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Deinfluencer Lieber mal von etwas abraten

Wenn Influencer Produkte anpreisen, ist das oft bezahlte Werbung. »Deinfluencer« hingegen empfehlen eher Zurückhaltung beim Einkauf. Ihr Geschäftsmodell basiert auf Ehrlichkeit – oder sollte es zumindest.
Daumen runter: Deinfluencer raten auch mal von Produkten ab

Daumen runter: Deinfluencer raten auch mal von Produkten ab

Foto: Karl-Josef Hildenbrand / dpa

Sie hat jedes Mal Angst, bevor sie ihren Kontostand anschaut: Die Influencerin Michelle Skidelsky  sagt von sich selbst, sie kaufe vieles, was sie gar nicht brauche. Warum sie das tut? Weil die Produkte bei TikTok empfohlen wurden. Vielen Menschen, die regelmäßig in sozialen Netzwerken aktiv sind, ergeht es so wie ihr. Im Warenkorb landet, was gehypt wird – was so oft in den Himmel gelobt wird, bis man überzeugt ist, genau dieses Produkt könnte das eigene Leben ein kleines bisschen besser machen.

Mit dieser Annahme wollen sogenannte Deinfluencer aufräumen. Sie begreifen ihre Mission als Antithese zum klassischen Influencertum: Sie machen keine Werbung, sondern raten klar davon ab, Geld für bestimmte Kosmetik, Kleidungsstücke oder Technik auszugeben. Für Dinge, die es in ihren Augen nicht wert sind.

Videos mit dem Hashtag #deinfluencing werden stetig populärer, insbesondere auf TikTok. Bis Ende Februar wurden dort 264 Millionen Mal mit diesem Hashtag markierte Clips aufgerufen. Oft kommen die Kurzfilme aus dem englischsprachigen Raum, einige deutsche Beiträge sind mittlerweile auch zu finden.

»Das muss man sich nicht unbedingt kaufen«

Vita Wirt, die im Internet genauso heißt, hat den Hashtag hierzulande als eine der Ersten verwendet. Zwei Contouring-Produkte einer Luxus-Beautymarke, mit denen man sich schmeichelhafte Schatten ins Gesicht zaubern können soll, sind Wirts Meinung nach zum Beispiel überteuert. »Eins kostet 40 Euro, das muss man sich nicht unbedingt kaufen – vor allem dann nicht, wenn man noch jung ist und nur ein Taschengeld bekommt«, sagte die 27-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

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Ihr Beitrag über die Kosmetik wurde bis Ende Februar knapp 55.000 Mal angesehen. Für die Frau aus Erfstadt (Nordrhein-Westfalen) ist das ein Hobby. Sie erhalte dafür bislang weder Zuwendungen von Marken noch werde sie bezahlt, betont sie. So unabhängig agieren nicht alle Influencer, die Social Media zu ihrem Job gemacht haben. Viele gehen regelmäßig Kooperationen mit Marken ein und bewerben deren Produkte gegen Bezahlung. Solche Videos müssen als Anzeige gekennzeichnet sein.

Ehrlichkeit als Geschäftsmodell

Fans und Follower akzeptieren solche Deals häufig: Sie lassen sich von den Einblicken in den Alltag ihrer Lieblings-Influencer unterhalten und schalten im Gegenzug bei bezahlten Empfehlungen nicht ab. Doch obgleich die Werbung vielfach zieht, können die wohlwollenden Hinweise auf Produkte als unehrlich wahrgenommen werden – das ist die Krux in einem Geschäft, bei dem es darum geht, möglichst authentisch zu wirken.

Zudem würden Tiktok- und Instagram-Konsumenten »täglich von Produktempfehlungen überschwemmt« und »stumpfen regelrecht ab«, sagt die Social-Media-Marketing-Expertin Ann-Katrin Schmitz , die mit ihrem Team Unternehmen und Medienhäuser berät. Sie sieht im Deinfluencing einen wichtigen Trend, der bleiben werde: »Gute Influencer haben schon immer ehrliche Empfehlungen abseits ihrer Werbekooperationen ausgesprochen. Da liegt es nur nahe, genauso auszusprechen, wenn Marken oder Produkte nicht halten, was sie versprechen. Viele haben verstanden, dass Authentizität und eine loyale Community langfristig mehr für ihr Business tun als möglichst viel Werbung.«

Im Kern subjektiv

Doch gerade für gewerbsmäßige Influencer seien Anti-Empfehlungen zugleich ein Risiko. »Kritik an Marken kann Werbepartner abschrecken«, sagt Schmitz. Auch Vita Wirt meint, dass Deinfluencing für kleinere, nur zum Spaß betriebene Profile wie ihres leichter sei als für Profis: »Ich kann freier meine ehrliche Meinung über Produkte sagen.« Mit Betonung auf Meinung. Denn wie beim klassischen Influencen gilt beim Deinfluencen, dass ein Einzelner etwas als gut oder unbrauchbar beurteilt, andere Menschen dazu aber anderer Meinung sein können.

Vita Wirt: »Ich kann freier meine ehrliche Meinung über Produkte sagen.«

Vita Wirt: »Ich kann freier meine ehrliche Meinung über Produkte sagen.«

Foto: Su Martin / dpa

Ein Beispiel dafür ist ein knapp 550 Euro teurer Föhn, der das Haar mit verschiedenen Aufsätzen in Form bringen soll. In vielen Deinfluencing-Videos wird das Gerät als überteuertes Heißluftgebläse verrissen. Andere Nutzer verteidigen es als Produkt, das auf dem Kopf Wunder vollbringe.

Ob der Föhn nun funktioniert oder nicht, als vergleichsweise teuer würden ihn wohl die meisten einordnen. So ist es mit den vielen Produkten, um die in sozialen Netzen ein Hype entsteht. Ein Lippenöl für rund 40 Euro kann sich nicht jede TikTok- oder Instagram-Zuschauerin leisten.

»Nicht alles ist gekauft«

Für Hobby-Influencerin Wirt ist Deinfluencing unter anderem deshalb so populär, »weil die Leute durch die Inflation weniger Geld zur Verfügung haben und mehr darauf achten, wofür sie es ausgeben«. Hinzu komme ein zunehmendes Konsumbewusstsein durch den Klimawandel, das immer mehr Menschen hinterfragen lasse, was und wie viel sie tatsächlich benötigen.

Geht es beim Deinfluencing also vordergründig darum, Verbraucher besser zu informieren und Kritik an überflüssigem Konsum zu üben? Oder ist es lediglich eine kluge Strategie, um auf Umwegen doch wieder zu werben – etwa indem Influencer eine angeblich bessere Alternative zu jenem Produkt empfehlen, von dem sie abraten? Das sei möglich, sagte Marketing-Expertin Schmitz: »Mir sind in der Branche allerdings keine Fälle bekannt, bei denen sich Influencer und Marken absprechen, um diesen Effekt zu nutzen. Nicht hinter jedem Influencing oder Deinfluencing steckt eine Strategie, nicht alles ist gekauft oder geskriptet.«

Sie lasse sich übrigens regelmäßig selbst deinfluencen, sagt Schmitz: »Leon von @xskincare spricht brutal ehrlich über Gesichtspflege, egal in welchem Preissegment. Damit hat er nicht nur mein Vertrauen bekommen, sondern mittlerweile auch das von 852.000 Fans auf Instagram.«

mak/dpa