Zeugen Jehovas gefoltert

Zeichnung von Symbolen der Religionen Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus

Am 15. Februar durchsuchten russische Ordnungskräfte in der Stadt Surgut die Wohnungen zahlreicher Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Mindestens 40 Personen wurden festgenommen. Sergei Loginov, Artur Severinchik und Yevgeniy Fedin sind nach wie vor in Untersuchungshaft und laufen Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Sie sind gewaltlose politische Gefangene, die nur aufgrund ihrer religiösen Überzeugung inhaftiert sind.

Appell an

Leiter der Ermittlungsbehörde der Russischen Föderation

Alexander Bastrykin

Tekhnicheskii pereulok, dom 2

105005 Moscow

RUSSISCHE FÖDERATION

Sende eine Kopie an

Stellvertretender Leiter der regionalen Ermittlungsbehörde im Kreis Jugra

Colonel Dmitry Victorovich Sherman

Acting Head of the Investigation Department of the Investigation Committee for KhMAO-Yugra

Investigation Department of the Investigation Committee for KhMAO-Yugra

Ul. Mira 120,

g. Khanty-Mansiisk, Tyumen region, 628011

RUSSISCHE FÖDERATION


E-Mail: doc@86.sledcom.ru

Botschaft der Russischen Föderation

S. E. Herrn Sergei Nechaev

Unter den Linden 63-65

10117 Berlin


Fax: 030 – 2299 397

E-Mail: info@russische-botschaft.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Sergei Loginov, Artur Severinchik und Yevgeniy Fedin umgehend und bedingungslos frei.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die drei Männer bis zu ihrer Freilassung vor Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt werden. Leiten Sie bitte umgehend eine zielführende und unparteiische Untersuchung der Folter- und Misshandlungsvorwürfe von Sergei Loginov, Artur Severinchik und Yevgeniy Fedin sowie anderen Mitgliedern der Zeugen Jehovas ein und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.

Sachlage

Am Morgen des 15. Februar durchsuchten russische Ordnungskräfte in Surgut im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen (Jugra) mindestens 20 Wohnungen von Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Wenigstens 40 Personen, darunter auch Frauen und Kinder, wurden festgenommen und in die Zentrale der Ermittlungsbehörde in Surgut gebracht. Dort wurden mindestens sieben der Inhaftierten von Angehörigen des Inlandsgeheimdiensts FSB geschlagen, getreten, gewürgt und mit Elektroschocks gefoltert. So wollte man sie zwingen, zu "gestehen", Mitglied einer "extremistischen Organisation" zu sein. Einige Betroffene berichteten auch, mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein. Laut Angaben von Inhaftierten waren die Schreie der misshandelten Personen im gesamten Gebäude zu hören. Weder Beamt_innen noch Besucher_innen der Einrichtung (darunter vermutlich auch Rechtsbeistände, die die Betroffenen vertreten sollten) protestierten gegen diese Behandlung oder versuchten, einzuschreiten. Die Zeugen Jehovas Sergei Loginov, Artur Severinchik und Yevgeniy Fedin befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft und sind in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Sie sind gewaltlose politische Gefangene, die nur aufgrund der Wahrnehmung ihres Rechts auf Religionsfreiheit in Haft sind.

Ein Mitglied der Zeugen Jehovas sagte Amnesty International, dass er während der Durchsuchung seiner Wohnung geschlagen und mit Folter bedroht wurde, und dass er beim Verhör eingeschüchtert und später misshandelt wurde. Er berichtete auch über Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften. So wurde ihm beispielsweise der Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl verweigert.

Eingangs stritten die russischen Behörden die Folter- und Misshandlungsvorwürfe schlichtweg ab. Am 22. Februar jedoch kündigte die Ermittlungsbehörde an, eine Voruntersuchung zu den Folterberichten durchführen zu wollen. Amnesty International begrüßt diese Entscheidung und fordert die russischen Behörden auf, eine umfassende, unparteiische und zielführende offizielle Untersuchung folgen zu lassen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Die russischen Behörden müssen das Recht auf Religionsfreiheit respektieren, schützen und gewährleisten, da es in der russischen Verfassung festgeschrieben ist und auch in Menschenrechtsverträgen verankert ist, deren Vertragsstaat Russland ist.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas werden in Russland seit 2009 verfolgt und schikaniert. Damals befand ein Gericht in Rostow am Don, dem Verwaltungssitz der Oblast Rostow, dass die örtlich eingetragene religiöse Gemeinschaft der Zeugen Jehovas in Taganrog eine "extremistische Organisation" sei und löste diese auf. 34 Publikationen der Glaubensgemeinschaft wurden als "extremistisch" eingestuft. In den darauffolgenden Jahren wurden zahlreiche Gemeinschaften der Zeugen Jehovas in ganz Russland per Gerichtsbeschluss als "extremistisch" deklariert. Diese Gerichtsentscheide stützten sich auf die gesetzlich uneindeutige Definition von "Extremismus", die zunehmend dazu verwendet wird, kritische Stimmen in Politik, Religion und anderen Bereichen zum Schweigen zu bringen. Im April 2017 urteilte der russische Oberste Gerichtshof, dass die zentrale Organisation der Zeugen Jehovas in Russland aufgelöst und ihr Eigentum konfisziert werden sollte. Damit wurden de facto auch alle Regionalverbände verboten. Seither werden alle Aktivitäten lokaler Gruppen der Zeugen Jehovas als Straftaten betrachtet.