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Phänomen Dunkelflaute – Der Kohle-Ausstieg hielt nur acht Tage

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Von Daniel WetzelWirtschaftsredakteur
Veröffentlicht am 04.03.2021Lesedauer: 5 Minuten
Eigentlich abgeschaltet, aber unentbehrlich: Das Steinkohlekraftwerk Heyden in Nordrhein-Westfalen
Eigentlich abgeschaltet, aber unentbehrlich: Das Steinkohlekraftwerk Heyden in Nordrhein-WestfalenQuelle: pa/blickwinkel/S/S. Ziese

Die jüngste Abschaltung von elf Steinkohlekraftwerken erweist sich als verfrüht. Ein Großkraftwerk musste seit Jahresbeginn schon sechsmal wieder zurück ans Netz geholt werden. Für Betreiber Uniper wird Versorgungssicherheit zum Geschäftsmodell.

Der Kraftwerksbetreiber Uniper galt einst als „Resterampe“ des E.on-Konzerns. Auf das Düsseldorfer Unternehmen übertrug der frühere Marktführer E.on im Jahre 2016 alles, was nicht zur Energiewende passte: fossile Kraftwerke vor allem, aber auch den Energiehandel und die Gaspipelines, einschließlich des Nord-Stream-2-Projekts.

So wie Banken in der Finanzkrise ihre faulen Kredite auf Bad Banks abwälzten, um ihre Bilanz aufzupolieren, wurde Uniper mit seinen rund 12.000 Mitarbeitern zur Bad Bank der Energiewende.

Fünf Jahre später präsentiert sich das Unternehmen allerdings überraschend grün und in Topform: Die angebliche „Resterampe“ verkauft anders als erwartet keinen fossilen Ramsch, sondern ein gefragtes Produkt, das im Wert ständig steigt: Versorgungssicherheit.

Der finnische Energiekonzern Fortum, der Uniper inzwischen mehrheitlich übernommen hat, darf sich über eine Ertragsperle im Portfolio freuen.

Uniper-Chef Andreas Schierenbeck schloss jedenfalls sogar das Ausnahmejahr 2020 am oberen Ende der Erwartungen ab: Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern stieg um rund 16 Prozent auf 998 Millionen Euro. Eine halbe Milliarde Euro will Uniper als Dividende an seine Aktionäre ausschütten.

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Zwar als „fossiler Dinosaurier“ geboren, ist auch Uniper längst auf die Energiewende eingeschworen, legt Kohlekraftwerke still, investiert in erneuerbare Energien und Wasserstofftechnik und will schon im Jahr 2035 klimaneutral sein, früher noch als Wettbewerber RWE.

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„Wir haben uns schlanker aufgestellt, das operative Geschäft optimiert, die Versorgungssicherheit gestärkt, vorhandene Projekte sicher ins Ziel gebracht“, zieht Schierenbeck, seit 2019 Vorstandsvorsitzender die Fünf-Jahres-Bilanz: „Wir haben gezeigt, dass Uniper im wahrsten Sinne des Wortes ‚liefert‘.“

Dass Energieerzeuger „liefern“, ist in Zeiten der Energiewende nicht mehr selbstverständlich. Wind- und Solarkraftanlagen lieferten in einigen „kalten Dunkelflauten“ zu Jahresbeginn jedenfalls nicht. Uniper musste mit seinem eigentlich abgeschalteten Kohlekraftwerk Heyden in Ostwestfalen zurück ans Netz, um die Stromversorgung Deutschlands zu stützen.

Der Fall zeigt, dass das Geschäftsmodell von Uniper, die Energiewende mit verlässlichen Back-up-Kraftwerken abzusichern, gefragt ist. Grundsätzlich setzt Uniper dafür seine Flotte von Gaskraftwerken ein, die im Laufe der Jahre auf die Verbrennung von klimaneutralem Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Aber vorerst sind auch Kohlekraftwerke, die Uniper selbst aufgeben will, offenbar noch unverzichtbar.

Auch Uniper hatte erfolgreich an der Auktion von Stilllegungsbeihilfen teilgenommen

Politisch getrieben von Fridays-for-Future-Protesten, hatte sich die Bundesregierung zu einem ambitionierten Kohleausstiegsplan hinreißen lassen: Allein zum 1. Januar 2021 wurden elf Steinkohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 4,7 Gigawatt abgeschaltet und die Betreiber für das vorzeitige Aus vergütet.

