Travel in history

Attila Budai

Pulsar - Artikel - April

In welcher Zeit leben wir?

Die antike Lehre von den Weltzeitaltern

Vom antiken Rom über Persien und Tibet bis nach Indien lebte man früher in der Vorstellung, dass sich die Schöpfung in vier Weltzeitaltern manifestiert. Diese nennt man in Indien heute noch Yugas. Nach dieser Lehre leben wir heute in einer der dunkelsten Zeiten, die uns jedoch gleichzeitig auch viele Chancen für einen seelischen Aufstieg bietet. Was kennzeichnete die einzelnen Weltzeitalter und was können wir heute tun, um den kosmischen Gesetzen gerecht zu werden und erfüllt zu leben?

Indien kennt drei Hauptgottheiten: Brahma, Vishnu und Shiva. Sie symbolisieren die drei wichtigsten Komponenten unseres Lebens: das erschaffende Prinzip des Körpers, das lebendige Prinzip des Herzens und das erkennende Prinzip des Bewusstseins. Wenn wir in der Nacht träumen, so lässt etwas in uns diesen Traum entstehen. Der Schöpfergott Brahma symbolisiert diese Kraft in uns. In unserem Traum kommen wir selbst jedoch auch immer vor. Wir sind vielleicht eine andere Person als in unserem Tagesbewusstsein, doch sind wir immer die Protagonisten in unseren Träumen. Der Gott Vishnu steht für diese Rolle, die wir in allen unseren Träumen innehaben. Gleichzeitig ist unser Traum aber auch etwas, das uns widerfährt. Wir sind Beobachter unseres Traumes. Für diesen Beobachter in uns steht der Gott Shiva.

Was würden wir tun, wenn wir in jeder Nacht die Möglichkeit hätten, uns die Erlebnisse von 70 bis 80 Jahren zu erträumen? Wenn wir jede Nacht ein gesamtes menschliches Leben erleben könnten?

Wir würden wahrscheinlich die ersten Nächte damit verbringen, es uns gut gehen zu lassen. Wir würden in Milch und Honig baden, uns alles gönnen, wonach wir uns sehnen und uns verwöhnen. Doch es käme irgendwann der Punkt, an dem uns das alles zu langweilen beginnen würde und wir uns nach spannenderen Erlebnissen sehnen. So würden wir vielleicht in unseren Träumen gegen Bösewichte kämpfen, Burgfräuleins vor Drachen retten und alle möglichen heldenhafte Dinge tun. Dabei würden wir jede neue Nacht abenteuerlicher gestalten. Wir müssten es mit immer stärkeren Bösewichten aufnehmen und die Herausforderungen wären von Mal zu Mal schwieriger. Und doch würden wir es jedes Mal schaffen, die Welt unserer Träume zu retten. Wir wären echte Helden. Doch irgendwann würde uns wohl auch das langweilen.

Was könnten wir denn noch tun, um unseren Traum noch spannender zu machen?

Wir sollten dann vergessen, dass es ein Traum ist und uns mit diesem Bewusstsein in den nächsten Traum fallen lassen, den wir nunmehr mit der Neugier eines Kindes erleben werden, denn wir werden denken, dieser Traum sei Wirklichkeit.

Auch gerade jetzt erleben wir solch einen Traum: unsere Gegenwart hier und jetzt. Wir haben vergessen, dass wir alle aus dem einen Licht der Schöpfung sind und bekriegen uns gegenseitig auf einer Erde, die letztlich doch uns allen gehört.

Entsprechend diesem Bild weist der Traum des Schöpfergottes Brahma von der Erschaffung der Welt vier unterschiedliche Abschnitte auf. Im ersten Abschnitt der Weltschöpfung leben wir in Harmonie und alle Lebewesen leben in Frieden miteinander. Es ist für alle natürlich, immer von sich aus zu geben - ohne Erwartungshaltung oder Forderungen.


Dieser erste Abschnitt heißt in Indien Sat-Yuga, was man in etwa mit „vollkommene Verbundenheit“ übersetzen könnte. In der Sprache der europäischen Mystik, der Alchemie, nennt man diesen Abschnitt das goldene Zeitalter.


Im darauffolgenden Zeitalter, erhält die Seele des Menschen besonders viel Aufmerksamkeit. Es ist eine Zeit der Heiler und Priester, der Rituale und der Verbundenheit mit der einen Quelle der Schöpfung, mit Gott. Das Sinnbild dafür ist der Mond, der silbern das goldene Licht der Sonne spiegelt. Der Mond steht auch für das Element Wasser, der Seele, in welcher das Wort “See” versteckt ist. Wir nennen es das silberne Zeitalter oder Treta-Yuga in der indischen Sprache.


Im nächsten Zeitalter erhält der Geist, das Handeln nach Ideen und Überzeugungen, besondere Aufmerksamkeit. Es ist eine Zeit der Kämpfe und Eroberungen, im Wort und mit dem Schwert. Es ist das bronzene Zeitalter oder Dvapara-Yuga.

