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Die Causa Gysi könnte die Linke alles kosten

Sie hält öffentlich zu ihm: Linke-Chefin Katja Kipping im September 2012 mit Fraktionschef Gregor Gysi, gegen den jetzt die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt Sie hält öffentlich zu ihm: Linke-Chefin Katja Kipping im September 2012 mit Fraktionschef Gregor Gysi, gegen den jetzt die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt
Sie hält öffentlich zu ihm: Linke-Chefin Katja Kipping im September 2012 mit Fraktionschef Gregor Gysi, gegen den jetzt die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt
Quelle: dpa
Bei den Ermittlungen gegen ihren Frontmann und Fraktionschef Gregor Gysi geht es für die Linke um weit mehr als um dessen Ruf. Tatsächlich geht es ums politische Überleben der Partei.

Gregor Gysi gab sich gelassen. Nur Stunden nachdem öffentlich geworden war, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen ihn ermittelt, trat der Linke-Fraktionschef bei einer Matinee im Deutschen Theater auf, den Arm bandagiert. Dort plauderte er locker mit der Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard über Zebrafische, Embryologie und Frauenquoten. Über die Ermittlungen gegen ihn verlor er kein Wort. Seither ist er aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der Grund: eine Operation an der Schulter aufgrund eines Skiunfalls.

Umso lauter melden sich andere zu Wort. Parteichefin Katja Kipping bezeichnete die neuerlichen Stasi-Vorwürfe als Kampagne gegen die Ostdeutschen insgesamt. Die Menschen im Osten würden „die Systematik hinter den Vorwürfen durchschauen“, sagte Kipping der „Thüringer Allgemeinen“. „Sie haben es einfach satt, dass ohne jede Ahnung vom Alltag in der DDR Urteile über ihr Leben gefällt werden.“ Die Vorwürfe gegen Gysi seien längst bekannt und widerlegt. „Hier werden Nebelkerzen geworfen, um unserer Partei im Wahlkampf zu schaden.“ Gysi habe nie geleugnet, dass er im Rahmen seiner Anwaltstätigkeit auch mit Vertretern der Staatssicherheit habe reden müssen. Dazu Kipping: „Ein Anwalt, der damals etwas für seine Mandanten herausholen wollte, konnte Gespräche mit staatlichen Stellen nicht verweigern.“

Zuvor hatte schon Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn die Vorwürfe als „substanzlos“ bezeichnet. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Vorwurfs einer falschen eidesstattlichen Versicherung gegen Gysi. In dieser geht es um die Frage, ob er vorsätzlich über Mandanten oder andere Personen an die Stasi berichtet hat.

Das Spitzenteam ist Camouflage

Für die Linke geht es um weit mehr als den Ruf ihres Frontmannes Gysi. Es geht ums politische Überleben. Bei sechs bis sieben Prozent sehen Meinungsforscher die Partei derzeit in den Wahlprognosen. Im vergangenen Jahr hatte es noch anders ausgesehen: Damals brachten die Kommunismusdebatte und der erbitterte Streit um die Führungsfrage die Linke gefährlich nah an die Fünf-Prozent-Hürde. Doch die Parteiführung weiß, dass das vermeintlich komfortable Prozentpölsterchen schnell wieder dahinschmelzen kann. Etwa dann, wenn ihr wichtigster Mann im Wahlkampf ausfallen würde.

Das achtköpfige Spitzenteam, das die Linke Ende Januar präsentierte, ist Camouflage. Es sollte den Eindruck abmildern, die Partei setze bei der Bundestagswahl auf eine One-Man-Show. Doch neben Gysi sind aus dem Team bundesweit nur Sahra Wagenknecht und Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch bekannt. Um einen Wahlkampf allein zu stemmen, dafür würde auch ihre Prominenz bei weitem nicht reichen. Das gilt umso mehr, als im Westen der Linken mit der Wahl in Niedersachsen das dritte Bundesland weggebrochen ist. Damit ist die Linke nur noch in vier von zehn West-Parlamenten vertreten.

Wie angespannt die Nerven der Genossen sind, zeigen die erbitterten Kämpfe um aussichtsreiche Listenplätze. In Nordrhein-Westfalen musste sich die Bundestagsabgeordnete Inge Höger, die durch ihre Teilnahme an der Gaza-Flottille zweifelhaften Ruhm erlangte, nach verlorenem Kampf um Platz sieben mit Platz neun zufrieden geben.

