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Andrew Tate in Rumänien festgenommen Frauenfeind, TikTok-Star – und Menschenhändler?

Bisher fiel Andrew Tate vor allem durch misogyne Rhetorik im Netz auf. Kurz nach einem digitalen Streit mit Greta Thunberg wurde er nun in Rumänien festgenommen – mutmaßlich war seine Gewalt mehr als verbal.
Andrew Tate bei seiner Festnahme in Bukarest

Andrew Tate bei seiner Festnahme in Bukarest

Foto:

Octav Ganea / INQUAM PHOTOS / REUTERS

Seine Glatze ist von einer schwarzen Kapuze bedeckt, sein Blick geht nicht in die Kamera, er trägt Handschellen und wird von zwei Polizisten abgeführt: Das Foto, das den umstrittenen Influencer Andrew Tate, 36, bei seiner Festnahme in Rumänien zeigt, dürfte eins der wenigen Bilder von ihm sein, die er nicht selbst inszeniert hat. Seit April ermittelt die Polizei gegen ihn wegen Menschenhandel und Vergewaltigung. Kurz bevor das Jahr 2022 zu Ende ging, griff sie zu.

Die internationale Aufmerksamkeit für die Festnahme ist gewaltig. Das liegt nicht allein an Tates fragwürdigem Internet-Fame und der Schwere der Vorwürfe. Sondern vor allem an einem Twitter-Schlagabtausch mit Greta Thunberg, der in den vergangenen Tagen begann und rückblickend wie die Ouvertüre zu der spektakulären Festnahme wirkt – mit der vorerst letzten Pointe bei der Klimaaktivistin.

Die Erzählung in den sozialen Medien dazu geht, grob verkürzt, so: Der frauenfeindliche Tate hat sich mit der Falschen angelegt, das Wortgefecht verloren und durch einen Pizzakarton in seinem Video der Polizei auch noch den entscheidenden Hinweis auf seinen Aufenthaltsort gegeben. Thunberg selbst griff das Narrativ in einem weiteren Tweet schlagfertig auf. Treffer, versenkt?

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Die rumänischen Ermittler verwiesen den Zusammenhang ins Reich der Fabeln. Das seien »amüsante Spekulationen«, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft der Nachrichtenagentur dpa. Es stimme nicht, dass der Pizzakarton für die Festnahme eine Rolle gespielt habe.

Die Twitter-Episode wirkt gleichwohl typisch für die Welt des Andrew Tate, in der häufig offenbleibt, was authentisch ist und was nur Show. Der 36-Jährige, ehemaliger Kickboxer, lebt von der Inszenierung seiner Person im Netz und provoziert seit Langem mit misogynen Aussagen. Er beschreibt sich selbst als einen Menschen, der »mit nichts« aufgewachsen sei und es nun zum Multimillionär gebracht habe. In zahllosen Videos präsentiert er sich mit teuren Sportwagen, Waffen, Zigarren – und markigen Sprüchen. Erfolg lasse sich lernen, behauptet Tate auf einem Portal, das er als »Onlineuniversität« versteht. Für knapp 50 Dollar pro Monat können sich Interessierte hier coachen lassen, um reich zu werden. Angeblich sind mehr als 100.000 Menschen bisher dazu bereit.

Als Influencer betreibt Tate unter anderem mehrere TikTok-Accounts oder lässt diese betreiben, das ist nicht ganz eindeutig. Oft wird eine frauenverachtende Haltung zelebriert: Er schwadroniert, Frauen gehörten ins Haus, könnten nicht Auto fahren und seien das Eigentum ihres Mannes.

Laut »Guardian«  erklärte er im Zuge der #Metoo-Debatte, Vergewaltigungsopfer würden für die Angriffe gegen sie »gewisse Verantwortung tragen«. Diese Aussage habe er später mehrfach wiederholt und sei unter anderem deshalb zeitweilig bei Twitter gesperrt worden. Tate sage zudem, er date gern 18- oder 19-Jährige, weil er ihnen seinen »Stempel« aufdrücken wolle. In einem Video erkläre Tate, wie er einer Frau ins Gesicht schlagen und sie im Nacken packen würde, wenn sie ihm vorwerfe, sie zu betrügen.

Frauenfeindlichkeit als Geschäftsmodell?

Wie der »Guardian« unter Berufung auf den »Observer«, der zur eigenen Mediengruppe gehört, berichtet, soll Tate Follower gezielt auffordern, seine Videos umfangreich zu teilen, und zwar insbesondere diejenigen Beiträge mit besonders provokanten Inhalten. Das Ziel: möglichst viele Klicks und größte Aufmerksamkeit erhalten. Der Recherche zufolge wird den »Studenten« in Tates »Onlinekursen« in einem Leitfaden erklärt, der Schlüssel zum Erfolg sei es, möglichst viele Kommentare und Kontroversen zu erzeugen.

