Als das dreißig Jahre lang von menschlicher Hoffnung, staatlicher Zuwendung und bürgerlicher Illusion zusammengehaltene Konstrukt der Familie J. in die Luft fliegt, erledigt Hendrik Bruns, Hausmeister in einem Mehrparteienhaus im Selgenauer Weg, Berlin-Rudow, gerade seinen Schreibkram am Wohnzimmertisch. Die Wucht der Explosion lässt die Gläser in der Schrankwand erzittern, die Wohnungstüren der Nachbarn springen auf, Rauch und glimmende Funken stieben herein. Es ist der 26. November 2008 gegen 16.15 Uhr.

Wie er ist, in Trainingshosen, stürzt Bruns ins Treppenhaus. "Was ich da vorfand, war das reinste Chaos. Überall Splitter, Steine, Putz und Blut." Bruns fühlt sich nach "Beirut oder Kabul" versetzt. Wo der Briefkasten der Familie J. hing, gähnt ein Loch. Darunter sitzt einsam ein Kind: die zwölfjährige Charlyn aus dem Hochparterre, das Gesicht verkohlt, die Haare versengt, der rechte Arm blutüberströmt und in Fetzen. "Ich brenne, ich brenne", wimmert Charlyn, "ich muss sterben." Bruns brüllt nach Kissen, Decken und einem Krankenwagen. "Du stirbst nicht", sagt er, während er dem Kind den Arm, oder was davon übrig ist, abbindet. Und er behält recht, das Mädchen wird überleben – auch dank der raschen Hilfe des Hausmeisters.