Der Ausschuss widersprach nicht

Auch auf Bundesebene ist die Anspannung spürbar. Über die Schulterverletzung, die sich Gysi bei seinem Skiunfall zugezogen hatte, drang tagelang nichts nach außen. Über die Ermittlungen gegen den 65-Jährigen wusste nicht einmal die gesamte Führung Bescheid, bis die „Welt am Sonntag“ darüber berichtete.

Einige enge Vertraute hätten allerdings schon seit Dezember Bescheid gewusst, berichten Insider. „Darüber haben sich schon einige sehr gewundert“, sagt ein führender Linke-Funktionär. Offenbar sollte auch intern um jeden Preis der Eindruck vermieden werden, der Spitzenmann der Linken sei angeschlagen. Selbst der Abgeordnete Jörn Wunderlich, der für die Linke im Immunitätsausschuss sitzt, hatte bis zuletzt dicht gehalten. Der Ausschuss war am 31. Januar über die Ermittlungen informiert worden. Er hätte widersprechen können, wenn er zu dem Schluss gekommen wäre, dass es sich hier möglicherweise um ein politisch motiviertes Verfahren handele. Das tat der Ausschuss nicht.

Für die Staatsanwaltschaft Hamburg dürfte der Vorwurf, hier gehe es um eine Kampagne, daher auch absurd klingen. Sie ist verpflichtet, Ermittlungen einzuleiten, wenn ein Anfangsverdacht auf eine falsche eidesstattliche Aussage vorliegt. Ausgelöst worden war dieser durch die Anzeige eines Ex-Richters gegen Gysi im Mai 2011. Der Linke-Fraktionschef hatte am 18. Januar 2011 in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, er habe „zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet“. Am Samstag hatte er auf Facebook noch einmal betont, „niemals eine falsche eidesstattliche Versicherung“ abgegeben zu haben.

Lengsfeld: „Das hätte kein einfacher IM gedurft“

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Der Immunitätsausschuss des Bundestags hatte 1998 mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder in einem Überprüfungsverfahren „eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen festgestellt“. Gysi versuchte damals, juristisch gegen die Überprüfung vorzugehen. Er zog bis vor das Bundesverfassungsgericht, scheiterte aber.

Beim aktuellen Ermittlungsverfahren geht es allerdings nicht um die Frage, ob Gysi Inoffizieller Mitarbeiter war oder nicht, auch nicht um „neue Stasi-Vorwürfe“. Vielmehr geht es darum, ob Gysi mit unlauteren Mitteln gegen die Medien vorgegangen ist, indem er eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. In der Linken hält man an der Erklärung fest, Gysi habe in seiner Funktion als Anwalt nur rein beruflich Kontakt zur Staatssicherheit gehabt, sei aber kein Spitzel gewesen. Seine Kritiker würden die Realitäten im SED-Staat verkennen.

Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld kennt die DDR nur zu gut. Sie fühlt sich durch die Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigt. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass Gregor Gysi mit der Stasi zusammengearbeitet hat“, sagt sie. Lengsfeld war von Gysi einst in einem Berufsverbotsverfahren beraten worden. 1988 wurde sie bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration verhaftet, im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Obwohl ihr eigentlicher Anwalt damals Wolfgang Schnur war, war es plötzlich Gysi, der am Tag ihrer Abschiebung die Verhandlung führte. „Er hatte dafür von mir kein Mandat, auch keins meines damaligen Mannes“, sagt Lengsfeld.

Bezeichnend fand sie auch ein Treffen mit Gysi im Gästehaus der Staatssicherheit, wo er am Tag ihrer Entlassung die letzten Details der Ausreise mit ihr besprochen habe. „Gysi kochte dort einen Kaffee, als wäre er im Gästehaus zu Hause“, schildert Lengsfeld die Begegnung. Sie ist überzeugt: „Das hätte kein einfacher IM gedurft.“ Auf ihre auch Gysi persönlich gestellte Frage, welche Rolle er bei ihrer Ausweisung gespielt hat, habe sie bis heute keine Antwort erhalten.

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