»Was Sie idealerweise wollen, ist eine Mischung aus 60 bis 70 Prozent Fans und 40 bis 30 Prozent Hatern. Du willst Auseinandersetzungen, du willst Krieg.« Gehört die Provokation mit frauenfeindlichen Aussagen bei Tate also zum Geschäftsmodell? Als gelebter Gegenentwurf zu sogenannten »Cancel Culture«-Debatten scheint der 36-Jährige einen Nerv zu treffen.

Seine Beiträge bei TikTok wurden dem »Guardian«-Bericht zufolge bereits mehr als zehn Milliarden Mal aufgerufen. Frauenrechtlerinnen halten den rasanten Aufstieg des Mannes demnach für gefährlich. Hannah Ruschen von der britischen Kinderschutzorganisation NSPCC warnt, wenn junge Menschen solche Videos betrachteten, könne dies ihre Erfahrungen und Einstellungen beeinflussen und zu weiterem Schaden von Mädchen und Frauen führen.

Selbst nachdem er in bestimmten sozialen Netzwerken gesperrt worden sei, lebe seine schädliche, giftige Rhetorik bei seinen Gefolgsleuten weiter, warnte die Social-Media-Redakteurin beim »Observer« , Sophia Popkin, im Herbst. Frauenfeindlichkeit sei schon immer ein tief verwurzeltes Problem in unserer Gesellschaft gewesen, aber nun gebe es vermehrt Männer, die wirklich glaubten, Frauen seien ihnen untergeordnet, ihr Eigentum und verdienten es, entsprechend behandelt zu werden. Die Sorge: Misogynie endet nicht im Netz, wo sie schon schlimm genug ist. Und wenn sich die Vorwürfe gegen Andrew Tate in Rumänien bestätigen, dann sollte er selbst das abschreckendste Beispiel für diese Gefahr sein.

Schon seit April ermittelt eine Spezialeinheit für Organisierte Kriminalität in Rumänien gegen ihn, seinen Bruder und zwei mutmaßliche Komplizen. Sie sollen seit Beginn des Jahres 2021 Menschenhandel in Rumänien und auch in den USA und Großbritannien betrieben und Frauen zur Prostitution gezwungen haben. Die bisher sechs nachgewiesenen Opfer seien nach der sogenannten Loverboy-Methode in die Falle gelockt worden, so die Staatsanwaltschaft. Nach Versprechen von Liebe und Heirat sollen die Männer die Frauen mit Gewalt und Einschüchterung in verschiedenen Wohnungen um Bukarest festgehalten haben. Dort seien sie zum Sex und zu Auftritten in pornografischen Videos gezwungen worden, die dann per Internet verbreitet worden seien. Eines der Opfer sei zudem zweimal von einem der Festgenommenen vergewaltigt worden.

Andrew Tate schrieb am Freitag aus dem Arrest der Bukarester Polizei auf Twitter: »Die Matrix hat ihre Agenten geschickt.« Damit wollte er wohl andeuten, Opfer einer Verschwörung zu sein – eine Erzählung, die er schon vor seiner Festnahme in Videos vorbereitet hatte. Das britische Boulevardblatt »Daily Mirror« zitierte einen Sprecher Tates mit den Worten, die beiden Brüder hätten »den größten Respekt vor den rumänischen Behörden und werden helfen, wo sie können«.

Aufstieg nach Gewaltvideo bei Big Brother

Tates fragwürdiger Aufstieg als Internetberühmtheit begann laut einem Bericht der BBC  im Jahr 2016 mit einem Rausschmiss bei der Sendung »Big Brother«. Schon damals ging es um Vorwürfe wegen Gewalt. Auf einem Video war demnach zu sehen, wie Tate eine Frau mit einem Gürtel schlug. Ein zweites Video zeigt laut »Guardian«, wie Tate eine Frau auffordert, ihre Verletzungen zu zählen, die er ihr zugefügt habe. Beide hätten anschließend beteuert, es habe keinen Missbrauch gegeben.

Vor etwa fünf Jahren soll Tate von Großbritannien nach Rumänien gezogen sein. Damals habe die britische Polizei Missbrauchsvorwürfe gegen ihn untersucht, berichtet der »Guardian«. In einem Video habe der Influencer damals erklärt, so sei es einfacher für ihn, Vergewaltigungsvorwürfen zu entgehen: »Ich bin kein Vergewaltiger, aber ich mag die Idee, einfach tun zu können, was ich will. Ich mag es, frei zu sein.«

Mit dieser Freiheit könnte es nun für längere Zeit vorbei sein. Ein Haftrichter soll am Freitag entscheiden, ob die Verdächtigen hinter Gittern bleiben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Tate mit den Worten »Du willst Argumente, du willst Krieg« zitiert. Korrekt aus dem Englischen übersetzt müsste es heißen »Du willst Auseinandersetzungen, du willst Krieg«. Wir haben den Fehler korrigiert.

fok/mit Material von dpa

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