. 6/2002 unangewendet gelassen und ihn durch Art. 4 PVÜ ersetzt. Dadurch habe das Gericht Art. 4 PVÜ unmittelbare Wirkung verliehen. Allerdings erfülle Art. 4 PVÜ zum einen nicht die von der sich insbesondere aus dem Urteil vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a. (C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 45) ergebenden Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen im Bereich der unmittelbaren Anwendbarkeit des Völkerrechts im Unionsrecht, wonach die betreffende Bestimmung klar, genau und unbedingt sein müsse. Zum anderen verstoße die Anerkennung einer solchen unmittelbaren Wirkung von Art. 4 PVÜ gegen Art. 25 PVÜ und stehe im Widerspruch zu der aus dem Urteil vom 25. Oktober 2007, Develey/HABM (C‑238/06 P, EU:C:2007:635, Rn. 37 bis 44) hervorgegangenen Rechtsprechung, wonach im Wesentlichen Art. 4 PVÜ keine unmittelbare Wirkung habe.

11      Mit dem dritten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 durch eine falsche Auslegung von Art. 4 PVÜ ersetzt zu haben. Entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 77 bis 84 des angefochtenen Urteils stelle nämlich die Pariser Verbandsübereinkunft keine allgemeine Regel auf, der zufolge die Art des älteren Rechts die Dauer des damit verbundenen Prioritätsrechts bestimme. Die allgemeine Regel sehe vielmehr vor, dass die frühere, das Prioritätsrecht begründende Anmeldung den gleichen Gegenstand haben müsse wie die spätere Anmeldung. Nur im Wege einer Ausnahme sehe Art. 4 Abschnitt E Abs. 1 PVÜ vor, dass eine Anmeldung, die ein Gebrauchsmuster zum Gegenstand habe, ein Prioritätsrecht für eine spätere Anmeldung eines Geschmacksmusters begründen könne, die mithin einen anderen Gegenstand als die frühere Anmeldung habe. Daher entbehre die Schlussfolgerung des Gerichts, wonach die Frist für die Inanspruchnahme der Priorität einer Patentanmeldung für eine spätere Anmeldung eines Geschmacksmusters zwölf Monate betrage, der Rechtsgrundlage.

12      Zur Stützung seines Antrags auf Zulassung des Rechtsmittels trägt der Rechtsmittelführer vor, dass sein einziger Rechtsmittelgrund eine für die Einheit, die Kohärenz und die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufwerfe.

13      Insoweit führt er erstens aus, dass die Auswirkungen der fehlerhaften Auslegung von Art. 4 PVÜ über den Rahmen des Geschmacksmusterrechts hinausgingen. In Anbetracht des allgemeinen Charakters des in den Rn. 77 bis 80 und 85 des angefochtenen Urteils aufgestellten Grundsatzes, wonach die Art des älteren Rechts für die Bestimmung der Dauer der Prioritätsfrist entscheidend sei, sei dieser Grundsatz geeignet, sich auf die Regeln für die Gewährung von Prioritätsansprüchen für andere Rechte des geistigen Eigentums als Geschmacksmuster, wie etwa Unionsmarken, auszuwirken.

14      Zweitens erstrecke sich die Auswirkung der fehlerhaften Auslegung von Art. 4 PVÜ zum einen auf den Unionsgesetzgeber, der diese nicht durch eine Änderung der Verordnung Nr. 6/2002 oder anderer Rechtsvorschriften der Union über Prioritätsansprüche entkräften könne, sowie zum anderen auf die Mitgliedstaaten, die alle Vertragsparteien der Pariser Verbandsübereinkunft seien und, wie aus dem Urteil vom 16. Juni 1998, Hermès (C‑53/96, EU:C:1998:292, Rn. 32) hervorgehe, kraft Unionsrecht an diese Übereinkunft in der Auslegung des Unionsrichters gebunden seien.

15      Drittens stelle die durch das Gericht erfolgte Anerkennung des Rechts eines Einzelnen, sich für Prioritätsansprüche unmittelbar auf Bestimmungen der Pariser Verbandsübereinkunft zu berufen, einen Präzedenzfall für künftige Fälle dar und beschränke den Handlungsspielraum des Unionsgesetzgebers in diesem Bereich. Daher sei eine Entscheidung des Gerichtshofs erforderlich, um Art und Umfang der Verpflichtungen zu bestimmen, welche die Pariser Verbandsübereinkunft der Union und den Mitgliedstaaten auferlege.

