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MEDIZIN Letztes Wort

Fachkollegen suchen den Hamburger Chirurgen-Skandal zu vertuschen. Doch Nachforschungen ergaben: Orthopäde Bernbeck operierte zu waghalsig. *
aus DER SPIEGEL 24/1984

Nur zwei Jahre konnte Professor Rupprecht Bernbeck, 67, in seiner Villa am Starnberger See den Ruhestand ungestört genießen. Dann holte ihn seine ärztliche Vergangenheit ein - mit der Ruhe ist es seither vorbei.

Gegen Bernbeck, von 1963 bis 1981 Chefarzt der Orthopädischen Abteilung im Hamburger Allgemeinen Krankenhaus Barmbek, haben sich rund 200 ehemalige Patienten zusammengeschlossen, die dem pensionierten Knochenchirurgen eine Fülle von ärztlichen Kunstfehlern mit zum Teil verheerenden Folgen vorwerfen: »Bernbeck«, so die Klage der Patienten-Initiative, »hat uns zu Krüppeln operiert.«

Unter der Schlagzeile »Die Patienten packen aus« hatte die Hamburger »Morgenpost« Mitte Januar erstmals eine Serie von Leidensgeschichten aus der Barmbek-Klinik publiziert - und damit eine Schleuse geöffnet: Innerhalb von wenigen Tagen meldeten sich mehr als 100 weitere Patienten, die allesamt behaupteten, gleichfalls an den Spätfolgen stümperhafter Eingriffe Bernbecks zu leiden.

Jahrelang, so die Beschwerden, habe der Professor seine Patienten mit waghalsigen Operationen traktiert und dabei gepfuscht, künstliche Hüftgelenke fehlerhaft implantiert oder unter dicken Gipsverbänden schwärende Infektionen so lange übersehen, bis die verfaulten Gliedmaßen schließlich amputiert werden mußten - offenbar mit Wissen der Gesundheitsbehörde, aber auch vieler Hamburger Orthopäden, die in ihren eigenen Kliniken immer wieder die Pannen des Kollegen diskret repariert hatten (SPIEGEL 3/1984).

Bernbecks ehemalige Sekretärin Maren Knigge-Sieberg, die heute in Kanada lebt, bestätigte, daß Bernbeck häufig Krankenunterlagen retuschierte oder verschwinden ließ; das sei in der Klinik kein Geheimnis gewesen: »Wer nicht mitmachte, flog raus.«

Noch unter dem Eindruck der Schreckensbilder aus Bernbecks chirurgischer Praxis versprach die Hamburger Gesundheitssenatorin Helga Elstner der Patienten-Initiative eine rasche und objektive Untersuchung der Vorwürfe; Schadenersatzansprüche sollten zügig bearbeitet, Notsituationen besonders berücksichtigt werden. Doch daraus wurde nicht viel.

Statt dessen begann ein groteskes Verwirrspiel, bei dem Politiker, Behörden und ärztliche Standesvertreter vor allem bemüht waren, sich aus dem »Krankenhaus-Skandal von Barmbek« ("Morgenpost") möglichst herauszuhalten.

Den Auftakt machten die Hamburger Gesundheitsbehörde: Sie traten, rückwirkend zum 1. Januar 1984, der von den Ärztekammern verwalteten »Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen« in Hannover bei, einer Institution, der die Hansestadt mit ihren insgesamt zehn Allgemeinen Krankenhäusern als einziges norddeutsches Bundesland bis dahin nicht angehört hatte. Alle Bernbeck-Beschwerdefälle, die sich nach Jahresbeginn in Hamburg angesammelt hatten, werden seither von den ärztlichen Schlichtern in Hannover bearbeitet - die Hamburger Behörden sind sie erst einmal los.

Mit dem verbleibenden Rest von schon vorher eingebrachten Beschwerden sollte sich, auf Wunsch von Gesundheitssenatorin Elstner, eine »behördenunabhängige Expertenkommission« beschäftigen, zusammengesetzt aus Orthopädie-Fachärzten und Vertretern der Hamburger Ärztekammer. Das aber führte zum Krach: Die Kammerherren sahen sich, entgegen einer früheren Zusage ihres Präsidenten, nach längerem Zögern außerstande, an der erbetenen gutachterlichen »Gesamtschau« der Barmbeker Vorfälle mitzuwirken - was, so die erboste Senatorin, »Fragen nach dem ärztlichen Ethos« aufwerfe.

