Gastkommentar

Von Steuer*innenzahlern und Rassisten – beim Gendern geht es vor allem darum, sich selbst als den besseren Menschen zu inszenieren

Sprache ist fliessend. Aber beim Gendern handelt es sich nicht um einen natürlichen Sprachwandel, sondern um eine politische Agenda, die durchgesetzt werden soll.

Judith Sevinç Basad
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Wann ist das Weibliche genug deutlich repräsentiert und wann nicht?

Wann ist das Weibliche genug deutlich repräsentiert und wann nicht?

Joël Hunn / NZZ

Die grösste Ursache für die Ausübung von Macht in der Gesellschaft liegt, so die postmodernen Theorien, in den Diskursen, also in der Art und Weise, wie wir über Dinge sprechen. Daraus folgt die empirisch nicht belegte Annahme, dass sich durch das Gendern der Sprache – also das Sichtbarmachen oder Auslöschen bestimmter Geschlechter aus dem Sprachgebrauch – die politische Wirklichkeit verändern lässt.

Die Social-Justice-Aktivisten versuchen deshalb vor allem eines zu kontrollieren: die Sprache. Dabei orientieren sie sich etwa am Poststrukturalisten Jacques Derrida, der behauptete, dass in der Sprache binäre Kategorien herrschten wie männlich - weiblich oder Körper - Geist. Diese Kategorien stehen in einem Machtverhältnis zueinander, und zwar so, dass zum Beispiel das Männliche das Weibliche unterdrückt.

Politisch auf Kurs?

Auf dieser These beruht das fragwürdige Weltbild der Social-Justice-Aktivisten, ihr Glaube an die sprachliche Herrschaft des weissen Mannes und die geringere Repräsentation des Weiblichen. Um diese sprachliche Herrschaft zu zerstören, müssen also vor allem zwei Dinge aus der Sprache verbannt werden: die Geschlechterbinarität (die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern) und – vor allem – Männlichkeit. Dieser Sprachaktivismus hat in seiner Ausrichtung eine ideologische Schlagseite. Und dennoch wird das Gendern der Sprache von Politik und Medien als innovativ angesehen. Immer mehr Mitarbeiter in Ämtern, Redaktionen und Kultureinrichtungen kommen derzeit unter Druck, neue Regelungen in ihren Sprachgebrauch aufzunehmen, weil man dadurch angeblich sicher in eine gerechte Welt steuert.

Für mich ist klar, was hier passiert: Zuschauer, Hörer, Leser und überhaupt jeder Bürger sollen mit einer neuen Sprache politisch auf Kurs gebracht werden, weil Sprache Wirklichkeit «konstruiere» und «Bilder im Kopf» erzeuge.

Dabei geht offensichtlich vergessen, dass das generische Maskulinum ein Generikum ist. Dessen Funktion besteht darin, dass es absichtlich nicht auf das Geschlecht einer lebenden Entität verweist. Maskuline Generika sind etwa «der Mensch», «der Fan» oder «der Säugling». Feminine Generika sind «die Person», «die Leiche» oder «die Geisel». Generika bezeichnen in einem gewissen Kontext eine Gruppe von Personen, bei denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Die Behauptung, dass das generische Maskulinum Frauen oder sexuelle Minderheiten «nicht mitmeine» oder ausschliesse, ist also Unsinn (statt: Blödsinn). Ein Generikum kann prinzipiell kein Geschlecht ausschliessen oder mitmeinen.

Zu viel Männlichkeit

Aber die Grammatik interessiert die Sprachaktivisten nicht wirklich. Sie behaupten einfach tapfer weiter, dass das generische Maskulinum nur Männer anspreche. Das geschieht mit einem kruden «Beweis»: Bei dem Wort «Arzt» oder «Lehrer» denke man etwa automatisch an einen Mann. Dadurch gebe es dann eine «Überrepräsentation des Männlichen» in der Sprache. Damit hat man dann auch den Grund gefunden, wieso Frauen seltener im Bundestag, in Führungspositionen oder in gewissen Berufsbranchen vertreten sind: Wir haben alle «zu viel Männlichkeit» im Kopf. Also gibt es nur eine Lösung: Man muss den Mann aus der Sprache canceln!

Noch einmal: Wissenschaftliche Studien, die belegen, dass man durch die Veränderung der Sprache auch das Handeln der Menschen beeinflussen könne, gibt es nicht. Wenn diese Kausalität wahr wäre, müsste in Ländern mit genuslosen Sprachen wie der Türkei und Ungarn bereits ein queeres Matriarchat herrschen. Das ist nicht der Fall.