16      Viertens greife das angefochtene Urteil dadurch, dass es Art. 4 PVÜ unmittelbare Wirkung verleihe und damit von der Rechtsprechung des Gerichtshofs abweiche, nicht nur in das institutionelle Gleichgewicht der Union und in die Autonomie ihrer Rechtsordnung ein, sondern habe auch systemwidrige Auswirkungen, die den Zielen der Pariser Verbandsübereinkunft und des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1 C des Übereinkommens von Marrakesch zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), das durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986‑1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt wurde, zuwiderliefen.

17      Zum einen schaffe das angefochtene Urteil eine ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Anmeldungen von Geschmacksmustern, die ein Prioritätsrecht von sechs Monaten eröffneten, und Patentanmeldungen, die ein Prioritätsrecht von zwölf Monaten eröffneten; dies könne die Wirtschaftsteilnehmer veranlassen, zuerst Patentanmeldungen einzureichen, um die in Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 vorgesehene sechsmonatige Frist für Geschmacksmusteranmeldungen zu umgehen.

18      Zum anderen führe das angefochtene Urteil zu Rechtsunsicherheit und fehlender Reziprozität in bestimmten Drittstaaten. Der Rechtsmittelführer nennt als Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika, wo gewerbliche Muster oder Modelle im Rahmen des Patentrechts geschützt würden (design patent). Sollte die Art des älteren Rechts für die Länge der Prioritätsfrist ausschlaggebend sein, könnten jedoch Anmelder eines design patent in den Vereinigten Staaten hinsichtlich eines späteren Gemeinschaftsgeschmacksmusters von einer zwölfmonatigen Prioritätsfrist profitieren, während Anmeldern von Gemeinschaftsgeschmacksmustern für eine spätere Anmeldung eines design patent lediglich eine sechsmonatige Frist gewährt würde.


19      Fünftens könne das angefochtene Urteil zu einem Ungleichgewicht bei der materiellen Prüfung der Neuheit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters führen, da es den Zeitraum, in dem nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 die Offenbarung durch den Anmelder selbst nicht berücksichtigt werden dürfe, wenn die Inanspruchnahme der Priorität auf einer Patentanmeldung beruhe, von 18 auf 24 Monate erstrecke.

 Würdigung durch den Gerichtshof

20      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es Sache des Rechtsmittelführers ist, darzutun, dass die mit seinem Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsam sind (Beschluss vom 24. Oktober 2019, Porsche/EUIPO, C‑613/19 P, EU:C:2019:905, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Außerdem muss, wie sich aus Art. 58a Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 170a Abs. 1 und Art. 170b Abs. 4 der Verfahrensordnung ergibt, der Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels sämtliche Angaben enthalten, die erforderlich sind, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, über die Zulassung des Rechtsmittels zu entscheiden und im Fall der teilweisen Zulassung des Rechtsmittels dessen Gründe oder Teile zu bestimmen, auf die sich die Rechtsmittelbeantwortung beziehen muss. Da der Mechanismus der vorherigen Zulassung von Rechtsmitteln nach Art. 58a der genannten Satzung die Kontrolle durch den Gerichtshof auf die Fragen beschränken soll, die für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsam sind, sind vom Gerichtshof nämlich nur die Gründe im Rahmen des Rechtsmittels zu prüfen, die solche Fragen aufwerfen; diese Gründe müssen vom Rechtsmittelführer dargetan worden sein (vgl. u. a. Beschlüsse vom 24. Oktober 2019, Porsche/EUIPO, C‑613/19 P, EU:C:2019:905, Rn. 14, und vom 11. November 2021, Sun Stars & Sons/EUIPO, C‑425/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:927, Rn. 13).

