Das wollte Robert Habeck nicht auf sich sitzen lassen: Der britische „Economist“ hatte unlängst gefragt, ob Deutschland heute nicht erneut „der kranke Mann Europas“ sei. 20 Jahre, nachdem das Magazin diese Formulierung zum ersten Mal genutzt hatte. Damals in der Krise, auf die die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) später mit der umstrittenen Agenda 2010 reagieren würde. Angesichts einer Rezession und gedämpften Erwartungen auch an die nähere Zukunft brachte die Redaktion Mitte August erneut eine wenig schmeichelhafte Bestandsaufnahme der Lage Deutschlands.
Einen Monat später antwortet nun Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) auf der gleichen Plattform mit einem Gastbeitrag. Der Tenor: Ja, es gibt Probleme, zum Teil „hausgemacht“ – etwa die Fähigkeit, sich in Bürokratie selbst zu ersticken. Aber der Befund des kranken Mannes „passt nicht zur Realität“: „Die Wirtschaft ist nicht krank – nur ein wenig außer Form“.
Es liege zwar noch „harte Arbeit“ vor dem Land. Einige Deutsche beurteilten die Situation sogar noch drastischer als der „Economist“: Sie seien „im vollen Angst-Modus“, schreibt Habeck, offenbar Bezug nehmend auf die im Englischen sprichwörtliche „German Angst“.
„Aber wir haben die Probleme verstanden und damit begonnen, wieder in Form zu kommen“, so der Wirtschaftsminister und Vizekanzler weiter. Man habe etwa im vergangenen Winter gesehen, „wozu Deutschland fähig ist, wenn alle an einem Strang ziehen“. Die Gasabhängigkeit von Russland sei zügig „überwunden“ worden. Die Erfolge des neuen „Deutschlandtempos“ wolle man nun in andere Bereiche transferieren, etwa in erneuerbare Energien. „Die Strompreise in Deutschland werden in den kommenden Jahren substanziell sinken“, schreibt Habeck.
Er sei sich darüber hinaus „sicher, dass meine Regierung die Mittel und den Willen finden wird, in der Übergangsphase wettbewerbsfähige Strompreise sicherzustellen“. Habeck hat sich – im Gegensatz zu Finanzminister Christian Lindner (FDP) – für einen Industriestrompreis ausgesprochen. Lindner lehnt einen subventionierten, milliardenschweren Industriestrompreis mit dem Verweis auf die Kosten ab, zudem sieht er das Werkzeug als „Wettbewerbsverzerrung“ zuungunsten kleinerer Betriebe.
„Lange Phase der Selbstzufriedenheit geleistet“
Im Hinblick auf hohe Energiekosten hatten zuletzt verschiedene Unternehmen mit Abwanderung ins Ausland gedroht. Habeck führt dagegen an, das „Vertrauen“ in die deutsche Wirtschaft zeige sich „durch Investments von mehr als zwei Dutzend Unternehmen, die Investitionen in Höhe von mehr als 80 Milliarden Euro“ planten. Zudem gebe es andere Stärken, die die deutsche Wirtschaft sich bewahrt habe – etwa viele „Hidden Champions“ im Mittelstand, einen „breit aufgestellten industriellen Sektor“ sowie unterstützend die „politische Kultur“ der Zusammenarbeit demokratischer Parteien.
Zugeben müsse man jedoch, dass Deutschland sich „eine lange Phase der Selbstzufriedenheit geleistet“ habe, „in der wir davon ausgegangen sind, dass sich die Globalisierung weiterhin zu unserem Vorteil fortführen würde.“ Währenddessen habe man sich zu sehr von russischem Gas abhängig gemacht – dies sei ein „Fehler“ gewesen. Dennoch: Er sei „zuversichtlich“, dass Deutschland mit den Entwicklungen „zurechtkommen“ und dabei „seine Sicherheit und Stabilität beibehalten“ werde.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,4 Prozent, in den Folgejahren dann jedoch mit allmählicher Erholung.