Fakt dagegen ist: In den letzten 70 Jahren haben sich Frauen und Queers in den westlichen Ländern in rasantem Tempo aus den Fesseln des Patriarchats befreit. Sie haben sich das Recht auf finanzielle Unabhängigkeit erkämpft, sich aus der juristischen Knechtschaft der Ehe befreit, ihr Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper durchgesetzt und den Paragrafen 175 abgeschafft. Im Jahr 2020 sind die drei mächtigsten Personen in Europa – Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Christine Lagarde – Frauen. Und die schwedische Regierung nennt sich die «erste feministische Regierung der Welt». All diese Fortschritte haben sich Frauen mit dem generischen Maskulinum und ohne Gendersternchen, Unterstriche oder Doppelpunkte erkämpft.

Frauen holen sich immer selbstbewusster das, was sie wollen, und die Sprache wird sie von diesem Vorhaben nicht abhalten. Aber Hass auf eine Gruppe zu schüren und sie für alles Leid auf der Welt verantwortlich zu machen, fühlt sich für manche offensichtlich besser an, als sich mit der Realität zu beschäftigen. Also muss nicht nur das generische Maskulinum, sondern es müssen auch alle Ausdrücke, Assoziationen, Bilder oder Metaphern, die an Männlichkeit erinnern, verschwinden.

Gegen den Willen der Mehrheit

Grammatische Regeln können nicht einfach so ausser Kraft gesetzt werden. Wenn, dann müsste die gesamte deutsche Sprache reformiert werden, was man nur mit einer bundesweiten Reform erreichen könnte. Das wiederum wäre – angesichts der Tatsache, dass die Gender-Sprache die komplette Auslöschung von Geschlecht und Männlichkeit fordert – ein zutiefst totalitäres Vorhaben. Kommt hinzu, dass sich das Gendern der Sprache gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung richtet und damit im Kern demokratisch nicht legitimiert ist.

Sprache ist fliessend. Sie verändert sich laufend, und Trends setzen sich durch, weil Menschen neue Ausdrücke schön oder interessant finden oder weil sie etwas Bestimmtes ausdrücken, was es davor nicht gab. Die gendergerechte Sprache dagegen hat nichts mit natürlichem Sprachwandel zu tun. Denn beim Gendern handelt es sich nicht um harmlose Ausdrücke, die neu auftreten, sondern um eine politische Agenda, die – wenn möglich – von oben durchgesetzt werden soll, um moralisch zu erziehen.

Im Klartext heisst das: Wer sich an die Agenda der Sprachaktivisten hält, steht für soziale Gerechtigkeit und ist somit ein guter Mensch. Wer sich nicht daran hält, kann nur ein Unmensch sein, der sich gegen die offene Gesellschaft stellt. Immer wieder wird behauptet, dass man ja niemanden zwinge, die neuen Sprachleitlinien zu nutzen. Das ist nach wie vor richtig. Dafür werden Menschen aber moralisch unter Druck gesetzt.

Spaltung der Gesellschaft

Beim Gendern geht es vor allem um eines: sich selbst als den besseren Menschen zu inszenieren.

Unfreiwillig komisch wird es dann, wo die eigenen Regeln für eine bessere Welt sogleich wieder aufgeweicht werden müssen. So erzählte eine Moderatorin neulich im Deutschlandfunk (DLF), dass es nur richtig sei, wenn man Wörter wie Terrorist und Verschwörungstheoretiker nicht gendere. Denn: Diese Gruppen beständen hauptsächlich aus Männern, und man wolle das Geschlecht «gerecht abbilden». Das Sternchen übernimmt so eine willkommene Nebenwirkung: Es markiert die Dinge, die moralisch gut sind. Ironischerweise brachte der DLF daraufhin einen Beitrag, in dem die Wörter Bürger*innen, Erb*innen und Demonstrant*innen vorkamen. Die Wörter Rassisten, Kolonialisten oder Sklavenhändler wurden dagegen nicht gegendert.

Das Gendern der Sprache ist ein Trend der Intellektuellen, die ihrem Umfeld damit nicht nur zeigen, dass sie die komplizierten Theorie-Trends aus den USA verstanden haben. Sie stellen damit auch die «richtige» Gesinnung aus. Der Wille zur besseren Moral führt zu amüsanten Verirrungen. Bei Anne Will sprach neulich die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock vom Bund der Steuer*innenzahler, Anne Will selbst von Mitglieder*innen.

Die Social-Justice-Bewegung hat mit ihrem Populismus die Moral komplett für sich gepachtet: Nur wer gemeinsam mit Feministinnen «The future is female!» ruft und Sternchen setzt, ist auch ein guter Mensch. Jeder, der die Bewegungen und ihre Massnahmen kritisiert, ist indes ein schlechter Mensch, ein Nazi oder «rechts». Damit wird aber nur eines erreicht: die Spaltung der Gesellschaft.

Judith Sevinç Basad ist freie Journalistin und Publizistin. Soeben von ihr erschienen: Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist. Westend-Verlag, Frankfurt a. M. 2021. 224 S., Fr. 28.90.