Auch Uniper hatte erfolgreich an der Auktion von Stilllegungsbeihilfen teilgenommen und nach dem Zuschlag der Bundesnetzagentur das leistungsstärkste deutsche Steinkohlekraftwerk Heyden zum 1. Januar 2021 abgeschaltet – fünf Jahre vor dem eigentlich geplanten Aus.

Zu früh, wie sich jetzt zeigt. Nach Auskunft der Bundesnetzagentur ist das Kohlekraftwerk womöglich vorerst unverzichtbar für die sichere Stromversorgung. Die Anlage, die seit ihrer Abschaltung am Neujahrstag noch in ständiger Betriebsbereitschaft gehalten wird, musste auf Ersuchen des Netzbetreibers Tennet seit dem Jahreswechsel bereits sechsmal wieder hochgefahren werden.

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Zum ersten Mal am 8. Januar, dann aber auch während der Dunkelflauten am 30. Januar oder dem 27. Februar. Tennet hat bei der Behörde beantragt, das Großkraftwerk als „systemrelevant“ einzustufen.

Der Uniper-Konzern, der bis auf seinen modernsten Block Datteln 4 alle seine Kohlekraftwerke hierzulande abschalten will, muss die Anlage nolens volens weiter in Rufbereitschaft halten. Dasselbe betrifft übrigens auch ein altes Ölkraftwerk bei Ingolstadt, das Uniper loswerden möchte, aus Gründen der Netzsicherheit aber nicht schließen darf.

Andere Kraftwerke der ersten Schließungsrunde, darunter das Hamburger Vattenfall-Kraftwerk Moorburg und eine Anlage in Ibbenbüren gelten dem Vernehmen nach als „nicht systemrelevant“ und bleiben voraussichtlich abgeschaltet.

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Wie die Bundesnetzagentur bestätigt, gestaltet sich der Ausstieg aus der Steinkohleverstromung aber auch an anderer Stelle als schwierig. Zwei weitere Anlagen, die zum 1. Januar stillgelegt wurden, müssen wohl auf unbestimmte Zeit in Betrieb bleiben: Der Netzbetreiber Amprion beantragte bei der Bundesbehörde, das Kraftwerk Walsum 9 der Steag und das Kraftwerk Westfalen E der RWE als „systemrelevant“ einzustufen und die Eigentümer zum Weiterbetrieb zu verpflichten.

In diesen Fällen geht es allerdings nicht um die Stromproduktion: Die beiden Kraftwerke verfügen mit ihren Generatoren über große, rotierende Schwungmassen, die „Blindleistung“ zur Frequenzhaltung im Stromnetz bereitstellen. Eine Dienstleistung, die im Zuge der Energiewende mit der stark schwankenden Einspeisung von Wind- und Solarkraft als ausgleichender Faktor dringend benötigt wird.

Je nach Prüfergebnis der Bundesnetzagentur könnte das Kraftwerk Heyden in die sogenannte Netzreserve überführt werden. „Wird eine Anlage für eine Blindleistungsbereitstellung benötigt, erfolgt abhängig von der konkreten Netzsituation am Anlagenstandort eine Umrüstung zum rotierenden Phasenschieber oder die Anlage wird zum spannungsbedingten Redispatch in die Netzreserve überführt“, erklärte die Behörde: „Die Kosten für die Vorhaltung in der Netzreserve sowie für die Umrüstung zum rotierenden Phasenschieber tragen die Netzkunden, da diese Maßnahmen den sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb dienen.“

Die Bundesnetzagentur betont, dass die fraglichen Kraftwerke in ihrer Funktion als Netzreserve nur noch wenig – oder Blindleistungslieferant – keine Kohle mehr verbrennen: „Somit gehen die Treibhausgasemissionen auch für systemrelevante Anlagen deutlich zurück und das beabsichtigte Ziel der Emissionsreduzierung wird erreicht.“

Denoch: Dass der Kohleausstieg bereits so früh ins Stottern kommt, hatten die Energiewendeplaner offenbar nicht kommen sehen. Der nächste große Test für die Systemsicherheit folgt Ende dieses Jahres, wenn auf einen Schlag mit Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C drei der sechs verbliebenen deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden sollen – zusätzlich zu den weiteren Stilllegungen von Kohlekraft: Die Bundesregierung hat bereits Stilllegungsbeihilfen für weitere 1,5 Gigawatt ausgeschrieben.

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