22      Daher muss ein Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels in jedem Fall klar und genau die Gründe angeben, auf die das Rechtsmittel gestützt wird, ebenso genau und klar die von jedem Rechtsmittelgrund aufgeworfene Rechtsfrage benennen, erläutern, ob diese Frage für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsam ist, und speziell darlegen, warum diese Frage im Hinblick auf das geltend gemachte Kriterium bedeutsam ist. Was insbesondere die Rechtsmittelgründe betrifft, muss der Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels nähere Angaben zu der Bestimmung des Unionsrechts oder der Rechtsprechung enthalten, gegen die durch das mit einem Rechtsmittel angefochtene Urteil oder durch den mit einem Rechtsmittel angefochtenen Beschluss verstoßen worden sein soll, in gedrängter Form darlegen, worin der vom Gericht angeblich begangene Rechtsfehler besteht, und Ausführungen dazu machen, in wie weit sich dieser Fehler auf das Ergebnis des mit einem Rechtsmittel angefochtenen Urteils oder Beschlusses ausgewirkt hat. Ist der gerügte Rechtsfehler das Ergebnis einer Verkennung der Rechtsprechung, muss der Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels in gedrängter Form, aber klar und genau darlegen, erstens, wo der behauptete Widerspruch zu finden ist, indem sowohl die Randnummern des mit dem Rechtsmittel angefochtenen Urteils oder Beschlusses, die der Rechtsmittelführer in Frage stellt, als auch die Randnummern der Entscheidung des Gerichtshofs oder des Gerichts angegeben werden, die missachtet worden sein sollen, und zweitens die konkreten Gründe, aus denen ein solcher Widerspruch eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufwirft (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. Oktober 2019, Porsche/EUIPO, C‑613/19 P, EU:C:2019:905, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vom Rechtsmittelführer angeführten Rn. 56 des angefochtenen Urteils, dass das Gericht davon ausgegangen ist, dass Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 den Fall der Anmeldung eines Geschmacksmusters unter Berufung auf die Priorität einer Patentanmeldung nicht regele und keine Frist für die Inanspruchnahme einer solchen Priorität vorsehe. Wie in der ebenfalls vom Rechtsmittelführer angeführten Rn. 66 des angefochtenen Urteils angegeben ist, diene der Rückgriff auf die Pariser Verbandsübereinkunft vielmehr zur Schließung einer Lücke in der Verordnung, die die Prioritätsfrist, die sich aus einer internationalen Patentanmeldung ergebe, nicht regele. Somit hat das Gericht die Pariser Verbandsübereinkunft ausgelegt und, worauf der Rechtsmittelführer hinweist, in Rn. 85 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Art des früheren Rechts für die Bestimmung der Dauer der Prioritätsfrist maßgebend sei.

24      Erstens ist festzustellen, dass der Rechtsmittelführer seinen einzigen Rechtsmittelgrund genau beschreibt, indem er ausführt, dass das Gericht Art. 41 der Verordnung Nr. 6/2002 falsch dahin ausgelegt habe, dass er eine Lücke im Hinblick auf die Prioritätsfrist für die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters in Bezug auf eine frühere internationale Patentanmeldung enthalte, und diese Lücke geschlossen habe, indem es Art. 4 PVÜ unter Verstoß gegen die einschlägige Rechtsprechung unmittelbare Wirkung beigemessen und diese Bestimmung überdies falsch ausgelegt habe.

25      Was insbesondere das Vorbringen betrifft, das Gericht habe Art. 4 PVÜ im Widerspruch zu der in Rn. 10 des vorliegenden Beschlusses dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 25. Oktober 2007, Develey/HABM, C‑238/06 P, EU:C:2007:635, Rn. 37 bis 44), unmittelbare Wirkung beigemessen, ist hervorzuheben, dass der Rechtsmittelführer erläutert, wo der behauptete Widerspruch zu finden sei, indem sowohl die Randnummern des angefochtenen Urteils als auch die Randnummern der Entscheidung des Gerichtshofs angegeben werden, die missachtet worden sein sollen.

26      Zweitens rügt der Rechtsmittelführer, dass das Gericht entschieden habe, dass Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 eine Prioritätsfrist von zwölf Monaten für ein späteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster zulasse und folglich die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO aufgehoben habe, mit der die Frist für die Inanspruchnahme der Priorität einer internationalen Patentanmeldung auf sechs Monate begrenzt worden sei. Somit geht aus dem Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels klar hervor, dass sich der behauptete Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf das Ergebnis des angefochtenen Urteils auswirkt. Wenn nämlich die Prioritätsfrist anders als vom Gericht angenommen sechs statt zwölf Monate betragen sollte, hätte die Klage abgewiesen werden müssen.

27      Drittens muss der Rechtsmittelführer wegen der ihm als Urheber des Antrags auf Zulassung des Rechtsmittels obliegenden Beweislast dartun, dass sein Rechtsmittel, unabhängig von den darin angesprochenen Rechtsfragen, eine oder mehrere für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Fragen aufwirft, wobei die Tragweite dieses Kriteriums über den Rahmen des angefochtenen Urteils und letztlich über den seines Rechtsmittels hinausgeht (Beschluss vom 4. Mai 2021, Dermavita/EUIPO, C‑26/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:355, Rn. 16).