Doch auch die schließlich zustandegekommene Rumpfkommission, bestehend aus drei Orthopäden, erklärte sich zunächst nur für teilweise zuständig. Mit den von vielen Patienten als »katastrophal« beschriebenen hygienischen Zuständen in Bernbecks früherem Operationssaal wollten sich die Knochenspezialisten nicht auseinandersetzen. So heuerten sie einen vierten Mann an, den Hygiene-Experten Professor Gerhard Fromm vom Hamburger Institut für Hygiene.

Der hatte 1976, auf Veranlassung der Gesundheitsbehörde, den Barmbeker Orthopädie-OP gründlich untersucht und das Ergebnis in einem Gutachten festgehalten - Fromms Befunde: Im Operationstrakt wimmelte es von gefährlichen Krankheitskeimen, darunter Eiter- und Gasbranderreger, Coli-Bakterien und Pilzsporen; die Räume waren stets überhitzt und derart mangelhaft isoliert, daß von außen immer neue »humanpathogene Keime« eindringen konnten.

In seiner Expertise empfahl Fromm dringend »Sofortmaßnahmen« - »unter den derzeitigen Umständen«, notierte er

damals, sei von einer »Fortsetzung größerer orthopädisch-chirurgischer Eingriffe« abzuraten. Doch erst zwei Jahre später wurde der verrottete Bernbeck-OP vorübergehend geschlossen und notdürftig abgedichtet.

Daß Bernbeck bis 1981 in den verseuchten Räumen unverdrossen weiteroperierte, war nach Ansicht Fromms dennoch nicht fahrlässig. In anderen Kliniken Hamburgs, erklärte er jetzt den Sprechern der Patienten-Initiative, habe es seinerzeit nicht viel besser ausgesehen. »Anatolische Putzkolonnen«, ergänzte Fromms Kommissions-Kollege Professor Karl Friedrich Schlegel aus Essen, »erhöhen eben das Risiko.«

Im übrigen, so das Urteil des Orthopäden Schlegel, sei Bernbeck ein »innovationsfreudiger Arzt«, dazu ein »artistischer Operateur": »So rasch und sauber operiert keiner.« Allerdings, das letzte Wort »über Gelingen oder Nichtgelingen einer Operation«, so Schlegel, »spricht immer der große Vorsitzende«.

Ein Gottesurteil aber wollen die revoltierenden Patienten nicht abwarten. Die Hamburger Medizinstudentin Barbara Nast, Schwester einer von Bernbeck fehloperierten Patientin, hat inzwischen damit begonnen, die Innovationen des Barmbeker Knochenchirurgen mit wissenschaftlicher Akribie zu überprüfen - speziell die von Bernbeck 1948 entwickelte, im Fachjargon so genannte »Drehvarisierungsosteotomie«, ein Operationsverfahren, mit dem Schenkelhals-Fehlstellungen korrigiert werden sollen.

Bis zum Ende seiner chirurgischen Laufbahn hat Bernbeck den komplizierten Eingriff immer wieder angewandt; insgesamt 28 Mitglieder der Hamburger Patienten-Initiative, darunter viele Kinder, laborieren bis heute an den zum Teil irreparablen und schmerzhaften Schäden, die nach der Operation im Barmbeker Krankenhaus zurückgeblieben waren.

Doch beim Studium der orthopädischen Fachliteratur stieß Barbara Nast auf detaillierte Untersuchungen aus den sechziger Jahren, in denen die Bernbeck-Methode wegen schlechter Spätergebnisse als untauglich verworfen wurde. In mindestens 60 Prozent aller Fälle, so hatten die Experten schon damals ermittelt, waren die Schenkelhals-Korrekturen gescheitert.

Auf die Fleißarbeit der Studentin, die demnächst mit weiteren wissenschaftlichen Ausgrabungen hervortreten will, reagierten die vom Hamburger Senat bestellten orthopädischen Experten sauer. Am Tag nach einer »Anhörung« der Patienten-Initiative nahm ein Kommissionsmitglied die angehende Kollegin beiseite, um ihr einen »wohlgemeinten Rat« zu erteilen.

Sie möge doch, so empfahl der Professor, künftig etwas mehr Zurückhaltung üben - im Hinblick auf ihre demnächst noch abzulegenden Examina.

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