Phra Phrom

Wir können nur ahnen, wann sich das goldene Zeitalter ereignet hat; was wir jedoch recht klar aus der Geschichtsschreibung der Menschheit herauslesen können ist, wann das silberne Zeitalter endete und das bronzene anbrach. Etwa ab dem letzten vorchristlichen Jahrtausend begann man die heiligen indischen Schriften, die Veden niederzuschreiben und etwa zeitgleich entstanden viele Schriften in den unterschiedlichen Hochkulturen der Welt, in welchen man religiös-spirituelles Gedankengut festhielt. Spirituelles Wissen wurde seit jeher mündlich von Meister zu Schüler tradiert. Dass dieses Wissen nun in Büchern festgehalten wurde, war schon das erste Anzeichen eines Verfalls und einer Veränderung im kollektiven Bewusstsein der Welt. Die Zeit der Krieger und Eroberer begann anzubrechen. So konnte man sich ab da auch Spiritualität nur mehr in Konzepte und Ideen eingebettet vorstellen. Es begannen nach und nach Religionen zu entstehen, die auf den Lehren jeweils eines einzigen Meisters aufbauten, welcher ein Allgemeinrezept für die ganze Menschheit lieferte. Man denke an Buddha, Zoroaster, Konfuzius, Lao-Tse oder gar Jesus. In Indien nennt man diese Lehren heute noch “Guru-Religionen” im Gegensatz zur reichen Welt der Vielgötterreligionen, in welchen man alle Aspekte des Lebens verehrte.

Wenn man sich die vergangenen knapp dreitausend Jahre Geschichte ansieht, dann ist es eine Zeit der Ideen und Eroberungen. Man denke an die Kreuzzüge, die Inquisition oder die Eroberungen der seefahrenden Nationen. Bereits das römische Reich, welches etwa tausend Jahre Bestand hatte, war fast ohne Unterbrechung fortwährend in Kriege verwickelt. Zuerst kämpfte es gegen das Christentum, danach dafür. Großreiche wechselten sich ab und die Mongolen bildeten in der Mitte dieser Epoche schließlich das größte Reich, welches je existiert hat.

Aber in der Renaissance begann sich allmählich etwas zu ändern. Geplagt von der Pest wird der Mensch seines bisherigen, allsehenden Gottes überdrüssig und macht ihn nunmehr zu einem himmlischen Architekten, welcher von irgendwo weit oben unsere Welt lenkt, ohne sich allzu sehr einzumischen. Das berühmte Gemälde Leonardo da Vincis aus der sixtinischen Kapelle von der Erschaffung Adams drückt diesen Rollenwechsel wunderbar bildlich aus. Nun steht nicht mehr Gott im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Der Mensch feiert sich als erhabenes Wesen, als die Spitze der Evolution. Eine Überzeugung, die bis zum heutigen Tag anhält. Zur gleichen Zeit beginnt sich allmählich immer mehr Geld in wenigen Händen zu akkumulieren, die Geburtsstunde unserer heutigen monetären Systeme schlägt. Und jene, die viel davon haben, mühen sich, mit diesem Vermögen ihrem Leben einen neuen Sinn zu verleihen. Ludwig der XIV. ist vielleicht einer der herausragendsten Beispiele. Es wundert also nicht, dass auch die mythische Tradition der Alchemie, die seit jeher eine rein spirituelle Disziplin war, von Quacksalbern als vermeintliche Anleitung zur Goldmacherei missbraucht wird.

Interior of a Library

Ähnlich, wie schon bei Anbruch des Zeitalters Mündliches verschriftlicht wurde, so macht nun die Menschheit auch hier einen Schritt zum Festhalten der Dinge. Doch dieses Mal ist es sein Tun, welches er in einen wiederholbaren und kopierbaren Prozess verwandelt. Der Buchdruck wird mit den bewegten Lettern reformiert und die Kirche im gleichen Atemzug ebenso. Bücher sind nun nicht mehr der Luxus von Klosterbibliotheken, sondern werden zusehends für immer mehr Menschen erreichbar. Maschinen werden gebaut, die industrielle Revolution ist auf dem Vormarsch und der Mensch wird zum Zahnrad in dem großen Werk der Massenproduktion. Der Mensch beginnt Bilder auf Papier zu bannen und später die Bewegung auf Film.


Das bronzene Zeitalter der Kriege neigt sich mit den beiden Weltkriegen seinem Ende zu. Der Mensch hat weniger Lust zu kämpfen und besinnt sich lieber auf seinen Körper, den er zusehends erforscht.