28      Er muss sowohl dartun, welche Rechtsfragen durch das Rechtsmittel aufgeworfen werden, als auch, inwieweit sie bedeutsam sind, und zwar konkret anhand der Umstände des Einzelfalls und nicht lediglich mit allgemeinen Ausführungen (Beschluss vom 4. Mai 2021, Dermavita/EUIPO, C‑26/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:355, Rn. 20).

29      Zum einen gibt der Rechtsmittelführer an, welche Frage mit seinem einzigen Rechtsmittelgrund aufgeworfen wird, nämlich im Wesentlichen, ob eine etwaige Gesetzeslücke in einem Unionsrechtsakt durch die unmittelbare Anwendung einer Bestimmung des Völkerrechts geschlossen werden kann, die nicht die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, um unmittelbare Wirkung zu entfalten.

30      Zum anderen legt der Rechtsmittelführer die konkreten Gründe dar, aus denen diese Frage für die Einheit, die Kohärenz und die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsam sei.

31      Insoweit hebt der Rechtsmittelführer zunächst hervor, dass die mit seinem Rechtsmittel aufgeworfene Rechtsfrage über dessen Rahmen hinausgehe, da sich die angeblich fehlerhafte Auslegung von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 auf die Zulässigkeit von Prioritätsansprüchen für Gemeinschaftsgeschmacksmuster und auf die Beurteilung der Neuheit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters auswirke. In Bezug auf den letztgenannten Aspekt macht der Rechtsmittelführer konkrete Angaben, um das potenzielle Ungleichgewicht darzutun, das sich aus der Erweiterung des Zeitraums, in dem nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 die Offenbarung durch den Anmelder selbst nicht zu berücksichtigen sei, von 18 auf 24 Monate ergeben würde, wenn die Inanspruchnahme der Priorität auf einer Patentanmeldung beruhe.

32      Sodann führt der Rechtsmittelführer aus, dass sein Rechtsmittel auch über den Rahmen des Gemeinschaftsgeschmacksmusterrechts hinausgehe, da der im angefochtenen Urteil entwickelte Grundsatz geeignet sei, die Regeln für die Gewährung von Prioritätsansprüchen für andere Arten von Rechten des geistigen Eigentums zu bestimmen. In diesem Zusammenhang nennt er konkrete Beispiele für Konsequenzen, die das angefochtene Urteil für Anmelder von Patenten haben könnte, und weist auf die Gefahr der Rechtsunsicherheit und der fehlenden Reziprozität in bestimmten Drittstaaten hin, die sich aus der Anerkennung einer zwölfmonatigen Prioritätsfrist für Gemeinschaftsgeschmacksmuster ergebe, wenn die Inanspruchnahme der Priorität auf einer Patentanmeldung beruhe.

33      Schließlich betont der Rechtsmittelführer die systemwidrigen Auswirkungen der Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung von Art. 4 PVÜ, die die Einheit, die Kohärenz und die Entwicklung des Unionsrechts berührten, da zum einen der Unionsgesetzgeber und die Mitgliedstaaten an die Auslegung dieser Vorschrift durch den Unionsrichter gebunden seien und zum anderen diese Anerkennung den Zielen der Pariser Verbandsübereinkunft und des in Rn. 16 des vorliegenden Beschlusses genannten Übereinkommens zuwiderliefen.

34      Unter Berücksichtigung der vom Rechtsmittelführer vorgebrachten Anhaltspunkte ist festzustellen, dass er mit dem von ihm gestellten Antrag rechtlich hinreichend dartut, dass das Rechtsmittel eine für die Einheit, die Kohärenz und die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufwirft.

35      Nach alledem und in Anbetracht des Umstands, dass das Rechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund gestützt ist, der aus drei miteinander zusammenhängenden Teilen besteht, ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zuzulassen.

 Kosten

36      Nach Art. 170b Abs. 4 der Verfahrensordnung wird das Verfahren gemäß deren Art. 171 bis 190a fortgesetzt, wenn das Rechtsmittel im Hinblick auf die in Art. 58a Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union angeführten Kriterien ganz oder teilweise zugelassen wird.

37      Gemäß Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden.

38      Da dem Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels stattgegeben wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.


Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Kammer für die Zulassung von Rechtsmitteln) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird zugelassen.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 10. Dezember 2021

Der Kanzler

      Der Präsident der Kammer
            für die Zulassung von 
      

Rechtsmitteln

A. Calot Escobar

 

L. Bay Larsen


*      Verfahrenssprache: Deutsch.