Er beginnt seine Welt nur mehr aus dem Konzept des Körperlichen, der Materie, zu sehen. Seine Medizin müht sich, den Körper ausschließlich mit materiellen Methoden zu heilen. Selbst seine Psyche sieht er als etwas Materielles an und versucht, sie entsprechend einzuordnen und zu verstehen. Sein physikalisches Weltbild sagt ihm, dass er ein Staubkorn in einem unendlichen Universum ist und das sein Bewusstsein eher nur das Produkt eines Zufalls sei. Er erzählt sich den Mythos, dass er viele Jahrtausende lang nur ein Dinosaurier fressender wilder Mann war, bevor er begann, seine Kultur zu entwickeln. Sein Wissen ist nicht mehr lebendig, er “sammelt” es lieber in Bibliotheken, welche Bücher enthalten, die auf anderen Büchern aufbauen, welche wiederum auf anderen Büchern aufbauen. So nennt er dies auch “Wissenschaft” und es wird zur Mode, alles “wissenschaftlich” zu belegen. Er lässt sich von Fernsehen und Internet darüber belehren, welche Speisen oder Freizeitaktivitäten ihm guttun. Diese Trends ändern sich ständig und es gibt auch immer einen neuen wissenschaftlichen Beweis, was man bisher falsch gemacht hat, und wie es nun richtig geht.

Der Mensch hat nunmehr einen Brotberuf und verfolgt das, was er gerne tut, als Hobby. So beginnt er zu einem gespaltenen Wesen zu werden. Wir erfinden den grauen Alltag, anstatt jeden Tag als Wunder zu betrachten. Die Kinder erlernen ihre Fertigkeiten nicht mehr in der gemeinsamen Arbeit mit der Familie, sondern werden tagsüber in die Schule geschickt. In diesem künstlichen Umfeld müht man sich, den Kindern das Leben näherzubringen, mit viel Theorie versteht sich. Hier können sie dann ebenfalls einen Brotberuf erlernen, um anschließend genügend Geld für ihre soziale Sicherheit und ihre Zerstreuung zu haben. Denn als letzter Sinn des Menschen wird in unserer Kultur die Befriedigung der weltlichen Bedürfnisse angesehen. Wir nennen uns zwar Materialisten, aber wir verachten die Materie: die große Mutter Erde (Mater). Noch keine Kultur vor uns hat die Erde so für unsere eigenen Launen ausgenützt und ausgelaugt, wie wir.

In der römischen Antike hatte jede Stadt genau vier Tore: Ein goldenes, welches sich nach Osten richtete zum Sonnenaufgang, das Silberne Richtung Süden, das Bronzene Richtung Westen und schließlich das Eiserne Richtung Norden. Deswegen wurden heilige Gebäude in den meisten Kulturen früher nach Osten ausgerichtet. So sagen wir auch heute noch, dass wir uns “orientieren”. Aber es ist kein Zufall, dass der Kompass des modernen Menschen nach Norden, zur Dunkelheit der Nacht, zum Eisentor zeigt. Das ist die Qualität unserer Zeit. In Indien nennt man das letzte Weltzeitalter das Kali-Yuga, das dunkle Zeitalter.

Was kommt danach? Da scheiden sich die Geister, die einen sagen wir werden Schritt für Schritt die einzelnen Zeitalter rückwärts abwandern um dann erneut in ein goldenes Zeitalter einzutauchen, andere Quellen behaupten, das goldene Zeitalter wird sich nach unserem sofort wieder manifestieren. Doch die klassische indische Lehre spricht davon, dass sich nach dieser Zeit das sogenannte “Pralaya” ereignen wird, was man in etwa mit “Verlöschung” übersetzen könnte. Das also unsere Welt untergeht.

Das mag aufs Erste eine ziemlich finstere Vision von unserem derzeitigen Dasein sein, doch eigentlich ist diese Verlöschung keine Zerstörung unserer Welt im herkömmlichen Sinne.

Wenn wir morgens aufwachen und uns noch an ein paar Fetzen aus unserem Traum erinnern, dann verlischt dieser Traum allmählich. Er geht auf in dem strahlenden Licht des Morgens. Unsere Träume der Nacht scheinen uns oft außergewöhnlich, surreal, gar verrückt und unlogisch. Ebenso können wir auch aus diesem Traum namens “Leben” zu dem klaren Licht der Schöpfung erwachen und unser bisheriges Leben als einen etwas wirren und surrealen Traum erkennen. Doch erwachen wir dabei nicht in irgendeiner uns neuen, fremden Welt. Sondern wir erkennen hier, mitten im Leben, dass vieles von dem, was alltäglich ist, alles andere als normal, oder gar menschlich ist. In unserem Erwachen erkennen wir, was wahrhaftig ist und was nicht und beginnen danach zu leben. Der Gott Shiva steht für unsere Erkenntnisfähigkeit und unser Erwachen, deshalb wird er auch als Gottheit gesehen, die eine alte Welt zerstört und eine neue erschafft. Der Anbruch eines neuen Zeitalters beginnt in uns, in dem wir beobachten, erkennen, loslassen und neu erschaffen.